die nackte Wahrheit

18 Pleiten pro Tag: Warum gehen so viele Firmen kaputt?

Im Vorjahr meldeten 6.587 Unternehmen in Österreich Insolvenz an. Restrukturierungs-Experte Andreas Gaisbauer über die Gründe, warum man sich nicht in den Sack lügen sollte und ob die Welle schon vorbei ist.

Andreas Gaisbauer ist Betriebswirt und Restrukturierungsexperte
Andreas Gaisbauer ist Betriebswirt und Restrukturierungsexperte
Helmut Graf
Andreas Gaisbauer
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Das Firmenreich von Renè Benko, die Möbelgruppe Kika/Leiner, der Motorrad-Hersteller KTM: Im Vorjahr häuften sich die Nachrichten über Unternehmen, die in die Insolvenz schlitterten. Es sieht nicht danach aus, als wäre 2025 ein besseres Jahr.

Corona und die Folgen, das wird hauptsächlich als Grund für die Firmenpleiten angeführt. Aber die Ursachen liegen oft viel tiefer. Andreas Gaisbauer ist Betriebswirt und Restrukturierungs-Experte. Als Managing Partner der Actum GmbH kümmert er sich um Unternehmen in existenzbedrohenden Phasen. Das sagt er über:

Stimmt das mit den vielen Pleiten überhaupt?
Ja, das täuscht nicht. Im Vorjahr mussten 6.587 Unternehmen in Österreich Insolvenz anmelden. Also fast 18 pro Tag.

Mit Passiva von mehr als 2,7 Milliarden Euro war KTM die größte Firmenpleite 2024 in Österreich
Mit Passiva von mehr als 2,7 Milliarden Euro war KTM die größte Firmenpleite 2024 in Österreich
PEROUTKA Guenther / WirtschaftsBlatt / picturedesk.com

Wie ist das im Vergleich zu den Vorjahren?
Es handelt sich um eine deutliche Steigerung. 2023 hatte es 5.380 Insolvenzen gegeben, auch das war schon eine massive Steigerung zum Vorjahr. Von 2023 auf 2024 stieg die Zahl der Pleiten nochmals um 22,4 Prozent.

Täuscht der Eindruck, oder gab es auch viele Großpleiten?
Nein, das stimmt schon. Laut Kreditschutzverband von 1870 (KSV) gab es 86 Großinsolvenzen mit Passiva von jeweils über 10 Millionen Euro. Im Jahr davor waren es noch 44.

Welche Branchen waren am meisten betroffen?
Handel, Bauwirtschaft und der Bereich Beherbergung und Gastronomie.

Von welchen Summen reden wir da?
Laut KSV betrugen die Passiva 2024 insgesamt 18,9 Milliarden Euro, eine Steigerung von 35 Prozent gegenüber dem Vorjahr, und auch da waren die Zahlen schon hoch. Die medial spektakulären Fälle stehen gut für das Gesamtbild.

Wie viele Menschen waren betroffen?
Die Zahl der Gläubiger ist um 10 Prozent auf 50.300 angewachsen, von den Insolvenzen waren 29.600 Menschen betroffen, eine Steigerung um 25 Prozent.

Bundeskanzler Karl Nehammer bei einer Corona-Pressekonferenz: Die Unterstützungszahlungen für Unternehmen verzögerten viele Pleiten nur bis nach der Pandemie
Bundeskanzler Karl Nehammer bei einer Corona-Pressekonferenz: Die Unterstützungszahlungen für Unternehmen verzögerten viele Pleiten nur bis nach der Pandemie
Gesundheitsminister Rudolf Anschober

Wird es heuer besser?
Der KSV geht nicht davon aus. Gerechnet wird mit 6.500 bis 7.000 Insolvenzen, eine Steigerung ist also durchaus wahrscheinlich.

Haben wir so eine Phase schon einmal erlebt?
Ja natürlich, zuletzt bei der globalen Finanzkrise 2008/2009. Im Nachgang dazu kam es zu einer Stabilisierung der Wirtschaft durch zwei sich gegenseitig verstärkenden Effekten, die letztlich zu einer nie da gewesenen Geldflut geführt haben: Einerseits wurden die Zinsen auf historisch niedriges, teilweise negatives Niveau gedrückt. Und zusätzlich verstärkend, wurde die Geldmenge über verschiedenste Maßnahmen (Anleihenkäufe der Zentralbanken und ähnliches) erhöht.

Was waren die Konsequenzen?
Die Auswirkungen dieser Maßnahmen zeigten sich vielfältig: Die Preise für sämtliche "harte Assets", also Immobilien, Kunst, Wein, Aktien, stiegen. Für die Bevölkerung noch viel direkter spürbarbar war, dass die Zahl der Insolvenzen sank und die Jobs sicher waren.

Warum ist das jetzt ein Spiegelbild zu den vergangenen Jahren?
Weil wir in der Pandemie Vergleichbares erlebt haben. Die Regierungen haben im Zuge der Corona-Krise intensiv Geld ausgegeben und Förderungen verteilt.

Insgesamt 29.600 Menschen waren 2024 von Firmenpleiten betroffen. Für viele war der Weg zum AMS unausweichlich
Insgesamt 29.600 Menschen waren 2024 von Firmenpleiten betroffen. Für viele war der Weg zum AMS unausweichlich
Gerhard Deutsch / KURIER / picturedesk.com

Was war die Folge?
Insolvenzantragspflichten wurden temporär ausgesetzt und die Unternehmen mit Förderungen überhäuft. Die Pleiten wurden also, wenn man so will, in die Zeit nach der Pandemie verschoben. Es wurden Unternehmen am Leben erhalten, bei denen abzusehen war, dass sie es auf Dauer nicht schaffen werden. Hier wurde viel Geld "verblasen".

