Wolf-Abschüsse
"Alles, was lästig ist, hat momentan schlechte Karten"
Der Schutzstatus für die Wald-Räuber wird europaweit gesenkt. Was in anderen Ländern aufgrund starker Populationen wahrscheinlich kein größeres Problem darstellt, könnte für die wenigen Wölfe in Österreich zur Überlebensfrage werden.
Europas Wölfe nehmen ihren biologischen Auftrag sehr ernst. Nachdem sie zunächst in weiten Teilen es Kontinents so gut wie ausgerottet und erst in den 1980er-Jahren unter strengen Schutz gestellt wurden, vermehren sie sich in Mittel- und Nordeuropa spätestens seit der Jahrtausendwende wieder so, wie man das von gesunden Tieren in geschützter Umgebung erwarten darf. Auf mittlerweile 20.000 Tiere soll die europaweite Wolfs-Population nach Angaben der EU inzwischen wieder angewachsen sein.
Europa senkt Schutzstatus für Wölfe Aus diesem Grund wurde am Dienstag, dem 3. Dezember, auf gesamteuropäischer Ebene beschlossen, den Schutzstatus für Wölfe zu senken, da diese mittlerweile "für mindestens 65.000 gerissene Nutztiere" verantwortlich seien, so die Europäische Union. Damit soll es in Zukunft wieder einfacher werden, Abschussgenehmigungen für Wolfe zu erhalten.
Österreich ist anders Hierzulande ist von einer Erholung der Wolf-Bestände so gut wie nichts zu spüren. Die Zahl der in Österreich heimischen Tiere grundelt seit vielen Jahren auf sehr niedrigem Niveau herum, von einem merkbaren Anwachsen oder gar einer Über-Population kann nicht einmal annähernd die Rede sein. Dennoch fiel in kaum einem Land die Zustimmung – manche Beobachter würden es Begeisterung nennen – über die beschlossene Senkung des Wolfs-Schutzes vehementer aus als bei uns.
Meilenstein – oder Grabstein? Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) sprach gar von einem "Meilenstein" für die "Regulierung des Großraubtieres Wolf". Der bekannte Biologe und "Wolfsforscher" Kurt Kotrschal hingegen sieht in der nun beschlossenen Zurückstufung des Schutzes "eher einen Grabstein als einen Meilenstein". Kotrschal: "Das war ein rein politischer Beschluss, die Wissenschaft hatte dabei kein Mitspracherecht."
"Door Opener" für weitere Aufweichungen Und der mittlerweile emeritierte Professor befürchtet, dass die aktuelle "Lex Wolf" der Türöffner für weitere Aufweichungen im Artenschutz sein könnte, auf die vor allem die heimische Landwirtschaft schon lange schielt.
Was man über die Absenkung des Schutzstatus für Wölfe wissen muss, wann die Jagd eröffnet wird – der Überblick:
Also: Wer hat hier was beschlossen?
Die Mitgliedstaaten der so genannten "Berner Konvention" haben am 3. Dezember beschlossen, den Schutzstatus für Wölfe in Europa von "Streng geschützt" auf "Geschützt" zu senken.
Wer oder was ist die Berner Konvention?
Die Berner Konvention, amtlich "Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume", ist ein völkerrechtlicher Vertrag des Europarates über den Schutz europäischer wildlebender Tiere und Pflanzen aus dem Jahr 1979. 46 europäische und 4 afrikanische Staaten (Burkina Faso, Marokko, Senegal und Tunesien, auf deren Staatsgebiet Überwinterungsgebiete europäischer Vogelarten liegen) und die Europäische Union sind die Mitglieder der Konvention. Österreich ist seit 1983 Mitglied der Berner Konvention.
Was heißt das konkret?
Ziel des Übereinkommens ist es, "wildlebende Pflanzen und Tiere sowie ihre natürlichen Lebensräume, insbesondere die Arten und Lebensräume, deren Erhaltung die Zusammenarbeit mehrerer Staaten erfordert, zu erhalten und eine solche Zusammenarbeit zu fördern. Besondere Aufmerksamkeit gilt den gefährdeten und den empfindlichen Arten." Vereinfacht gesagt: Diese Gruppe von Staaten beschließt, welche Tiere, Pflanzen oder Lebensräume als schützenswert gelten und verpflichtet sich gleichzeitig, eben für diesen Schutz zu sorgen und die Tiere, Pflanzen und Lebensräume in einem "guten Erhaltungszustand" zu belassen bzw. zu bringen.
