Amsterdam
Die Schreckens-Nacht: Wie es zur Jagd auf Israelis kam
Israels Geheimdienst hatte gewarnt und die Gewalt eskalierte. Im Stadion spielte Ajax gegen Maccabi Tel-Aviv, auf den Straßen machte danach ein palästinensischer Mob Jagd auf israelische Fußball-Fans. Was in Amsterdam wirklich passierte.
Juden werden durch die Straßen gehetzt, ein Mob drischt und tritt auf alle ein, die zu Sturz kommen. Geschehen in Amsterdam, in der Nacht vom 7. auf den 8. November, als in weiten Teilen Europas der Nazi-Pogrome gegen Juden in Deutschland und Österreich gedacht wurde, die sich im November 1938 ereignet hatten.
Ein Fußballfest eskalierte völlig Dabei hätte es ein friedlicher Fußball-Abend werden sollen. In der Europa League trafen mit Ajax Amsterdam und Maccabi Tel Aviv zwei Mannschaften aufeinander, die sich eigentlich freundlich gesinnt sind. 3.000 israelische Fans reisten eigens dafür nach Amsterdam.
Doch in den Stunden nach dem Match (das 5:0 für Ajax endete) eskalierte die Lage in der Stadt vollkommen. Zahlreiche israelische Besucher des Spiels wurden zu Freiwild für einen Mob aus offenbar arabisch-stämmigen Bewohnern der Stadt und Pro-Palästina-Demonstranten.
Vergleich mit Nazi-Pogromen Die politischen Reaktionen auf die schrecklichen Bilder, die in den sozialen Medien ab den frühen Morgenstunden des Freitag die Runde machten, ließen nicht lange auf sich warten. Europas Polit-Spitzen verurteilten die Gewalt einhellig und mit scharfen Worten. Der israelische Präsident Yitzhak Herzog sprach von einem "antisemitischen Pogrom".
Der niederländische Oberrabbiner Binyomin Jacobs nannte die Vorfälle dagegen ein "Warnsignal", aber kein Pogrom. "Wir müssen mit voreiligen Schlüssen vorsichtig sein." Rechtspopulist Geert Wilders, der die Parlamentswahlen im Vorjahr deutlich gewonnen hatte, aber auf das Amt des Ministerpräsidenten verzichten musste, sprach von den Niederlanden als "das Gaza von Europa".
El-Al-Sonderflüge nach Amsterdam Israels Premierminister Benjamin Netanjahu dirigierte sogar zwei Flugzeuge der staatlichen Luftfahrtgesellschaft El-Al nach Amsterdam, um israelische Fußballfans zu evakuieren. Und der niederländische König Willem-Alexander verurteilte die Angriffe mit den Worten, sein Land habe die Juden im Zweiten Weltkrieg enttäuscht – und jetzt wieder.
Ursachenforschung Aber was ist da tatsächlich geschehen in Amsterdam? Wie konnte die Situation so rasch so sehr entgleiten? Und vor allem: Gab es keine Anzeichen dafür, was sich hier zusammenbraute? Immerhin war ja bereits seit längerem klar, wer da gegen wen spielen würde und auch, dass dafür viele Israelis in die Stadt kommen würden. Waren die niederländischen Behörden nicht gewarnt?
Was man über die Angriffe und die Hintergründe weiß:
Was ist konkret passiert?
Am Abend des 7. November fand in der Johann-Cruijff-Arena im Südosten von Amsterdam das Europapokalspiel zwischen Ajax Amsterdam und Maccabi Tel Aviv statt. Danach wurden offenbar hunderte israelische Fans, die vom Stadion kamen und auf dem Weg in die Altstadt oder zu ihren Hotels waren, von einem Mob pro-palästinensischer Jugendlicher attackiert.
Zahlreiche Israelis wurden geschlagen, wenn sie stürzten wurde auf sie eingetreten oder sie wurden mit Feuerwerkskörpern beworfen. Viele Israelis wurden auch von den Angreifern bis zu ihren Hotels verfolgt. Zahlreiche Videos zeigen gespenstische Szenen. Israelis wurden sogar mit E-Scootern gejagt.
Ist das direkt im Umfeld des Stadions passiert?
Laut Polizei nicht. Demnach hätten alle Fans friedlich und geordnet den Bereich um das Stadion verlassen und seien Richtung Innenstadt unterwegs gewesen. Zu den Zusammenstößen sei es dann erst in der Amsterdamer Altstadt gekommen.
Gab es Verletzte?
