Tagebuch einer Pandemie

Corona-Kopfnüsse, Kapitel 1: Ein Land bekommt Fieber

Lesen Sie im ersten Teil der Corona-Tagebücher, wie die Pandemie 2020 über Österreich kam.

Die "Corona-Kopfnüsse – Tagebuch einer Pandemie" gibt es in mehreren Staffeln
Die "Corona-Kopfnüsse – Tagebuch einer Pandemie" gibt es in mehreren Staffeln
Wolfgang Kofler
Christian Nusser
Akt. Uhr
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Kapitel 1: Ein Land bekommt Fieber

6. Februar 2020 Die Corona-Bruchlandung
Ja schon, in Österreich hat man bereits etwas gehört von einem bösen Virus. Aber es scheint gaaanz weit weg. Dann kommt der Februar und in Österreich wird nun öffentlich Fieber gemessen. Am Flughafen Wien-Schwechat. Eine harte Landung.

Beim Medientermin geht es um etwas, das es eigentlich nicht gibt, aber irgendwie doch, so etwas wie die SPÖ halt. Wir haben ja kein Corona-Virus im Land und seit Wochen sagen uns Politiker, dass wir uns nicht fürchten müssen, aber, um ehrlich zu sein, am meisten fürchte ich mich vor Politikern, die sagen, dass ich mich nicht fürchten muss. Es sollen jetzt bei allen Passagieren, die aus China kommen, Temperaturmessungen vorgenommen werden, damit wir uns nicht mehr fürchten müssen, und deswegen fangen wir nicht einfach damit an, sondern fünf Verantwortliche laden halb Österreich zu einer Pressekonferenz, um zu sagen, dass man jetzt anfängt, damit sich niemand mehr im Land fürchten muss.

Nur der Flieger fehlt. "Air China" verspätet sich an diesem Tag um fünf Stunden, ein Schneesturm. Man habe aber bei den 140 Passagieren und 15 Crew-Mitgliedern vor dem Start Temperatur gemessen, während des Fluges laufend kontrolliert, es wurden "Passenger-Locator-Cards" ausgefüllt und wer das Virus in sich trug, musste das spätestens jetzt gestehen. Nach der Landung um Mittag herum in Wien wurde erneut die Temperatur gemessen, wieder war keiner krank. Das Corona-Virus wird es sich jetzt gut überlegen, ob es tatsächlich einmal zu uns fliegt, die dauernden Kontrollen sind ja auch für Erkrankungen ziemlich belastend.

Ab Tag 37 wird jetzt kontrolliert. Aber wie!
Österreich geht es Pomali an

Andererseits, wenn ich noch einmal auf die Welt kommen sollte, dann werde ich vielleicht trotzdem ein Virus und mache mich auf den Weg nach Österreich. Wo sonst konnte man bisher so gefahrlos einreisen? Vor 37 Tagen erfuhr die Welt, dass in China mutmaßlich eine Epidemie am Ausbrechen ist. Es kamen mehr und mehr Bilder und Berichte über Erkrankte und Tote, die USA und danach andere Länder schränkten ihren Luftraum ein, die Lufthansa und später die AUA stoppten ihre China-Flüge, VW stellte die Produktion in China ein, Ikea machte die Möbelhäuser zu, immer mehr europäische Unternehmen flogen ihre Mitarbeiter aus, Österreich holte sieben Landsleute zurück.

Währenddessen landeten pro Woche 400 Passagiere allein an Bord von "Air-China"-Direktflügen in Wien, wo man von Panik abriet, was, wie gesagt, bisher immer sehr erfolgreich war. Diese 400 Passagiere reisten unbehelligt in Österreich ein. Ab Tag 37 wird jetzt kontrolliert. Aber wie!

Am 6. Februar 2020 wird am Flughafen Wien-Schwechat wegen Corona erstmals Fieber gemessen
Am 6. Februar 2020 wird am Flughafen Wien-Schwechat wegen Corona erstmals Fieber gemessen
Denise Auer

24. Februar 2020 Das Virus tanzt an, Österreich tanzt ab
Das Virus ist auf Welttournee, Österreich macht Party. Fasching, Opernball, alles findet statt wie gehabt. Aber dann ist die Krise da. Sie beginnt, wie in Österreich üblich, mit einer Sitzung.

