Der Mann vom Sport
"Ich hätte es verstanden, wenn ich daran zerbrochen wäre"
ORF-Sportmoderator Andreas Onea verlor mit 6 bei einem Autounfall seinen linken Arm. Das Interview über die Behinderung, wie er bei Olympia die Bronzemedaille holte, seinen starken Glauben. Und wie er seinen kleinen Sohn wickelt.
Sein Antrieb im Leben ist mit einem schlimmen Schicksalsschlag verbunden: 1998 saß Andreas Onea im Auto, als seine Familie einen schweren Verkehrsunfall hatte. Sein Großvater starb, seine Mutter wurde lebensgefährlich verletzt, sein Vater lag im Koma.
Onea selbst verlor seinen linken Arm, wurde in den Straßengraben geschleudert und wäre beinahe verblutet. Mit letzter Kraft teilte seine Mama den Rettungskräften mit, dass auch Kinder im Auto waren, erst dann begannen sie nach ihm zu suchen. Onea war da knapp sechs Jahre alt. "Eigentlich hätte ich den Unfall nicht überleben sollen", sagt er heute. "Deshalb sehe ich alles, was danach kam, aus der Perspektive der Dankbarkeit."
Nach dem Unfall entdeckte der heute 32-Jährige den Sport, zunächst als Teil seiner Therapie. Ärzte rieten ihm, regelmäßig Bewegung in seinen Alltag zu integrieren, um langfristige gesundheitliche Folgen wie Skoliose oder chronische Schmerzen zu vermeiden.
Para-Schwimmen erwies sich als ideale Sportart: gelenkschonend, vom Auftrieb des Wassers unterstützt und mit zahlreichen Vorteilen für das Herz-Kreislauf-System. Aus anfänglichen wöchentlichen Therapieeinheiten entwickelte sich bald eine Leidenschaft – und sein Talent wurde sichtbar.
Bereits mit zwölf wurde Onea Staatsmeister, mit 16 qualifizierte er sich für seine ersten Paralympics in Peking. Aus einem Mittel zur Rehabilitation wurde ein Leistungssport, der sein Leben bis heute prägt. Onea holte bei Europameisterschaften und Weltmeisterschaften Medaillen, 2016 gewann er in Rio Bronze.
Die meisten Menschen aber kennen Onea als Präsentator von "Sport aktuell", der Kurzsport-Sendung im ORF, die Onea seit Jahren hochprofessionell moderiert. Das Interview über Unfall, Behinderung, Sport und TV-Sport.
Newsflix Das Leben mit einer Behinderung stellt den Körper vor besondere Herausforderungen, besonders wenn es um Bewegung und sportliche Aktivität geht. Mit welchen spezifischen Hürden sehen Sie sich in diesem Zusammenhang konfrontiert?
Andreas Onea Die Umstellung für den Körper ist enorm – das wird oft unterschätzt. Das gilt nicht nur für vermeintlich "einfachere" Behinderungen wie eine Armamputation, sondern auch für andere Veränderungen in der Bewegungsfähigkeit. Der Körper wächst in einem Gleichgewicht auf, wie es ursprünglich vorgesehen ist. Wenn plötzlich ein Arm fehlt, verändert sich die Belastung für die Wirbelsäule und die gesamte Stabilisierungsmuskulatur massiv. Um dem entgegenzuwirken, muss man gezielt und individuell reagieren.
Newsflix Was bedeutet das in ihrem Fall?
Onea Bei mir war es so, dass mein linkes Schulterblatt nicht so mitgewachsen ist wie das rechte. Das liegt daran, dass auf der linken Seite keine Muskulatur vorhanden ist, die das Schulterblatt bewegt – anders als bei einem Zweiarmigen.
Newsflix Welche Schwierigkeiten stellen sich noch?
Onea "Auch das Gehirn muss sich umstellen. Ein häufiges Thema sind Phantomschmerzen, die vor allem bei Amputationen auftreten. Das Gehirn "glaubt" zunächst, dass der Arm noch da ist. Man spürt ihn, möchte sich kratzen – aber da ist kein Arm. Doch in meinem Fall gibt es viele Dinge, die ich trotz meiner Behinderung machen kann. Jedoch ist das ist nicht selbstverständlich. Barrieren in unserer Gesellschaft schränken viele Menschen ein.