Laut dem Polizeichef von Amsterdam, Peter Holla, mussten fünf Israelis in Krankenhäusern behandelt werden. Etwa 20 bis 30 trugen leichtere Verletzungen davon.
War die Situation bereits vor dem Spiel aggressiv?
Sie war auf jeden Fall aufgeheizt. In den sozialen Medien kursieren zahlreiche Videos, die angeblich Maccabi-Fans dabei zeigen, wie sie im Vorfeld des Fußballspiels Schmähgesänge und Schmährufe gegen Araber und Palästinenser skandieren.
Auch gibt es mindestens zwei Videos, die zeigen, wie von Häusern Palästina-Flaggen heruntergerissen werden. Angeblich sei eine auf einem Platz in der Innenstadt verbrannt worden. Ob die Täter Israelis waren, lässt sich nicht verifizieren.
Auch soll ein Taxi von Maccabi-Anhängern zerstört worden sein, berichtete der Polizeichef am nächsten Tag bei einer Pressekonferenz. Ob dieses Taxi einen arabisch-stämmigen Fahrer hatte, wie mancherorts behauptet wird, lässt sich nicht überprüfen. Auch die Echtheit der Videos und vor allem der Tonaufnahmen lässt sich nicht zweifelsfrei bestätigen.
Dieses Video wird von palästinensischen Aktivisten im Web geteilt
Gab es auch von pro-palästinensischer Seite Aggressionen vor dem Spiel?
Es gab eine offenbar angemeldete Demonstration von Pro-Palästina-Aktivisten, die von der Polizei begleitet wurde. Diese Demonstration hätte ursprünglich zum Stadion führen sollen, wurde dann aber auf einen weiter entfernten Platz umgeleitet, um die Sicherheit der Fans beim Stadion nicht zu gefährden.
Später teilten sich die Demonstranten auf und machten sich in kleinen Gruppen auf die Suche nach Israelis, so Polizeichef Holla am Freitag. Die Polizei hätte aber mit großer Mannschaftsstärke direkte Konfrontationen verhindert.
Mit wie vielen Mann war die Polizei im Einsatz?
Laut Polizeichef mit mehr als 800 Beamten, darunter berittene Einheiten, Hundeführer und auch ein Wasserwerfer stand bereit.
Weshalb ist die Lage nach dem Match dennoch so eskaliert?
Darauf haben die Behörden in Amsterdam noch keine schlüssige Antwort. Laut Polizeichef Peter Holla seien die Zusammenstöße in der Innenstadt punktuell und blitzartig erfolgt. Gruppen von offenbar arabisch-stämmigen Jugendlichen hätten regelrecht Jagd auf Israelis gemacht.
Kontrollierten die Schläger wirklich israelische Pässe?
Die Angaben der Behörden deckt sich jedenfalls mit den Schilderungen israelischer Fans. Viele seien in der Innenstadt von Gruppen arabischer Jugendlicher angehalten und nach ihrer Nationalität gefragt worden, einigen Israelis wurden dabei auch ihre Pässe abgenommen. Wer als Israeli identifiziert wurde, wurde verprügelt, getreten, einige Menschen seien sogar in Grachten geworfen worden, heißt es.
Und weshalb ist die Polizei hier nicht eingeschritten?
Weil sie offensichtlich mit der Vielzahl an Einsätzen überfordert gewesen ist. Bis Einheiten zu gemeldeten Zusammenstößen kamen, waren diese meist schon wieder vorbei, so jedenfalls die Erklärung des Polizeichefs.
Was tat die Polizei stattdessen?
Laut Polizeichef Holla hätte man versucht, möglichst viele Israelis zusammen zu sammeln und sie dann mit Bussen in ihre Hotels gebracht. Danach sei rasch Ruhe in der Stadt eingekehrt, so der Polizeichef in seinem Resümee am Freitag.
Wurden auch Angreifer festgenommen?
Es wurden nach Polizeiangaben 62 Personen vorübergehend festgenommen. 10 davon waren Freitagabend noch in Untersuchungshaft.
Es gab Berichte über vermisste Personen oder sogar Geiselnahmen.
Als die ersten Meldungen über die Ausschreitungen in Israel ankamen, versuchten zahlreiche Menschen, ihre Angehörigen telefonisch zu erreichen. Und als sie das vielfach nicht konnten, alarmierten sie die Polizei. Auch Israels Behörden waren bereits alarmiert und versuchten ihrerseits, alle Israelis, von denen bekannt war, dass sie in Amsterdam waren, zu erreichen.