Am Vormittag war man noch nicht im Tun, sondern eher im Abwarten. Da riefen der Innenminister und der Gesundheitsminister und die Verteidigungsministerin zur Pressekonferenz, in der sie von Panik abrieten, aber zur Sicherheit, sagte Klaudia Tanner, habe man die ersten zwei Kompanien der ABC-Abwehrschule darüber verständigt, dass es bald losgehe, womit auch immer. Jedenfalls solle man schon zu üben beginnen, was auch immer.

Die Kommunikation in der Regierung sei hervorragend, lobte Rudolf Anschober, was die Bevölkerung freuen wird, denn die Kommunikation mit ihr wurde bisher nicht in überschießendem Maße gesucht. Aber das wird jetzt besser, denn es werde eine "Informationskampagne" geben. Hoffentlich wartet das Virus damit, ehe es auf Österreich überspringt, denn wir wurden noch nicht umfassend aufgeklärt. Die "Informationskampagne" stockt noch ein bisschen, Fragen zur Zahl der vorhandenen Schutzmasken und Schutzanzüge und Isolierräume im Land wollte das Gesundheitsministerium am Montag nicht beantworten, vielleicht fand man es besser abzuwarten. Man könne Österreich nicht "unter einen Glassturz stellen", sagte Anschober. Schade eigentlich.

Corona steht vor der Tür: Die Regierungsspitze trifft sich am 24. Februar 2020 mit dem Einsatzstab im Innenministerium in Wien
Corona steht vor der Tür: Die Regierungsspitze trifft sich am 24. Februar 2020 mit dem Einsatzstab im Innenministerium in Wien
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Über Mittag vollzog sich dann der Wandel vom Abwarten ins Tun, er fiel disruptiv aus. Der Kanzler übernahm, das Virus bekam quasi ein Gratis-Update, Digitalministerin Margarete Schramböck drückte es so aus: "Das Thema ist ganz oben angekommen." Gott wird sich freuen, hat er nicht so viel Arbeit. Plötzlich jedenfalls tauchten Fotos auf und sie zeigten Sebastian Kurz mit sehr entschlossenem Blick inmitten von Umsetzern, die teilweise ident waren mit den Abwartern vom Vormittag. Aber jetzt hatten alle besorgte Gesichter aufgesetzt, der Raum war in bläuliches Licht getaucht, es war wie bei "CSI Miami", Horatio Caine hatte die roten Haare dunkel gefärbt und trug sie jetzt streng zurückgekämmt.

Sebastian Kurz war da, Gesundheitsminister Rudolf Anschober saß neben ihm, ebenso Umweltministerin Leonore Gewessler, gegenüber Innenminister Karl Nehammer, an seiner Seite Franz Lang, Direktor des Bundeskriminalamts, dazu viele Spitzenbeamte. Alles in allem dürften knapp über 30 Personen im Raum gewesen sein, vier davon Frauen, in der Krise stehen Männern eben lieber Männer bei. Weil man sich noch nicht so gut kannte, die Regierung ist schließlich erst seit eineinhalb Monaten im Amt, hatte man Namensschilder aufgestellt, dahinter lagen ein paar Packen Papier, so unsortiert sortiert, dass man auf den ersten Blick sehen musste, dass jeder Zettel gelesen, eingeschätzt und in die aktuelle Nichtkrisenplanung integriert worden war.