Wie zeigt sich das?
2022 setzte der Kater ein: Die Zinsen stiegen, die Inflation zog an und es wurde ersichtlich, dass die Förderungen auch wieder zurückbezahlt werden müssen. Gleichzeitig befinden wir uns in einem ultra-volatilen Umfeld mit neuen Kriegen, Inflation, Lieferketten-Disruption und massiv geändertem Kundenverhalten sowie neu aufkommenden Protektionismus und Zöllen.

Das heißt, die Umstände waren an allem schuld?
Nein, die Ursachen für die stark steigenden Insolvenzzahlen alleine bei den externen Einflüssen zu suchen ist sicherlich fehl am Platz. Auch die Managementteams der betroffenen Unternehmen müssen sich die Frage gefallen lassen, ob man nicht früher, schneller, härter reagieren hätte müssen, um proaktiv die Unternehmen auf die neuen Gegebenheiten auszurichten.

Wo ist das chancenlos?
Das lässt sich bei hochverschuldeten Unternehmen gut beobachten. Für sie wird es problematisch, wenn Zinsanstiege oder plötzlich abreißende Umsätze zu unkontrollierbaren Dynamiken führen. Dann kann es sein, dass sie unsanierbar werden.

Signa-Gründer René Benko: Hätte eine frühere, schnellere, härtere Reaktion des Managements das Schlimmste verhindern können?
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NOGER Manfred / dpa Picture Alliance / picturedesk.com

Ist die Pleitewelle eine Tragödie?
Für die Betroffenen in jedem Fall. Ökonomisch gesehen passiert im Kern aktuell aber etwas Gesundes: Träge gewordene Unternehmen mit überholten oder rein auf billigem Geld aufgebauten Geschäftsmodellen verlassen den Markt.

Was sind die Effekte davon?
Es kommt zu einer Bereinigung am Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosigkeit steigt, das ist die bittere Seite. Das bedeutet aber auch, dass Fachkräfte künftig nicht mehr in überholten Geschäftsmodellen gebunden sind, sondern dort eingesetzt werden können, wo sie produktiv an überlebensfähigen Unternehmen mitarbeiten.

Was bedeutet das für schlechter Qualifizierte?
Sie werden auf diese Weise gezwungen, ihre Qualifikationen an die Erfordernisse überlebensfähiger Unternehmen anzupassen. Das schmerzt den Einzelnen, muss durch staatliche Maßnahmen abgefedert bzw. unterstützt werden, ist aber für das große Ganze eine positive Entwicklung.

Was bedeutet die Entwicklung für das Preisniveau?
Billiges Geld erzeugt immer auch eine Fehlallokation von Kapital. Es wird einfach falsch verteilt. Die bizarrsten Auswirkungen im Corona-Hype waren völlig wahnwitzige Preise für Gebrauchtwagen, Luxusuhren oder Kunstgegenstände. Die handfeste Auswirkung für den Bürger waren immens gestiegene Kosten für Kauf-Immobilien, welche sich nun wieder auf niedrigeren Niveaus einpendeln bzw. nicht weiter dramatisch steigen.

Billiges Geld erzeugte einen Hype bei Luxusuhren (hier Modelle von Audemars Piguet), Gebrauchtwagen und Immobilien, was die Preise explodieren ließ
Billiges Geld erzeugte einen Hype bei Luxusuhren (hier Modelle von Audemars Piguet), Gebrauchtwagen und Immobilien, was die Preise explodieren ließ
FABRICE COFFRINI / AFP / picturedesk.com

Was bedeutet die Entwicklung für den Staat?
Jedenfalls sinkende Steuereinnahmen und höhere Kosten. Die Einnahmen aus Unternehmens- und Lohnsteuern fallen niedriger aus. Zugleich wird es Programme benötigen, die den Strukturwandel am Arbeitsmarkt vor allem mit Qualifizierungsmaßnahmen begleiten.

Heißt was konkret?
Beides führt zu weniger Geld in den Staatskassen und noch weniger Spielraum für Unternehmens-Förderungen. Das wiederum könnte ein erneuter Katalysator für höhere Insolvenzzahlen und einen beschleunigten Strukturwandel sein.

Was ist der Ausblick?
Um ein Bonmot zu zitieren: Prognosen sind schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen. Wir bei Actum glauben, dass der Strukturwandel in den unterschiedlichsten Branchen noch lange nicht vorbei ist. Strukturell sind in den letzten 10 Jahren eine Vielzahl von Unternehmen unter Druck geraten, welcher nun im Lauf der nächsten Jahre durch Insolvenzen, Notverkäufe, aber auch stille Liquidationen entweichen wird.

Das Konsumverhalten der Menschen verändert sich drastisch – nicht zuletzt wegen neuen Anbietern wie Temu oder Shein aus China
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Jessica Gow / TT News Agency / picturedesk.com

Sind alle betroffen?
Nein! Sinkt die Flut, zeigt sich, wer nackt schwimmen gegangen ist. Übertragen auf die Wirtschaft bedeutet dies: Unternehmen und deren Lenker, die sich frühzeitig durch Entschuldungsprogramme und proaktive Strategiearbeit an die veränderten Rahmenbedingungen und sich änderndes Konsumverhalten angepasst haben, werden auch diese Phase überstehen.

Andreas Gaisbauer ist Betriebswirt, Restrukturierungs-Experte und Co-Gründer sowie Managing Partner der Actum GmbH. Er kümmert sich um Unternehmen in existenzbedrohenden Phasen, übernimmt Verantwortung für den gesamten Restrukturierungsprozess und wird dabei von einem 15-köpfigen Expertenteam unterstützt

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