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"Allein im Raum": Nehammer schildert Putin-Besuch
Krieg, Kickl, Kurz: Die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit" hat Kanzler Karl Nehammer interviewt. Die wichtigsten Passagen.
Das Gespräch dauerte 75 Minuten, fand in der Residenz des russischen Präsidenten in Nowo-Ogarjewo statt, Fotos davon gibt es keine. Das sei auf Wunsch Österreichs passiert, sagte Karl Nehammer damals. Zur Überraschung der halben Welt war der österreichische Kanzler am 11. April 2022 nach Moskau aufgebrochen, um Wladimir Putin zu treffen, rund zwei Monate nachdem Russland über die Ukraine hergefallen war.
Im Interview mit der "Zeit" spricht Nehammer nun auch über seine Eindrücke von der Reise zu Putin. Chefredakteur Giovanni di Lorenzo hat das lange Gespräch geführt, das in der aktuellen Ausgabe erscheint, er war dafür nach Wien gekommen. Di Lorenzo beschreibt zu Beginn mit einer gewissen liebevollen Hingabe den Amtssitz Nehammers, vor allem dessen historische Dimension. "Auf dem Weg zum Büro des Bundeskanzlers sieht man auch eine in den Boden eingelassene Tafel. An dieser Stelle wurde 1934 der Kanzler Engelbert Dollfuß von österreichischen Nazis ermordet."
Dann steigt er mit einer Frage ein, die Nehammer kurz ins Wanken bringt. "Darf ein Bundeskanzler in diesen Tagen mit Blick auf die Welt sagen: Ich habe Angst?" "Gute Frage", antwortet Nehammer, dann macht er eine Pause, sagt schließlich: "Das kann ich nur vor meinem militärischen Hintergrund beantworten ... Ich bin ja Milizoffizier gewesen, Reserveoffizier, und da wird man unter Belastung ausgebildet. Auch ein Bundeskanzler sollte nicht die Angst ins Zentrum stellen, sondern die Überwindung der Angst." Die wichtigsten Passagen aus dem Interview:
Wovor er im Moment die meiste Angst hat
"Sorge macht mir der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Das ist so ein Krieg, der das Potenzial hat, größer und unkontrollierbarer zu werden ... Umso länger dieser Krieg anhält, desto größer ist die Gefahr der Involvierung. Man hat zuerst gesagt, man unterstützt mit Munition, mit Defensivwaffen. Dann gab es viele Tabus, die auf einmal keine mehr waren. Also schickt man auch Kampfpanzer, jetzt Kampfflugzeuge."
Ob Österreich neutral ist
"Wir sind politisch nicht neutral. Und wir haben uns vollumfänglich, im Sinne der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, zu den EU-Sanktionen gegen die Russische Föderation bekannt."
Ob er an eine Ukraine in den alten Grenzen glaubt
"Es ist die ukrainische Position. Die Ukraine ist überfallen worden, das heißt, es geht nur mit der Ukraine. Und wenn es von der ukrainischen Bevölkerung getragen wird. Der Beginn ist jetzt wichtig – dass überhaupt wieder Gespräche stattfinden, dass Möglichkeiten ausgelotet werden."
Ob Österreich gegenüber Putin naiv war
"Das wäre ein hartes Urteil, und es war ja nicht Österreich allein ... Aus meiner Sicht ist nachvollziehbar, welche Hoffnungen vor allem am Anfang da waren."
Wie er vom Überfall auf die Ukraine erfahren hat
"Am 24. Februar 2022, als die Invasion begann, bin ich um 4.15 Uhr von unserem Nachrichtendienstchef informiert worden ... Schon an diesem Tag gab es die erste Verbindungsaufnahme zwischen mir und Selenskyj ... Der ukrainische Präsident begann mit den Worten: "Herr Bundeskanzler, Sie sprechen jetzt mit einem Mann, der nicht weiß, wie lange er noch Präsident ist, und der auch nicht weiß, wie lange er und sein Land noch überleben werden."
Warum er Putin nach einem Ukraine-Besuch getroffen hat
"Kiew hatte mich bewegt, weil wir, als wir nach Butscha gefahren sind, große Umwege nehmen mussten, weil Straßen und Brücken ja zerstört waren. Wir haben die ganzen Verwüstungen der russischen Armee gesehen. Der schlimmste Eindruck war natürlich das Massengrab, es war mein erstes, ich hatte zuvor keines gesehen. Es hat die Fratze dieses Krieges in einer unglaublichen Brutalität gezeigt."
Wie der Putin-Termin war
"Das Gespräch war dann so: ein ewig langer Tisch, nicht im Kreml, sondern in Putins Residenz am Stadtrand Moskaus."
Welchen Eindruck er hatte
"Als ich über Massengrab, Zerstörung, tote Soldaten gesprochen habe, war der russische Präsident wenig beeindruckt. Auch in seiner Mimik nicht. Als es dann aber um Sanktionen und Auswirkungen für die russische Wirtschaft ging, hat es eine größere Dynamik im Gespräch gegeben."
Was Putin gesagt hat, als Nehammer über die Massengräber gesprochen hat
"Nichts."
Ob ihn die internationale Reaktion überrascht habe
"Nein (lacht leise), überhaupt nicht. Ich habe eher interessant gefunden, dass die Aufregung hier dann so groß war, obwohl es mit wichtigen Partnern in der EU vorab abgesprochen war."
Warum die ÖVP in drei Bundesländern mit der FPÖ koaliert
"Weil die FPÖ keine homogene Organisation ist, so wie sie nach außen wirkt."
Ob er eine Koalition mit Kickl ausschließt
"Uneingeschränkt."
Über er eine Koalition mit der FPÖ ausschließt
"Nein, weil die FPÖ im demokratischen Spektrum eben eine rechte Partei ist, aber eine mit sehr viel Vielfalt."
Wie er seine Position in der Chat-Affäre sieht
"Ich habe damit nichts zu tun gehabt, das weiß auch jeder!"