Und im Zuge dessen wird auch der Wolf geschützt?
Ja, dem Wolf kommt in diesem Programm eine große Bedeutung zu. Konkret heißt es im Manifest der Berner Konvention: "Wölfe haben, wie alle anderen Wildtiere, ein Recht, als wildlebende Tiere zu existieren. (…) dieses leitet sich aus dem Recht aller Lebewesen ab, mit dem Menschen als Teil natürlicher Ökosysteme zu koexistieren." Und es hält fest, dass Eingriffe in den Bestand nur unter strikter wissenschaftlicher Kontrolle, selektiv, zeitlich begrenzt und mit minimalen Nebenwirkungen für andere Arten gemacht werden sollen. Das Manifest sieht ferner vor, Wiederansiedlungsprogramme zu prüfen in Gebieten, in denen der Wolf ausgestorben ist.
Der Wolf ist demnach also streng geschützt in Europa
Richtig, bis jetzt. Die Tiere durften nicht absichtlich getötet werden, es sei denn, sie stellen erwiesenermaßen eine Gefahr für Menschen oder Weidetiere dar. Die Hürden für Abschussgenehmigungen waren bis jetzt sehr hoch, häufig mussten erst langwierige DNA-Tests abgewartet werden, ehe die Behörde eine Abschussgenehmigung für ein spezielles Tier erteilte.
Was ändert sich?
Künftig wird die Jagd auf die Tiere – theoretisch – einfacher. Wie genau das aussehen soll, ist indes noch nicht klar, da jetzt die EU-Kommission konkrete Vorschläge ausarbeiten muss, wie die Bejagung des Wolfs künftig aussehen könnte. Darüber wird dann im Europaprlament beraten und abgestimmt und wenn man eine Einigung erzielt, wird das in ein Gesetz gegossen.
Weshalb wurde so entschieden?
Weil man offenbar befürchtet, dass die 20.000 europäischen Wölfe eine Schneise in die Lebensmittelversorgung des Kontinents reißen könnten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen argumentierte am Dienstag: "Wir brauchen einen ausgewogenen Ansatz zwischen dem Schutz der Wildtiere und dem Schutz unserer Lebensgrundlagen." Und Niederösterreichs Landeshauptfrau-Stellvertreter Stephan Pernkopf meinte, das sei "eine gute Nachricht für die Sicherheit in Österreich".
Wie lange dauert es noch, bis das umgesetzt wird?
Mindestens 3 Monate, EU-Kenner gehen eher von einer längeren Zeitspanne aus, ehe sämtliche Schritte und Wege abgeschlossen sind.
Und bis dahin metzeln weiter Wolfsrudel schutzlose Hühner, Schafe, Ziegen und Kälber nieder?
Naja, das Gemetzel ist überschaubar. Wenn die von der EU angegebene Zahl von 65.000 Rissen durch Wölfe pro Jahr stimmt, dann sind das durchschnittlich 6,6 Tiere pro EU-Land und Tag. Traurig für die betroffenen Tiere, aber wirtschaftlich erträglich. Zumal ja alle von diesen Rissen betroffenen Bauern im Sinne des Artenschutzes für ihren wirtschaftlichen Verlust entschädigt werden. Zum Vergleich: Jährlich werden in der EU 7 Milliarden Nutztiere geschlachtet, davon über 6 Milliarden Stück Geflügel und etwa 250 Millionen Schweine.
Wie sieht die Situation in Österreich aus?
Laut Landwirtschaftsministerium wurden im Jahr 2023 genau 1.128 Risse durch Wölfe gemeldet und entschädigt - wobei hier gerissenes Geflügel nicht mitgezählt wird, da jene Betriebe, die ihre Hühner oder Gänse so frei laufen lassen, dass sie vom Wolf (oder streunenden Hunden oder Katzen) erwischt werden können, diese Tiere meist nur für den Individualbedarf halten. Im Jahr 2024 wurden bis Ende Oktober 441 durch Wölfe gerissene Tiere gemeldet.
