manager erschossen
Foto auf Kaffeetassen: So wurde Todesschütze zum Helden
Kindheit im reichen Haus, Jahrgangsbester in der Privatschule, Elite-Uni. Nun soll Luigi M. (26) in New York kaltblütig einen Top-Manager erschossen haben. Die Hintergründe und warum manche in den USA im Täter einen neuen Robin Hood sehen.
Es war Montag 9.10 Uhr in der Früh, als Tyler Frye und Joe Detwiler an den Tisch traten. Die beiden Polizisten baten den jungen Mann, der vor ihnen saß, die Maske abzunehmen. Wenige Augenblicke später war eine Flucht zu Ende, die in den USA tagelang die TV-Nachrichten dominiert hatte. Sie endete in einem McDonald's in Altoona, Pennsylvania.
Mit KI-Stimme Illy: Wie aus Elite-Student ein Todesschütze wurde
Fünf Tage davor, am Mittwoch den 4. Dezember, war Top-Manager Brian Thompson erschossen worden, mitten in Manhattan, im Eingangsbereich eines Hotels. Der 50-jährige CEO einer Versicherung wurde einmal in den Rücken und einmal ins Bein getroffen. Er wurde ins Krankenhaus gebracht, überlebte seine Verletzungen jedoch nicht.
Der mutmaßliche Täter: Luigi M., 26-jähriger Sohn aus reichem Haus mit einem Master in Informatik und einem Hass auf das US-Gesundheitssystem. Nun für einige ein Idol. Sie lassen T-Shirts mit seinem Porträt darauf drucken. Was derzeit über Tat, Schützen und sein Motiv bekannt ist:
Was ist in New York vorgefallen?
Ein Überwachungsvideo dokumentiert den exakten Ablauf. Zu sehen ist, wie Versicherungs-CEO Brian Thompson die Straße entlanggeht. Plötzlich taucht hinter ihm ein Mann auf. Er hält eine Waffe im Anschlag und schießt dem Manager einmal in den Rücken.
Was fällt sofort auf?
Die Kaltblütigkeit. Thompson stürzt zu Boden, der Täter will weiterschießen, aber seine Waffe hat Ladehemmung. Statt wegzulaufen, beseitigt er den Fehler in aller Seelenruhe, feuert dann noch zwei Mal auf sein Opfer, trifft einmal, dann rennt er weg.
War die Tat geplant?
Schaut so aus. Die Polizei sprach sehr schnell von einem "gezielten Angriff". Viele Leute seien an dem Verdächtigen vorbeigegangen, aber er schien auf sein beabsichtigtes Ziel zu warten.
Wie lässt sich das belegen?
Bilder aus Kameras zeigen, dass der Verdächtige seinem Opfer auflauerte. Augenzeugen sahen den Schützen fünf Minuten vor der Tat von der gegenüberliegenden Straßenseite aus das Hotel beobachten. Auf einem weiteren Video ist er eine halbe Stunde vor den Schüssen beim Herumstreifen auf dem Hotelgelände zu erkennen.
Wo liegt der Tatort?
Das Hilton Midtown Hotel liegt an der Sixth Avenue in der Nähe der West 54th Street.
Was war am Tatort auffällig?
Die 9-mm-Patronenhülsen, auf ihnen standen die Worte "deny", "defend" und "depose", also verzögern, ablehnen und absetzen. Auf jeder Patrone war jeweils ein Wort zu lesen, geschrieben mit Filzstift. Es war also vermutlich kein Zufall, dass der Täter drei Mal abdrückte.
Was steckt dahinter?
Möglicherweise ein Buch. 2010 erschien "Deny, Defend, Depose". Untertitel: "Warum Versicherungen nicht zahlen und was Sie dagegen tun können." Jay M. Feinman prangert darin die Taktiken der großen US-Anstalten an. Deren Strategie sei es, die Leute so zu frustrieren und ihr Leben zur Hölle zu machen, dass sie am Ende auf ihnen zustehendes Geld verzichten, so der Jurist und Autor.
Was tat der Schütze vor der Tat?
Er ging zu einem nahegelegenen Starbucks frühstücken. Die Überwachungskameras aus dem Kaffeehaus lieferten die ersten Fahndungsbilder. Im Starbucks wurden später eine Wasserflasche und eine Schokoriegelverpackung gefunden, die vermutlich vom Täter stammen. Da der aber nie erkennungsdienstlich in Erscheinung trat, verliefen die Spuren ins Leere.
Was machte er nach der Tat?
Er lief davon, nutzte dann ein Fahrrad. Er hatte es in der Gasse zwischen der West 54th und der West 55th Street abgestellt.
Gibt es ein Zeitprotokoll?
Ja, die Polizei machte den genauen Ablauf öffentlich.
