Fauler Kpmpromiss?
Warum Welt-Klimagipfel trotzdem lebenswichtig sind
Einigung in letzter Minute, am Ende war niemand richtig glücklich. Die reicheren Länder sicherten den ärmeren Staaten jährlich 300 Milliarden US-Dollar Klimahilfe zu. Maximilian Hardegg war in Baku dabei. So erlebte er den Gipfel.
Der Durchbruch wurde um 3 Uhr verkündet. In der Nacht auf Sonntag entging die Welt um ein Haar einer Blamage. Der COP29 in Baku, Azerbaijan, endete mit einer – wenn auch lauen – Übereinkunft. Sie lässt viele Fragen offen, wurde nicht von allen Ländern unterstützt, bringt dem Klima akut wenig.
Es gab kein Abschluss-Dokument, sondern nur Einzelpapiere. Indien sprach von einer "optischen Täuschung". Industrieländer sollen ihre Zahlungen an ärmere Regionen von heute 100 Milliarden Dollar bis 2035 auf "mindestens 300 Milliarden Dollar" im Jahr steigern. Details dazu fehlen.
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Der Agrarwissenschafter und Landwirt Maximilian Hardegg war in Baku live vor Ort. Das müssen Sie über den Weltklimakonferenz wissen:
Wo fand der Gipfel diesmal statt?
Die Welt traf sich zum mittlerweile 29. Mal zu einer Klimakonferenz. Während der Gipfel im vergangenen Jahr in Dubai stattfand, fiel heuer Baku, der Hauptstadt von Azerbaijan am Kaspischen Meer südöstlich des Kaukasus, die Gastgeberrolle zu.
Was war diesmal anders?
In Dubai stand der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen im Vordergrund, diesmal ging es um die Finanzierung dieses Ausstiegs.
Warum war das relevant?
Weil die Vereinbarungen zur Unterstützung der ärmeren Länder 2025 ausgelaufen wären.
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Was passierte abseits der Kameras?
Es gibt rund um das Kernthema der Staatengemeinschaft jede Menge verwandte Themen, welche im Rahmen einer sogenannten "Klimamesse" diskutiert wurden. Hier stand der internationale Austausch und das Knüpfen wertvoller Kontakte im Vordergrund.
Warum sind Klimakonferenzen trotz aller Kritik sinnvoll?
Obwohl Azerbaijan und im speziellen Baku ein Hotspot der Erdöl- und Erdgasproduktion ist, erfüllt die Klimakonferenz auch dort ihren Zweck: die Staatengemeinschaft trifft sich und berät über das so wichtige Thema des Erdklimas und wie eine weitere Erwärmung einzudämmen ist.
Wieso ist eine Teilnahme auch persönlich wertvoll?
Ich wurde von der azerbaijdschanischen Firma Agro Dairy zu Betriebsbesuchen am Land und einer Panel-Diskussion zum Thema "nachhaltige Landwirtschaft" eingeladen. So bekam ich aus erster Hand Einblicke ins Land und in die Konferenz.
Was war die Ausgangslage?
Der Referenzpunkt war das Pariser Klimaschutzabkommen in der Nachfolge zum Kyoto-Protokoll, welches 195 Vertragsparteien 2015 unterzeichnet haben. Dabei hat man sich global auf einen maximalen Temperaturanstieg um 1,5 Grad Celsius geeinigt. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde den Schwellenländern eine jährliche Unterstützung von 100 Milliarden US-Dollar zugesichert.
Warum musste das neu verhandelt werden?
Diese Zusicherung für die 100 Milliarden läuft 2025 aus. Deshalb lag der Fokus in Baku auf der Sicherstellung einer neuerlichen Finanzierung für die Schwellenländer zur Erreichung des Klimazieles. Im Gespräch waren Hilfen zwischen 300 Milliarden US-Dollar und 1,3 Billionen US-Dollar jährlich.
Was hat sich seit Paris verändert?
Die 1,5 Grad sind laut Experten quasi außer Reichweite, da wir bereits heute bei 1,3 Grad Erwärmung angelangt sind. Es wird also deutlich mehr Anstrengungen brauchen, um die Erderwärmung einzudämmen. Das Vorsitzland hatte erheblichen Einfluss auf das Gelingen der Konferenz. Hätte es keine Einigung gegeben, dann wäre dies natürlich ein Rückschlag für die Erreichung einer Klimawende gewesen. Zumal es keinen "Plan B" gibt.
Wie näherte man sich der Einigung bei der Finanzierung an?
Hier gab es verschiedene Ansätze. Etwa die Fonds, welche von der UNO direkt und indirekt verwaltet werden, wie der Green Climate Fund (GCF) und der Global Environmental Facility Fund (GEF). Der GCF ist mit über 12 Milliarden US-Dollar an umgesetzten Projekten einer der größten Fonds weltweit. Auch die Weltbank ist stark involviert.
Worum ging es abseits von Geld?
