Josephine Tey

Die Frau, die den besten Kriminalroman aller Zeiten schrieb

Im "Goldenen Zeitalter des Krimis" spielte Josephine Tey in einer Liga mit Agatha Christie und Dorothy L. Sayers. Jetzt wird das Werk der Schottin wiederentdeckt.

Agatha Christie bei der Arbeit in ihrem Haus in Devon im Jahr 1946. Zahlreiche Krimi-Experten halten die Werke von Josephine Tey jenen der "Lady of Crime" für überlegen.
Agatha Christie bei der Arbeit in ihrem Haus in Devon im Jahr 1946. Zahlreiche Krimi-Experten halten die Werke von Josephine Tey jenen der "Lady of Crime" für überlegen.
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Newsflix Redaktion
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Sie schrieb nichts weniger als den "Besten Kriminalroman aller Zeiten", dennoch sind die Bücher der britischen Autorin Josephine Tey heute nur mehr wenigen Genre-Experten ein Begriff. Dabei heben sich diese originell und wohltuend vom klassischen, immer gleichen Konzept der Mördersuche in den sogenannten "Whodunit"-Krimis jener Zeit ab, die heute als das "Goldene Zeitalter des Kriminalromans" bezeichnet wird. Nach Jahrzehnten, in denen ihr Werk immer mehr in Vergessenheit geriet, erlebt die 1952 verstorbene Schottin jetzt ein wohlverdientes Revival.

Der Butler war's Während die meisten Kriminalromane, die in jener "goldenen" Ära zwischen den Weltkriegen im angelsächsischen Raum entstanden sind, einem festen Ablauf folgen – ein rätselhafter Mord, eine überschaubare Zahl an Verdächtigen, häufig ein abgeschlossener Schauplatz und ein genialer Ermittler, der am Ende das Rätsel löst und alle offenen Fragen beantwortet –, erdachte Josephine Tey bereits vor 70, 80 Jahren Geschichten, die auch heute noch als modern und innovativ wahrgenommen werden. Sie hat bereits damals viele literarischen Kniffe und Twists vorweggenommen, die erst Jahrzehnte später breiten Eingang in die Krimiliteratur gefunden haben.

Der 'Beste Krimi aller Zeiten' stammt von Josephine Tey und heißt 'Alibi für einen König'
Ergebnis einer Wahl der britischen Crime Writers Association im Jahr 1990

Ein echter Mord vor 500 Jahren Mit einer der berühmtesten Bluttaten der englischen Geschichte befasst sich Josephine Teys bis heute bekanntestes Buch. Im September des Jahres 1483 soll der frisch gekrönte König Richard III. seine beiden Neffen ermorden haben lassen um zu verhindern, dass ihm diese den Thron streitig machen können. Auch wenn es keine schlüssigen Belege für diese Annahme gibt, ist sie dennoch seit Jahrhunderten Allgemeingut, denn kein Geringerer als William Shakespeare hat die Anschuldigung in seinem Königsdrama "Richard III." Ende des 16. Jahrhunderts festgeschrieben und damit für alle Zeiten einzementiert.

Gemälde von König Richard III. aus dem frühen 17. Jahrhundert. Der König soll anno 1483 seine beiden Neffen ermorden haben lassen, um selbst auf dem Thron bleiben zu können. Die schottische Krimiautorin Josephine Tey ließ dieses vermeintlichen Mordfall durch ihren Protagonisten, einem Scotland Yard-Inspektor, knapp 500 Jahre später untersuchen
Gemälde von König Richard III. aus dem frühen 17. Jahrhundert. Der König soll anno 1483 seine beiden Neffen ermorden haben lassen, um selbst auf dem Thron bleiben zu können. Die schottische Krimiautorin Josephine Tey ließ dieses vermeintlichen Mordfall durch ihren Protagonisten, einem Scotland Yard-Inspektor, knapp 500 Jahre später untersuchen
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Freispruch für Richard III. In ihrem 1951 erschienenen Buch "Alibi für einen König" griff Josephine Tey diese wahre Geschichte erneut auf und ließ ihren durch einen Beinbruch ans Krankenbett gefesselten Protagonisten, den Scotland-Yard-Inspektor Alan Grant, den Fall mit (damals) modernen investigativen Ermittlungsmethoden neu aufrollen. Das Fazit des fiktiven Ermittlers: Die meisten Anschuldigungen gegen den (nur zwei Jahre nach dem Kindermord selbst in einer Schlacht gefallenen) König erwiesen sich als haltlos, weshalb die Prinzen wirklich verschwanden, ist nicht zu klären. Gerüchte und vor allem politische Propaganda zeichneten aber über Jahrhunderte ein Bild des Königs, das mit der Realität kaum etwas zu tun hatte – Freispruch aus Mangel an Beweisen.