Der SR der BWZ im EKC des SKKM befindet sich im Innenministerium in der Wiener City, anders gesagt liegt der "Situation Room" in der "Bundeswarnzentrale", die seit 2006 Bestandteil des "Einsatz- und Koordinationscenters" ist, um das "Staatliche Krisen- und Katastrophenmanagement" zu bewerkstelligen. Es gibt einen permanenten Journaldienst von fünf Personen, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, einen Stabsraum, ein Lagezentrum und ein Callcenter mit 20 Arbeitsplätzen, an den Wänden hängen zwölf riesige Info-Screens. Fragen Sie mich bitte nicht, was darauf läuft.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober, Bundeskanzler Sebastian Kurz und Umweltministerin Leonore Gewessler am 24. Februar 2020 anlässlich eines Treffens des Einsatzstabs wegen des Coronavirus im Innenministerium in Wien
Gesundheitsminister Rudolf Anschober, Bundeskanzler Sebastian Kurz und Umweltministerin Leonore Gewessler am 24. Februar 2020 anlässlich eines Treffens des Einsatzstabs wegen des Coronavirus im Innenministerium in Wien
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Alles erinnert ein bisschen an den "Situation Room" im Weißen Haus, man kennt die Bilder mit Barack Obama oder Donald Trump. Auch in Washington gibt es rund um die Uhr ein fünfköpfiges "Watch Team", die Amis werden sich das von uns abgeschaut haben. Die US-Präsidenten sitzen freilich am Kopf des Tisches, Kurz an der Längsseite, mittendrin in seiner Truppe, das schweißt das Team zusammen. Wenn Trump das Team zusammenschweißen will, haut er irgendwen raus, meistens den Sicherheitsberater, die wachsen offenbar im Garten des Weißen Hauses so zahlreich nach, man braucht nur rausgehen und einen neuen pflücken, wenn der alte verwelkt ist. Kurz sollte Trump danach fragen, wie das so ist, wenn er nächste Woche hinreist.

Die Abwarter vom Vormittag sind die Umsetzter vom Nachmittag
Österreich im Wandel

Nach dem Fototermin im "Situation Room", gab die Regierung eine Pressekonferenz, der Kanzler, der Innenminister, der Gesundheitsminister, Leonore Gewessler hatte man auf dem Weg offenbar verloren. "Es gibt keinen Grund zur Panik", sagte Kurz, "aber natürlich braucht es einen realistischen Blick auf die Dinge." Den Satz werden wir uns eventuell einrahmen.

Der Nicht-Krisenstab hatte sich für einen Fünfpunkteplan entschieden, es sollte tägliche Berichte aus dem Innen- und dem Gesundheitsressort an Kurz geben, also "ganz nach oben", Donnerstag treffen sich die Landeshauptleute, die wirklich in Österreich "ganz oben" stehen, es werde eine Infokampagne geben, Reisewarnungen für einzelne italienische Gemeinden und die "Warnketten" zu anderen Staaten sollen verbessert werden. Kurz gesagt: Jetzt heizen wir dem Virus richtig ein.

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (r.) und der britische Premierminister Boris Johnson am 25. Februar 2020 im Rahmen eines offiziellen Treffens in London
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (r.) und der britische Premierminister Boris Johnson am 25. Februar 2020 im Rahmen eines offiziellen Treffens in London
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25. Februar 2020 Masken schützen nicht. Sagt der Kanzler
Österreich hat die ersten bestätigten Fälle. Ein Paar wird in Innsbruck positiv getestet, das Hotel, in dem es arbeitet, hermetisch abgeriegelt. Bis auf die Drehtür am Eingang natürlich.

Ich war mit Pamela Rendi-Wagner brunchen. Als wir mitten im Gespräch waren, trat eine Dame an unseren Tisch und erkundigte sich bei der SPÖ-Chefin, was jetzt am besten als Vorbeugung gegen das Virus helfe. Erst da fiel mir auf, dass es im Lokal kein anderes Thema gab. Soll man mit Einweghandschuhen aus dem Haus gehen, Türschnallen nur mehr mit dem Ellenbogen aufmachen, Schutzmasken tragen? Nicht mehr küssen? Die Verwirrung ist groß, die Regierung tut aktuell recht wenig, um für Entwirrung zu sorgen, vielleicht steckt da aber eine ausgeklügelte Taktik dahinter, dass man uns nämlich nicht mit zu vielen Fakten überfordern will.