Weshalb ist diese Zahl so zurückgegangen?
Weil sich mehrere Bundesländer schon vor längerer Zeit entschlossen haben, mit eigenen Verordnungen auf Landesebene den Abschuss von "Problemwölfen" zu erleichtern. Seither werden vor allem in Kärnten und Tirol, aber auch in den meisten anderen Bundesländern Wölfe "entnommen", die nach Ansicht der lokalen Behörden entweder bereits gerissen haben (sie sind sogenannte "Schadwölfe") oder möglicherweise bald reißen könnten (sogenannte "Risikowölfe"). Offiziell wurden auf diese Art im Jahr 2023 insgesamt 14 Wölfe "entnommen", heuer bislang 9.
Was heißt eigentlich dieses "entnommen"?
Das ist Jägersprache. Man könnte auch sagen, die Tiere wurden abgeschossen. Aber Waidmänner und -frauen mögen Euphemismen, daher wird "aus dem Wald entnommen". Blut heißt hier auch nicht so, sonder "Schweiß", und ein angeschossenes Tier ist "angeschweißt".
Sind diese Abschüsse mit den Vorgaben der EU vereinbar?
Nein. Der Europäische Gerichtshof hat das auch im vergangenen Sommer eingemahnt. Es steht sogar ein Vertragsverletzungsverfahren im Raum, das die EU gegen Österreich einbringen könnte. Das scheint aber die jeweiligen Länder-Behörden bislang nicht zu tangieren.
Wie hat der EuGH argumentiert?
Damit, dass sich die Wolfspopulation in Österreich weiterhin in keinem guten Erhaltungszustand befindet.
Wie viele Wölfe haben wir eigentlich derzeit in Österreich?
Aktuell knapp unter 100 Stück, die sich auf sechs Rudel aufteilen. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es offiziell etwa 1.600, der Bauernverband meint, es könnten auch doppelt so viele sein. In Frankreich sind es derzeit etwa 1.000, in Italien etwa 3.000 Tiere.
Weshalb sind es in Österreich vergleichsweise so wenige?
"Aufgrund des starken illegalen Abschusses", sagt Wolfs-Forscher Kurt Kotrschal. "Man weiß, dass die Wildtierkriminalität in Österreich groß ist." Und die Bundesländer hätten zudem Abschlussverordnungen erlassen, die "im eklatanten Widerspruch zur bestehenden Gesetzeslage sind", so der Wissenschafter. "Da dürfen Wölfe ja bereits auf Verdacht abgeschossen werden."
Was passiert eigentlich mit den aufgrund der Länderverordnungen abgeschossenen Wölfen?
Die dürfen die Jäger, die sie geschossen haben, behalten. Wolfs-Forscher Kotrschal hält das in mehrfacher Hinsicht für bedenklich: "Das heißt, wir haben de facto jetzt eine behördlich erlaubte Trophäenjagd auf streng geschützte Tiere. Wenn der Jäger nach Osteuropa geht, um einen Wolf abzuschießen, dann muss er ein paar tausend Euro hinlegen. Bei uns geht das gratis."
Was hält eigentlich das Umweltministerium von dieser Abschuss-Verordnungs-Praxis?
Laut Kurt Kotrschal habe das Ministerium von Ministerin Leonore Gewessler bereits 2023 ein Rechtsgutachten erstellen lassen, in dem festgehalten ist, dass die Abschuss-Verordnungen der Länder rechtswidrig seien. Kotrschal: "Den Bundesländern ist das aber schlicht egal. Das heißt, sie agieren hier gegen bestehendes Recht."
Und wie denkt man im Ministerium über die Senkung des Schutzstatus?
Die obersten Umweltschützer des Landes geben sich hier recht zurückhaltend: "Das Klimaschutzministerium hat stets betont, dass es bei der Debatte um den Umgang mit dem Wolf mehr Sachlichkeit und weniger Populismus braucht", ist zu erfahren.
