Tagebuch einer Pandemie
Corona-Kopfnüsse, Kapitel 2: Österreich sperrt zu
Lesen Sie im zweiten Teil der Corona-Tagebücher, wie das Leben in Österreich im ersten Lockdown einfror.
Kapitel 2: Österreich sperrt zu
16. März 2020 Der erste Lockdown ist da
Fast alles schließt, wir dürfen nur mehr mit guten Gründen raus. Im Nationalrat stimmen alle Parteien für den Lockdown, auch die FPÖ. Herbert Kickl kritisiert sogar, die Maßnahmen kämen zu spät …
Putzig, oder? Wir überlegen gerade, wie wir am besten zum Mars kommen und testen selbstfahrende Autos. Gleichzeitig lernen wir erst jetzt, wie man sich richtig die Hände wäscht. Es reicht übrigens nicht, sich halb so lange die Hände zu waschen, wenn man doppelt so viel Seife nimmt. Auch das habe ich schon gehört dieser Tage.
Wenn wir jetzt nach oben schauen, sehen wir keine Kondensstreifen, sondern nur blauen Himmel. Die Flugzeuge fehlen. Bei jedem Anruf zuckt man zusammen. Hat es einen aus der Familie getroffen? Einen aus der Bekanntschaft? Einen aus der Firma und alle müssen in Quarantäne? Das Smartphone als Unglücksbote, diesen Ruf wird es auch nicht mehr so schnell los.
Wir wissen nicht, wie viele Opfer die Krankheit fordern wird, aber eines traue ich mich jetzt schon zu prophezeien: Die Dummheit wird überleben. Als die Ausgangsverbote verkündet wurden, dachten sich viele: Geil, endlich ein perfekter Tag zum Skifahren. Alle, die sich den Haxn gebrochen haben, nehmen jetzt den Corona-Kranken die Spitalsbetten weg. Danke, sehr rücksichtsvoll. Als klar war, dass die Geschäfte für ein paar Tage oder Wochen zusperren müssen, liefen die Telefone bei den Friseuren heiß: Die Locken dem eigenen Geschick überlassen zu müssen, scheint für viele eine ziemliche Packung sein.
Erstaunlich, oder? Politiker, die respektvoll miteinander umgehen, nicht nur hinter der Kamera, und die im Parlament mitbeschließen, was sinnvoll ist und schnell gehen muss. Einstimmig. Wir sollten uns nicht daran gewöhnen, es wird bald wieder anders sein, und das hat sicher grundsätzlich auch seine Richtigkeit. Aber für einen Augenblick tat es gut.
17. März 2020 Klopapier gilt als neue Währung
Wir verbringen unsere Tage jetzt daheim, singen am Balkon, die ersten, zarten Versuche mit Home-Office starten. Und es gibt wieder Klopapier.
Man kann es kurzfassen, es ist eine fordernde Zeit, ja nennen wir sie fordernd, man könnte auch sagen es ist eine beschissene Zeit, aber wir wollen uns jetzt nicht gehen lassen. Nicht sofort jedenfalls.
Aber es gibt auch gutes Zeug, Lichtblicke in der Düsternis. Zum Beispiel ist wieder Klopapier da. Also genauer gesagt, es war Klopapier da, in einem Supermarkt in Niederösterreich nämlich, jetzt ist es natürlich wieder weg. Sich das Video anzusehen, wie die Warenlieferung Häuslpapier bei dem Diskonter ausgerollt wird, ist kein Griff ins Klo, wirklich nicht. Es handelt sich um Floralys soft, dreilagig, zehn Rollen befinden sich in der Packung, jede Rolle enthält 200 Stück Abrisspapier, man kommt schon eine Zeitlang aus damit.
Leider weiß man derzeit nicht, wie lange eine Zeitlang genau ist, deshalb ist Vorratshaltung ratsam. Bei der Aneignung von Klopapier handelt es sich im strengeren Sinn auch nicht um einen Hamsterkauf, denn üblicherweise hamstert man Lebensmittel, man kann also ein reines Gewissen haben, wenn man sich den Einkaufswagen mit Klopapier zuscheißt. 2,99 Euro kostet die Packung, bei Amazon ist das Produkt derzeit ausverkauft, vergriffen könnte man sagen, wenn das nicht ein bisschen ungustiös wäre. Highlight der Packung ist die Blitzöffnung rechts oben oder links unten, wenn man sie verkehrt hält. Eine Blitzöffnung kann bei Klopapier Leben retten. Auch so eine Sache, über die niemand gern redet.