Die vom Ministerium empfohlene Hotline der "Agentur für Ernährungssicherheit" (AGES), war Dienstag über weite Strecken des Tages unerreichbar, weil überlastet. Erst Montag hatte man die Öffnungszeiten verlängert, weil man schon nach ein paar Wochen draufgekommen war, dass Menschen auch abends und am Wochenende ein Bedürfnis nach Informationen haben, aber dann besser Zeit dafür. Man hätte natürlich auch die – sagen wir einmal – 100 wichtigsten Fragen auf der Webseite der AGES beantworten können, aber auch hier wollte man uns nicht überfordern und das finde ich sehr rücksichtsvoll.

Als gestern die ersten Corona-Fälle in Österreich bekannt wurden, frisierte sich Sebastian Kurz gerade die Haare für Boris Johnson schön – er war auf Arbeitsbesuch beim britischen Premierminister. Rudolf Anschober weilte währenddessen in Rom, Italiens Gesundheitsminister Roberto Speranza hatte Amtskollegen zu einem Krisengipfel geladen, um eine "gemeinsame Strategie gegen die Ausbreitung des Corona-Virus zu erarbeiten", so Anschober. Man wollte in die Umsetzung kommen oder ins Tun, das gibt es also offenbar auch im Ausland. Es soll zu keiner Grenzschließung zu Italien kommen, versprach der grüne Gesundheitsminister seinem italienischen Amtskollegen. "Man kann keinen Glassturz über Österreich errichten", fügte er an, das Wortbild hat es ihm angetan.

Man kann keinen Glassturz über Österreich errichten
Rudolf Anschober

Zwei Tage später nahm die Regierung endlich das Heft bei der Bekämpfung des Coronavirus in die Hand, eigentlich der Kanzler persönlich, wer sonst? Er macht ab sofort alles selber in diesem Land, vielleicht fährt er im Juni zur Euro, spielt Tiki-Taka mit Arnautovic und tritt danach bei den Olympischen Spielen in Japan im Bodenturnen für Österreich an.

Warum ein Kanzler selbst den Krisenchefmanager gibt, erschließt sich mir nicht ganz, eigentlich sollte er ja eine kompetente Person benennen, die über allen und allem steht, bei der alle Fäden zusammenlaufen, die das Gesicht der Krisenbekämpfung wird und zu der die Österreicher vertrauen fassen. Darauf wird es nämlich noch ziemlich ankommen. Eventuell hat Kurz genau so eine Person im Auge gehabt und er fand sich dann selbst am besten geeignet.

Vielleicht deshalb saß er gestern Abend in der ZiB 2, sagte artig "Grüß Gott" zu Lou Lorenz-Dittlbacher und redete dann, als hätte er nicht nur ein Jusstudium fast so gut wie mehr oder weniger abgeschlossen, sondern auch ein Medizin-Doktorat.

Kurz warnte vor "panischen Hamsterkäufen", von klassischen Hamsterkäufen riet er dagegen nicht ab. Man sollte nicht "mit Schutzmasken herumlaufen, die einen gar nicht schützen", sagte er. Und: "Ich werde das auch oft gefragt, mit der Grippe, was ist jetzt schlimmer, die Grippe und ist Corona nicht etwas Ähnliches wie die Grippe? Ich glaube, die wichtigste Antwort ist da nicht entweder oder. Corona gibt es nicht statt der Grippe, sondern es kommt zusätzlich hinzu." Und schon wieder war es da, das Beste aus beiden Welten, diesmal eher die dunkle Seite davon.

Vizekanzler Werner Kogler und Bundeskanzler Sebastian Kurz vor Beginn einer Pressekonferenz
Vizekanzler Werner Kogler und Bundeskanzler Sebastian Kurz vor Beginn einer Pressekonferenz
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2. März 2020 Corona kauft sich die Supermärkte
In Österreich breitet sich im Alltag allmählich Angst aus. Das Klopapier ist in diese Furcht nicht inbegriffen. Noch nicht.