Das passierte vor und nach den drei Schüssen
- 6.39 Uhr Luigi M. kommt zu Fuß beim Hilton an
- 6.44 Uhr Thompson taucht vor dem Hotel auf. Er ist unterwegs zu einem Investoren-Meeting
- 6.46 Uhr Der Schütze eröffnet das Feuer
- 6.47 Uhr Der Verdächtige läuft zu einem Fahrrad, das er in der Nähe abgestellt hat, und fährt Richtung Central Park davon
- 6.48 Uhr Eine Kamera filmt ihn auf dem Center Drive auf dem Fahrrad. Kurz vor 7 Uhr verlässt er den Park auf Höhe West 85th Street
- 7.12 Uhr Thompson wird Mount Sinai West Hospital für tot erklärt
Wie lange war der Täter in der Stadt?
Laut Polizei dürfte er am 24. November mit einem Bus aus Atlanta in New York angekommen sein. Er stieg in einem Hostel in der Upper West Side ab und beging den ersten Fehler. Weil er mit der Rezeptionistin flirten wollte, nahm er die Maske ab und wurde dabei von einer Kamera erfasst. Später tauchten Bilder auf, die ihn auf dem Rücksitz eines Taxis zeigen. Das FBI setzte eine Belohnung von 60.000 Dollar aus.
Wie kam man dem Täter auf die Spur?
Erst nach und nach, weil er ja unbescholten war. Am Freitag wurde im Central Park der Rucksack des Verdächtigen gefunden. Darin befanden sich eine Jacke und falsches Geld, Monopoly-Scheine, aber keine Waffe. Taucher suchten daraufhin den Teich im Central Park ab. Ergebnislos!
Wann war die Identität des Flüchtigen klar?
Laut Eric Adams, Bürgermeister von New York, spätestens ab Samstag. Die Polizei wisse, wen sie suche, sagte er, sie wolle ihm aber durch die vorzeitige Bekanntgabe seines Namens keinen Hinweis geben. Der Täter solle "weiterhin glauben, dass er sich hinter der Maske verstecken kann".
Was weiß man über das Opfer?
Brian Thompson arbeitete seit 2004 für UnitedHealthcare, der größten privaten Versicherungsanstalt in den USA mit 49 Millionen Kundinnen und Kunden. 2021 wurde er zum CEO ernannt. Er lebte in einem Vorort von Minneapolis, war verheiratet, hatte zwei Kinder. Seine Frau berichtete der Polizei, dass es immer wieder Drohungen gegen ihren Mann gegeben habe, ohne Details zu wissen. Thompson verdiente laut US-Medien 10,2 Millionen Dollar im Jahr.
Was weiß man über die Versicherung, bei der Thompson arbeitete?
UnitedHealthcare stand immer wieder in der Kritik. Im Juli kam es vor dem Firmensitz in Minnesota zu einer Demo. Die Teilnehmer warfen dem Versicherer vor, Ansprüche systematisch abzulehnen.
Wurden die Vorwürfe untersucht?
Ja. Im Oktober veröffentlichte ein Ausschuss des US-Senats einen vernichtenden Bericht. Darin heißt es: "Die Ablehnungsquote von UnitedHealthcare für die postakute Versorgung stieg von 10,9 Prozent im Jahr 2020 … auf 22,7 Prozent im Jahr 2022." Im November verklagte das US-Justizministerium die UnitedHealth Group und warf ihr Verstöße gegen das Kartellrecht vor.
Wie verlief die Flucht des Schützen?
Luigi M. war sehr sorgsam, versuchte Kameras auszuweichen. Nachdem er auf dem Fahrrad den Central Park verlassen hatte, nahm er ein Taxi (in dem er, ohne es zu merken, fotografiert wurde) und ließ sich zu einer Bushaltestelle in der Nähe der George Washington Bridge bringen. Von dort verließ er die Stadt.
Wo wurde Luigi M. geschnappt?
In Altoona im Bundesstaat Pennsylvania. Die Stadt hat rund 44.000 Einwohner und liegt etwa 370 km westlich von New York. Einem Stammkunden einer örtlichen Filiale, der mit Freunden im Lokal saß, fiel Luigi M. auf, als der Verdächtige bei der Tür hereinkam. Und das, obwohl der Verdächtige eine medizinische Maske trug. "Das ist der Schütze aus New York," sagte er zu seinen Begleitern. Die dachten an einen Scherz.
Was passierte dann?
Ein Angestellter von McDonald's verständigte die Polizei. Der Anruf ging Montag gegen 9.14 Uhr ein. Seltsam: Ein Augenzeuge erzählte CNN, dass der Schütze gehört haben muss, dass über ihn geredet und gescherzt wurde. "Aber er blieb trotzdem sitzen".
Warum flog der Attentäter auf?