Im Video aus dem Supermarkt in Niederösterreich fährt die Verkäuferin die zwei Paletten Floralys soft, dreilagig, um 2,99 Euro mit einem Hubstapler aus dem Lager ins Geschäft und preist ihre Ware so lautstark an wie die Fetzentandler früher ihre Lederjacken am Markt in Tarvis. "So da, Klopapier, Klopapier, kommt, bitte schön", brüllt sie, "Klopapier für alle da", was nicht ganz stimmt, denn bald ist das Klopapier nicht mehr für alle da.
Von allen Seiten strömen Interessenten herbei und greifen nach den Packungen Floralys soft, dreilagig, um 2,99 Euro, aber offenbar zu zögerlich, denn die Verkäuferin ist zwar nun nicht mehr zu sehen, aber recht gut zu hören. Sie steht hinter den Paletten und schreit "abräumen, abräumen, damit wir weitermachen können. Geht schon".
Womit sie weitermachen will, erklärt sie nicht, vielleicht aber hat sie weitere, heiße Ware im Lager, es pressiert ihr jedenfalls, denn sie klatscht nun in die Hände. Sie hat mittlerweile einen der Hubwagen bestiegen, schwenkt eine Packung Floralys soft, dreilagig, um 2,99 Euro hin und her und ruft dazu weiter klatschend "Klopapier, Klopapier, abräumen". Dann ist das Video leider aus, vielleicht ist es nur ein Teaser auf eine neue Netflix-Serie, "Häusl of Cards" könnte sie heißen, der Titelsong eventuell "Wish you were here".
Wir müssen einfach wieder optimistischer werden, es nützt ja nichts. Wir müssen sagen, die Klopapierrolle ist nicht halbleer, sondern halbvoll. Natürlich, die Krise wird Wochen dauern, vielleicht sogar Monate, die Briten glauben überhaupt, dass Corona erst 2021 beherrschbar sein wird, aber hey, es sind schon zwei Tage vorüber. Zwei volle Tage Hausarrest haben wir schon überstanden, alles beileibe kein Heimspül.
Vermutlich haben sie die Wohnung aufgeräumt, mehrmals wahrscheinlich, und nicht nur ein bisschen, sondern wirklich. Vielleicht haben sie dabei ein paar Sachen gefunden, die ihnen schon eine Zeitlang abgegangen sind, ein Essiggurkerl, das vor ein paar Monaten vom Tisch flutschte, oder ein Stück Zehennagel, das beim Schneiden fröhlich wegsprang, eventuell haben sie auch ein Kind vermisst, also nicht wirklich vermisst, es war halt einfach nicht da. Sie kommen jetzt dazu, den ganzen Plunder, den sie die letzten Jahre gekauft haben, auch anzuschauen und sich über sich selbst zu wundern. Oder sie haben einfach nur ferngeschaut und sich die Augen gerieben, was es untertags alles so spielt.
19. März 2020 Parksheriff Köstinger sperrt Bundesgärten zu
Erst durften wir nicht mehr raus, jetzt dürfen wir nicht mehr rein. Elisabeth Köstinger schließt alle Bundesgärten, über die Gründe für die geschlossenen Gründe wird allerorten gerätselt.
Österreich ist ja genau genommen kein Land, sondern eine Choreographie, man sieht das aktuell sehr gut am Umgang mit unseren Parks. Die sind wegen der Corona-Krise eigentlich zu, aber wiederum genau wegen der Corona-Krise eigentlich offen, was nur auf den ersten Blick ein Widerspruch ist. In Österreich ist nämlich ein Park nicht einfach ein Park mit Wiesen, Pflanzen und ein bisschen Trallala dazu, sondern Parks sind ein Teil der Amtsschimmel-Choreographie, und ich muss jetzt vermutlich nicht viel mehr dazusagen: Spätestens ab da wird es kompliziert.
