Geschenke
31 Milliarden Euro Kosten: Aber was bringen Wahlzuckerln wirklich?
Der Fiskalrat hat ausgerechnet, was die Geldschenke vor den letzten vier Nationalratswahlen Österreich gekostet haben: Viel, für die Parteien blieb der Ertrag gering.
Vor Wahlen ist in Österreich oft Kindergeburtstag, jeder darf sich etwas wünschen. Ob Wahlzuckerln schon zur Leitkultur gehören oder noch zum normalen Brauchtum, müsste erst untersucht werden. Jedenfalls scheint in der DNA der meisten Parteien festgeschrieben, dass in Vorwahlzeiten die Brieftasche geöffnet wird, da es sich praktischerweise nicht um die eigene handelt, fällt einem der Vorgang merkbar leichter.
Der Kindergeburtstag wird nicht ohne Anlass begangen. Während der Regierungsjahre fühlen sich die Parteien an das jeweilige Koalitionsprogramm gebunden. Im Angesicht von Urnengängen kehrt dann aber eine gewisse Losgelöstheit ein, die eigenen Programmpunkte, für deren Durchsetzung der jeweilige Partner bisher hinderlich schien, scheinen plötzlich verwirklichbar. So werden Maßnahmen auch unter Mitwirkung oder Teilhabe der Opposition beschlossen. Das geht – vor allem ins Geld.
Das Groteske an der Angelegenheit, und das zeigen die meisten Wahlergebnisse: Die Verteilung von Wahlzuckerln zeitigt wenig Auswirkungen auf das eigene Wohlbefinden bei Wahlen. Man kann das nun als Undankbarkeit des Volkes geißeln oder als Klugheit desselben. Nämlich zu erkennen, dass Milch und Honig nicht von selbst fließen, sondern auch bezahlt werden müssen. In der Regel von einem selbst.
Der Fiskalrat hat nunmehr neue Ängste. Österreich wählt wohl am 29. September und die Befürchtung besteht, dass vorher wieder das Füllhorn zur Anwendung gelangt, um sich der Wählerschaft als großherziger Gönner präsentieren zu können. Also hat der Fiskalrat-Ökonom Johannes Holler einmal ausgerechnet, was die Wahlzuckerln bisher Österreich gekostet haben. Die Kurzanalyse fällt so aus: viel. Das müssen Sie über die Studie wissen:
Was ist der Fiskalrat?
Ein unabhängiges und weisungsfreies Gremium aus 15 Expertinnen und Experten aus dem Bereich Finanz- und Budgetwesen, gegründet 1970. Die Österreichische Nationalbank und der Budgetdienst des Parlaments nehmen an den Sitzungen mit beratender Stimme teil. Dazu gibt es einen Expertise-Pool aus 30 Personen, die Teilnehmer werden für die Dauer von sechs Jahren bestellt und werden je nach Themenlage zu einzelnen Sitzungen beigezogen.
Wer bestellt die Mitglieder?
Bundesregierung, die Kammern, der Österreichische Gemeindebund, der Österreichische Städtebund und die Landeshauptleutekonferenz. Die Funktionsperiode dauert sechs Jahre. Es gibt ein Präsidium aus drei Personen, Präsident ist seit Mai 2021 Christoph Badelt, er war zuvor Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung.
Was tut der Fiskalrat?
Salopp gesagt schaut er der Geldpolitik der Regierung auf die Finger. Die Aufgaben wurden zuletzt 2021 im "Fiskalrat- und Produktivitätsratgesetz" geregelt. Das Gremium soll etwa eine "Einschätzung der gegenwärtigen und zukünftigen finanzpolitischen Lage" treffen oder die "Nachhaltigkeit und Qualität der Budgetpolitik" beurteilen. Jährlich gibt es einen Tätigkeitsbericht, er erscheint jeweils im Dezember.
Womit schlug der Fiskalrat zuletzt Alarm?
Österreichs Budgetdefizit entgleitet. Am Mittwoch vergangener Woche legte der Fiskalrat eine überarbeitete Prognose vor, danach werde das Budgetdefizit 2024 nicht wie ursprünglich berechnet 2,2 Prozent betragen, sondern die Republik wird sich mit 3,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verschulden. Damit wird die Maastricht-Grenze von drei Prozent überschritten, nicht nur heuer, sondern auch 2025 mit einem errechneten Minus von 3,2 Prozent.
