TV-Sechsteiler

Genie Kafka und das Geheimnis seiner letzten großen Liebe

Zum 100. Todestag von Franz Kafka: Alle sechs Episoden seiner Lebensgeschichte kann man nun nachsehen. Eine gute Idee!

Kafkas letzte große Liebe: Tamara Romera Ginés als Dora Diamant, mit der Kafka seine letzten Monate verbrachte.
Kafkas letzte große Liebe: Tamara Romera Ginés als Dora Diamant, mit der Kafka seine letzten Monate verbrachte.
ORF/Superfilm
Newsflix Redaktion
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"Ich kann es nicht ansehen wie der Bursche frisst!" Hermann Kafka tobt. Während der herrische Vater, gelernter Fleischhauer und dank Fleiß und Heirat zum wohlhabenden Kaufmann im Prag der Jahrhundertwende aufgestiegen, Bratenstücke hinunterschlingt, kaut der junge Franz auf Nüssen und Ziegenkäse herum ("jeden Bissen 40 Mal kaufen", belehrt er später einmal). Auch Kafkas Stimme und sein Lachen nerven, so trocken, spröde und ungelenk wirkt der junge Mann. Aber WAS Kafka sagt – wenn er etwas sagt – bleibt haften.

"Kafka", die Serie Zum hundertsten Todestag des weltberühmten Autors am 3. Juni haben David Schalko und Daniel Kehlmann eine sechsteilige Miniserie geschaffen, die sich dem Phänomen Franz Kafka vielschichtig, frisch und sehr kraftvoll nähert. Bis in kleinste Rollen hochkarätig besetzt (u.a. Nicholas Ofczarek, David Kross, Robert Stadlober, Verena Altenberger, Lars Eidinger, Katharina Thalbach, Charly Hübner oder Robert Palfrader), werfen die Serien-Macher eine Collage auf den Bildschirm, die das Leben des Schriftstellers und die Geschichte seines Werkes so nachzeichnet, dass Kafka-Novizen und -Auskenner gleichermaßen Freude haben.

Modern, schnell und abwechslungsreich "Kafka" ist nicht linear aufgebaut, sondern springt wild auf verschiedenen Zeitebenen hin und her – zwischen dem Familienessen daheim in Prag, einem Aufenthalt in Italien, einem Gespräch am Sterbebett und der abenteuerlichen Reise von Kafkas Manuskripten am Vorabend des Zweiten Weltkrieges (da war der Autor bereits 15 Jahre tot) liegen im Leben 40 Jahre, in der Serie sind es nur wenige Minuten. Es gibt einen Off-Erzähler (Michael Maertens), der durch die Geschichte führt, es werden immer wieder Fotos eingeschoben wie bei einer Dia-Show, man fühlt sich gelegentlich an den Film "Die fabelhafte Welt der Amelie" erinnert.

Palfrader als Pornograph Und nicht zuletzt wird immer wieder die "Vierte Wand" durchbrochen, wendet sich also ein Schauspieler kurzzeitig direkt an die Zuseher. Etwa wenn Kafkas bester Freund Max Brod viele Jahrzehnte später erklären soll, weshalb er in Kafkas Tagebüchern Passagen gestrichen hat und es eine Rückblende zu einem Besuch bei einem Prager Pornographen (Palfrader!) gibt, der Kafka und Brod einschlägige Bilder inklusive Anekdoten präsentiert, und Brod unvermittelt zum Publikum spricht: "Und das hätte ich in den Tagebüchern lassen sollen?"

Sechs Teile, sechs Themen Schwerpunktmäßig widmet sich "Kafka" in jeder Folge einem anderen Lebensthema des Schriftstellers und erzählt es ausführlich. In Teil 1 ist das eben Max Brod, bester Freund Kafkas seit gemeinsamen Kommilitonentagen an der Prager Universität und nach dem Tod des Autors der Bewahrer seines Werkes. Brod, behütetes Kind aus reichem Hause und ambitioniert in vielen Bereichen der Kunst, war selbst als Schriftsteller mit wesentlich weniger Talent beschieden als sein Freund. Gleichwohl erkannte er das Genie Kafkas noch vor jedem anderen und widersetzte sich deshalb auch dem Wunsch seines Freundes, sein Werk nach dessen Tod zu vernichten. Vielmehr schmuggelte er es gerade noch rechtzeitig aus der Tschechoslowakei heraus, ehe das Land von den Nazis besetzt wurde, und tat sich in den folgenden Jahrzehnten als – heute würde man sagen Manager – der Werke Kafkas hervor.

    Franz isst lieber Nüsse als Fleisch: Joel Basman als Franz Kafka und Maresi Riegner als seine Schwester Ottla.
    Franz isst lieber Nüsse als Fleisch: Joel Basman als Franz Kafka und Maresi Riegner als seine Schwester Ottla.
    ORF / Superfilm
    1/20

    Das sind die einzelnen Folgen In den weiteren Teilen werden Kafkas Beziehungen und Verhältnisse zu Felice Bauer behandelt (Folge 2), mit der er lange Jahre verlobt gewesen ist, zu seiner Familie (Folge 3) – gerade sein dominanter Vater Hermann prägte den jungen Franz sehr – und zu seiner Arbeit bei der Unfallversicherungsanstalt (Folge 4), die er als Hölle empfand. In den letzten beiden Folgen geht es um zwei Frauen – die Schriftstellerin Milena Jesenská (Folge 5), die Kafkas Genie so erkennt, wie es bis dahin nur Max Brod getan hatte. Und um Dora Diamant (Folge 6), Kafkas letzte große Liebe, die ihn bis zu seinem frühen Tod mit 40 begleitet hat.

    Der Hauptdarsteller Setzen Regisseur David Schalko und Autor Daniel Kehlmann bei vielen Nebenrollen auf Kapazunder, so wurde die Titelrolle eher überraschend vergeben. Als Franz Kafka, der 1924 mit nur 40 Jahren in einem Sanatorium in Kierling bei Klosterneuburg der Tuberkulose erlag, liefert der Schweizer Joel Basman Erstaunliches ab. Sein Kafka pendelt zwischen Kauzigkeit und Verschrobenheit einerseits und größter Tiefe und Sehnsucht andererseits und lässt den Dichter, von dem keinerlei Film- oder Tonaufzeichnungen existieren, auf beeindruckende Art lebendig werden.

    Fast jeder Satz, den Kafka in unserer Serie sagt, ist etwas, das er einmal geschrieben hat
    Regisseur David Schalko

    Der Mann im Hintergrund Das größte Geheimnis hinter der Kraft und Vielschichtigkeit der Serie ist aber der deutsche Kafka-Biograph Reiner Stach. Seine dreibändige, mehr als 2000 Seiten starke Kafka-Biographie war für Schalko und Kehlmann der Ausgangspunkt ihrer Arbeit. "Reiner Stachs Biographie ist vielleicht die beste, die ich je gelesen habe", erklärte Regisseur Schalko in "tv media". "Da ist szenisch schon fast alles drinnen. Fast jeder Satz, den Kafka in unserer Serie sagt, ist etwas, das er einmal geschrieben hat." Kafka in seinen eigenen Worten also. Was könnte einer biografischen Serie besseres passieren. 

    "Kafka", insgesamt sechs Folgen á ca. 40 Minuten. Alle sechs Episoden finden Sie in der ORF-TVthek

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