DNA-Pionierin

Die Nobelpreisträgerin, die nie den Nobelpreis bekam

Rosalind Franklin erforschte die Struktur der DNA. Den Nobelpreis dafür bekamen drei Männer. Ein neues Buch erklärt den Schwindel.

Molekularbiologin Rosalind Franklin ebnete den Weg für die Entdeckung der DNA-Struktur
Molekularbiologin Rosalind Franklin ebnete den Weg für die Entdeckung der DNA-Struktur
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Newsflix Redaktion
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"Ich habe keine Beweise, aber ich vermute, dass Wilkins Watson einen Teil unserer Forschungsergebnisse gezeigt hat. Unsere Aufzeichnungen oder unsere Bilder, ich weiß es nicht."  
Jetzt begreife ich, und mein mulmiges Gefühl wächst sich zur Übelkeit aus. Hat Watson jetzt also nicht nur den Bericht des MRC, sondern auch noch die Früchte unserer Arbeit in den Händen? Aber dann fällt mir etwas Erbauliches ein.
"Keine Sorge, Ray. Ich habe das Labor und mein Büro gestern abgesperrt", sage ich und berichte dann von meinem Zusammentreffen mit Watson. "Du hättest dir also gar keine Sorgen machen müssen, dass Wilkins Watson unsere Ergebnisse gezeigt haben könnte.
Aber Rays Gesichtsausdruck ist unverändert. er wirkt sogar eher noch niedergeschlagener:
"Rosalind, Sie sind nicht die Einzige, die einen Schlüssel hat."

Es ist eine der zentralen Passagen in dem neuen Buch "Das verborgene Genie" über die britische Biochemikerin Rosalind Franklin, und sie beschreibt den Augenblick, in dem einer Frau die Früchte ihre wissenschaftlichen Arbeit entrissen wurden.

James Watson (l.) und Francis Crick bekamen 1962 gemeinsam den Nobelpreis für Medizin
James Watson (l.) und Francis Crick bekamen 1962 gemeinsam den Nobelpreis für Medizin
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Rosalind Franklin wurde nur 38 Jahre alt. Sie starb an Eierstockkrebs, wohl eine Folge der hohen Dosen an Röntgenstrahlen, denen sie ausgesetzt war. Mit den Sicherheitsbestimmungen in den Labors, in denen sie arbeitete, ging Franklin sorglos locker um. Ihre Leidenschaft, ihre Bestimmung galt der Forschung. Zwei Jahre lang wusste sie von der Unheilbarkeit ihrer Krankheit, aber sie arbeitete bis kurz vor ihrem Tod am 16. April 1958 weiter. Krankenhaus und Labor, das bleiben die letzten beiden Konstanten in ihrem Leben bis zum Schluss.

Nobelpreis, leider nein Ein neues Buch von Marie Benedict spürt nun der Britin nach. Es heißt mit gutem Grund "Das verborgene Genie", denn Rosalind Franklin war ein Genie. Ihre jahrelange, penible Grundlagenarbeit führte zur Entdeckung der Doppelhelixstruktur unserer DNA. Als aber am 10. Dezember 1962 der Nobelpreis für die bahnbrechende Erkenntnis vergeben wurde, standen drei Männer auf der Bühne in Stockholm, Francis Crick, Maurice Wilkins und James Watson, ein Brite, ein Neuseeländer und ein Amerikaner. Von Rosalind Franklin war an diesem Tag keine Rede.

Die drei Wissenschafter, nun ausgezeichnet mit den höchsten Ehren, hatten sich die Forschung von Franklin schlicht unter den Nagel gerissen. Sie musste das nicht mehr miterleben. Als das Trio den Nobelpreis für ihre Arbeit bekam, war Franklin schon vier Jahre tot.