Also: Am Montag sperrten die sieben Bundesgärten zu, in Wien Augarten, Burggarten, Volksgarten, Belvedere, Schönbrunn und zwei weitere Anlagen in Innsbruck. Das fiel kaum jemandem auf, weil man ja derzeit nur portionsweise raus darf. Die Bundesgärten nannten ihre Sperre nicht einfach Sperre, sondern "präventive Sperre", für Ausländer "preventive closure", das sollte das Ganze wohl erhabener wirken lassen. Um auf die "preventive closure" aufmerksam zu machen, befestigten sie einen Hinweis, man könnte auch sagen einen Kaszettel, am Eingangstor etwa des Volksgartens. Platz war ja genug, denn die wuchtige Tür war zu.
Oben auf dem Kaszettel stand das Logo der Bundesgärten, weiter unten fand sich die Begrüßung "Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher", was nicht ganz stimmte, denn eigentlich hätte da stehen müssen, "Sehr geehrte Nicht-Besucherinnen und Nicht-Besucher". Mit ein bisschen mehr Lust auf Schabernack hätten die Kaszettel-Autoren anfügen können: "Jetzt werden Sie gleich ziemlich große Augen machen." Tatsächlich aber war zu lesen: "Als Präventivmaßnahme zur Eindämmung von Infektionen durch das Coronavirus (Covid-19) wurde der Park durch das Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus auf Grundlage des Erlasses des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz für Besucherinnen und Besucher bis auf Weiteres geschlossen." Kürzer hätte man es so ausdrücken können: "Corona is, schleicht's eich.“
Ich weiß nicht, ob die geschraubte Formulierung für Unbehagen sorgte, oder ob jemand mit der Gesamtsituation unzufrieden war, jedenfalls findet sich auf dem Kaszettel eine handschriftliche Ergänzung, genau genommen nur ein Wort: "Trottel". Wer damit gemeint ist, muss offenbleiben, vielleicht handelt es sich auch um eine Metapher.
Es kann zu Reibungsverlusten führen, wenn zwei Ministerien an etwas so Komplexem wie der Schließung eines Parks beteiligt sind, und so war es auch hier. Das "Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus" hatte auf dem Kaszettel darauf hingewiesen, die Entscheidung auf "Grundlage des Erlasses des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz" getroffen zu haben. Blöderweise hatte dem "Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz" niemand gesagt, dass es einen diesbezüglichen Erlass gibt, geschweige denn, dass er ihn höchstselbst erlassen haben soll.
Als Rudolf Anschober gemeinsam mit Innenminister Karl Nehammer am Donnerstag eine Pressekonferenz gab, nahm das Unheil seinen Lauf. Nehammer streute zunächst zwei Begriffe in die Parklandschaft aus, die nicht nur in Beamtenherzen die Sonne aufgehen lassen, sie lauten "Einmetersicherheitsabstand" und "Einmetergrundabstand". Diesen "Einmetersicherheitsabstand" oder "Einmetergrundabstand" gelte es unbedingt einzuhalten, sonst "wird die Polizei einschreiten, informieren und bei Nichtbefolgen handeln".
In Parks, die dem Bund gehören, muss die Polizei nicht "einschreiten, informieren und bei Nichtbefolgen handeln", denn die sind ja geschlossen. Oder eben nicht. Der "Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz" sagte in der Pressekonferenz nämlich, er werde "keinen zentralen Erlass für Schließungen machen", obwohl aufgrund seines Erlasses, den es nicht gibt, bereits drei Tage davor alle Parks des Bundes geschlossen worden waren. Die Spielplätze würden "vorerst nicht geschlossen", sagte Anschober, was das Ganze nicht einfacher machte, denn der Spielplatz im Wiener Volksgarten ist nur erreichbar, wenn man den Park, also den geschlossenen Park, durchquert, Erlass hin oder her.
"Einzelne Gemeinden können freilich strengere Regeln erlassen", fügte Anschober an und das war ein gefährlicher Satz, denn da grätschte Wien hinein und machte es tasächlich genau andersrum. Aus der Amtsschimmel-Choreographie wurde flugs eine Föderalismus-Choreographie. Denn Wien erklärte, alle Parks offen zu lassen, allerdings die Spielplätze zu sperren. Wir haben also sieben Bundesgärten, die geschlossen sind, mit Spielplätzen drin, die offen sind. Wir haben andererseits 1.000 Parkanlagen der Stadt Wien, die offen sind, manche haben Spielplätze drin, die allerdings geschlossen sind.
24. März 2020 Die Geburt des "virologischen Quartetts"
Die Regierungs-Pressekonferenzen erhalten einen Namen. Und Österreich hat noch ein anderes zusätzliches Hobby.
