GEfangenen-Austausch

Der Teufels-Pakt mit Putin und welche Rolle Wien spielte

Ein Auftragskiller, echte und falsche Spione, Journalisten: Im bisher bedeutensten Gefangenen-Austausch seit dem Mauerfall zwischen dem Westen und Russland kamen 24 Menschen frei. Wer sie sind, die Hintergründe, was Österreich damit zu tun hat.

Evan Gershkovich (l.), Alsu Kurmasheva (M.) und Paul Whelan (r.) nach der Freilassung in Ankara
Evan Gershkovich (l.), Alsu Kurmasheva (M.) und Paul Whelan (r.) nach der Freilassung in Ankara
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Christian Nusser
Akt. Uhr
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Es waren TV-Bilder, wie gemalt für den russischen Präsidenten und sie wurden live zur besten Sendezeit in alle Haushalte übertragen. Wladimir Putin selbst war Donnerstagabend auf den Moskauer Militärflughafen Wnukowohat geeilt, um die vom Westen freigelassenen Russen persönlich zu empfangen. Einer nach dem anderen kam die mit einem Teppich ausgelegte Gangway herunter, die meisten fielen dem Kremlchef um den Hals und er ihen, darunter Auftragskiller Vadim Krasikov. "Ihr seid zu Hause, Ihr seid in der Heimat", sagte Putin. Er zelebrierte seinen Triumph über die USA und den Rest der westlichen Welt und es bereitete ihm sichtlich Genuss.

Die Inszenierung war Schlusspunkt und Höhepunkt eines Thrillers, zu prall und zu dick aufgetragen, um als Drehbuch zu taugen, die Vorarbeiten hatten vor zwei Jahren begonnen. Am Ende waren acht Länder beteiligt, die Türkei als Dreh- und Angelpunkt, ein paar der mächtigsten Geheimdienste der Welt, zwei der wichtigsten Staatschefs der Erde, aber das eigentlich Erstaunlichste war, dass ein solches Geschäft in einer derartig volatilen Weltlage überhaupt zustande kommen konnte. Was man über den Austausch bisher weiß:

Was ist überhaupt passiert?
Am Donnerstag fand der wohl spektakulärste Gefangenenaustausch seit dem Ende des Kalten Krieges statt. Er umfasste 24 Personen. Russland ließ 16 Menschen frei, der Westen im Gegenzug 8.

Warum ist der Austausch so bedeutsam?
Weil er einige der prominentesten politischen Häftlinge umfasst. Evan Gershkovich, Korrespondent der US-Zeitung Wall Street Journal, oder den deutschen Rotkreuz-Helfer Rico Krieger.

Wie wurde der Austausch bekannt?
Gerüchte darüber gab es die letzten Tage schon. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte Gespräche über eine Freilassung von Gershkovich bestätigt. Am Donnerstag dann flog eine Antonow An-148 von Kaliningrad über Murmansk in die Türkei. Es war dieselbe Maschine, die schon bei der Freilassung der US-Basketballerin Brittney Griner verwendet worden war.

Wann haben die Vorarbeiten begonnen?
Anfang 2022, berichtet das bekannte Investigativportal "The Insider". Der bulgarische Investigativ-Reporter Christo Grozev habe dafür den Anstoß gegeben. Er schlug einen Austausch zwischen den USA und Deutschland auf der einen Seiten und Russland auf der anderen Seite vor. Die Schlüsselfiguren sollten der Berliner "Tiergartenmörder" Vadim Krasikov sein, den Putin unbedingt zurückholen wollte, im Gegenzug sollte der Kreml den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny freigeben.

US-Präsident Joe Biden mit den Angehörigen der freigelassenen Häftlinge
US-Präsident Joe Biden mit den Angehörigen der freigelassenen Häftlinge
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Moment, Christo Grozev kennen wir doch, oder?
Ja, er steht im Zusammenhang mit der österreichischen Smartphone-Spionageaffäre um Egisto Ott. Der ehemalige BVT-Mitarbeiter soll für Russland spioniert haben, er wurde erst vor wenigen Tage aus der U-Haft entlassen. Der gebürtige Bulgare Christo Grozev lebte 25 Jahre in Wien. Als Innenministeriums-Beamter fragte Ott 2022 Grozevs Meldeadresse ab und ließ die Info Moskau zukommen. In der Wohnung von Grozev wurde daraufhin eingebrochen, Laptop und USB-Stick wurden gestohlen.

Welche Rolle spielt Grozev im Gefangenenaustausch?
Eine relevante. Nach dem Einbruch brach der Bulgare seine Zelte in Wien ab, der Aufenthalt sei zu gefährlich für ihn geworden. "Ich vermute, dass es in der Stadt mehr russische Agenten, Spitzel und Handlanger gibt als Polizisten," sagte er dem "Falter". Grozev ist von Russland zur Fahndung ausgeschrieben, er hatte die Giftanschlag-Attentäter auf Nawalny aufgedeckt. Der Vorschlag eines Gefangenen-Austausches sei für ihn ein moralischer Drahtseilakt gewesen, sagte er "The Insider", aber auch die einzige Möglichkeit, in Russland politisch was zu bewegen und deutsche und amerikanische Gefangene freizubekommen.

