Neuer Schmuggel

229 Euro pro Stück: Wieso Ameisen plötzlich ein Riesen-Geschäft sind

Ameisen sind das neue Elfenbein. Immer mehr Banden schmuggeln seltene Exemplare in Afrika außer Landes, um sie in der ganzen Welt teuer zu verkaufen. Nun wurde eine Bande aus vier Mitgliedern geschnappt. Ihnen drohen bis zu fünf Jahren Haft.

In diesen Kanülen waren die Ameisen untergebracht
In diesen Kanülen waren die Ameisen untergebracht
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Christian Nusser
Uhr
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Am Ende flossen Tränen. Bei den beiden Angeklagten und bei ihren Müttern, die eigens zum Prozess angereist waren. Es ging um viel an diesem Dienstag, die Höchststrafe für das Delikt, das den zwei Belgiern zur Last gelegt wird, beträgt fünf Jahre Haft. Die 19-Jährigen hatten versucht, eine Kostbarkeit aus dem Land zu schmuggeln: Ameisen.

Wildtierschmuggel, da denken viele an Jagdtrophäen oder Elfenbeinzähne von Elefanten. In Afrika aber hat sich in jüngster Zeit eine neue Methode etabliert, illegal an schnelles Geld zu kommen. Für Ameisenköniginnen werden in vielen Teilen der Welt hunderte Euro gezahlt. Oder Pesos. Oder Złoty. Es gibt sogar eigene Preislisten dafür.

Die Geschichte, die hier erzählt werden soll, kennt zwei Versionen. Mindestens. Die eine handelt von zwei jungen Erwachsenen, die sich von Kindesbeinen an für Ameisen interessiert hätten. Für Rallyeautos und Ameisen. Ihr Hobby sei das gewesen, sagen die Mütter. Aus reiner Neugier seien sie nach Kenia gereist und aus Unbedarftheit hineingetapst in die Schmuggelei.

2.244 Reagenzgläser wurden in dem Hotelzimmer sichergestellt
2.244 Reagenzgläser wurden in dem Hotelzimmer sichergestellt
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Die andere Version stammt vom "Kenia Wildlife Service" und sie handelt von professionellem Vorgehen, 2.244 Reagenzgläsern, präparierten Spritzen und einer Geheimdienst-Operation, die das alles aufdeckte.

Die Ermittlungen fanden am 5. April in einem Gästehaus in Nakuru, 161 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Nairobi, ihr Ende. Polizeieinheiten stürmten das Zimmer der "Ameisengang", wie die Gruppe später beim Prozess genannt werden sollte. Die Ermittler waren ihnen wohl schon seit einiger Zeit auf den Fersen.

Die "Ameisengang" bestand aus vier Personen, einem 23-jährigen vietnamesischen Informatikstudenten, einem 25-jährigen Kenianer und aus David L. sowie Seppe L., den beiden 19-jährigen Belgiern. Sie waren mit Touristen-Visa ins Land gereist.

Als sie am Dienstag um 8.30 Uhr dem Richter am Jomo Kenyatta International Airport in Nairobi gegenübergestellt wurden, sahen sie aus wie die Unschuld vom Land. Bilder auf Instagram zeigen David L. als Zuschauer bei der Kenia Safari Rallye, beim Motocrossfahren und mit nacktem Oberkörper beim Stand-Up-Paddeln. Seppe L. hat sein Insta-Profil auf "privat" gestellt und alle Beiträge gelöscht.

Das Hotelzimmer war als Schmugglerlager eingerichtet
Das Hotelzimmer war als Schmugglerlager eingerichtet
Kenya Wildlife Services

Im Townhouse in Nakuru machten die Ermittler reiche Beute. Am Tisch und am Boden lagen Berge von Behältern in allen möglichen Größen. Vor allem Spritzen und 2.244 Reagenzgläser. Sie waren eigens präpariert worden, um die Ameisen heil aus dem Land zu bringen. Denn darum ging es bei dem Job. Er hat neuerdings sogar einen Namen: Biopiraterie.

Mit dem Fachbegriff wird "die kommerzielle Ausbeutung oder der Export von biologischem Material – wie Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen – ohne angemessene Entschädigung oder Beteiligung am Nutzen für das Ursprungsland" bezeichnet.

Später, als Ordnung in das Chaos gebracht worden war und die Anklage stand, stellte sich der Fund so dar: Das Quartett hatte rund 5.000 Ameisen in seine Obhut gebracht, darunter schwer geschützte Arten.

116 Königinnen der Art Messor cephalotes (afrikanische Riesenameise), vier Königinnen der Art Messor angularis (kenianische Ernteameise), neun Hauptarbeiterinnen der Art Componotus maculatus (Nist- und Futtersuchameise), vier Königinnen der Art Camponotus sp (eine Holzameise) und eine Königin der Art Oecophylla lnginoda (Weberameise).

Ökologisch am bedeutendsten ist Messor cephalotes, die in Kenia heimisch ist. Königinnen sind zwischen 20 und 24 Millimeter groß, Arbeiterinnen gibt es ab 3,5 Millimetern aufwärts. Die Tiere haben einen schwarzen Hinterleib und einen leuchtend roten Kopf. Sie fressen Futterinsekten und Pflanzensamen.