Um die sogenannte "Mitigation", also die Abmilderung der Auswirkungen des Klimawandels. Diese negativen Auswirkungen sind ja bekanntlich vielfältig, von Dürre bis Überschwemmungen, damit verbunden Umweltverschmutzung, Hungersnöte bis zu Krieg und Krankheit.
Was lässt sich da tun?
Vereinfacht könnte man sagen, dass der Versuch unternommen wird, mit den Auswirkungen des Klimawandels zurechtzukommen. Also vorab oder parallel zur Behebung des eigentlichen Problems, nämlich einer immer höheren Lufttemperatur, Vorsorge zu treffen. Höhere Temperaturen führen unweigerlich zu Kipppunkten des Erdklimas. Die Experten sind sich alle einig, dass man es nicht bis zu diesen Kippelementen des Erdsystems kommen lassen sollte.
Und was war mit Europa?
Es spielte in Baku eine eher untergeordnete Rolle, zumindest in der "Green Zone". In der "Blue Zone" fanden die Treffen der Regierungen statt. Die "Green Zone" war eher die "Klimamesse". Auf Side Events konnten sich Firmen präsentieren, treffen und austauschen. Natürlich war in der "Green Zone" auch jede Menge Platz für eine Leistungsschau. Und da tat sich Europa leider nicht hervor.
Warum war das so?
Anscheinend war die Teilnahme für viele Institutionen zu teuer. Fast schien es so, dass sich diejenigen Länder besonders ins Zeug legten, welche den größten Aufholbedarf haben oder sich vom Thema Klima etwas erhoffen.
Das tut Europa nicht?
Von Europa, genauer der EU, hätte man sich schon erwarten können, dass es auf der Klimakonferenz seine Anstrengungen für Klimaschutz und Dekarbonisierung präsentiert und sich so in der globalen Debatte positioniert. Es geht auch um die Übernahme von Verantwortung und das Zeigen unserer Einstellungen. Natürlich wäre hier auch wunderbar Platz gewesen aufzuzeigen, was wir in Europa unter nachhaltiger Wirtschaft verstehen.
Hätte das was gebracht?
Ja, schon. In meinem Panel konnte ich mit meinen Beispielen zur nachhaltigen Landwirtschaft, welche wir auf Gut Hardegg umsetzen, einiges an Aufmerksamkeit und Interesse wecken. Auch bei den azerbaidschanischen Gastgebern, welche ja unter semiariden Bedingungen wirtschaften, also im Übergangsklima zwischen sehr trockenen und feuchten Orten.
Was konnten Sie mitnehmen?
Durch den Austausch natürlich sehr viel, gleichzeitig konnte ich die europäische Sichtweise erklären und verteidigen. Europa steht nämlich mächtig in der Defensive.
Worin genau besteht die europäische Klimaschutzstrategie?
Die europäischen Initiativen lassen sich heute im "Green Deal" zusammenfassen. Europa bekennt sich zu den Pariser Klimazielen und hat im "Fit For 55"-Gesetz den Pfad zur Klimaneutralität festgelegt.
Was sind die Ziele?
Bis 2030 sollen gemäß diesem Gesetz 55 Prozent der CO2-Emmissionen verschwinden, inklusive der CO2 Äquivalente. Bis 2040 sollen es 90 Prozent sein und schließlich ab 2050 sollen wir klimaneutral wirtschaften. Kaum vorstellbar, wie das gehen soll, aber Experten halten diese Transformation für möglich, vor allem dann, wenn die größten Einzelemittenten wie etwa die Stahlindustrie, ihre Öfen umrüstet.
Welcher Effekt lässt sich mit Geld erzielen?
Einen parallelen Hebel hat die EU-Kommission in der Finanzwirtschaft angesetzt. Banken haben in Europa ja eine besondere Bedeutung für die Wirtschaft. Ihnen wurde die Dekarbonisierung ihrer Kreditbücher nahegelegt und die Verpflichtung zur Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichtes als Teil des Finanzberichtes samt Testat der Wirtschaftsprüfer.
Worum geht es da?
Das entsprechende Gesetz wird als EU-Taxonomieverordnung bzw. CSRD-Richtlinie (Corporate Sustainability Reporting Directive) bezeichnet. Es basiert auf den ESG-Zielen (Umwelt,- Sozial- und Governance-Dimensionen). Die Wirtschaft wird nach ihrer Klimawirkung kategorisiert.
Ist das klug?
Grundsätzlich schon, aber es gibt methodische Unzulänglichkeiten, welche zu zweifelhaften Ergebnissen führen. Es besteht die Gefahr einer einseitigen Ausrichtung, was wiederum in die nächste Krise führen wird. So ist zum Beispiel die Landwirtschaft nicht von der Taxonomieverordnung erfasst, der Sektor gilt also aus Sicht der Verordnung und damit der Finanzdienstleistung als nicht nachhaltig. Was natürlich schlichtweg Unfug ist.
Ist die ganze Klima-Ordnungspolitik auch ein großes Geschäft?