Wie kamen die Verhandlungen in Gang?
Schleppend. Die Russen wollten ursprünglich nur mit den Amerikanern verhandeln. Aber "Tiergartenmörder" Vadim Krasikov, der in Berlin von einem Fahrrad aus einen tschetschnischen Rebellenführer liquidiert hatte, saß in Deutschland in Haft. Und hier war die Begeisterung über den Deal gering ausgeprägt.

Warum stimmte Deutschland letztlich doch zu?
Die USA fragten zunächst informell in Deutschland an, berichtet die "Süddeutsche Zeitung". Zu diesem Zeitpunkt umfassten die Austauschpläne auch noch Alexej Nawalny. Deutschland hatte Sorge, dass er nach Deutschland gebracht werde, um umgehend nach Russland zurückzukehren. Man wäre dann blamiert mit leeren Händen dagestanden. Schließlich rief US-Präsident Joe Biden beim deutschen Kanzler Olaf Scholz an und ersuchte ihn offiziell, sich am Deal zu beteiligen. Scholz willigte ein, aber Außenministerin Annalena Baerbock legte sich quer. Gemeinsam mit Bundesjustizminister Marco Buschmann überredete sie der Kanzler zum Umdenken. Druckmittel: Auch fünf Deutsche kamen frei.

Die Maschine mit den freigelassenen Russen am Flughafen in Moskau
Die Maschine mit den freigelassenen Russen am Flughafen in Moskau
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Die Spionagefamilie bei der Rückkehr nach Russland mit Präsident Wladimir Putin
Die Spionagefamilie bei der Rückkehr nach Russland mit Präsident Wladimir Putin
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Russlands Präsindet Putin mit "Tiergartenmörder" Vadim Krasikov
Russlands Präsindet Putin mit "Tiergartenmörder" Vadim Krasikov
Reuters

Warum dauerte es dann so lange?
Im Oktober 2023 seien die Pläne zwischen dem Westen und Russland praktisch paktiert gewesen, schreibt "The Insider": Ein Austausch im Verhältnis 8 zu 8 sollte stattfinden, im Mittelpunkt Krasikov gegen Nawalny. Die Russen aber zögerten die Durchführung immer weiter hinaus. Am 16. Februar 2024 starb Nawalny in einem Straflager in Sibirien, nicht nur seine Familie sagt, er wurde umgebracht. Die Verhandlungen standen wieder fast am Anfang.

Was brachte den Umschwung?
Im April 2024 wurde Deutschland aktiv, aber es blieb zäh. Dann tauschte Putin den Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB aus, auf Sergey Beseda folgte Alexei Komkov, bisher Leiter der Spionageabwehr. Die Deutschen setzen Philip Wolff, Chef des Bundesnachrichtendienstes, an den Tisch. Innerhalb von Wochen stand der Deal.

Flug in die Freiheit: Evan Gershkovich (l.), Paul Whelan (Zwiter von rechts) Alsu Kurmasheva (r.) am Weg in die USA
Flug in die Freiheit: Evan Gershkovich (l.), Paul Whelan (Zwiter von rechts) Alsu Kurmasheva (r.) am Weg in die USA
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Wen die Russen freigelassen haben

  • Evan Gershkovich, Korrespondent der US-Zeitung Wall Street Journal, als Spion am 29. März 2023 verhaftet. Er soll versucht haben, an Panzerpläne zu kommen, wurde am 19. Juli 2024 zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt
  • Rico Krieger, Mitarbeiter beim Deutschen Roten Kreuz, verhaftet im Herbst 2023 in Belarus. Er soll einen Anschlag auf eine Eisenbahnstrecke durchgeführt haben. Am 24. Juni wurde er zum Tode verurteilt
  • Lilija Tschanyschewa, sie arbeitete für Oppositionspolitiker Alexej Nawalny, wurde Anfang 2024 zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt
  • Ilja Jaschin, Journalist, wegen der Verbreitung angeblicher Fake-News (etwa über das Massaker in Butscha) 2022 zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt
  • Oleg Orlow, Menschenrechts-Aktivist, Friedensnobelpreis 2022. Er kritisierte den Ukrainekrieg und wurde 2023 zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt
  • Wadim Ostanin, enger Mitarbeiter von Nawalny. Neun Jahre Haft
  • Ksenija Fadejewa, Teamleiterin von Nawalny. Neun Jahre Lagerhaft
  • Paul Whelan, Ex-Marine, soll für die USA spioniert haben. 16 Jahre Haft
  • Wladimir Kara-Mursa, Oppositionspolitiker. 2022 zu 25 Jahren Freiheitsentzug in einer Strafkolonie verurteilt
  • Alsu Kurmaschewa, Reporterin beim US-finanzierten Radiosenders Free Europe/Radio Liberty. Secheinhalb Jahre Haft wegen Spionage
  • Alexandra Skotschilenko, Künstlerin und Aktivistin. Sie kritisierte den Ukrainekrieg: sieben Jahre Lagerhaft
  • German Moisches, Russland-Deutscher, Fahrrad-Aktivist. Saß wegen Landesverrat in U-Haft
  • Dieter Woronin, Deutsch-russischer Politologe. Wegen Spionage zu 13 Jahren Haft verurteilt
  • Patrick Schöbel, Deutscher, am Flughafen verhaftet, als er zu einer russischen Internet-Liebe reisen wollte. Er hatte sechs cannabishaltige Gummibärchen im Gepäck. Saß in U-Haft
  • Andrej Piwowarow, Aktivist, auf der Ausreise nach Polen verhaftet. Vier Jahre Gefängnis
  • Kevin Lick, Deutscher, mit 16 verhaftet, weil er einen russischen Militärstützpunkt fotografiert haben soll. Vier Jahre Strafkolonie.
Evan Gershkovich ist frei: Im Newsroom seiner Redaktion brach Jubel aus
Evan Gershkovich ist frei: Im Newsroom seiner Redaktion brach Jubel aus
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Wen der Westen freigelassen hat

