Lokale Kritik
Grünauers bestes Stück: Es ist, wie es isst – aber ausgelöst!
Warum sich die weise Cuisinière dem weißen Connaisseur beugte und was in Wien-Neubau außer ein ausgelöster Ochsenschwanz noch aufgetischt wurde: Die 20. Ausgabe der Lokalen Kritik widmet sich wieder einmal der klassischen Wiener Küche.

Die Cuisinière und Der Connaisseur – endlich wieder gemeinsam und nicht einsam, aber vor allem nicht irgendwo, sondern beim Traditions-Wirtshaus Grünauer in Wien. "Wenn er sich nur wieder wichtig machen kann", murmelt Die Cuisinière, als sie seinen neuesten Vorschlag hörte, aber immerhin beichtete er diesmal keinen Alleingang, wie zuletzt in Budapest oder früher in Istanbul. Dass sie damit begonnen hat, nämlich damals in Istrien, hat sie natürlich vergessen zu machen versucht. Worüber er gnädig hinweg sah.
Aber dass Der Connaisseur da gleich wieder eine ganze Runde versammeln wollte, wie im Winter im ON, um "unser Wissen und Können unter die Leute zu bringen", wie er in gewohnter Bescheidenheit betonte, damit hat sie auch wieder nicht gerechnet. Konsequent verfolgt er die Idee, eine Art Wander-Club der Epikureer und Potatores, eine würdige Gourmet-Gesellschaft (GG), zu etablieren. Die treuen Bewunderer der Lokalen Kritik, die alle bisherigen 19 Kolumnen begierig verschlungen haben, wissen natürlich, worauf Die Cuisinière hinsteuert. Genau, die Serie "Testen mit den Besten".

So kam es, dass wieder eine spezielle Runde geladen wurde, auch wenn Die Cuisinière und Der Connaisseur schon seit längerer Zeit nicht mehr nur unter sich testen waren, um sich auf das Wesentliche, Ursprüngliche, Radikale konzentrieren zu können. Die weise Cuisinière beugte sich dennoch dem weißen Connaisseur.
"Ein großer Einleitungs-Monolog!", lobt Der Connaisseur ihre Ausführungen, "an Sein oder Nicht-Sein kommt es noch nicht heran. Du reflektierst ja auch – noch - nicht über das Leben, den Tod und die menschliche Existenz." Wirkt mehr nach dem weiblichen Nick Carraway, entlang dessen Beobachtungen über das Leben und die Menschen um ihn herum, lobte er hintergründig kurz, aber meinte auch ungeduldig: "Lass uns zum Punkt kommen!"
Nach Sternderl, chinesisch und Budapest war es wieder an der Zeit, ein ur-wienerisches Gasthaus zu besuchen. Da traf es sich gut, dass Die Cuisinière natürlich nicht nur den Chef des Hauses Christian Grünauer, der in der 3. Generation diese gleichnamige Traditions-Hütte in Bobostan leitet, gut kennt. Auch Didi, "ihr" Sommelier im damaligen Le Ciel, treibt dort auf höchstem Niveau sein Unwesen.

Der Andrang der Gourmet-Gesellschaft (GG) war so groß, dass der lange Tisch im urigen Gastraum des Grünauer bis auf den letzten Platz befüllt war. Als dann alle saßen, blickte Die Cuisinière wohlgefällig um sich und rang sich sogar Lob gegenüber dem Connaisseur ab: "Er kann's schon gut, die Leute gemeinsam an einen Tisch bringen." Allerdings wirft sie auch ein, dass "wir unser einjähriges Dasein als Cuisinière und Connaisseur total unter den Wirtshaustisch fallen haben lassen!"
Dazu passt gut, dass wir "kultigen Gourmet-Kritiker" – wie uns der geniale Kopfnüsse-Schreiber Christian Nusser in unserem Heimat-Magazin Newsflix so richtig bezeichnete – den ersten Jahrestag ums Eck vom ersten getesteten Lokal, dem Collina - nicht feierten. Aber auch Blumen der Chefitäten oder sonstige "Ovulationen", wie Der Connaisseur gerne verballhornte, blieben aus.
Es begann damals im März 2024 verwirrend, und es hat sich auch nicht gebessert …
Einen Wiener Wirtshausbesuch beginnt man zumindest mit einem Seidel, diesfalls wahlweise vom Augustiner oder Starobrno (je 4,50 Euro). Eine gute Einstimmung, was den Schwung und Wohlfühlfaktor entsprechend akzelerierte. Die Atmosphäre stimmte. Im Vorfeld wurde mitgeteilt, dass "Testen mit den Besten" nach dem Motto "sharing ist caring" abläuft, da die GG möglichst viel vom Angebot des Grünauer testen will und ergo jeweils fünf bis sechs Portionen (für 14 Gourmets und Gourmands) in der Mitte eingestellt wurden.

