Neu im Kino
"Civil War" – wie realistisch ist ein Bürgerkrieg in Amerika?
Die USA sind im Inneren gespalten wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Der neue Film "Civil War" denkt die Idee eines Auseinanderbrechens der Nation radikal weiter. Ab Freitag im Kino.
Die Bilder des 6. Januar 2021 sind noch äußerst präsent: An diesem Tag stürmte ein Mob von mehr als 1000 aufgeputschten Anhängern des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump das Kapitol in Washington, um die Bestätigung seines Nachfolgers Joe Biden durch die Abgeordneten zu verhindern und Trump so im Amt zu belassen. An diesem Tag starben fünf Menschen, unzählige wurden verletzt, darunter mindestens 174 Polizisten. Und die USA wirkten für kurz Zeit eher wie eine Bananenrepublik als wie der Anführer der freien Welt, als den man sich selbst gerne sieht.
Doch Amerika hat ein kurzes Gedächtnis. Donald Trump, der diesen Aufstand durch seine Worte, seine Botschaften und letztlich durch seine Taten befeuert hat, könnte heuer erneut zum Präsidenten der USA gewählt werden. Insofern kommt der neue Film des Regisseurs Alex Garland genau zum richtigen Zeitpunkt. In "Civil War" zeigt der Brite, was passieren kann, wenn die Dinge sich nicht so rasch wieder einfangen lassen, wie es am 6. Jänner 2021 glücklicherweise gelungen ist. Garland zeigt ein Amerika, in dem jede zivile Ordnung zusammengebrochen ist und nur mehr das Gesetz des Stärkeren herrscht. Ein Amerika am Abgrund. Und seine Vision ist leider erschreckend real.
König der Apokalypse Der britische Regisseur und Drehbuchautor ist bekannt für seine futuristischen Werke mit Elementen des Horrors. Im Jahr 2002 wurde sein postapokalyptisches Zombie-Drehbuch unter dem Titel "28 Tage später" verfilmt, 2014 debütierte er als Regisseur mit einem Film über einen humanoiden Roboter, "Ex Machina". Und nun, 160 Jahre nach dem amerikanischen Sezessionskrieg (der von 1861 bis 1865 tobte und mehr als eine Million Menschenleben forderte) gelingt Alex Garland mit seinem neuen Film eine dystopische Vision der USA, die realer ist, als er es sich wahrscheinlich selbst am Beginn seiner Arbeit hätte vorstellen können. Denn der Brite startete mit der Arbeit an seinem Drehbuch bereits 2020, also noch vor dem Sturm des Trump-Mobs auf das Kapitol.
Jeder gegen jeden "Civil War" versetzt die Zuschauer mitten in die Geschehnisse eines Bürgerkriegs auf amerikanischem Boden. Dieser Krieg – es wird nicht erzählt, was diesen ausgelöst hat, das bleibt der Phantasie der Kinobesucher überlassen – spaltet die Vereinigten Staaten in mehrere Fraktionen auf. Es existiert keine Ordnung mehr und kein Gesetz, schwer bewaffnete Milizen ziehen mordend durchs Land, keiner ist davor sicher, nicht aus reiner Willkür getötet zu werden. Es sind nur schwer erträgliche Bilder, obwohl man sie eigentlich aus den täglichen Nachrichtensendungen kennt. Doch so etwas nicht in Afrika, Asien oder Osteuropa zu sehen, sondern in den USA, einem Hort der Demokratie, ist für unsere Sehgewohnheiten nur schwer verkraftbar.
Kein Gewaltmonopol mehr Die Sicherheitskräfte der Regierung haben in dieser Situation größtenteils kapituliert und auch die Hauptstadt Washington schutzlos zurückgelassen, während sich der diktatorische Präsident, der sich zuvor zu einer dritten Amtszeit geputscht hat, im Weißen Haus verschanzt, denn die Rebellenfraktion der Western Front, Milizen aus Kalifornien und Texas, ziehen in Richtung der Kapitale, um den Präsidenten endgültig zu stürzen.
Journalisten als Freiwild Das alles sehen wir aus der Perspektive dreier Kriegsberichterstatter. Die Journalisten durchqueren das zerrüttete Amerika und dokumentieren dabei die Realität des Krieges. Die Fotografin Lee Smith, dargestellt von einer fabelhaften Kirsten Dunst, und ihre Begleiter wollen nach Washington, um den Präsidenten zu interviewen. Doch dafür müssen sie auch ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen, denn Journalisten gelten in dem von Anarchie zerstörten Land vielen Kriegsparteien als Freiwild.