Newsflix Damit sind wir direkt beim Thema Barrierefreiheitsgesetz. Dieses sieht vor, dass die Digitalisierung bis Juni 2025 entscheidende Fortschritte in Richtung Barrierefreiheit machen soll. Aber was genau bedeutet das eigentlich?
Onea Im Endeffekt bedeutet das, dass alle Dienstleistungen und Waren, auch die, die online und digital verkauft werden, für alle Menschen zugänglich sein müssen. Das heißt, dass ich als Mensch, vollkommen egal mit welcher Behinderung, überall Zugriff habe, überall dabei sein kann und genauso das Gleiche kaufen oder konsumieren kann wie ein Mensch ohne Behinderung. Das Ziel ist eine komplette Gleichwertigkeit und gleiche Möglichkeiten für alle.
Newsflix Warum ist das so wichtig?
Onea Das ist wahnsinnig wichtig, weil wir sonst von bestimmten Produkten, Shops oder Verkäufern abgeschnitten sind, da ihre Dienstleistungen und Services nicht barrierefrei angeboten werden.
Newsflix Ist es nicht etwas spät, ein Gesetz zur Barrierefreiheit erst für das Jahr 2025 einzuführen? Wie schneidet Österreich im Vergleich zu anderen Ländern ab?
Onea Das Problem ist, dass das Thema oft nicht bedacht wird. Viele Menschen haben keinen direkten Berührungspunkt mit Menschen mit Behinderung und realisieren daher nicht, dass 15 Prozent der Bevölkerung betroffen sind. Das sind 1,5 Millionen Menschen allein in Österreich – ein riesiger Markt, der häufig ignoriert wird. Allerdings gibt es auch Unternehmen, die dieses Potenzial erkannt haben und gezielt barrierefrei arbeiten. Das ist ein enormer Wirtschaftsfaktor.
Newsflix Warum wird das zu wenig erkannt?
Onea Das Grundproblem in Österreich ist, dass Menschen mit Behinderung schon sehr früh von der Gesellschaft getrennt werden. Dadurch fehlen Menschen ohne Behinderung oft die Berührungspunkte, was das Bewusstsein für Inklusion erheblich erschwert.
Newsflix Das führt uns zum Thema Sichtbarkeit. Was braucht es in Österreich noch, damit Inklusion zur Selbstverständlichkeit wird?
Onea Wir müssen an allen möglichen Stellen ansetzen. Ja, in gewisser Weise hinken wir hinterher, insbesondere weil unser Bildungssystem noch immer auf Trennung setzt. Schon im Kindergarten wird oft lange überlegt, ob ein Kind mit Behinderung in einen Regelkindergarten gehen kann oder doch in einen Sonderkindergarten geschickt wird. Diese frühe Trennung ist ein großes Problem.
Newsflix Wie war das bei ihnen?
Onea Ich selbst habe einen Regelkindergarten und eine Regelschule besucht. Das war unglaublich wichtig, weil es Menschen gab, die gesagt haben: 'Das kriegen wir hin!' Ich war ein Teil dieser Gemeinschaft.
Newsflix Was ist also zu tun?
Onea Das bedeutet, wir müssen viel Bewusstseinsarbeit leisten. Und der beste Weg, dies zu erreichen, ist Sichtbarkeit. Wenn jemand zum Beispiel einen Moderator wie mich mit Behinderung sieht. Ich habe genauso eine 'Goschn' wie alle anderen. Die Behinderung spielt keine Rolle. Oder wenn ein Sportler mit Behinderung genauso hart trainiert, dieselben Leistungen erbringt – oder sogar schneller ist –, zeigt das, dass die Behinderung keine Einschränkung für Können und Leistung darstellt.
Newsflix Gibt es also tatsächlich keine Limits?