Aber erst Freitagnachmittag konnte mit jedem Einzelnen Kontakt aufgenommen werden und die Gerüchte über Geiselnahmen aufgeklärt werden. Es gab offenbar keine.
Weshalb war Israel so rasch alarmiert?
Weil der Auslandsgeheimdienst Mossad bereits im Vorfeld des Matches am Donnerstag einen erheblichen Anstieg antisemitischer Chats registriert hatte. In den sozialen Medien eskalierte die Tonalität.
Laut israelischen Medienberichten, habe der Mossad daraufhin bei den niederländischen Behörden Alarm geschlagen und eine Aufstockung der Polizeipräsenz gefordert. Die Niederländer bestreiten eine derartige Intervention allerdings.
Ist es Zufall, dass die Zusammenstöße im Umfeld der November-Pogrome passierten?
Die Gedenkveranstaltungen - auch in Wien gab es eine – wurden heuer auf den Abend des 7. November gelegt, da der 9. November ein Samstag ist – Sabbat. Da der Sabbat nach jüdischer Tradition bereits mit Einbruch der Nacht am Freitagabend beginnt, wären keine Gedenkveranstaltungen Freitag- oder Samstagabend möglich gewesen. Also Donnerstagabend. Dass am gleichen Abend dieses Fußballspiel stattfinden wird, war nicht vorherzusehen.
Videos in sozialen Medien zeigen schlimm Prügelattacken. Ist es realistisch, dass "nur" 5 Israelis in Spitalsbehandlung mussten?
Das ist schwer einschätzbar. Einerseits gibt es noch keine abschließende Bilanz, wie viele Israelis wirklich Opfer der Gewalttaten wurden. Am Freitag lag alles Interesse daran, die Menschen möglichst rasch und sicher wieder nach Israel zurück zu bringen. Andererseits ist auch kaum nachprüfbar, wie viele der Videos wirklich reale Taten zeigen und welche eventuell gefaked sind.
Aber welches Interesse könnte daran bestehen, solche Videos zu fälschen?
Wenn ein Ziel ist, den Gegner schwach und angreifbar darzustellen, dann sind Videos, die dieses Bild verstärken, Mittel der Propaganda. Liest man sich die Kommentare bei diesen Prügel-Videos durch, dann erkennt man rasch, welches Bild hier von der jeweils anderen Seite gezeichnet wird. Ob eine Person, die auf einem verwackelten und unscharfen Video geschlagen wird, tatsächlich die ist, für die man sie ausgibt, ist hinterher nur schwer festzustellen.
Wie geht es den israelischen Fußballfans nach dieser Gewalt-Eskalation?
Viele sind nach israelischen Medienberichten traumatisiert, einige haben körperliche Verletzungen davongetragen. Aber ein Gutteil der Schlachtenbummler hat von den Ausschreitungen offenbar gar nicht so viel mitbekommen, wie Videos von Maccabi-Anhängern auf dem Flughafen Amsterdam zeigen.
Es gibt mittlerweile auch Berichte, dass die Eskalation von langer Hand geplant war
Ja, niederländischen Medien berichten das. Es gäbe Erkenntnisse, dass bereits geraume Zeit vor dem Match am Donnerstag in einschlägigen Chat-Gruppen auf dem Messengerdienst Telegram Randalierer für eine "Judenjagd" in Amsterdam begeistert werden sollten. Teilweise seien die Personen, die sich dann dem Mob anschlossen, von weit außerhalb angereist. Bestätigt sind diese Berichte bis jetzt allerdings nicht.
Stimmt es, dass Taxifahrer die Hatz organisiert haben?
Das untersucht die Polizei noch. Mehrere Taxilenker sollen den Mob durch die Straßen dirigiert haben. Ob der Vorwurf zutrifft, ist Gegenstand von Ermittlungen. Der Vorsitzende des Central Jewish Council, Chanan Hertzberger, schrieb in einer Aussendung, dass es Hinweise gebe, "dass sie dieses Pogrom akribisch vorbereitet haben".
Welche Konsequenzen haben die Ausschreitungen?
Die Polizei ist noch dabei zu eruieren, ob die Proteste und Angriffe von langer Hand geplant gewesen sind und wie die Lage letztlich so eskalieren konnte. Und auch, weshalb sie trotz mehrerer Hundertschaften scheinbar nicht in der Lage gewesen ist, die israelischen Fans vor den Angriffen zu schützen. Denn diese haben offenbar nur auf einem sehr begrenzten Raum in der Altstadt stattgefunden.
Die Stadtverwaltung von Amsterdam hat zudem in den nächsten drei Tagen sämtliche Versammlungen verboten.