Als die beiden Beamten an den Tisch von Luigi M. traten, wurde er "sichtlich nervös, zitterte irgendwie", sagte Altoonas stellvertretender Polizeichef Derek Swope Reportern. Sie fragten zunächst, ob er in jüngster Zeit in New York gewesen sei und verlangten dann nach einem Ausweis. Er wies sich mit den gefälschten Papieren aus, mit denen er das Hostel in Manhattan gemietet hatte. Also Festnahme!
Wie lief die Festnahme ab?
Ruhig. Die Pennsylvania State Police veröffentlichte später sogar Fotos, die Liugi M. in dem Lokal zeigen. Er sitzt in einer hinteren Ecke und isst einen "Hash Brown" (heißt bei uns Big Rösti). Der Todesschütze hatte einen Rucksack am Boden neben sich stehen, in dem fanden sich eine Waffe mit Schalldämpfer, mehrere gefälschte Ausweise und ein 262 Wörter langes Manifest, eine Abrechnung mit dem US-Gesundheitssystem.
Was hat es mit der Waffe auf sich?
Es handelt sich um eine sogenannte "Ghost Gun", eine Geisterpistole. Sie ist schwarz und dürfte mithilfe eines 3D-Druckers hergestellt worden sein, ebenso der Schalldämpfer. Die Pistole verfügte laut Polizei über "ein geladenes Glock-Magazin mit sechs 9-mm-Vollmantelgeschossen."
Was ist eine "Ghost Gun"?
In den USA mittlerweile ein ziemliches Problem. Es handelt sich um Eigenbauwaffen, sie sind nicht registriert, haben keine Seriennummern, können nicht nachverfolgt werden. Man kann sie ausdrucken, es gibt aber auch Bausätze, die weniger als 200 Dollar kosten. Von 2016 bis 2021 wurden laut ATF ("Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives") mehr als 45.000 Geisterwaffen gemeldet, die von der Polizei an potenziellen Tatorten sichergestellt wurden.
Was steht in dem Manifest?
Es ist handgeschrieben, drei Seiten lang, Luigi M. bezeichnet sich darin als Einzeltäter. Und wörtlich: "Ich entschuldige mich für etwaige Konflikte oder Traumata, aber es musste getan werden. Ehrlich gesagt, diese Parasiten haben es einfach verdient." Die USA hätten "das teuerste Gesundheitssystem der Welt", würden aber "bei der Lebenserwartung auf Platz 42" liegen. Versicherungen nennt er "Mafiosi".
Was weiß man aus dem Leben des mutmaßlichen Schützen?
Zunächst, dass er einmal ein Musterknabe war. Ein Video zeigt ihn 2016, er hält als Jahrgangsbester die Abschlussrede auf der Gilman School. Die Privatschule zählt Manager, NFL-Stars und Senatoren zu ihren Absolventen. Schulgeld aktuell: 37.690 Dollar im Jahr. Luigi M. trägt einen dunklen Anzug, eine blaue Krawatte, eine weiße Nelke im Knopfloch: Zu sehen ist ein smarter Teenager mit Wuschelhaar an der Pforte zu einer großen Karriere.
Was ist der familiäre Hintergrund?
Luigi M. stammt aus einer bekannten und reichen Familie. Ihr gehören mehrere Country Clubs, Pflegeheime und Radiosender. Der 26-Jährige ist Enkel eines Immobilien-Entwicklers und Philanthropen sowie der Cousin eines republikanischen Abgeordneten von Maryland. Die Familie sei "schockiert und am Boden zerstört", sagte er in einer Erklärung.
Wie verlief seine Karriere nach der Schule?
Nach seinem Abschluss im Jahr 2016 ging Luigi M. an die University of Pennsylvania, eine der acht Eliteuniversitäten der US-Ivy League (neben Columbia, Harvard, Dartmouth, Yale, Cornell, Brown, Princeton). Für das Studienjahr sind laut Uni inklusive Wohnen, Büchern und Transporte aktuell 92.288 Dollar zu kalkulieren.
Was studierte Luigi M.?
Informatik. Laut einem Sprecher der Universität machte er sowohl seinen Bachelor- als auch seinen Masterabschluss. Studienkollegen beschrieben ihn laut US-Medien als "supernormale“ und "intelligente Person".
Machte er danach groß Karriere?
Nicht wirklich. Er war Mitbegründer seiner eigenen Computerspielfirma, die sich auf kleine, einfache Games konzentrierte. Aktuell arbeitet er laut seinem LinkedIn-Profil als Dateningenieur bei TrueCar, einer Gebrauchtwagen-App mit Sitz in Santa Monica. Laut Unternehmen hat er den Job aber 2023 aufgegeben.
Wo lebte Luigi M.?
