Buch-Kritik
Ah, so ist das also, wenn man ins Hotel Mama zurückkehrt
Dreimal "Schauspieler des Jahres", als Autor 2,8 Millionen Bücher verkauft. Nun ist der neue Joachim Meyerhoff da. Im Mittelpunkt steht seine Mutter. 86, verputzt Döner und Curry-Würste, liebt ihren täglichen Whiskey. Wie gut mundet das Buch?
Joachim Meyerhoff ist Theaterbesuchern in Wien bestens bekannt. Sein Tartuffe von Moliére im Akademietheater war unerträglich unsympathisch (2013 großartig inszeniert von Luc Bondy). Viele Menschen schätzen Meyerhoff, zusätzlich oder allein deswegen, als Autor. Was Sie über sein neues Buch wissen sollten:
Wer ist Joachim Meyerhoff?
Geboren 1967 in Homburg im Saarland, aufgewachsen in Schleswig, der Papa ist Jungendpsychiater, die Familie lebt am Klinikgelände. Zwei Brüder, einer stirbt bei einem Autounfall.
Meyerhoff zieht es zum Theater. Er spielt am Schauspielhaus in Hamburg, an der Berliner Schaubühne und den Münchner Kammerspielen. 2011 beginnt er mit der Veröffentlichung seines mehrteiligen Zyklus "Alle Toten fliegen hoch". Seine Romane wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt 2024 mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor.
Wovon erzählt Meyerhoffs aktuelles Buch?
In "Man kann auch in die Höhe fallen" (am 7. November 2024 erschienen, kostet € 27,50 in der gebundenen Ausgabe, € 22,99 als e-Book) beschreibt Meyerhoff die Zeit nach einem Schlaganfall und einem Umzug von seinem geliebten Wien nach Berlin.
Er ist Mitte 50 und es geht ihm schlecht. Seele und Körper rebellieren, wogegen, das ist am Anfang des Buches noch unklar. Sowohl das Schauspielen als auch das Schreiben wollen ihm nicht mehr so recht gelingen. Ein Eklat auf der Geburtstagsfeier seines Sohnes ist dann der berühmte Tropfen … Den genauen Auslöser zu seiner Auszeit gibt er lange nicht preis.
Unter dem Vorwand, der betagten Mutter auf dem großen Stück Land ein wenig in Haus und Garten zur Hand gehen zu wollen, hat der Sohn sich in Schleswig-Holstein angekündigt. Dort beginnt für Meyerhoff eine Reise in die Vergangenheit mit der Hoffnung, zurück in die Zukunft zu finden. Dabei werden wir Zeugen von kontemplativen Naturbeobachtungen, der Wohltat harter Gartenarbeit, der ausgelassenen Stimmung von 20 singenden 80-Jährigen Frauen der Cantorei, die trotz zahlreicher künstlicher Hüften und Knie quietschfidel im Garten der Mutter herumwuseln.
Wer ist die wahre Heldin des vorgestellten Buches?
Das ist die 86-jährige selbstbewusste, eigenwillige und lebenslustige Mutter des Autors. Sie ist der zentrale Punkt und trägt die ganze Geschichte. Bisher schrieb Meyerhoff vor allem über sich.
Ob es ihm passiert ist, oder Absicht war, sein neues Buch funktioniert dort am Besten, wo er die Mutter und ihr buntes, wildes Treiben darstellt. Keine Spur von Tattrigkeit oder Schwäche. Beherzt verputzt sie Döner und Curry-Würste, stürzt sich in den kühlen Badeteich und die kalte Ostsee. Sie fährt Auto wie "eine gesengte Sau" und überlässt niemandem den Rasenmäh-Traktor. Um 18:00 Uhr gibt's - nach alter Familientradition - täglich Whiskey, und jede Menge Kuchen bäckt sie nebenbei.
"Und dann kamen wieder die singenden Damen der Domkantorei, … kletterten auf Leitern in die Bäume hinauf, sangen und ernteten … Und meine Mutter war die beste Kletterin von allen. Da, wo andere aufgaben, vernünftig agierten und sich durch körperliche Einschränkungen zum Absteigen genötigt sahen, war meine Mutter zur Stelle."
Was macht den neuen Meyerhoff interessant?
Seine Bereitschaft zum Seelenstriptease. Wie in seinen bisherigen Werken malt Meyerhoff kritische Bilder seiner selbst für uns Leser und gibt dabei tiefe Einblicke in sein Seelenkostüm preis:
"Von Betablockern gedämpft lag ich Stunde um Stunde in Unterhose auf dem Sofa herum, verlor mich in weinerlichen Introspektionen, streichelte mein Bäuchlein oder starrte auf den Bildschirm eines kleinen EKG-Geräts für den Hausgebrauch und wartete sehnsuchtsvoll auf die nächste Extrasystole."