Und: "Aus fachlicher Sicht war das Klimaschutzministerium (wo auch die Umweltschutzagenden liegen, Anm.) seit jeher der Auffassung, dass eine Herabstufung des Schutzstatus nicht notwendig gewesen wäre, um in Österreich ein zufriedenstellendes Wolfsmanagement zu etablieren. Denn auch nach einer Herabstufung wird es für die Bundesländer verpflichtend sein, einen günstigen Erhaltungszustand des Wolfs zu erreichen und zu bewahren."
Was ist damit gemeint?
Dass sich die Wolfs-Population in Österreich in einem so schlechten Zustand befindet, dass noch lange nicht daran gedacht werden kann, noch mehr Wölfe abzuschießen, auch wenn auf europäischer Ebene erlaubt werden sollte. Erst brauchen wir einen "günstigen Erhaltungszustand", wie es im Gesetz steht, um mehr Wölfe legal abzuschießen. Aber um diesen Status zu erreichen, müsste es wesentlich mehr Wölfe in Österreich geben.
Wie viele Wölfe mehr?
"Ein günstiger Erhaltungszustand für Österreich bedeutet irgendwas zwischen 30 und 60 Rudel", sagt Wolfs-Experte Kurt Kotrschal. "Und wir haben, wenn es hochkommt, 6 Rudel. Also wir sind weit unter einem Bestand, der von sich aus lebensfähig wäre. Daher ist eine reguläre Bejagung, also Regulierung der Wölfe in Österreich, auch in Zukunft nicht möglich, bis eben dieser Bestand erreicht ist."
Wozu brauchen wir überhaupt Wölfe in unseren Wäldern?
Das ist natürlich eine Grundsatzentscheidung, ob ein Staat eine ausgewogene Fauna und Flora in seinen Naturräumen haben und fördern, oder ob er nur mehr Park-ähnliche Landschaften möchte. Diese Entscheidung haben alle EU-Staaten bereits in den 1980ern getroffen, mit dem Beitritt zur "Berner Konvention". Laut Biologe Kotrschal hat es aber auch sehr grundlegende und aktuelle Vorteile, Wölfe in seinen Wäldern zuzulassen.
Welche Vorteile wären das?
Vor allem die ökologischen Funktionen, die Wölfe in einem Lebensraum haben. Kotrschal: "Man weiß, dass sie Wildbestände wesentlich gesünder erhalten können als menschliche Jäger. Das ist relevant, wenn man etwa an die afrikanische Schweinepest denkt oder an die Tuberkulose-Epidemien bei den Rothirschen im Gebirge. Zweitens wächst in Wolfsterritorien die Reichhaltigkeit der Kleintier-Fauna, weil Wölfe relativ effizient Rotfüchse und Goldschakale, also diese mittleren Beutegreifer, kontrollieren, was Jäger nicht können."
Darüber hinaus?
Regulieren Wölfe den Hirsch- und Rehbestand in naturnahen Wäldern besonders effizient, sagt der Wissenschafter. Kotrschal: "Das heißt, dass sie die Naturverjüngung begünstigen und insgesamt die Kosten für die Waldbewirtschaftung senken." Und das sei wiederum für den Klimaschutz wichtig, weil nur naturnah bewirtschaftete Wälder im relevanten Umfang CO2 binden.
Weshalb wird es dann dem Wolf noch immer so schwer gemacht?
Das hat vermutlich auch mit dem aktuellen Zeitgeist zu tun. Derzeit hätten jene politischen Kräfte die Oberhand, die Natur- und Umweltschutz zugunsten der wirtschaftlichen Effizienz zurückdrängen möchten, diagnostiziert Kotrschal: "Nicht wenige NGOs befürchten ja, dass der Wolf nur der Anfang ist und sich mit dem Herabsetzen seiner Schutzwürdigkeit die Schleusen erst öffnen würden." Es gebe längst Listen von weiteren Tieren, deren hoher Schutz-Status seitens der Agrar-Lobby angezweifelt werde.
Und um welche Tiere geht es da?
Kotrschal: "Konkret weiß ich es etwa vom Feuersalamander. Der ist stark gefährdet und sein Schutz erschwert die landwirtschaftliche Bewirtschaftung seines Habitats." Deshalb könnte auch sein Schutzstatus bald reduziert werden, befürchtet der Forscher. Kotrschal: "Alles, was lästig ist und das menschliche Wirtschaften behindert, hat momentan wieder ganz schlechte Karten."