Wie früher zuhause bei der Oma am Küchentisch. Jeder nimmt sich so viel, wie er will. "Übrigens auch ein sehr nachhaltiges Prinzip, es bleibt weniger über …", streift Die Cuisinière ein Hauch von Öko. "Kleinspeisig", wie Der Connaisseur seine "Großmutter selig" zitierte.
Der Einstieg war ein geräuchertes Bio-Saiblings-Filet mit rotem Rübenragout und Krensauce, ein leichter Beginn mit großer Vorfreude, was noch alles kommen wird. Vielleicht "ein bissi trocken", meinte einer, worauf dem Connaisseur sein Spruch aus den Kornaten einfiel: "Der Fisch muss schwimmen!" Kren wiederum kann der Cuisinière nie genug fahren … "Fahren??" Aber Der Connaisseur fragt nicht nach, denn meist bekommt er eh keine g'scheite Antwort. Und stellt sich stattdessen die Krenwurz'n bildlich hinter dem Lenkrad vor …
Und das mit dem Schwimmen besorgt dann der Zillinger GV 20 um 42 Euro.
Der Käferbohnensalat mit Kernöldressing (10 Euro) hob sich von den vielen, die sie schon gekostet hatten, "großartig" ab. "Schön abgeschmeckt, dazu noch ein erstes frühlingshaftes Farbenspiel!", waren sich die Profis einig.

Langsam war es Zeit, endlich Fleisch aufzufahren, Fastenzeit oder Ramadan hin oder her! Dann aber gleich deftig: Die Lammbratwürstel mit eingemachten Linsen um 16 Euro waren angenehm im Geschmack, dezent und ausgewogen. "Das kann schnell einmal lamperln", tat sich Der Connaisseur wissend. – "Ein spannender Ausdruck – aber doch nicht beim Grünauer!", war sich Die Cuisinière sicher. – "Mehr sittlichen Ernst", forderte Der Connaisseur ein, "nicht nur Schmäh führen!" – "Wir sind ja nicht zum Vergnügen da", parodierte Die Cuisinière den Connaisseur. – "Mehr Konzentration für den nächsten Gang forderte", Der Connaisseur. Und hat Sorge um die Lernkurve, will man doch den Titel gerecht werden.

Was übrigens der Konzentration im Grünauer sehr zuträglich ist: der Handy-Empfang ist herrlich schlecht. Man wird also nicht mit Telefonaten vom Nebentisch belästigt, wo man gelegentlich Dinge mithören muss, die einen wirklich nicht interessieren. "Dann hör' halt nicht zu", wirft Die Cuisinière ein. – "Wenn das so leicht ginge", rekurriert Der Connaisseur auf die sogenannte Contraire-Faszination. Und erläutert, die fragenden Gesichter richtig deutend: "Es gibt Dinge im Leben, beispielsweise im Fernsehen – nähere Details will er jetzt aus Kollegialität nicht nennen oder gar Sendungstitel – wo man einfach nicht wegschalten kann. So ist das gelegentlich auch bei Telefonaten am Nebentisch." Aha …
"Gut, das alles kann beim Grünauer nicht passieren", ruft Die Cuisinière wieder zur Ordnung und verweist auf die Frühlingsrolle von der Chili-Blunzn mit Apfel-Sauerkraut-Salat um 12 Euro. Und geschwommen ist diese in unserem Fall im Grünen Veltliner Braun 00 (um 30 Euro). "Weil: Nicht nur der Fisch muss schwimmen!", deklamiert Die Cuisinière.

Also, die Frühlingsrolle mit der Blunzen, da ist manchen das Teilen schwergefallen. "Das Kraut auf den Punkt, die Schärfe perfekt", sind sie sich einig.
Und weil vorher erneut die Rede vom Schwimmen war: Nochmals Fisch, diesfalls Bio-Saibling, gebraten, aus dem Pielachtal mit Ratatouille und mit Petersilie-Erdäpfeln (34 Euro). Jubel brach aus und schon lief die Nachbestellung ein.

Dann kündigte Christian Grünauer wortreich sein "bestes Stück" an: Die Spannung stieg ins Unermessliche. Die Frage, warum dann ein ausgelöster Ochsenschlepp mit Semmelknödel serviert wurde, traute sich dann doch keiner stellen … Doch an den Blicken der Gourmet-Gemeinschaft konnte man das Kopfkino sehen … Aber einig waren sie sich auch, dass es sich um Wiens bestes Stück handelte, mit den fluffigen Knödeln, großartig zubereitet, wie beispielsweise auch dem Connaisseur, der diese Texturen nicht so sehr schätzt, entfuhr.

