Neu auf Netflix
"Achtsam Morden": Nicht jeder Bestseller wird Top-Serie
Der Buch-Bestseller um einen Rechtsanwalt, der dank Achtsamkeitstraining ein besserer Mensch – und ein Mörder – wird, erhielt eine Serien-Umsetzung. Die lässt es allerdings an Achtsamkeit vermissen. Ab sofort auf Netflix.
Mit der Verfilmung von "Achtsam Morden" hat sich Netflix in Co-Produktion mit dem deutschen Verleih Constantin Film an einen aufgelegten Elfmeter gemacht. Der Stoff um einen durch Achtsamkeitsübungen zum Killer erleuchteten Anwalt bietet alles, was einen Streaming-Hit ausmachen sollte: Eine grotesk-absurde Story, kantige Charaktere und jede Menge schwarzen Humor. Doch im Laufe der 8 halbstündigen Episoden wird der Entertainment-Elfer verschossen und aus amüsanter Achtsamkeit zunehmend langweiliger Leerlauf.
Wer mordet hier achtsam? Die neue Netflix-Serie basiert auf Karsten Dusses gleichnamiger Romanreihe, deren erster Teil 2019 erschien und sofort erfolgreich war: Anderthalb Millionen verkaufte Exemplare alleine im deutschsprachigen Raum, übersetzt in 26 Sprachen, bislang 4 Fortsetzungen. Was kann da schon schief gehen? Leider einiges …
Darum geht es in "Achtsam Morden"
Ein Ex-Anwalt als Bestsellerautor Karsten Dusse war früher als Drehbuchautor tätig gewesen, noch früher als Anwalt – daher ist es auch kein Wunder, dass sein Buch im Justiz-Milieu spielt. Im Zentrum steht dabei der 42-jährige Björn Diemel (gespielt von Tom Schilling), in dessen Privatleben es alles andere als rosig aussieht. Und auch beruflich läuft es nicht, wie gewünscht.
Gefangen im Hamsterrad Diemel ist im Dauerstress, wird in seiner Kanzlei nicht respektiert und bekommt die "Drecksarbeit" zugeteilt, obwohl er laut eigenem Karriereplan längst Partner sein sollte. Und verpasst durch die berufliche Belastung Mal um Mal wichtige Familien-Termine mit Frau Katharina (Emily Cox) und Tochter Emily. Um die Beziehung zu der Kleinen zu retten, würde Björn alles tun, könnte er nur aus dem Hamsterrad aussteigen.
Ein Ultimatum Katharina stellt ihm ein letztes Ultimatum: Ihr Gerade-Noch-Ehemann soll ein Achtsamkeits-Seminar besuchen, um wieder "zu sich zu finden". Widerwillig möchte er sich die Sache zumindest einmal anzuschauen. Und siehe da: Die Einheiten mit einem Achtsamkeits-Guru und die Atemübungen wirken Wunder. Björn ist ganz im Hier und Jetzt, denkt erst nach, bevor er spricht, kommt mit belastenden Situation mit seinen "Arschloch-Kollegen" besser klar – und wird obendrein noch zum Vorzeige-Papa, der sich "Zeitinseln" für Tochter Emily schafft.
Achtsamkeit kann Karrieren retten … Die neu erlernte Ruhe kommt Anwalt Diemel dann auch im Fall seines Klienten Dragan Sergovic zugute: Der Mafioso handelt mit Drogen, Waffen und Prostituierten, Diemels Aufgabe besteht darin, die Einkünfte durch Steuertricks zu waschen. Doch als sich der Gangsterboss mit dem Kurier einer verfeindeten Bande anlegt, ihn auf einem Parkplatz zusammenschlägt und auch noch anzündet, ist es für Diemel erstmal vorbei mit der Tiefenentspannung. Denn ein Reisebus voller Kinder hatte den Vorfall live beobachtet, alles wurde auf Smartphones festgehalten.