Am Samstag war ich an der Front, einkaufen also in ein paar Geschäften, und ich kann berichten: Es ist noch ausreichend Ware da, sogar Hummerschwänze, Trüffel und Château Pétrus, was man unter der Woche halt so braucht für ein einfaches Leben, eventuell sogar in Quarantäne. In einer Hofer-Filiale waren die Einkaufswagen aus und in einigen Supermärkten fehlte die eine oder andere Dose aus dem Regal, ein paar Nudel- und Reissorten schienen knapp zu sein, aber nach einer unmittelbar bevorstehenden Hungersnot sah das nicht aus. Ob die Österreicher Tierhandlungen stürmten, um tatsächlich Hamster zu hamstern, weiß ich nicht.

Die Leute sind aber vorsichtig geworden. In einem Markt sah ich eine ältere Dame, die eine Serviette über den Holm des Einkaufswagens gebreitet hatte, und als meine Frau und ich ein bisschen herumalberten und dabei das Wort "Medikament" fallen ließen, rückte ein Ehepaar merkbar von uns ab. Das machte nichts, wir wollten sie ohnehin nicht einladen, die zwei sahen nicht so aus, als würden sie den Humor palettenweise ins Haus tragen.

9. März 2020 Plötzlich ist der Kanzler für alle ein Held
Die Regierung wird für ihr Management von vielen Seiten gelobt. Ich höre die Uhr ticken. Aber mir bereitet etwas anderes mehr Sorgen.

Die Zahl der Erkrankten steigt rapide an, besorgniserregend rapide. Aber wer am Wochenende durch Wien ging, spürte vor allem die neue Stimmung, die vielen mehr in die Glieder gefahren schien als es Fieber jemals könnte. Wie eine Smogglocke liegt das über Stadt und Land, die Menschen reden ehrfürchtig über Corona, einige witzeln natürlich auch, weil sie sich so leichter tun mit der Verarbeitung, aber das Leben ist merkbar langsamer geworden, getragener, in sich gekehrter. Jeder weiß: Das ist erst der Beginn.

Ich möchte eigentlich jetzt gar nicht so viel sagen über das Krisenmanagement der Regierung, das ich nicht so überragend finde wie viele. Wir haben die Angewohnheit entwickelt, Politiker in den Himmel zu heben, um sie dann recht schnell wieder von der Wolke zu holen, auf der wir es ihnen kuschelig gemacht haben. Rudolf Anschober, der jetzt der Held für viele ist, weil er sich besonnen und ruhig zeigt, kann in ein paar Tagen oder in ein paar Wochen der Buhmann sein, dem man allerlei an den Kopf wirft, wofür man ihn derzeit hochleben lässt. Aus Besonnenheit wird dann Untätigkeit, aus Ruhe Lethargie, aus Umsicht ein fehlender, klarer Weitblick. Schon oft erlebt, nicht nur die Grippe kehrt jedes Jahr wieder.

Warum gibt es keinen zentralen Krisenmanager, keine Krisenmanagerin?
Frühe Frage zu einem späteren Problem

Ein paar Gedanken aber trotzdem dazu, wie wir mit der Krise derzeit umgehen. Ja, ich halte es nach wie vor für falsch, dass es keinen zentralen Krisenmanager oder eine Krisenmanagerin gibt, ich finde, das ist kein Job, den ein Kanzler, ein Minister zu erledigen haben und das dann auch noch nebenbei. Dafür braucht man eine Person, die nicht im politischen Tagesgeschäft steht, die nicht Teil der Hickhack-Gesellschaft ist, sondern jemanden, der krisenerprobt ist, Kompetenz im Gesundheitsbereich besitzt, breite Anerkennung genießt, vor allem aber eine Person, die nichts anderes tut als Krise. Man muss der Corona-Bekämpfung ein Gesicht geben.

Nebenbei bemerkt, halte ich die Krise für ein gesamtösterreichisches Problem, nicht allein für eine Zuständigkeit der amtierenden Regierung. In solchen Situationen wäre ein nationaler Schulterschluss schön, die Einbindung aller konstruktiven Kräfte, also auch der Opposition, die an den Tisch gehört. Man wird auch ihre Kraft und Unterstützung nötig haben in den nächsten Wochen, es ist jetzt nicht die Zeit der Macho-Gesten und des Ego-Shootings. Dem Virus ist es ziemlich egal, wie wir zuletzt gewählt haben, es nimmt, was es kriegen kann.

