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Das Klima kann nur mehr Taylor Swift retten
Fünf Jahre nach Greta Thunbergs erstem Schulstreik wirkt die Klimabewegung müde und politisch resigniert. Hat sich die Welt am Klimaschutz sattdiskutiert? Und was sind die Folgen?
"Ich wünschte, Taylor Swift wäre in einen Klimaforscher verliebt." So lautet ein millionenfach geteiltes X-Posting – in Anspielung auf das weltweit große Interesse an der Beziehung von Taylor Swift zu Football-Star Travis Kelce. Zugegeben, auch Menschen außerhalb des "Super Bowl"-Universums kennen jetzt den Tight End der Kansas City Chiefs, ohne den Kuss zwischen den beiden hätten sich viele wohl nicht auf den Sport-Kanal verirrt.
Touchdown für den Klimaschutz Aber nehmen wir einmal an, Taylor Swift hätte einen netten Glaziologen geküsst. Würde dann die ganze Welt über Klimaschutz reden? Das Leben des "Eisberg-Forschers" unter die Lupe nehmen und das Abschmelzen der Gletscher auch? Oder würde alles bleiben wie es ist? Ein kurzer medialer Hype, aber kein Touchdown für den Klimaschutz?
Wer jetzt, Anfang März, im Wiener Umland in den Garten geht, der sieht die Marillen blühen. Und der Frühling hat noch gar nicht einmal richtig begonnen. Normal ist das nicht. Die Bäume treiben aus, aber der Klimaschutz verblüht. Seltsam, oder?
Die Hütte brennt Seit Jahrzehnten warnt die Wissenschaft vor den dramatischen Auswirkungen der Erderhitzung. Fragt man sein Umfeld, Freunde, Kollegen, Bekannte, dann findet sich wohl kaum jemand, dem die Dramatik der Situation nicht bewusst ist. Aber alle wirken wie gelähmt. Reden wir den Klimaschutz zu Tode, weil uns das Thema lästig geworden ist? Weil uns die Klimakleber nerven? Weil wir uns machtlos fühlen?
"Wenn man in einem brennenden Haus sitzt, sollte man sich nicht von Todesangst lähmen lassen", sagt der renommierte Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber. "Und unser Haus brennt. Deshalb wird entspanntes Löschen an der einen oder anderen Stelle auch ins Verderben führen: Dramatische Herausforderungen verlangen dramatisches Handeln."
Klima-Anomalien wie nie zuvor Das Klimasystem zeige uns gerade, dass es "noch nervöser und sprunghafter ist, als bisher angenommen", sagt Schellnhuber. Seit Dezember 2023 leitet er das International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) in Laxenburg (NÖ). "Ich arbeite seit 40 Jahren in der Klimaforschung, aber solche Anomalien wie in den letzten Monaten haben wir noch nie registriert", so Schellnhuber. "Wir rasen geradewegs und mit voller Geschwindigkeit auf eine Wand zu, schließen dabei die Augen und hoffen, 'es wird schon gut gehen'. Das wird es aber nicht."
Uns bleibt immer noch Paris Es gehe darum, unseren CO2-Ausstoß drastisch zu reduzieren – sogar umzukehren. Also durch unser Wirtschaften Kohlenstoff wieder aus der Atmosphäre zu entziehen. Kohlendioxid und andere Treibhausgase wie etwa Methan verursachen den so genannten Treibhauseffekt. Um die schlimmsten Folgen der Erderhitzung noch abwenden zu können, wäre das Einhalten des 1,5-Grad-Ziels (Pariser Klimaabkommen) erforderlich.
Was jetzt, bei aktuell 1,2 Grad Celsius globaler Erderwärmung passiert, ist nämlich nur das Vorprogramm für das, was geschehen wird, wenn wir weiterhin hohe Mengen an CO2 in die Atmosphäre blasen und in der Folge auf eine Erderhitzung von drei Grad Celsius zusteuern. Denn drei Grad mehr global bedeuten für Österreich fünf bis sechs Grad mehr.
