Peter Hajek

"Die Freiheitlichen sind jetzt die neue Volkspartei"

Er war nicht überrascht. Die Umfragen von Peter Hajek haben das Wahlergebnis schon seit Monaten vorhergesagt. Die Analyse: Warum Kickl gewann, wieso das Hochwasser wenig Rolle spielte und was das für die nächste Regierung heißt.

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Am Ende wurde es klarer als erwartet. Aus dem Kopf-an-Kopf-Rennen und der Aufholjagd wurde ein Start-Ziel-Sieg für FPÖ-Chef Herbert Kickl.

Peter Hajek beobachtete den Wahlkampf aus zwei Perspektiven. Als TV-Analytiker bei ATV und als Meinungsforscher. In der letzten Umfrage vor der Nationalratswahl, die am 13. September in "Heute" veröffentlicht wurde, hatte er die FPÖ bei 28 Prozent, die ÖVP bei 25 Prozent, die SPÖ bei 21 Prozent, die NEOS (9 Prozent) vor den Grünen (8 Prozent). Es war die Umfrage, die das Wahlergebnis am präzisesten vorhersagte. Peter Hajek über:

Wie sein Wahlsonntag war
Der Wahlsonntag hat sich dadurch ausgezeichnet, dass er schon am Samstag begonnen hat.

Peter Hajek, Meinungsforscher, Politologe, Uni-Lektor und Politik-Experte
Peter Hajek, Meinungsforscher, Politologe, Uni-Lektor und Politik-Experte
Helmut Graf

Warum?
Am Samstagnachmittag haben wir damit begonnen, die Wahlumfragen zu fixieren. Mein Institut macht ja traditionell die Wahlbefragung für ATV und Puls 24. Also wir ermitteln Wahlmotive und Wählerströme. Damit waren wir zwischen 22 Uhr 23 Uhr fertig.

Ob er das Wahlergebnis also da schon wusste
Nein, aber es gab einen klaren Trend, wie es ausgehen wird.

Ob ihn das Wahlergebnis überrascht hat
Nein, es deckt sich mit den Umfragen, die wir seit Monaten machen. Die FPÖ hat im Herbst 2022 Platz 1 in den Umfragen übernommen und sich nicht mehr von dort wegbewegt.

Handschlag 1: Karl Nehammer mit Herbert Kickl
Handschlag 1: Karl Nehammer mit Herbert Kickl
Picturedesk

Warum das Hochwasser nichts bewirkt hat?
Weil es ein Naturereignis war und es keinen Schuldigen gegeben hat. Das zeigen auch die Zahlen. 80 Prozent sagen: "Das Hochwasser hat meine Entscheidung nicht beeinflusst."

Nicht einmal bei den Grünen?
Nein, das Thema findet nicht einmal in den spontanen Wahlmotiven der Grün-Wähler eine nennenswerte Erwähnung.

Welche Rolle haben die Spitzenkandidaten gespielt?
Eine relativ geringe im Vergleich zu früheren Wahlen. Nur bei der Bierpartei war das ein wichtiges Motiv für ihre Wähler. 41 Prozent haben angegeben, Bier wegen Dominik Wlazny gewählt zu haben, der Spitzenwert. Es waren in Summe halt wenig.

Handschlag 2: Andreas Babler mit Herbert Kickl
Handschlag 2: Andreas Babler mit Herbert Kickl
HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com

Und bei den anderen?
Sie liegen nicht weit auseinander. Karl Nehammer (er war für 32 Prozent der ÖVP-Wähler ein "sehr wichtiges" Motiv) liegt hier Kopf an Kopf mit Herbert Kickl (28 Prozent), Beate Meinl-Reisinger (28 Prozent) und Andreas Babler (26 Prozent).

Warum die FPÖ gewonnen hat
Herbert Kickl hat seine Partei stringent ausgerichtet. Wahlen werden nicht in den letzten Monaten gewonnen, sondern da stecken viereinhalb Jahre Vorarbeit drin. Kickl hat seine Ausrichtung keinen Millimeter verlassen.

Woran das erkennbar ist
An den Wahlmotiven. Platz 1 bei den freiheitlichen Wählern war das Thema Migration, auf Platz 3 lag Corona, auf Platz 4 Veränderung. Das waren genau die Themen, die er getrommelt hat. Die Menschen, die Kickl gewählt haben, wollten klar eine andere Politik. Eine Wende.