Brotbackautomaten boomen. Ernsthaft, Brotbackautomaten. Verkaufsplus 407 Prozent. Wir sind schon eine seltsame Partie, wir Österreicher. Etwas teigig, aber vor allem seltsam.
Wer jemals einen Brotbackautomaten gesehen hat, der weiß, dass man da viel Gerät für recht wenig Nutzen bekommt. Brotbackautomaten sind im Grunde schlichte Charaktere, sie können meist nur eines, nämlich Brot backen. Aber vielleicht tue ich ihnen da Unrecht, schließlich kann das Coronavirus auch nicht viel mehr als krank machen und bekommt derzeit trotzdem laufend Titelseiten.
Brotbackautomaten schauen aus wie Mikrowellengeräte, die man auf die Schnauze stellt oder aufs Kreuz legt, das muss sein, denn sie werden von oben befüllt. Einige haben ein Sichtfenster und man kann dem Teig beim Geknetetwerden und später dem Brot beim Backen zuschauen, lachen Sie nicht, aber viel abwechslungsreicher ist unser Leben derzeit nicht.
Am Boden des Brotbackautomaten ist ein Knethaken, damit uns nicht die Arme abfallen, was sie würden, wenn wir den Teig per Hand bearbeiten müssten. Die meisten Brotbackautomaten haben ein Display, das einen auf dem Laufenden hält, wie es dem Teig so geht. Man kann natürlich auch den Deckel aufmachen und ins Gerät schauen, aber das hat der Teig nicht Germ. Da kommt also die Hefe ins Spiel, die derzeit so massenweise gekauft wird und die darüber entscheidet, ob aus dem Brotbackautomaten etwas rauskommt, was aussieht wie ein Brot oder eher wie ein Kuhfladen. Haben wir das auch geklärt.
Ich höre das jetzt aus einigen Familien. Früher, als alle noch beruflich unter Stress standen, da wünschte man sich mehr gemeinsame Zeit, richtig viel mehr gemeinsame Zeit, Quality Time nannte sich das. Weil sowieso keiner wusste, was er schenken sollte, luden sich vor Weihnachten alle aus dem Internet niedliche Gutscheine herunter und verschenkten gemeinsame Quality Time. Zum Glück für beide Seiten erinnerte sich wenige Tage danach keiner mehr daran und die Gutscheine vergilbten einsam an Pinnwänden, ihre Quality Time war recht schnell vorüber.
Beim Friseur stieß ich in der Vergangenheit beim Durchblättern der Frauenmagazine immer wieder auf Geschichten über erfolgreiche ManagerInnen, die Haus und Hof wunderbar unter einen Hut bringen, 23 Stunden am Tag im Job sind, dann aber in die eine Stunde mit ihren Kindern derartig viel Qualität hineinpacken, dass die Buben und Mädchen allesamt rote Wangen bekommen vor lauter Glück. Die Nannys spielten in diesen Familienaufstellungen gar nicht so eine große Rolle, wie man vielleicht denken mag, jedenfalls in den Reportagen nicht.
Dank Corona haben jetzt alle unglaublich viel Quality Time und es ist auch wieder nicht recht. Viele stellen nämlich recht rasch fest: Die Kinder mögen vielleicht ganz hübsch sein, aber sie sind auch rechte Nervensägen, der Ehemann ist die größte von allen, aber bei genauerer Betrachtung, und dafür ist ja jetzt leider genug Zeit da, nicht einmal hübsch, vor allem nicht im Jogger vorm Fernseher. Jetzt, wo er jede Gelegenheit der Welt hätte, ein Buch zu lesen, was angeblich immer sein Traum war, liest er bloß Handy-Nachrichten, wenn zwischen den fünf warmen Mahlzeiten am Tag einmal Quality Time dafür ist.
Als Sebastian Kurz noch nicht der Krisen-Kanzler war, da wünschte ihm ein erweiterter Personenkreis viel Quality Time außerhalb der Politik, jetzt kann derselbe erweitere Personenkreis offenbar nicht genug von Krisen-Kanzler kriegen, am liebsten würden sie ihn mit Haut und Gelhaaren fressen. Das wollte der erweiterte Personenkreis zwar vorher auch schon, aber damals war das noch nicht so von Liebe getragen wie jetzt. Ich glaube, ich habe das schon einmal erwähnt: Beziehungen sind mitunter sehr komplex und ich füge an –wankelmütig obendrein.