Das Ende der Menschheit? "Eine Erderwärmung um drei Grad Celsius würde bedeuten, dass große Teile der Welt unbewohnbar werden würden", schildert Schellnhuber die Dramatik der Situation. "Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung müsste folglich umsiedeln. Wenn man bedenkt, vor welche zivilisatorischen Herausforderungen uns aktuelle Flüchtlingsströme stellen, mag man es sich nicht ausmalen, was geschehen würde, wenn diese Zahlen in die Milliarden gehen", so Schellnhuber. "Wenn wir Richtung drei Grad oder noch mehr gehen würden, wäre das vermutlich das Ende der menschlichen Zivilisation." Es brauche ein gesellschaftspolitisches Umdenken sowie entschlossenes Handeln, und zwar sehr rasch. Denn das Jahr 2023 brach alle negativen Rekorde: Extreme Hitze. Extreme Kälte. Extremer Regen. Extreme Dürre. Extreme Stürme. Extremer Verlust an Biodiversität und Leben.
Klimapolitik weichgespült Aber waren wir nicht bereits viel weiter, entschlossenes Handeln greifbar nahe? Es war kurz vor Weihnachten 2019, als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den "Green Deal" vorstellte. Wirtschaft und Nachhaltigkeit sollten künftig Hand in Hand gehen. Umweltschützer glaubten damals schon, ihren Job los zu sein, denn der "Green Deal" spielte einfach alle Stückerln: Vom Aus für Verbrenner-Motoren und einer radikalen Reduktion der Treibhausgasemissionen über eine Halbierung des Einsatzes chemischer Pestizide bis 2030 und die Wiederherstellung eines Großteils der geschädigten Ökosysteme war alles dabei, was man sich an umweltpolitischen Maßnahmen erträumte.
Seither ist viel passiert – allerdings in die Gegenrichtung. Der Klimaschutz wurde mit Blick auf eine leicht zu reizende Wählerschaft demontiert und landete jetzt, wenige Monate vor der EU-Wahl, unsanft auf dem Boden der Realität.
Ideen aus der Mottenkiste Verbrenner-Aus? Ja, aber nur mit Ausnahme für E-Fuels. CO2-Reduktion? Ja, aber nur mit CO2-Abscheidung und Speicherung. Selbst die keineswegs klimaneutrale, hochriskante und viel zu teure Atomkraft wird aus der Mottenkiste geholt. Und die längst überfälligen Reformen in der Landwirtschaft bleiben aus. Biodiversitätsgefährdende Pestizide dürfen nach wie vor eingesetzt werden.
In Österreich hat die türkis-grüne Regierung das Klimaschutzgesetz von der langen Bank aufs Abstellgleis geschoben und beim Erneuerbaren Wärme Gesetz (EWG) eine Kehrtwende hingelegt. Statt der Pflicht zum Tausch der alten Öl- und Gasheizungen in klimafreundliche Heizsysteme wie Wärmepumpen oder Pelletsöfen, gibt es jetzt mehr Fördermilliarden und viel Freiwilligkeit.
Klimaschutz "steckt im Stau" "Der Klimaschutz ist nicht am Ende, er steckt im Stau, unter anderem verursacht von Lobbyisten wie der Wirtschaftskammer und Populisten von FPÖ und ÖVP, in der EU, aber noch viel mehr auf nationaler Ebene", sagt Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der BOKU Wien. Steurer spricht vom "größten Medienversagen unserer Zeit", wenn "Klimaproteste von einem Großteil der Medien stets nur als Störung" statt als berechtigter Kampf um eine sichere Zukunft und gleichzeitig als Mahnmal für politisches und gesellschaftliches Versagen dargestellt werden. "Statt das längst Nötige politisch einzufordern, hauen wir auf Aktivisten hin und haben 100 Ausreden parat, warum doch andere zuerst anfangen sollen. So kann man ein Problem nicht lösen."
Bauern hui, Klima pfui? Fünf Jahre nach Greta Thunbergs erstem Schulstreik wirkt die Klimabewegung aber alles andere als einig – eher müde und politisch resigniert. "Wir schauen derzeit nicht der Klimabewegung, sondern uns als Gesellschaft beim Scheitern zu", sagt Steurer. Es gehe bei der Ablehnung von Klimaprotesten auch nicht um die Protestform. Die Bauernproteste in Deutschland seien zum Beispiel viel störender gewesen, sind aber auf breite Akzeptanz gestoßen und hätten rasch Zugeständnisse erwirkt.