Wir werden uns in den nächsten Wochen auf einiges einstellen müssen. Das öffentliche Leben wird weitgehend zum Erliegen kommen. Aber das Virus wird sich noch mehr von unserem Leben abgreifen, es werden nicht mehr nur Nadelstiche sein. Wie ein ganzes Nadelkissen wird das auf uns zufliegen. Achten Sie auf sich, das Leben ist nicht immer wunderbar!

Kult dank Corona: Das Schneekugel-Museum zeigt nun eine Kugel mit Klopapier, der Schneemann trägt Maske
Kult dank Corona: Das Schneekugel-Museum zeigt nun eine Kugel mit Klopapier, der Schneemann trägt Maske
Helmut Graf

10. März 2020 Händewaschen ist die neue Religion
Österreich macht dicht. Und Klopapier wird knapp. Auch sonst sind die Zeiten eher sch…on einmal besser gewesen.

Unser Land friert nun ein, zu einem Zeitpunkt, an dem es der Frühling ausfrieren will. Alle Freiluftveranstaltungen über 500 Besucher und sämtliche Hallenevents über 100 Teilnehmer werden verboten. Staatsoper, alle Theater, Konzertbühnen, mutmaßlich alle Museen sperren für Wochen zu. Die Wiener Stadthalle sagt alle Shows ab, die Bundesliga spielt nicht, die Eishockeysaison geht ohne Meister zu Ende. Unis machen zu, in Kinos muss jeder zweite Sessel frei bleiben.

Es ist erst der Anfang. In einer Woche werden wir Italien sein, alle Schulen werden schließen, auch die Kindergärten, vielleicht auch die Restaurants und Gasthäuser und dann kann es Ausgangssperren geben. "Die Ansteckungsgefahr ist 10- bis 30-mal höher als bei der normalen Grippe", sagt der Kanzler. Dann wird das Pult mit Desinfektionslösung besprüht, der Bildungsminister beginnt seine Pressekonferenz und überbringt neue schlechte Nachrichten.

Alles im Leben ändert sich jetzt. Im Supermarkt, in dem ich am Montag war, gab es noch fast alles, aber eben nur mehr fast, keinen Reis mehr und keine Nudeln, auch keine Dosen mit Thunfisch. Also schon Thunfisch, aber nur den mit Erbsen, so schlimm ist die Krise nun auch wieder nicht. Bekannte hatten Besuch aus Deutschland, früher hätten sie eine Sachertorte als Mitbringsel gekauft, jetzt standen sie mit großen Augen vor den Klopapier-Regalen und bedauerten, im Gepäck keinen Platz für mehr als ein paar Rollen zu haben. In manchen Gegenden in Deutschland ist Toilettenpapier tatsächlich ausverkauft. Besch...eidene Zeiten.

Happy Birthday hilft jetzt beim Händewaschen
Seltsame Zeiten

Klopapier ist das neue Gold, nie hätte ich gedacht, dass ich einmal einen solchen Satz schreiben werde, es ist weltweit vergriffen. In Australien prügelten sich Kunden eines Supermarktes um die letzten Lagen. Die Tageszeitung "The NT News" druckte eine eigene Beilage, in der Heftmitte, zwischen den Sporttabellen, konnte man acht Seiten heraustrennen und sie als Klopapier verwenden. Ich will das jetzt nicht weiter vertiefen, nicht allein deshalb, weil vertiefen in diesem Zusammenhang ein vielleicht unglückliches Wort ist. Der Chefredakteur der Zeitung gab dem australischen "Guardian" ein Interview und fasste das Angebot seines Mediums so zusammen: "Es war definitiv keine beschissene Ausgabe." Zumindest anfangs wohl nicht, möchte ich anfügen.