Wovor Präsident Bandelt nun warnt?
Vor Wahlzuckerln. "Ich flehe das Parlament an, heuer keine zu geben", sagte er der "Presse". Am Montag schoss das "Büro des Fiskalrates" (sechs Personen, angesiedelt bei der Nationalbank, es unterstützt den Fiskalrat) eine Berechnung nach, was die Wahlzuckerln Österreich bisher gekostet haben.
Wie die Wahlzuckerl-Studie ablief?
Untersucht wurde die Phase vor den letzten vier Nationalratswahlen, also 2008, 2013, 2017 und 2019. Als Wahlzuckerl wurden Maßnahmen definiert, die "ohne die Stimmen eines Koalitionspartners beschlossen" wurden oder "die nicht im Regierungsprogramm angekündigt" worden waren. Als Zeitraum wurde das jeweilige Kalenderjahr gewählt, in dem die Wahl stattfand, beginnend mit 1. Jänner.
Warum die Studie gemacht wurde?
Weil die Verdachtslage besteht, dass auch vor der kommenden Nationalratswahl wieder Geldgeschenke verteilt werden. "Es wäre außergewöhnlich, wenn das nicht passieren würde", sagt Senior Economist und Studienautor Johannes Holler.
Wie belasten die Wahlzuckerln das Budget 2024
Mit gesamt 4,149 Milliarden Euro. Hätte es die Geschenke nicht gegeben, läge das Budgetdefizit 2024 um 0,8 Prozentpunkte niedriger, es gäbe also kein Problem mit den Maastricht-Kriterien.
Wie Geldgeschenke von früher das Budget 2024 belasten
- Geschenke vor der Wahl 2008: Kosten heuer 1,052 Milliarden Euro
- Geschenke vor der Wahl 2013: Kosten heuer 239 Millionen Euro
- Geschenke vor der Wahl 2017: Kosten heuer 635 Millionen Euro
- Geschenke vor der Wahl 2019: Kosten heuer 2,223 Milliarden Euro
Was haben Wahlzuckerln bisher gekostet?
Über die gesamten 16 Jahre gerechnet 30,97 Milliarden Euro.
Was die Wahlzuckerln in (ausgewählten) Jahren kosteten
- 2008: 623 Millionen Euro
- 2009: 935 Millionen Euro
- 2013: 1,066 Milliarden Euro
- 2014: 1,102 Milliarden Euro
- 2017: 1,198 Milliarden Euro
- 2018: 1,64 Milliarden Euro
- 2019: 1,754 Milliarden Euro
- 2020: 2,843 Milliarden Euro
- 2021: 3,343 Milliarden Euro
- 2022: 3,537 Milliarden Euro
- 2023: 3,732 Milliarden Euro
- 2024: 4,149 Milliarden Euro
Was fiel den Forschern sonst noch auf?
Das Verschwinden von Gegenfinanzierungen, also der Frage, wie die erhöhten Ausgaben finanziert werden sollten. "Das Wort Gegenfinanzierung gibt es heute nicht mehr", sagt Johannes Holler.
Haben die Wahlzuckerln den Parteien was gebracht?
Das ist zu bezweifeln, aber das lässt sich im Detail anschauen:
Was brachten die Wahlzuckerln 2008?
Aus der Nationalratswahl am 1. Oktober 2006 war überraschend Alfred Gusenbauer als Sieger hervorgegangen. Die SPÖ (68 Mandate) kam hauchdünn vor der ÖVP (66 Mandate) zu liegen. Nach sieben Jahren Pause erhielt Österreich wieder eine Große Koalition, die neue Regierung wurde am 11. Jänner 2007 von Bundespräsident Heinz Fischer angelobt. Gusenbauer hielt sich nur 1 Jahr und 326 Tage im Amt, im folgte Infrastrukturminister Werner Faymann als SP-Spitzenkandidat für die Wahl 2008.
Vor der Nationalratswahl 2008 wurden laut Fiskalrat zehn Wahlzuckerln verteilt. Diese Geschenke belasten seither jedes Jahr das Budget. Erfolg brachte diese Geldverteilerei der SPÖ-ÖVP-Koalition nur bedingt. Die SPÖ verlor bei dieser Wahl sechs Prozent (elf Mandate), die ÖVP sogar 8,3 Prozent (15 Mandate).