Denn während sich der Protest der Bauern mit den Interessen einflussreicher Gruppen decken würde, "halten die vergleichsweise machtlosen Klimaaktivisten der Mehrheitsgesellschaft einen Spiegel des Versagens vor", so Wissenschafter Steurer. "Klimaproteste sind das schlechte Gewissen der Gesellschaft. Natürlich ist das unangenehm und natürlich versucht man, es zum Schweigen zu bringen – mit katastrophalen Folgen für uns alle."
Druck von der Straße "Existenzielle Bedrohungen wie der Klimawandel sind sehr schwer greifbar. Die Komplexität überfordert rasch und auch der Eindruck, als Einzelperson kaum etwas beitragen zu können", sagt die Salzburger Umweltpsychologin Isabella Uhl-Hädicke. Dies führe zu einem Gefühl von Ohnmacht, Hilflosigkeit und Kontrollverlust, daher würden sich Menschen vom Klimathema ab- und Dingen zuwenden, "die einem wieder das Gefühl von Kontrolle geben".
"Ohne Druck von der Straße wird die Politik aber nicht handeln", ist BOKU-Experte Steurer überzeugt, dass große politische Veränderungen immer auch von unten kommen müssen. Für Klimaaktivisten sei es an der Zeit, neue Formate zu probieren, "weil sich Dinge, die man hundertfach wiederholt, irgendwann totlaufen". Aber: "Ohne Irritationen und Störungen wird es leider nicht gehen."
Kommt der Komet? Der Klimawandel ist als Thema in der österreichischen Bevölkerung zwar angekommen und nur eine Minderheit bezweifelt noch, dass er menschengemacht ist. Aber: 40 Prozent der Bevölkerung denken laut einer Studie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gleichzeitig, dass es für Österreich drängendere Probleme gibt: Gesundheit, Pflege, Armutsbekämpfung – alles wichtiger.
Es solle mehr Maßnahmen in Sachen Klimaschutz geben, finden zwar 63 Prozent der Befragten. Und mehr als die Hälfte (58 Prozent) geht auch davon aus, dass die Welt auf eine Klimakatastrophe zusteuert. Gleichzeitig ist aber auch fast die Hälfte der Bevölkerung (47 Prozent) der Meinung, dass die Medien diesbezüglich eine übertriebene Stimmung, bis hin zur Hysterie, erzeugen.
Klima-Thema immer "mitnehmen" Nach einer Gallup-Umfrage interessieren sich 70 Prozent der Österreicher für Klimaberichterstattung in den Medien, gleichzeitig fühlen sich weniger als 50 Prozent ausreichend informiert. "Wir müssten beginnen, den Klimaaspekt in der Berichterstattung immer mitzudenken", meint Verena Mischitz, Sprecherin des Netzwerks Klimajournalismus, denn: "Die Klimakrise ist kein Thema wie jedes andere, sie betrifft alle Bereiche unserer Gesellschaft. Deshalb sollte sie immer in die Berichterstattung mit einbezogen werden."
Man müsse das Thema stärker mit der Alltagsrealität der Menschen verknüpfen, meint Klimajournalistin Verena Mischitz: "Natürlich ist es schwerer greifbar, wenn man sagt, das Eis in der Arktis schmilzt. Wenn man aber auf die Zusammenhänge eingeht und erklärt, wie uns das dann in Europa betrifft und was sich durch diese Eisschmelze bei uns alles verändert, dann wird es auch hier relevant und interessant."
Es liegt in unserer Hand Um die Klimakrise zu bewältigen werde es darauf ankommen, die nächsten Jahrzehnte das Gemeinwohl über den Eigennutz zu stellen, ist Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber überzeugt. Und auch Verena Mischitz hofft, dass wir das Ruder noch herumreißen können – und zitiert aus dem Roman "Frei" von Lea Ypi: "Um die Hoffnung muss man kämpfen, aber es gibt einen Punkt, an dem sie in Illusion umschlägt, und dann wird sie sehr gefährlich. Am Ende kommt es darauf an, die Fakten richtig zu deuten."