Die große Unbekannte: Josephine Tey (1896-1952), schrieb nur sechs Krimis, gilt vielen Literaturexperten als eine der besten Krimiautorinnen aller Zeiten.
Die große Unbekannte: Josephine Tey (1896-1952), schrieb nur sechs Krimis, gilt vielen Literaturexperten als eine der besten Krimiautorinnen aller Zeiten.
Kampa Verlag

"Der beste Krimi aller Zeiten" "Alibi für einen König" war seinerzeit sofort nach Erscheinen ein großer Erfolg, sowohl bei der Leserschaft, als auch unter Literaturkritikern und Historikern. Und die britische Crime Writers' Association kürte den Roman im Jahr 1990 schließlich sogar zum "Besten Kriminalroman aller Zeiten", noch vor solchen literarischen Kalibern wie etwa "Der große Schlaf" von Raymond Chandler oder "Der Spion, der aus der Kälte kam" von John le Carré.

Bruch mit den Konventionen Auch in ihren weiteren Büchern kümmerte sich Josephine Tey kaum um herkömmliche Krimi-Konventionen und setzte sich über so gut wie alle damals geltenden Story-Regeln hinweg. Viel mehr als fürs Töten interessierte sie sich für die menschlichen Abgründe hinter den Verbrechen. Ihr 1948 erschienenes Buch "Nur der Mond war Zeuge" etwa dreht sich allein um einen Missbrauchs-Vorwurf, der zwei Außenseiterinnen in einem kleinen Dorf gemacht wird, und welche Auswirkungen das auf die Dorfgemeinschaft hat. Für die – ebenfalls schottische – Bestsellerautorin Val McDermid war Josephine Tey damit eine Wegbereiterin für Schriftstellerinnen wie Patricia Highsmith oder Ruth Rendell, bei denen Verbrechen meist nur mehr Mittel zum Zweck sind, einzelne Personen, unsere Gesellschaft an sich und ihre Mechanismen zu beschreiben.

Die schottische Krimiautorin Val McDermid streut ihrer Landsfrau Josephine Tey Rosen: "Sie hat Autorinnen wie Patricia Highsmith den Weg bereitet mit ihren psychologischen Storys."
Die schottische Krimiautorin Val McDermid streut ihrer Landsfrau Josephine Tey Rosen: "Sie hat Autorinnen wie Patricia Highsmith den Weg bereitet mit ihren psychologischen Storys."
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Josephine Tey ebnete Autorinnen wie Patricia Highsmith oder Ruth Rendell den Weg
Krimi-Autorin Val McDermid

Krimis schrieb sie nur zum Geld verdienen Dabei lagen Josephine Tey ihre Kriminalgeschichten nur sehr bedingt am Herzen. Für sie waren die Bücher, die sich zur Zeit ihres Erscheinens sehr gut verkauften, vor allem ein leichter Weg, Geld zu verdienen. Ihre Berufung sah die Autorin vor allem im Verfassen von Theaterstücken und Hörspielen, was sie unter dem männlichen Pseudonym Gordon Daviot tat. Gleich ihr erstes Stück "Richard von Bordeaux" aus dem Jahr 1932 war ein riesiger Erfolg und wurde einige Jahre lang im angelsächsischen Raum landauf landab aufgeführt. Es folgen weitere – allesamt historische – Dramen sowie einige Hörspiele für die BBC. Ihr Buch "A Shilling for Candles" wurde 1937 sogar von Regie-Gott Alfred Hitchcock unter dem Titel "Jung und unschuldig" verfilmt. Doch in den Vierzigerjahren wurde es stiller um die Autorin und viele ihrer (insgesamt 19) Bühnenstücke wurden bis heute nicht einmal uraufgeführt.

Wer war Josephine Tey? So wie Gordon Daviot, war auch der Name Josephine Tey in Wirklichkeit ein Pseudonym, und zwar das der gebürtigen Schottin Elizabeth MacKintosh. 1896 in Inverness in den Highlands geboren, erhielt sie eine Ausbildung zur Sportlehrerin. Als ihre Mutter 1923 an Krebs erkrankte, ging sie zurück, um diese zu pflegen. Um das Familieneinkommen aufzubessern – und wohl auch, um ihren wachen Geist zu beschäftigen – begann sie, Geschichten für Zeitschriften zu verfassen. Ihr erstes Buch, der militärhistorische Roman "Kif" erschien 1929 und erhielt gute Kritiken, ihr erster Krimi, "Warten auf den Tod", wurde nur wenig später veröffentlicht.