Jedenfalls war der Kanzler jetzt ein paar Tage nicht da. Also er war schon da, aber nicht im Fernsehen und in der "Kronen Zeitung", was gleichbedeutend damit ist, dass er nicht da war. Am ersten Tag fiel das nicht so richtig auf, denn die Medien lebten von dem, was Kurz die Tage davor gesagt hatte. Ab dem zweiten Tag wurde das Material aber dünn. Wo ist der Kanzler? Ist er Corona-krank? Liegt er daheim schweißgebadet im Bett, die Haare stehen in alle Richtungen und seine Lebenspartnerin versucht, ihn mit Nudelsuppe aufzupäppeln? Die Sonntagszeitungen ließ er interviewlos verstreichen, man muss lange zurückblättern, um das erlebt zu haben.
Am Dienstag aber tauchte der Kanzler wieder auf. Er sah nicht grob anders aus als sonst, die Nudelsuppe hatte ihm gutgetan. Gemeinsam mit Vizekanzler Werner Kogler, Gesundheitsminister Rudi Anschober und Innenminister Karl Nehammer gab er eine Mischung aus Pressekonferenz und Neujahrsansprache, denn Kurz begann seine Ausführungen mit "Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Österreicherinnen und Österreicher". Er trug dieselbe hellblaue Krawatte zum selben dunkelblauen Anzug zum selben weißen Hemd wie vor seiner gemutmaßten Quality Time im Bett, die Hände hielt er häufig wie zum Gebet geschlossen, vielleicht um dem Herrn näher zu sein oder der Herr ihm.
Unser "virologisches Quartett", also Kurz, Kogler, Anschober, Nehammer, kündigte gestern vor allem an, dass jetzt getestet wird, was das Zeug hält. Aus profunder Quelle erfuhr ich, dass sich die Regierung, also mehr oder weniger das "virologische Quartett", auf den massenhaften Ankauf von Corona-Schnelltests verständigt hat. 1,5 Millionen Stück hat man einmal in Shanghai reservieren lassen, auch in Wuhan, das nicht mehr so viele benötigt, liegen noch Kits herum. Ende April, Anfang Mai könnten die Testungen dann starten, alle Österreicher, also wirklich alle, sollen drankommen. Es gilt, mit einem ersten Test festzustellen, ob jemand eventuell erkrankt ist, mit einem zweiten, ob die Person nicht mehr ansteckend sein könnte. Den zweiten Test, er reagiert auf Körpersekrete, kann man sogar daheim machen. Körpersekrete bitte googlen, ehe die Fantasie hier Rösselsprünge macht.
27. März 2020 Warum Häuslpapier nun salonfähig ist
Der Kanzler am Aufstieg zum Messias und eine erste Warnung vor dem allzu Allmächtigen.
Unser Leben ist derzeit scheiße. Das muss einfach einmal so gesagt werden. Zugegeben, das klingt derb und ich möchte mich umgehend für die vulgäre Ausdrucksweise entschuldigen, aber scheiße kommt in dieser Kolumne heute ein paarmal vor. Leider! Ich mache das aber nicht aus Jux und Tollerei, sondern die ganze Scheiße ist wissenschaftlich fundiert. Die Wiener Psychoanalytikerin Oleksandra Kurbala hat sich nämlich eines der größten Rätsel unserer Zeit angenommen – der neuen Sucht nach Toilettenpapier. Die Geschichte heißt "Der Klopapier-Wahnsinn aus der Sicht der Psychoanalyse". Und, ja, der Titel ist scheiße direkt.
Die Fachfrau nähert sich der Problematik zunächst von der Kehrseite her, von arschlings, wie man früher am Land gesagt hat. "In Zeiten der Krise", schreibt sie, "gibt es die berühmte Phrase, den eigenen Arsch retten". Wir würden zu Panikkäufen neigen, etwa von Nudeln, Dosennahrung und Mehl, alles billig und lange haltbar, das würde uns "schuldfrei ein hohes Ausmaß an subjektiver Sicherheit" erreichen lassen. Der Sprache komme eine Schlüsselrolle zu. "Die Angst an sich wird in mehreren Sprachen damit umschrieben, sich anzuscheißen", sagt Oleksandra Kurbala. "Dieses Missgeschick (scheinbar) ungeschehen zu machen, benötigt Klopapier." Ich denke, ich habe Ihnen nicht zu viel versprochen.