Schonungslos beschreibt Joachim Meyerhoff seinen elenden Zustand im 57. Jahr: Wie er zum Beispiel all sein Können aufbringt, um eine Therapeutin zu becircen, damit er nicht mit ihr arbeiten muss. Oder seinen kompletten Auszucker, als nach einer Flugreise sein Koffer vermeintlich in einer Hotellobby verschwindet.
Diese Offenheit macht ihn und die Lektüre seiner Bücher so sympathisch. Dass all das, diese Ratlosigkeit und diese Tiefpunkte, auch einem so erfolgreichen und berühmten Schauspieler widerfahren können! Schließlich hat der Mann sechs Mal den Nestroy-Preis gewonnen, wurde drei Mal zum Schauspieler des Jahres gekürt und hat jede Menge Literaturpreise erhalten.
Was bedeutet der lange Titel des Buches?
"Man kann auch in die Höhe fallen" hat Meyerhoff aus einem Text von Hölderlin entnommen. In Interviews erläutert er, sich damit auf die positive Lebensentwicklung seiner Mutter in ihren 80er Jahren zu beziehen. Dasselbe wünsche er sich auch für sich: Dass sich auch für ihn ein Aufschwung im weiteren Leben ergäbe, statt der häufig üblichen Haltung "von jetzt an geht's bergab".
Wie ist das neue Buch aufgebaut?
Es teilt sich in drei Textarten. Am lebendigsten zu lesen ist die Erzählzeit in Echtzeit, in Berlin und dann am Bauernhof seiner Mutter. Die größte Freude bereiten das ganze Buch hindurch die Mutterszenen aus dem "Jetzt".
Erinnerungen, Erlebnisse, Sorgen und Ärgernisse aus der Kindheit gehören zur zweiten Gruppe. Der Abdruck eines Kindheitswerkes aus der Volksschulzeit zeigt, wie stark Meyerhoffs Legastenie, wie blühend gleichzeitig seine Fantasie waren. Geschichten aus dem Theaterleben gibt es im mittleren Teil des Buches, einige davon sehr amüsant und lustig zu lesen.
Andere Passagen ziehen sich etwas in die Länge, fühlen sich ab und zu nach Weiterblättern an. Oder sind etwas plump geraten, wie manche Ein- oder Überleitungen, bevor der Autor seiner Mutter aus seinen Geschichten "vorliest". Die Verwebungen der drei Textwelten gehören zu den schwächeren Stellen des Buches.
Die dritte Textgruppe schreibt Meyerhoff in den zwei Monaten, die er bei seiner Mutter verweilt. Wir sind quasi als Teilnehmer/Zuschauer beim Schreibprozess dabei.
Welches ist Meyerhoffs bisher bestes Buch?
"Man kann auch in die Höhe fallen" ist der sechste Band von Meyerhoffs äußerst erfolgreicher Serie "Alle Toten fliegen hoch". Insgesamt hat er bereits 2,8 Millionen Bücher verkauft und damit jede Menge Literaturpreise gewonnen.
Der Schlager und sicher auch sein amüsantestes Buch ist "Ach, diese Lücke" (2021 erschienen bei Kiepenheuer & Witsch) mit 19 Auflagen und Übersetzung in mehrere Sprachen. Unvergessen die Szenen über die Morgenrituale seiner Großeltern, wie sich die beiden in ihren 80ern Stehenden Tabletten einwerfen, der Großvater im Unterleiberl Pseudoturnübungen auf dem Balkon seiner Münchner Villa macht. Man lacht Tränen!
Lohnt sich die Lektüre von "Man kann auch in die Höhe fallen"?
Ein klares Ja. Weil Meyerhoff glaubhaft schildert, wie er mittels Selbstreflexion, mit der Arbeit in der Natur, mit dem Schreiben dieses Buches und nicht zuletzt durch einfache Zuwendungen seiner großartigen Mutter einen großen Schritt aus seiner tiefen Lebenskrise machen konnte.
Besonders lohnt sich die Begegnung mit Meyerhoffs patenter, unkonventioneller und gleichzeitig bodenständiger Mutter. Sie gibt ein wunderbares Role-Model für selbstbestimmtes Altern mit Lebensfreude ab. Deshalb freue ich mich als Leserin ganz besonders mit ihr, als sie dann noch eine späte Liebe findet, Ende 80!
Am Ende des Buches fragt Frau Meyerhoff ihren Sohn: "Glaubst du, wird es ein Buch?" – "Ich weiß es nicht, Mama." – "Ich würde, ehrlich gesagt, lieber doch nicht drin vorkommen."
Was für ein Glück, dass er sie umstimmen konnte!
Joachim Meyerhoff liest am 19.11.2024 um 20:00 Uhr im Burgtheater und am 20.11.2024 um 19:30 Uhr bei der Buch Wien aus seinem neuen Buch.
Angela Szivatz ist Autorin ("Betrug und Liebe - die wahren Fälle einer Detektivin") Moderatorin und Bloggerin ("Oma aus dem Kirschbaum"). Für Newsflix schreibt sie über aktuelle Literatur. Angela Szivatz lebt in Wien.