Umso mehr schätzt er dafür Leber, nennt es gerne "Ersatzteil-Nachschub" und drängt den Kalauer einer nämlichen Bestellung auch jenen auf, die es nicht hören wollen, aber mit vollem Mund nicht comme-il-faut protestieren können. Und der geht so: "Gast: "Bitte einmal die g'röste' Leber!" – Kellner: "Die hat der Chef! Sie können die zweitgrößte haben!" Die Cuisinière konnte sich vor Lachen kaum mehr halten, hatte sie diesen Schmäh doch tatsächlich noch nie gehört …

Also, beim Grünauer kam nicht die vom Chef, sondern von der jungen Sau - als geröstete Spanferkel-Leber mit Balsamico-Schalotten und Rösterdäpfel auf den Tisch. Nicht nur Der Connaisseur musste beinahe weinen, die ganze Truppe war sich uneins, ob der Ochsenschlepp oder doch die Spanferkel-Leber das Highlight der Highlights war. Jedenfalls saftig, herrlich abgeschmeckt, "was willst du mehr?!"
Die kleinspeisige Truppe richtig einschätzend, servierte dann Didi - quasi als Drüberstreuer – noch einen kleinen feinen gebackenen Schweinlungenbraten mit Rahm-Gurken-Salat (24 Euro). "Also diese Sämigkeit, so dicht, wow!!", konnte sich Die Cuisinière bei den Gurken kaum halten. "Zum Glück hat man ihn nicht alle Tage, die Waage würde über ihre Grenzen gelangen", murmelte Der Connaisseur, obwohl man ihn ja meist mit Salat "jauken" kann.
Und wie schon einmal, begann er darauf Josef Weinheber zu rezitieren: "Ich hab sonst nix, drum hab ich gern, ein gutes Papperl, liebe Herrn …"


Die an Höhepunkten nicht arme Speisenfolge hatte einen weiteren solchigen. Und der Gourmet-Gemeinschaft fiel es langsam schwer, das Highlight des Highlights des Highlights zu wählen. Gottlob war der Blick auf die Skala der Waage ohnehin schon längst perdu.
Aber noch war es nicht zu Ende, denn der Abend musste passend und süß abgeschlossen werden, und das geht natürlich beim Grünauer nur mit böhmischen Mohn-Palatschinken (11 Euro), "für den kleinen Hunger – man gönnt sich ja sonst nix", tönte aus der GG. Und: "Wenn nicht das bissl Essen wär …", protzte Der Connaisseur nochmals mit Weinheber – was Die Cuisinière prompt "solide Halbbildung" nennt.

Käse schließt bekanntlich den Magen! Und so wurde noch ein kleiner Käseteller, den man in Wien auch nicht so oft bekommt, vom Tölzer Kasladen kredenzt. Didi, der großartige Oberkellner, hat nämlich nicht nur den Wein-, sondern auch den Käsesommelier absolviert, betont Die Cuisinière – und erinnert sich daran, dass er bei ihr damals schon "als Lehrling 1996" ihre Käsebegeisterung geweckt habe.

Diese bemerkenswerten biografischen Details der Cuisinière ließ Der Connaisseur einfach für sich stehen, und damit ihr das letzte Wort. Glauben konnte er allerdings diese ihre Jahresangaben nicht …
Außerdem konnte nach diesem mehrstündigen, fast frugal zu bezeichnenden Bacchanal ohnehin kaum mehr wer etwas sagen …
Gasthaus Grünauer, Hermanngasse 32, 1070 Wien, Tel. +43 1 526 40 80, gasthaus-gruenauer.com
Übrigens haben Die Cuisinière und Der Connaisseur eine eigene Facebook-Seite und zum Newsletter kann man sich hier anmelden!
Die Cuisinière und Der Connaisseur
- Die Cuisinière und Der Connaisseur arbeiten schon länger projektweise zusammen, haben sich zusammengetan, um über das Essen zu reden. Und seit geraumer Zeit auch für Newsflix darüber zu schreiben und damit auch einen Beitrag zur kulinarischen Lebensqualität zu leisten. "Die kultigen Gourmet-Kritiker" (OT Christian Nusser) bilden ein unvergleichliches Duo, das die kulinarische Welt aus einer gelegentlich etwas anderen Perspektive betrachtet. Sie bringen frischen Wind in die gelegentlich bierernste Gastrokritiker-Szene und servieren witzige und kulinarische Erkenntnisse und sonstige Wichtigtuereien satirisch auf den Tisch und ins Netz! Dabei verbinden sie Expertise und Humor zu einer Mischung, die ihresgleichen sucht. Ihr Motto? Es ist, wie es isst!
- Die Cuisinière ist Jacqueline Pfeiffer, Grand Master Chef, war Kochlöffel in diversen Hauben- und Sterne-Hütten in Mitteleuropa ("Adlon", Gstaad, "Marc Veyrat" usw.), irgendwann "Köchin des Jahres" und hatte in den 10er-Jahren im Wiener "Le Ciel" (nach neuer Gault Millau-Zeitrechnung) vier Hauben erkocht. Nunmehr ist sie als Enjoyment-Consultant mit ihrem PfeiffersGiG selbst kochend fast ausschließlich im diskreten gastronomischen Spitzenbereich oder als Coach und Beraterin einiger Gastronomiebetriebe tätig und schwingt den Kochlöffel meist nur mehr im diskreten Private Cooking.
- Der Connaisseur heißt Wolfgang Fischer, war Journalist und Medienmanager, 10 Jahre CEO der Wiener Stadthalle, nunmehr Geschäftsführer der DDSG Blue Danube, bester Freund von Admiral Duck – und Gourmet wie Gourmand seit Jahrzehnten. Also ein klassisch übergewichtiger weis(s)er alter Mann.