  • Wadim Krassikow, russischer Auftragsmörder ("Tiergartenmörder) und Agent des Geheimdienstes FSB. Er erschoss am 23. Februar 2019 mitten in Berlin einen früheren tschetschenischen Rebellenführer. Putin nannt ihn einen Patrioten. 2021 zu lebenslanger Haft verurteilt
  • Roman Selesnjow, der vielleicht gefährlichste russische Hacker, richtete mit gestohlenen Kreidtkartendaten einen Schaden von 169 Millionen Dollar an. 2014 auf den Malediven verhaftet. In den USA zu 27 Jahren Haft verurteilt
  • Artjom Dulzew und Anna Dulzewa, Spionage-Ehepaar, sie offiziell Kunsthändlerin, er IT-Unternehmer, lebte mit zwei Kinder in Ljubljana, Slowenien. Bekannten sich schuldig, 19 Monate Haft
  • Wladislaw Kljuschin, Internetbetrüger, in Estland geschnappt und an die USA ausgeliefert
  • Wadim Konoschjenok, der Munition von Estland nach Russland schmuggeln wollte
  • Michail Mikuschin, als Spion in Norwegen gefasst
  • Pawel Rubzow, den Polen als Agenten enttarnte.

Wie erfuhren die Angehörigen von Evan Gershkovich von der Freilassung?
Die Mutter von Gershkovich wurde am Donnerstag für 10.30 Uhr zu einem dringenden Meeting mit US-Präsident Joe Biden ins Weiße Haus eingeladen, berichtet das "Wall Street Journal". Details wurden ihr vorab nicht mitgeteilt, aber sie wurde aufgefordert, ja niemandem davon zu erzählen. Bei dem Termin erfuhr sie wie die anderen betroffenen Familien von der bevorstehenden Freilassung. Zu diesem Zeitpunkt herrschte in Europa schon intensiver Flugbetrieb. Evan Gershkovich war von Moskau aus auf dem Weg in die Türkei, "Tiergartenmörder" Vadim Krasikov flog von Deutschland aus ein, er trug Handschellen und einen kugelsicheren Helm.

US-Präsident Joe Biden, right, und Vizepräsidentin Kamala Harris mit Paul Whelan auf der Andrews Air Force Base
US-Präsident Joe Biden, right, und Vizepräsidentin Kamala Harris mit Paul Whelan auf der Andrews Air Force Base
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Welche Rolle spielte die Türkei?
Sie war das Drehkreuz, der türkische Geheimdienst MIT übernahm die Abwicklung des Austausches, durchgeführt wurde er über Ankara. Insgesamt sieben Flugzeuge waren beteiligt.

Ist Putin der Gewinner?
Nach weitgehend übereinstimmender Meinung der Kommentatoren ja, eine sprachen auch von einem "Pakt mit dem Teufel". Er kann sich in seiner Heimat als Befreier feiern lassen. Putin hatte in den letzten Jahren "Scheingefangene" angesammelt, Menschen, die wegen teils obskurer Vorwürfe im Gefängnis landeten und die er nun als Faustpfand verwenden konnte – um im Gegenzug "richtige" Verbrecher zu erhalten. Bundeskanzler Olaf Scholz unterbrach seinen Urlaub und sagte am Donnerstagabend: "Niemand hat sich diese Entscheidung einfach gemacht".

Hatte der Westen gar nichts davon?
So ist es auch wieder nicht. Stunden nach der Putin-Show am Flughafen folgte die Inszenierung in den USA. US-Präsident Biden empfing die Freigelassenen gemeinsam mit deren Familien auf der Joint Base Andrews Naval Air Facility in Maryland. Biden hatte Vizepräsidentin Kamala Harris im Schlepptau. Solche Bilder sind im Wahlkampf pures Gold

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