Onea Was uns klar sein muss: Wenn wir alle Menschen einbinden und in die Gesellschaft integrieren, lösen wir ganz viele Probleme. Wir haben zum Beispiel einen enormen Fachkräftemangel und Teams in der Wirtschaft kämpfen oft mit Motivationsproblemen. Studien zeigen jedoch, dass Teams, in denen Menschen mit Behinderung arbeiten, diese Probleme deutlich seltener haben. Menschen mit Behinderung können genauso viel leisten – und es wäre ein großer Gewinn für unsere gesamte Gesellschaft, wenn wir Inklusion konsequent vorantreiben.
Newsflix Sie stehen oft auf Bühnen, um diese Denkanstöße zu geben und andere Menschen zu motivieren. Erst kürzlich auch immer wieder im Zusammenhang mit einer Glaubensgemeinschaft. Welche Rolle spielt in Ihrem Leben der Glaube?"
Onea "Der Glaube hat mir unglaublich viel Halt gegeben. Ich hätte an meiner Situation zerbrechen können, und ich hätte es auch verstanden, wenn ich zerbrochen wäre.
Newsflix Zweifelt man nach einem Unfall nicht eher am Glauben?
Onea Mein Vater war schwer verletzt, meine Mutter war schwer verletzt, mein Großvater ist verstorben. Wir waren eine junge Einwandererfamilie aus Rumänien in Österreich. Mein Vater verlor seinen Job und konnte sein Bein nicht mehr belasten. Als Tischler war die Prognose schlecht, dass er jemals wieder arbeiten würde. Eine Familie ohne Einkommen – die Umstände waren katastrophal. Doch der Glaube gab uns Halt. Deshalb sehe ich es heute auch als meine Möglichkeit, etwas zurückzugeben, und als Beweis dafür, dass es einen Weg gibt, nicht zu zerbrechen.
Newsflix Es gibt noch etwas anderes, das Ihnen Hoffnung gibt: Sie sind verheiratet und haben einen kleinen Sohn. Wie sehr hat das Vatersein Ihr Leben verändert?
Onea Es ist das Schönste überhaupt. Ich nehme das gerne als Beispiel für das Thema: Wir müssen bei den Kindern ansetzen. Mein kleiner Sohn hat relativ schnell gemerkt, dass das Windeln wechseln mit Papa anders ist als mit Mama, und er hat gelernt, dass er mithelfen muss. Jetzt, mit eineinhalb Jahren, ist er schon ein Stückchen größer. Aber wenn ich sage: "Popo hoch", hebt er ganz selbstverständlich selbst den Hintern.
Newsflix Wie kam es dazu?
Onea Wir haben ihm das nicht direkt beigebracht, aber er hat intuitiv verstanden, dass er mithelfen muss, wenn er möchte, dass wir beide unser Ziel erreichen – nämlich, dass er seine Windeln gewechselt bekommt und sich anschließend wieder wohlfühlt. Wir haben auch gemerkt, dass er wahnsinnig viel auf mich schaut und kopiert. Jedes Mal, wenn ich auf meinen Oberschenkel geklatscht habe, hat er es sofort übernommen und genauso gemacht. Es war dann ein kleines Stück Arbeit, ihm beizubringen, dass er zwei Arme hat und mit beiden Händen klatschen kann. (lacht)
Newsflix "Was kann man daraus fürs Leben mitnehmen?"
Onea Da sieht man, wie sehr uns Kinder folgen, uns kopieren und von uns lernen. Wenn sie das Richtige von uns lernen, nämlich dass jeder Mensch seinen Wert, seine Fähigkeiten und Talente hat, dann ist es vollkommen egal, ob jemand ein Arm fehlt oder im Rollstuhl sitzt.
Newsflix Sie wirken sehr positiv. Gibt es bei ihnen keine negativen Tage?
Onea "Natürlich habe ich negative Tage, besonders wenn ich im Trainingsplan sehe: 'Zwölf Kilometer Training in zwei Einheiten.' Das sind harte Tage. Aber es liegt in unserer Hand – in meinem Fall halt in der einen."