… und Menschen töten Dragan muss also verschwinden und sein Anwalt soll ihm dabei helfen. Doch der hatte eigentlich ein Wochenende mit seiner Tochter im Haus am See geplant. Dragan ist das egal: Diemel soll seinen Job machen, ihn aus der Stadt schaffen, kurzerhand klettert er in den Kofferraum von Diemels Auto. Was der Balkan-Capo da noch nicht ahnt: Er wird diesen nie mehr verlassen – die Achtsamkeit seines Anwalts wird ihn töten.
Achtsamkeits-Gimmick Was hier ordentlich absurd und damit wie erstklassiger Serienstoff klingt, ist leider nur zu Beginn überzeugend umgesetzt. Da dominiert (für all jene, die den Roman nicht kennen) der Neuigkeitswert. Das dramaturgische "Gimmick" eines Anwalts und Familienvaters, der ausgerechnet durch Zen-Atemübungen auf die schiefe Bahn gerät, ist schon sehr vielversprechend.
Inszenatorische Fehler Mit der Zeit verliert dieser Gag aber seinen Reiz. Und manche handwerklichen Entscheidungen der Serien-Macher werden zunehmend nervig: Zum einen kommentiert der Protagonist fast jede seiner Handlungen ausführlich aus dem Off, erklärt, warum er wie gehandelt hat, und das bis zur Ermüdung. Zum anderen durchbricht Schillings Figur auch noch immer wieder die "vierte Wand", wendet sich also direkt ans Publikum , also wären die Erklärungen aus dem Off nicht ohnedies genug an Erläuterungen. Warum das so gemacht wurde, erschließt sich leider nicht.
Serie "Achtsam Morden": Zu deutsch, um gut zu sein
Biedere Geschmackslosigkeiten Das alles könnte man noch als formale Fehler und Geschmackssache abhaken. Leider haftet "Achtsam Morden" aber auch tonal eine ungute Geschmacklosigkeit an, und zwar keine der bekömmlichen Sorte: Was wohl provokativ und morbide sein hätte sollen, wirkt oft eher altbacken. Die Witze sind flach, der Humor ist nicht besonders feinsinnig, die sozialkritischen Kommentare wirken weniger subversiv als bieder-reaktionär.
Keine kritische Distanz Dazu passt auch, dass viele der Figuren sehr klischeehaft ausgestaltet sind: Vor seiner "Erleuchtung" vertritt Diemel Gewalttäter vor Gericht, die zufällig Murat heißen, recht ausländisch aussehen und die der Anwalt als "Assis" bezeichnet, die er selbst am liebsten im Knast sehen würde – aber aus zynischer Berechnung verteidigt, weil ihm das Geld einbringt. Ins abgeschmackte Bild passt dann auch, dass er die besserwisserische Kanzlei-Sekretärin als "verstaubte Büromatratze" bezeichnet. Zugleich lässt die Serie jegliche kritische Distanz zum Dargestellten vermissen, nicht nur in solchen Szenen.
Deutscher Durchschnittsbrei Was also eine morbide schwarze Komödie hätte werden sollen, verkommt nach ein paar Folgen zum eher öden Durchschnittsbrei, der noch dazu sehr deutsch schmeckt, was in diesem Fall leider kein Kompliment ist. Auch Tom Schilling kann in seiner Rolle nur bedingt überzeugen. Ein Lichtblick sind Marc Hosemann (bekannt aus "Die Discounter") als Gangster-Stellvertreter und der Österreicher Murathan Muslu als dessen rechte Hand.
Fazit Mit "Achtsam Morden" wollte Netflix wohl eine deutschsprachige Hit-Serie aus dem Hut zaubern. Alle Zutaten dafür wären durch die erfolgreiche Buch-Vorlage eigentlich vorhanden gewesen, trotzdem will die schwarze Komödie nicht so recht in die Gänge kommen. Was auch daran liegt, dass sie nur halb so "schwarz" ist, wie sie gern wäre. Und so wird das Publikum in vielen Fällen vermutlich nach ein paar Folgen achtsam ausschalten.
"Achtsam Morden", Deutschland 2024, 8 Episoden à ca. 30 Minuten, ab sofort auf Netflix