Man lernt jetzt täglich dazu. Händewaschen soll das wirksamste Mittel gegen die Ausbreitung der Infektion sein. Höre ich. Lese ich. Mindestens 20 bis 25 Sekunden lang sollte es dauern, aber wie misst man das, eine Stoppuhr hat ja im Bad niemand dabei? Sohn Nr. 2 hat das Problem gelöst, er singt "Happy Birthday" zwei Mal komplett durch. "Happy Birthday to You, Happy Birthday to You, Happy Birthday, lieber Christian, Happy Birthday to You." Ich habe es getestet und tatsächlich 22,35 Sekunden gebraucht.

Also stand ich vor dem Spiegel und gratulierte mir selbst zum Geburtstag. Zwei Mal. Ohne, dass ich überhaupt Geburtstag hatte. Auch gestern nicht und auch nicht morgen. Aber vielleicht ist das so eine Art Geheimwaffe. Wenn mich das Virus singen hört, flüchtet es recht flott zu einem anderen Wirt.

In den nächsten Wochen werden wir mehr streamen, mehr fernsehen, mehr lesen. Wir werden mehr bestellen als vor Ort einkaufen. Wir werden für längere Zeit auf engerem Raum zusammenleben, das wird für manche Beziehung eine Prüfung sein. Vielleicht stellen wir fest, dass wir den auf der Couch neben uns gar nicht so gut kennen, wie wir geglaubt haben. Möge ihnen diese Prüfung wunderbar gelingen.

Corona ist soll da: Im Rahmen einer Pressekonferenz gibt die Regierung am 10. März 2020 einschneidende Maßnahmen bekannt
Corona ist soll da: Im Rahmen einer Pressekonferenz gibt die Regierung am 10. März 2020 einschneidende Maßnahmen bekannt
Helmut Graf

11. März 2020 Österreich taumelt in den ersten Lockdown
Die WHO erklärt Covid-19 zur Pandemie. Österreich fährt das öffentliche Leben herunter. Für den 16. März ist der erste Lockdown angekündigt. Beklemmende Klemme macht sich breit.

Der kleine Eisbär wird sich fragen, ob er irgendetwas angestellt hat. Zuerst strömen Tausende Leute zu ihm und glotzen durch die Glasscheiben und klopfen und winken und schneiden Grimassen, eine Ministerin taucht auf und der Wiener Bürgermeister wird sogar Taufpate, seltsamerweise sind immer Fotografen vor Ort. Aber plötzlich ist keine Sau mehr da, außer die, die da wohnen. Schönbrunn machte gestern dicht, das Schloss, aber auch der Tiergarten. Finja kann sich jetzt in den Dreck hauen, sich Karotten ins Maul stecken, auf einem Salatblatt ausrutschen, keinen juckt's. Auch ein Tiergarten ist nicht immer ein Ponyhof.

Nicht nur auf den Ponyhöfen, auch auf den Pausenhöfen wird jetzt Stille herrschen. Die Regierung schließt die Schulen, fast zwei Wochen früher als noch vor wenigen Tagen geplant. Für 410.000 Kinder der Oberstufe beginnen schon mit kommendem Montag die Osterferien, sie werden fast einen Monat lang dauern. Mindestens! Die Unterstufenklassen und die Volksschulen folgen am Mittwoch, 690.000 Kinder sind betroffen. Sie können weiter in die Schule gehen, aber es gibt keinen Unterricht, nur Betreuung, wer weiß wie lange.

Es war ein harter Krisengipfel für die Regierung, die Pressekonferenz danach musste verschoben werden. Acht Personen traten danach vor die Medien, sieben davon Männer, es gab sogar zu wenige Stehpulte. "Alle Kinder, die zu Hause betreut werden können, sollen auch zu Hause bleiben", sagte der Kanzler, und das ist kein Wunsch ans Christkind, sondern es steht eine Maßzahl da. "Sollten mehr als ein Viertel Kinder in die Schule kommen, müssen härtere Maßnahmen ergriffen werden." Heißt: Alle Schulen zu. Es gibt dann gar keine Betreuung mehr.