Es handelt sich, wenn man so will, um die Stars des illegalen Ameisenhandels. Es gibt eine ganze Reihe von Webseiten mit eigenen Preislisten für Messor-Cephaloten. Auf antrus.com wird ein Exemplar für 99,99 Pfund (114 Euro) verkauft, antontop.com verlangt 979,90 polnische Zloty (226 Euro), fourmiculture.com bietet sie für 229 Euro an, inklusive Brutrohr.

Viel Geld! Für Ameisen? Offenbar ist die Nachfrage groß. Auf mehreren Webseiten sind die Exemplare aktuell nicht zu bekommen.

Die Viecher sind grundsätzlich nicht zu unterschätzen. Hausbesitzer am Land wissen davon ein Lied zu singen. Sie spüren die gesamte wärmere Jahreszeit über Ameisenstraßen nach und versuchen die Insekten, so gut es geht, aus Lebensmitteln, elektronischen Geräten oder Fassaden fernzuhalten.

Es entwickelt sich gern ein Katz-und-Maus-Spiel, das in ein Match David gegen Goliath übergeht. Mit erwartbarem Ende.

Die Reagenzgläser waren so konzipiert, dass die Ameisen bis zu zwei Monate darin überleben können
Die Reagenzgläser waren so konzipiert, dass die Ameisen bis zu zwei Monate darin überleben können
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Ameisen sind vor allem aber auch Nutztiere. Messor-Cephaloten, die größten Ernteameisen, eignen sich für die Schädlingsbekämpfung in Gewächshäusern. Sie fressen Kakerlaken, Grillen und Pflanzensamen.

Sie werden in der Forschung, der Myrmekologie, verwendet. Sammler schätzen sie wegen ihres Verhaltens und ihrer komplexen Fähigkeit zur Kolonien-Bildung. Diese können sich auf bis zu vier Meter erstrecken. Messor-Cephaloten werden in künstlichen Ameisenhabitaten gehalten.

In Mexiko wiederum gelten Ameisen als Delikatesse. Larven und Puppen werden unter dem Namen Escamoles angeboten, umgangssprachlich "Insektenkaviar" genannt. Das Kilo kostet zwischen 50 und 200 US-Dollar.

In Kenia nehmen die Messor-Cephaloten eine bedeutsame ökologische Rolle ein. Deshalb ist das Schmuggel-Quartett – die beiden Belgier, der Kenianer und der Vietnamese – auch wegen illegalen Besitzes und Handels mit lebenden Wildtieren angeklagt. Es gehe um einen "direkten Verstoß gegen nationales Recht und das Nagoya-Protokoll", schreibt der "Kenia Wildlife Service".

Das Nagoya-Protokoll über die biologische Vielfalt wurde 2010 in Nagoya, Japan, verabschiedet. Kenia trat dem Abkommen 2014 bei.

Der "Verstoß" war gut vorbereitet. Die Reagenzgläser waren so konzipiert, dass die Ameisen bis zu zwei Monate überleben können. Und: Sie wären der Kontrolle der Flughafensicherheit, einschließlich Röntgenscannern, entgangen. Watte wurde verwendet, um das Fortkommen der Ameisen während des Transports zu sichern. "Das deutet auf einen vorsätzlichen Ameisenhandel hin", so der "Kenia Wildlife Service".

Dafür spricht auch die gezielte Vorgangsweise. Vor Gericht legte die Staatsanwaltschaft einen Bericht zu den Ermittlungen vor. Er zeigt, dass die Tatverdächtigen gezielt nach Königinnen gesucht hätten. Dass dazu fachkundiges Wissen nötig sei. Und dass ihnen die Auswirkungen auf die Umwelt egal gewesen seien.

Die vier Angeklagten erklärten sich für schuldig. "Es war nicht unsere Absicht, das Gesetz zu brechen", sagte David L. mit tränenerstickter Stimme. "Wir sind keine Kriminellen, wir sind 19 Jahre alt, wir sind nicht naiv, und ich möchte einfach nach Hause gehen und mein Leben in Ordnung bringen."

Für die Röntgenscanner am Flughafen wären die Behältnisse unsichtbar gewesen
Für die Röntgenscanner am Flughafen wären die Behältnisse unsichtbar gewesen
Kenya Wildlife Services

In Kenia kümmert sich inzwischen eine eigene Sondereinheit um Ameisenschmuggel. Er wird immer populärer, die Tätergruppen werden immer erfinderischer. Speziell ausgebildete Hunde für das Aufspüren von Wildtierschmuggel erschnüffeln auch Ameisen. Sie sind vor allem auf Flughäfen im Einsatz.

Am 13. Juni 2023 war in einem DHL-Lager am Jomo Kenyatta International Airport (JKIA) ein verdächtiges Paket entdeckt worden. Es sollte nach Frankreich gehen, laut Frachtpapieren wurden Holzskulpturen exportiert.

Tatsächlich fanden sich Ameisen in dem Paket, bei Nachforschung stellte sich heraus, dass drei Personen fünf Tage zuvor eine ähnliche Sendungen nach China geschickt hatten, eine weitere befand sich noch in der Abwicklung.

Ein Urteil in dem Prozess gab es am Dienstag nicht. Er wird am 23. Juni fortgesetzt. Bis dahin bleiben die vier Angeklagten in Haft. Und das alles wegen 8.146 Euro. So viel waren die Ameisen wert.

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