Es folgt ein bisschen Freud, kindliche Analphase und so, in Epochen der Krise würden wir jedenfalls zurückkehren in unsere Zeit als Putzerln, in jene Phase in der man, so die Autorin, "mit seinem eigenen Kot interagiert". Dieses "Interagieren" schaue so aus: "Viele Menschen haben in diesen Tagen Angst – Angst macht uns magenkrank und die Konsequenz ist oft ein Kontrollverlust über die Körperausscheidungen". Und in so eine Familie will Corona wirklich einheiraten?
Jetzt kommt jedenfalls das Häuslpapier ins Spiel, streng wissenschaftlich natürlich. "Üblicherweise brauchen wir Klopapier, um uns selbst zu säubern", schreibt Kurbala. "Der Säuberung des Arsch eine besondere Bedeutung zuzumessen, kann in Zeiten des vermeintlichen Chaos ein Versuch sein, unerwünschte Gedanken und Teile der Psyche auf die nun aus dem Körper entfernte Scheiße zu projizieren und sich so nachgespielt vor ihr zu schützen." Wenn ich mich morgen also beim Hofer oder beim Billa um die letzte Packung Cosy raufe, werde ich mein Gegenüber fragen, ob ihm daheim das Klopapier ausgegangen ist oder ob er unerwünschte Gedanken auf seine entfernte Scheiße projiziert hat und sich vor ihr schützen will. Ich denke, das erhöht meine Chancen, noch ein paar Rollen zu ergattern.
Am Freitag gab die Regierung gleich vier Pressekonferenzen. Die Auftritte von Kanzler und Vizekanzler mit wechselnder Begleitung haben sich mittlerweile als Daily Soap in unseren Alltag so integriert wie "Sturm der Liebe" oder "Gute Zeiten, schlechte Zeiten". Weil es im Fernsehen keinen Sport mehr gibt und keine Shows mit Publikum, warten wir täglich darauf, dass uns die Politik unterhält, und man muss neidlos anerkennen, Türkis-Grün macht das meist gut, in jedem Fall häufig.
Das wohl nicht zufällig. Das aktuelle Politikerranking, das "Unique Research" für "Heute" erstellt hat, zeigt: In Sachen Popularitätswerte kommt Sebastian Kurz einem Messias tatsächlich schon verblüffend nahe. 77 Prozent (!) ist der Kanzler in den letzten 14 Tagen positiv aufgefallen, nur zehn Prozent negativ. "Einen Saldo von plus 67 Prozent hatte noch kein Kanzler, seit wir das Barometer durchführen", sagt Meinungsforscher Peter Hajek. Der Pandemie-Oscar 2020, die goldene Klopapierrolle, scheint Kurz sicher.
Im Windschatten von Kurz setzt die gesamte Regierung zu einem Höhenflug an. Gesundheitsminister Rudolf Anschober fiel 59 Prozent positiv und nur sieben Prozent (!) negativ auf. Er ist der derzeit beliebteste Grüne, knapp vor Parteichef Werner Kogler, auch er mit sensationellen Werten, ebenso Innenminister Karl Nehammer. Die Regierung besetzt die vordersten neun Plätzen, erst danach kommt mit Pamela Rendi-Wagner die erste Oppositionspolitikerin.
Die Regierung dominiert das politische Tagesgeschehen wie lange keine mehr vor ihr. Die Opposition spielt keinerlei Rolle, tritt medial kaum bis gar nicht in Erscheinung, was auch ein Versäumnis von uns Medien ist, nebenbei bemerkt. Für die kommenden Monate birgt das viele Gefahren: Wenn jemand in solchen Popularitätshöhen fliegt wie der Kanzler eben, dann fallen einem schnell Flausen ein, man wird übermütig, findet ein bisschen was von dem diktatorischen Ambiente, in dem wir derzeit leben, chic. Da werden wir aufpassen müssen.
Beim Schreiben dieser Zeilen Ende März 2020 hatte ich keine Ahnung, wie schnell die Realität die Prognose einholen würde. Wir erfuhren es bald. Lesen sie bitte weiter in Kapitel 3.
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