Handschlag 3: Werner Kogler (Grüne) mit Herbert Kickl
Handschlag 3: Werner Kogler (Grüne) mit Herbert Kickl
Picturedesk

Was die Folgen sind
Die Freiheitlichen sind jetzt die neue Volkspartei. Sie sprechen Frauen und Männer gleichermaßen an, früher war die FPÖ mehrheitlich eine Männerpartei. Bei den Unter-30-Jährigen ist sie klar Nummer 1. Bei den Pensionisten hat sie zur SPÖ aufgeschlossen, am Land hat sie mit der ÖVP gleichgezogen.

Warum die Volkspartei nicht mehr die (alleinige) Volkspartei ist
Die ÖVP wurde – wie auch die SPÖ – auf ihre Stammklientel zurückgeworfen. Das wichtigste Wahlmotiv bei der Volkspartei war: "Sie vertritt meine Interessen, Werte oder Themen."

Warum sie nicht Erster geworden ist
Die Wahlkampflinie war "der Vergleich macht sicher" und "Kickl darf es nicht werden". Das hat sich bei der Wählerschaft schon verfangen, wenn man die Wahlmotive anschaut. Karl Nehammer hat auch einen Turnaround geschafft. Aber die ÖVP leidet unter den Nachwehen von Sebastian Kurz.

Die Spitzenkandidaten der Parlamentsparteien in der Wahlzentrale im Hohen Haus in Wien
Die Spitzenkandidaten der Parlamentsparteien in der Wahlzentrale im Hohen Haus in Wien
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Was das heißt
Nehammer hat die Partei nicht bei 21 Prozent übernommen, wie er gesagt hat, sondern bei 24 Prozent. Sie ist nachher auf 21 Prozent gefallen und er hat sie dann auf das jetzige Wahlergebnis hochgebracht. Aber die ÖVP konnte etwa die alte Konzernmarke Wirtschaft nicht mehr reaktivieren, die unter Kurz verloren gegangen ist.

Was das Problem der SPÖ war
Andreas Babler spricht eine Zielgruppe an, er ist gut erkennbar. Er hat mit dem Thema soziale Gerechtigkeit ein klares Wahlmotiv geboten. Aber für viele ist er deutlich zu links positioniert, das muss die SPÖ einmal erkennen. Ich nenne sie immer die sozialistische Glaubenskongregation, die wie die Glaubenskongregation im Vatikan sagt:  "Wir wissen schon, wie es richtig ist."

Was die SPÖ tun müsste
Wenn man sich die Umfragen anschaut, dann sieht man, dass die stärkste Wählerbewegung zwischen der ÖVP und der FPÖ stattfindet. Diese Pipeline müssten die Sozialdemokraten anzapfen.

Warum die NEOS zugelegt haben, aber weniger als erwartet
Die Wahlmotive waren diesmal anders. Erstmals haben die pinken Wähler den NEOS nicht wegen Themen wie "Bildung" oder "frischer Wind"  ihrer Stimme gegeben. Erstes konkretes Wahlmotiv war Beate Meinl-Reisinger. Man ist im Partei-Establishment angekommen.

Und bei den Grünen
Traditionell spielte der Spitzenkandidat eine untergeordnete Rolle. Nur 15 Prozent gaben an, die Grünen wegen Werner Kogler gewählt zu haben. 59 Prozent aber wegen "Klimaschutz, Umweltschutz, Nachhaltigkeit". Das liegt Lichtjahre vor allen anderen Wahlmotiven.

Peter Hajek, Meinungsforscher, Politologe, Uni-Lektor und Politik-Experte, im Podcast mit Christian Nusser
Peter Hajek, Meinungsforscher, Politologe, Uni-Lektor und Politik-Experte, im Podcast mit Christian Nusser
Helmut Graf

Welche Koalition sich die Menschen nun wünschen?
Das ist ziemlich unklar, jedenfalls lässt es sich nicht so ohne weiteres aus den Zahlen herauslesen. Auffallend ist jedoch, dass eine Dreier-Koalition aus ÖVP mit SPÖ und NEOS sowohl in der türkisen, als auch in der roten Wählerschaft Rückhalt hat.

Und ÖVP-SPÖ?
Sollte sich das ausgehen, wie es momentan ausschaut, so würde das von breiteren Teilen der Bevölkerung angenommen werden. Das wissen wir aus anderen Umfragen.

Peter Hajek ist Geschäftsführer und Eigentümer von "Unique Research", promovierter Politikwissenschafter und akademisch geprüfter Markt- und Meinungsforscher. Beschäftigt sich seit 25 Jahren mit empirischer Sozialforschung. Lehraufträge an Universitäten, Fachhochschulen.

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