Es ist ein Teufelskreis, der hier entsteht. Eine Million Buben und Mädchen aus den Schulen, dazu 300.000 aus den Kindergärten sollen daheim behalten werden, möglichst viele halt. Aber wie soll das gehen? Wer passt auf die Kinder auf? Die Arbeitgeber müssen ihre Angestellten nämlich nicht freistellen. Am Papier gibt es kein Betreuungsproblem, die Schulen und die Kindergärten halten ja offen. Gleichzeitig will der Kanzler, dass möglichst viele Kinder zuhause bleiben. Schon, aber bei wem?

Die Lösung ist sonst einfach, es gibt ja Omi und Opi, nicht überall, aber häufig. Die springen ein. Aber: Omi und Opi gehören zur Hochrisikogruppe von Covid-19, sie sollten überhaupt keinen Kontakt zu den Kleinen haben, die in der Regel zwar mit geringeren Symptomen erkranken, aber gute "Anstecker" sind. Ich fasse zusammen: In die Schule sollen die Kinder nicht, zu Omi und Opi dürfen sie nicht, zu den Eltern können sie nicht.

Die Unis machen wegen Corona zu: Pressekonferenz von Bildungsminister Heinz Faßmann am 10. März 2020
Die Unis machen wegen Corona zu: Pressekonferenz von Bildungsminister Heinz Faßmann am 10. März 2020
Helmut Graf

Home-Office ist eine pfiffige Idee, aber wohl erdacht von Menschen, die einen Gutteil ihres Lebens an Schreibtischen verbracht haben. Soll die Müllfahrerin Home-Office machen? Der Supermarktverkäufer? Die Buslenkerin? Der Mechaniker? Die Bauarbeiterin? Der Friseur?

Das Einfrieren des öffentlichen Lebens bringt auch mit sich, dass Tausende Menschen in ihrer Existenz gefährdet werden. Die verlieren nicht nur ein bisschen Geschäft, sondern alles. Es gibt in Österreich 337.000 Klein-und Mittelbetriebe, unzählige Einzelunternehmer, Familienbetriebe, denen nun das komplette Geschäft wegbricht.

Auch die Menschen, die in der Großstadt leben und wenige Sozialkontakte haben, sagen wir es direkt, die allein sind, werden uns nötig haben. Wie kommen sie an Lebensmittel? Medikamente? Dinge des persönlichen Bedarfes? Wer bringt den Hund raus? Wir sollten uns nichts vormachen, das sind meist alte Menschen, die googeln sich ihr Leben nicht zusammen, die schauen nicht bei Influencern auf Instagram nach, wie die sich jetzt so den Alltag checken. Die brauchen Ansprechpartner. Kümmerer. Eine Telefonnummer.

Die U-Bahnen sind leer, die Flugzeuge ebenso, in den Stephansdom dürfen keine Touristen mehr, sondern nur mehr Gläubige zum Beten, die Zentralmatura wird verschoben, eventuell in den Sommer hinein. Aber es ist noch nicht alles verloren, Gottseidank haben wir ja Dr. Strache, früher FPÖ-Chef, jetzt Allgemeinplatzmediziner.

Auf Twitter gab Dr. Strache Corona-Ratschläge und ich frage mich jetzt, warum wir glauben, dass die Virusbekämpfung so eine Raketenwissenschaft sein soll, es ist doch alles ganz einfach. Dr. Strache verrät uns zum Beispiel wie wir feststellen können, ob wir erkrankt sind. "Experten aus Taiwan bieten eine einfache Selbstkontrolle an, die wir jeden Morgen durchführen können", schreibt Dr. Strache und führt dann weiter aus: "Atmen Sie tief ein und halten Sie den Atem für mehr als zehn Sekunden an. Wenn Sie die Untersuchung ohne Husten, ohne Beschwerden, ohne Prallheit oder Engegefühl usw. erfolgreich durchführen, beweist dies, dass keine Fibrose in den Lungen vorliegt, was im Grunde genommen auf keine Infektion hinweist."

Im Grunde genommen hätte es die Pandemie dabei bewenden lassen können. Aber es kam anders, das erfuhren wir bald. Mehr dazu in Kapitel 2

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