Laut Polizei hatte er seine letzte Wohnadresse in Honolulu auf Hawaii. Laut einem Instagram-Video war er 2022 Teil der Surfbreak-Coliving-Community, schied aber noch im selben Jahr aus. Er musste auch mit Sport aufhören, sein Rücken ließ es nicht mehr zu. Luigi M. brach fast alle Kontakte ab, offenbar auch zu seiner Familie.
Liegt im Rückenleiden der Schlüssel zum Verbrechen?
Luigi M. dürfte an Spondylolisthesis leiden, das sogenannte "Wirbelgleiten" ist oft angeboren. Bei Betroffenen verursacht die Krankheit oft heftige Schmerzen und Bewegungseinschränkungen, sie müssen starke Medikamente nehmen. Meist ist die Lendenwirbelsäule betroffen. Die einzelnen Wirbel verschieben sich gegeneinander nach vorne oder hinten.
Wie stark war Luigi M. betroffen?
Das ist unklar. Sein Profilbild auf X zeigt eine Röntgenaufnahme einer Wirbelsäule mit vier Schrauben, offenbar nach einer Operation. Ob es seine eigene Aufnahme ist oder jemanden anderen zeigt, ist nicht klärbar. Seinem Konto bei Goodreads, einem Amazon-Portal für Bücher, ist zu entnehmen, dass er wiederholt Fachliteratur über Rückenschmerzen gelesen hat.
Was verbindet ihn mit dem Unabomber?
Theodore Kaczynski tötete zwischen 1978 und 1996 drei Menschen mit Briefbomben. Liugi M. gab seinem Manifest "Industrial Society and Its Future" vier Sterne als Bewertung. In seiner Rezension räumte er zwar ein, dass Kaczynski unschuldige Menschen getötet habe, aber man sollte das Manifest nicht als Werk eines Verrückten abtun, sondern als Schreiben eines extremen politischen Revolutionärs.
Warum ist Liugi M. für viele plötzlich ein Held?
Nach dem Attentat entlud sich in den sozialen Medien offene Wut. Eine Flut von Beschwerden ging über UnitedHealthcare, aber auch andere Versicherungsunternehmen nieder. Menschen beklagten die hohen Kosten, vor allem aber die Ablehnung von Ansprüchen. Der mutmaßliche Schütze Liugi M. war plötzlich jemand, der in Notwehr Selbstjustiz geübt hatte. Als eine Art Robin Hood für Opfer des Gesundheitssystems.
Was klagen die Menschen etwa an?
Auf dem LinkedIn-Verlauf von Thompson finden sich viele persönliche Berichte. Eine Frau etwa schreibt: "Ich habe metastasierenden Lungenkrebs im Stadium 4". UnitedHealthcare würde ihre Medikamente immer wieder ablehnen. "Jeden Monat gibt es einen anderen Grund dafür." Aus dem Mord an einem Manager wurde schnell eine wilde Debatte über die US-Gesundheitsvorsorge.
Ist an der Kritik was dran?
Jetzt einmal abgesehen davon, dass ein mutmaßlicher Mörder kein Held sein kann: Ja, die Kosten für die Gesundheitsvorsorge in den USA explodieren. 2024 betrug die durchschnittliche Krankenversicherungsprämie für Familien 25.572 Dollar pro Jahr, Alleinstehende zahlten 8.951 Dollar, was einer Steigerung von 6 bzw. 7 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht, schreibt CBS.
Wie wird Luigi M. abgefeiert?
In Online-Shops gibt es inzwischen Kaffeetassen mit seinem Porträt zu kaufen, auf T-Shirts und Pullovern ist "Deny, defend, depose" aufgedruckt, die Worte standen auf den Patronenhülsen. Auf Amazon wurden Hüte, T-Shirts und Biergläser verkauft. Die Beiträge wurden inzwischen entfernt, weil sie laut Amazon, "gegen die Unternehmensregeln verstoßen".
Ist die Welle zu stoppen?
Kaum. Britische Medien berichtet, dass Etsy, RedBubble und eBay weiterhin eine Reihe von Artikeln im Zusammenhang mit "Deny, Defend, Depose" verkaufen. NBC News listet 100 einschlägige Produkte auf, darunter Gartenschilder, Aufkleber, Tassen, falsche Munition und sogar Weihnachtsschmuck. Es gibt auch Versionen mit Guillotinen, Gewehren und Zielscheiben.
Was ist mit McDonald's?
In einer Filiale in Altoona, Pennsylvania, war Luigi M. festgenommen worden. Das Restaurant wurde mit negativen Kritiken geflutet, die Mitarbeiter wurden beschimpft, Google hat viele Bewertungen inzwischen gelöscht. "Hab hier in der Küche Ratten umherhuschen sehen!!! Finger weg!", lautete eines der Postings.