Das Weshalb ist egal Warum der Krieg ausgebrochen ist, bleibt dabei bis zum Schluss des Films ein Rätsel. Regisseur Alex Garland hat bewusst jeden politischen Kontext weggelassen. Man weiß lediglich von der Existenz der Oppositionsfraktionen, die auf einen Umsturz der Regierung abzielen. Welche tiefgreifenden Spaltungen dem Konflikt vorausgegangen sind, überlässt der Film der Vorstellungskraft der Zuschauer. Stattdessen fängt er die erschütternde Dynamik des Krieges ein. Denn die Menschen wissen im Grunde gar nicht mehr, wofür sie kämpfen, sondern nur noch, dass sie kämpfen müssen.
Die Frage aller Fragen "Civil War" dreht sich vor allem um die Frage, was geschieht, wenn die USA, eine der ältesten Demokratien der Welt, scheitern? Die Ereignisse vom 6. Januar 2021 haben bewiesen, dass amerikanische Bürger bereit sind, sich unter bestimmten Bedingungen gegen die eigene Regierung zu stellen. Und eine Umfrage der Universität von Maryland gemeinsam mit der "Washington Post" aus dem Jahr 2021 hat ergeben, dass fast ein Viertel der Demokraten und sogar 40 Prozent der Republikaner die Anwendung von Gewalt gegen die Regierung zumindest für "etwas gerechtfertigt" halten. Und was man bei all dem ebenfalls nicht aus dem Blick verlieren sollte: Die USA haben weltweit die größte Anzahl an Schusswaffen in privatem Besitz. Eine bis an die Zähne bewaffnete aufständische Bevölkerung wäre sogar für die hochgerüsteten Sicherheitskräfte des Landes nicht leicht in den Griff zu bekommen.
Spaltung statt Einigung Dazu kommt: Das US-Wahlsystem, welches die Bundesstaaten nach parteilicher Zugehörigkeit einteilt, trägt ebenfalls mehr zur Trennung als zur Einigung der Bevölkerung bei. Zu diesem Schluss kam eine Studie des "Institute for Quantitative Social Science". Und bei der gegenwärtigen Polarisierung des Landes kann man die USA schon längst nicht mehr als ein in jeder Hinsicht geeintes Ganzes betrachten, sondern muss zwischen blauen (Demokraten) und roten (Republikaner) Bundesstaaten unterscheiden.
Wahl im November Das Ergebnis der bevorstehenden Präsidentenwahl wird diese Spaltung wahrscheinlich nicht aufheben, tatsächlich könnte es sie sogar noch verschärfen, unabhängig davon, wer Präsident wird. "Trump-Unterstützer, die glauben, dass die Wahl 2020 gestohlen wurde, würden eine Niederlage heuer wahrscheinlich nicht würdevoll akzeptieren", kommentierte der US-Experte Bruce Stokes in einem Bericht des Think Tanks "Chatham House". "Und wenn Trump gewinnt, könnten Biden-Unterstützer dies als republikanische Wahlmanipulation betrachten, was die Demokraten weiter von ihren Mitbürgern entfremden würde."
Ein geteiltes Land Auch das Thema Sezession der Bundesstaaten, das ja ein entscheidender Faktor im Film "Civil War" ist, taucht in der Realität immer öfter auf. Eine Umfrage von YouGov ergab, dass jeder vierte Amerikaner die Abspaltung seines eigenen Bundesstaates unterstützen würde. Dabei ist es fast ein Drittel der Republikaner und immer noch ein Fünftel der Demokraten, die die Autonomie ihres Staates wünschen. Alaska, Texas und Kalifornien zeigen die größte Unterstützung für solch eine Sezession, was auch mit deren Lage und Größe zusammenhängen kann. Laut US-Verfassung kann es aber keinen Austritt eines Staates aus der Union geben. Eine Sezession ist laut Rechtswissenschaftlern nur dann möglich, wenn die Verfassung geändert wird, oder "durch einen verfassungswidrigen Aufstand" durchgesetzt wird.
Wir oder die? Wenn aber das Gefühl der Zusammengehörigkeit schwindet, wäre es theoretisch gar nicht mehr so unwahrscheinlich, dass sich Bundesstaaten gegeneinander wenden. Bereits Abraham Lincoln, jener Präsident, der seine Nation durch den Bürgerkrieg führte und bei einem Attentat ums Leben kam, erkannte: "Amerika wird niemals von außen zerstört werden. Wenn wir ins Wanken geraten und unsere Freiheiten verlieren, wird es daran liegen, dass wir uns selbst zerstört haben."
"Civil War", USA / GB 2024, 109 Minuten, ab Freitag im Kino