Natürlich. Die Verpflichtung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung ist für alle Betroffenen neu und bedeutet einen nicht unerheblichen Aufwand an Datensammlung und -analyse.
Von welchen Summen reden wir?
Für größere Unternehmen gehen die Kosten in die Millionen, was für die Realwirtschaft gerade in Zeiten der Rezession ein Problem ist. Vielfach fressen die Kosten für die Berichterstattung die ohnehin nicht üppigen Margen auf. Die Standards schlagen auch indirekt auf nicht erfasste (da zu kleine) KMUs nieder. Im Zuge der Lieferketten werden sie aber auch Belege liefern müssen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit gemäß der geforderten Methodik.
Wer profitiert also davon?
Die großen Profiteure sind die Berater und Wirtschaftsprüfer. Eine neue Branche ist quasi über Nacht entstanden. Ob uns dies alles wirklich aus dem fossilen Zeitalter hinausführen wird in eine Transformation für die Zukunft, wird sich erst weisen.
Worin besteht die Gefahr?
In einer nicht durchdachten und einseitigen Methodik. Man hat sich beispielsweise nur auf die Klimaziele eingeschränkt und ganz vergessen, dass Umwelt viel mehr als nur Klima ist. Weiters kategorisiert man Branchen anhand nur eines Klima-Kriteriums und lässt damit die wichtige Gesamtbeurteilung unter den Tisch fallen.
Was heißt das in der Praxis?
In der Landwirtschaft wird beispielsweise die Rinderhaltung (zurecht) aufgrund der Methangasausscheidung als problematisch eingestuft. Damit wird aber die gesamte Nutztierhaltung als problematisch eingestuft und automatisch die ganze Landwirtschaft. Alles über einen Kamm, das wird nicht gut gehen.
Und das Gastgeberland Azerbaijan?
Hat sich zweifelsfrei große Mühe gegeben bei der Ausrichtung der Klimakonferenz. Historisch gesehen ist das Land am Kaspischen Meer durch Erdöl und Erdgas zu Reichtum und Wohlstand gekommen. Der ökologische Preis dafür war hoch, das Kaspische Meer ist kontaminiert so wie auch viele Böden. Das Absinken des Kaspischen Meeres um viele Meter hat zu großen Problemen geführt, denn die Böden sind als in hohem Masse salzhaltig zu bezeichnen. Ein Pflanzenbau auf solchen salinen Böden ist nicht möglich.
Ist dem Land die Problematik bewusst?
Meine Eindrücke sind, dass Teile der Verantwortungsträger dies erkannt haben und über die Entwicklung einer nachhaltigen Landwirtschaft auch die Umwelt und erneuerbare Energien fördern wollen. Jedenfalls hat man erkannt, dass Erdöl allein zu wenig ist. Damit gehört Azerbaijan zu der Gruppe der erdölfördernden Nationen, welche sich auf neue Beine stellen wollen.
Was könnte Österreich beisteuern?
Mein persönliches Highlight war das Beobachten eines großen Schwarmes Zwergtrappen. Dieser wunderschöne, hühnergroße Vogel ist in Mitteleuropa längst ausgestorben und scheint in Azerbaijan gerne zu überwintern. Das Land hätte also große Möglichkeiten, seine vorhandenen Ressourcen auch für Umwelt und Biodiversität einzusetzen und sich damit weltweit ganz anders zu positionieren. Vielleicht sogar mit Hilfe von Österreich.
Das heißt, alles zusammengefasst?
Den Besuch in Azerbaijan kann ich als sehr positiv bewerten. Hier gibt es auch für uns Europäer große Möglichkeiten im Zuge der Nachhaltigkeit und Transformation.
Und die Klimakonferenz?
Kann ich sehr positiv bewerten. Es trifft sich die Staatengemeinschaft, um die vielleicht wichtigste Themengruppe des Planeten zu besprechen, nämlich Umwelt und Klima. Hier stößt der Mensch zweifelsfrei an seine Grenzen und der internationale Austausch und das Ringen um Ziele und Wege sind daher von immenser Bedeutung. Nur wenn es gelingt, dass jeder Staat und Erdbewohner eine planetare Mitverantwortung erkennt, werden wir unseren einmaligen Planeten erhalten können.
Was muss Europa, was Österreich tun?
Europa sollte sich hier, trotz und vielleicht sogar wegen seiner Geschichte, nicht verstecken, sondern im Gegenteil aufzeigen, was wir alles gelernt haben und können. Und Österreich: könnte mit seinem tollen internationalen Urlaubsimage auch im Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit ganz groß dastehen. Wenn es nur will.
Dipl.Ing. Maximilian Hardegg leitet seit über 30 Jahren den familieneigenen Betrieb. Gut Hardegg beschäftigt 40 Mitarbeiter und versorgt rund 100.000 Österreicher mit Grundnahrung. In ganz besonderer Weise widmet sich der Betrieb der Natur und Renaturierung, das Wertversprechen lautet "gelebte Artenvielfalt". 2023 wurde Maximilian Hardegg das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Bundesland Niederösterreich verliehen.