Die zehn Wahlzuckerln 2008
- Umsatzsteuersenkung auf Medikamente
- Abschaffung der Studiengebühren
- Einführung 13. Familienbeihilfe
- Abschaffung Wartefrist Pensionen
- Steuerbefreiungen (Reisediäten, Überstundenzuschläge)
- Erweiterung Beitragszeiten Hacklerregelung
- Erhöhung der Pensionsanpassung 2009
- Vorziehen der Pensionsanpassung 2009
- Gestaffelte Einmalzahlung Pensionisten
- Heizkostenzuschuss für Pensionisten
Was brachten die Wahlzuckerln 2013?
Die erste Regierung von Werner Faymann hielt die volle (verlängerte) Legislaturperiode, also fünf Jahre. Vor der Wahl 2013 wurde ein größeres Zuckerl verteilt (Reform Pendlerpauschale) und ein paar kleinere süße Drops, das belastet das heurige Budget mit 238 Millionen Euro. Auch hier verloren die beiden Großparteien beim Urnengang, wenn auch moderater. Die SPÖ büßte 2,4 Prozent (fünf Mandate), die ÖVP zwei Prozent (vier Mandate) ein.
Die zwei Wahlzuckerln 2013
- Reform Pendlerpauschale
- Sonstiges
Was brachten die Wahlzuckerl 2017?
Dann kam Sebastian Kurz und es wurde wieder ein bisschen beherzter zugegriffen. Am 10. Mai 2017 war Reinhold Mitterlehner zurückgetreten, Kurz übernahm drei Wochen später die ÖVP und führte die Partei am 15. Oktober in Wahlen. Vorab wurden sechs größere und ein paar kleinere Wahlzuckerln verteilt, deren Kosten summierten sich im Budget 2024 auf 635 Millionen Euro.
Kurz färbte die schwarze Volkspartei türkis ein, überzog das Land mit einem Wahlkampf nach US-Muster, wie Österreich es vorher noch nicht erlebt hatte, gab dafür doppelt sie viel Geld aus wie erlaubt und legte 7,5 Prozent (15 Mandate) zu, die SPÖ blieb bei Mandaten und Stimmen gleich.
Die sieben Wahlzuckerln 2017
- Erhöhung Studienbeihilfe
- Pensionsanpassung 2018
- Notstandshilfe: Abschaffung Anrechnung
- Partnereinkommen
- Abschaffung Mietvertragsgebühr
- Abschaffung Auflösungsabgabe
- Sonstiges
Was brachten die Wahlzuckerln 2019?
Nach dem Ibiza-Video und dem Platzen der türkis-blauen Koalition wählte Österreich bereits 2019 wieder und der Wahlkampf wurde zur Materialschlacht. ÖVP und FPÖ verteilten vorab acht große und ein paar kleine Zuckerln, die uns bis heute sauer aufstoßen. Nach Rechnung des Fiskalrats kosteten die Geschenke von 2019 das Land alleine im Jahr 2024 über 2,2 Milliarden Euro.
Die ÖVP legte bei der Wahl 2019 um sechs Prozent (neun Mandate) zu und kam auf 37,5 Prozent, die FPÖ stürzte ab, verlor 9,8 Prozent und 20 Mandate. Wohl eher keine Folge der Verteilung von Wahlzuckerln, sondern von Ibiza und der trickreichen Inszenierung von Kurz als Märtyrer.
Die neun Wahlzuckerln 2019
- Pflegegeld Valorisierung
- Erhöhung Pensionistenabsetzbetrag
- Erhöhung Verkehrsabsetzbetrag
- Rückerstattung SV-Beiträge
- Senkung KV-Beitrag für Selbstständige und Bauern
- Gestaffelte Pensionserhöhung
- Abschaffung Pensionsabschläge bei mehr als 45 Arbeitsjahren
- Abschaffung 1-Jahres-Wartefrist bei Pensionen
- Sonstiges
Wird das Flehen des Fiskalrat-Präsidenten heuer erhört?
Schauen wir einmal! "Wir werden darauf aufpassen, dass keine Wahlzuckerln verteilt werden", sagt Finanzminister Magnus Brunner. Vor den Bus werfen will er sich dafür nicht, aber es sollen "Investitionen nur getätigt werden, wenn sie Sinn machen". Es gehe, wie beim Baupaket, darum "Geld, intelligent in die Hand zu nehmen". Aber wann tut es das nicht?