Blick auf einen Röntgendiffraktometer. Er dient der Bestimmung der Bestandteile einer Verbindung, insbesondere der Gitterstrukturen in Kristallen.
Blick auf einen Röntgendiffraktometer. Er dient der Bestimmung der Bestandteile einer Verbindung, insbesondere der Gitterstrukturen in Kristallen.
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Es dauerte 15 Jahre, bis die drei Ausgezeichneten scheibchenweise die Hintergründe des Wissenschafts-Diebstahls enthüllten. Dazwischen lagen unzählige Artikel in Wissenschaftspublikationen, in denen sie das Scheinwerferlicht allein auf sich selbst richteten. Rosalind Franklin spielte darin keine Rolle, sie kam nicht vor, und wenn doch, dann nur am Rande.

Daten "übernommen" Erst im Jahr 1968 veröffentlichte Watson sein Buch "Die Doppelhelix". Darin gestand er, Rosalind Franklins Daten "übernommen" zu haben, ohne dass sie eine Ahnung davon hatte. "Ich wußte von ihren Unterlagen mehr, als sie dachte", schreibt er.

Chemie statt Charity Rosalind Franklin stammte aus reichem, jüdischen Haus. Sie wurde in London geboren, ihr Vater war Bankier, der Großonkel Hochkommissar von Palästina. Die Familie besaß Besitztümer in ganz England, gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen verbarg Franklin ihre finanzielle Situation so gut es ging. Ihre Eltern hatten für sie eine traditionelle Rolle vorgesehen – Ehemann, Kinder, Engagement in der Wohltätigkeit. Aber Rosalind begann schon mit 17 ein Chemiestudium in Cambridge. Als Frau war sie in einem männerdominierten, fast männerexklusiven Bereich die Ausnahme.

"Nicht unattraktiv" Geringschätzung begleitete sie durch ihr gesamtes wissenschaftliches Leben. Oft waren es Kleinigkeiten, etwa dass sie nicht als "Frau Doktor" angesprochen wurde, bei männlichen Kollegen der akademische Titel aber ganz selbstverständlich zur Anwendung kam. Sie war "Miss" oder "Rosy", sie hasste das. James Watson schrieb in einem Buch über die Chemie-Doktorin: "Sie tat nichts, um ihre weiblichen Eigenschaften zu unterstreichen. Trotz ihrer scharfen Züge war sie nicht unattraktiv, und sie wäre sogar hinreißend gewesen, hätte sie auch nur das geringste Interesse für ihre Kleidung gezeigt."

Molekularbiologin Rosalind Franklin auf einer Wandertour in Norwegen in den 40er-Jahren
Molekularbiologin Rosalind Franklin auf einer Wandertour in Norwegen in den 40er-Jahren
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Auch Doktorand ging leer aus Kristallstrukturanalyse, das war ihr Fach. Schon während ihres Studiums hatte sich Rosalind Franklin zunehmend auf die Kristallographie und die physikalische Chemie spezialisiert. Gegen den Wunsch ihrer Eltern ging sie danach nach Frankreich, es waren ihre Jahre der Freiheit. In Paris "durchleuchtete" sie Kohle, am "King’s College" in London dann landete sie per Zufall im "Wettlauf um die Entschlüsselung der DNA". Mit Tricks schafften sie und ihr kongenialer Laborassistent Raymond Gosling eine Aufnahme – und damit den Beweis, dass die DNA eine Helixform hat. Auch Gosling ging beim Nobelpreis leer aus.

Als sie, bereits todkrank, im Krankenbett lag, tauchte Jacques Mering bei ihr auf, ihr Mentor während ihrer Pariser Jahre. Damit endet das Buch, und es endet versöhnlich: "Und jetzt, in diesem Moment, begreife ich, dass ich weiterleben werde, auch ohne meine Gene weitergegeben zu haben – denn das Wissen um meine Entdeckung wird sich weiter und weiter fortpflanzen im Wandel der Zeit."

Marie Benedict, "Das verborgene Genie", (Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte, Band 5), Kiepenheuer & Witsch, 17,50 Euro.

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