Star-Regisseur Alfred Hitchcock im Jahr 1937 am Set seines Films "Jung und unschuldig", der auf einem Buch von Josephine Tey basiert.
Star-Regisseur Alfred Hitchcock im Jahr 1937 am Set seines Films "Jung und unschuldig", der auf einem Buch von Josephine Tey basiert.
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Zurückgezogen und geheimnisvoll Doch obwohl Josephine Tey ab diesem Zeitpunkt zum literarischen Establishment Großbritanniens gehörte, offenbarte sie über sich oder ihr Leben so gut wie nichts. Sie gab ihr Leben lang kein einziges Interview, hinterließ keinerlei Aufzeichnungen und mied die Öffentlichkeit, wo sie nur konnte. Selbst als ihre Stücke in London gefeiert wurden, zog sie sich lieber nach Schottland zurück, als den Ruhm zu genießen. Auch über Lieb- oder Partnerschaften ist nichts überliefert. Und so überrascht es auch nicht, dass ihre wenigen Freunde maßlos schockiert waren, als Tey im Februar 1952 im Alter von nur 55 Jahren einem Krebsleiden erlag. Niemand wusste überhaupt, dass sie erkrankt war. Josephine Tey starb so, wie sie gelebt hatte: leise, unscheinbar, rätselhaft.

Geheimnis lesbische Liebe "Josephine Tey war homosexuell, davon bin ich überzeugt", sagt die 1970 geborene englische Krimiautorin Nicola Upson, die selbst offen lesbisch lebt. Und weiter: "Ich habe genügend Briefe und Gespräche mit Menschen, die sie kannten, ausgewertet, um das behaupten zu können." Upson, die Anglistik studiert hat und in Cambridge lebt, wollte eigentlich die erste Biographie über Josephine Tey verfassen, ist aber an der Aufgabe gescheitert – zu wenig fassbar war das Leben der geheimnisvollen Schottin. Stattdessen beschloss Nicola Upson kurzerhand, die reale Josephine Tey zur Protagonistin ihres eigenen Krimis zu machen.

Ich bin überzeugt davon, dass Josephine Tey homosexuell war
Nicola Upson, Krimiautorin und Literaturwissenschafterin

Realität wird zu Fiktion Upsons erster Tey-Krimi, "Experte in Sachen Mord", erschien 2008 und balanciert gekonnt zwischen Realität und Fiktion. Darin gerät die Autorin Josephine Tey, die auf dem Weg nach London ist, wo ihr erstes Theaterstück erfolgreich aufgeführt wird, unversehens in einen Mordfall, den sie gemeinsam mit einem Detective Inspector von Scotland Yard aufklärt. Die Briten waren sofort entzückt von der "neuen Miss Marple" aus den Highlands, auf Deutsch ist der Krimi 2023 erstmals erschienen. Mittlerweile gibt es in Großbritannien bereits elf Krimis mit Josephine Tey als Heldin – mehr als die echte Tey jemals geschrieben hat.

Josephine Tey auf Deutsch Nach Jahrzehnten, in denen diese nur mehr antiquarisch erhältlich gewesen sind, veröffentlicht seit 2021 der Schweizer Oktopus Verlag die Kriminalromane von Josephine Zey sukzessive und in prächtiger Aufmachung neu. "Wir wollen eine der interessantesten Krimiautorinnen des 20. Jahrhunderts wieder entdecken", so der Verlag, "die für ihre Zeit sehr subversiv schrieb und auch heute noch aktuell zu lesen ist". Bislang sind vier Tey-Romane bei Oktopus erschienen („Nur der Mond war Zeuge“, "Alibi für einen König", "Der letzte Zug nach Schottland" und "Wie ein Hauch im Wind"), weitere sind geplant. Und die Krimi-Reihe von Nicola Upson um Josephine Tey als Amateurdetektivin erscheint seit 2023 im Kein & Aber Verlag.

Vier Bücher von Josephine Tey sind mittlerweile beim Schweizer Verlag Oktopus neu editiert erschienen, weitere sollen folgen
Vier Bücher von Josephine Tey sind mittlerweile beim Schweizer Verlag Oktopus neu editiert erschienen, weitere sollen folgen
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