BIDEN-REDE
"Ich bin ein Erwachsener, der gegen einen 6-Jährigen antritt"
USA-Experte Eugen Freund nahm mehrmals am Korrespondenten-Dinner mit dem US-Präsidenten teil. Wie er nun die Hass-Attacken von Trump sieht.
Der Kontrast könnte größer nicht sein. Hier steht Präsident Joe Biden, im Smoking in der Mitte an einem langen Tisch, auf beiden Seiten von Journalisten umgeben, und hält eine launige Rede: "Natürlich spielt das Alter in diesem Wahlkampf eine Rolle", sagt er. "Ich bin ein Erwachsener, der gegen einen Sechsjährigen antritt."
Das traditionelle Abendessen der Korrespondenten, die am Weißen Haus akkreditiert sind, gehört zu jenen US-tyischen Zeremonien, für die es in Europa nichts Gleichartiges gibt. Oder können Sie sich ein Dinner vorstellen, bei dem Alexander Van der Bellen Witze über sich oder über irgendeinen politischen Gegner macht. OK, VdB könnte das, aber Karl Nehammer?
2.600 Gäste sind diesmal da, auch Hollywood-Star Scarlett Johansson. Sie ist mit Colin Jost verheiratet, TV-Comedian in der Show "Saturday Night Live", er hält die launige Festrede. Das Korrespondenten-Dinner findet seit 1920 statt, üblicherweise nehmen Präsident und Vizepräsident(in) teil, nur Donald Trump schwänzte.
Biden hält Rede, Trump muss schweigen
Während Joe Biden seine Gäste unterhält, sitzt Trump (fast) zur gleichen Zeit mit steinerner Miene im Gerichtsgebäude von Manhattan und muss sich vom Staatsanwalt sagen lassen, dass er durch die Zahlung von Schweigegeld an einen ehemaligen Porno-Star gleich mehrere Gesetze verletzt hat. Seine Laune verbessert sich nicht, als ihn der Richter zu 9.000 Dollar Ordnungsstrafe verdonnert, weil er – trotz eines ausdrücklichen Verbots – Prozessbeteiligte attackiert hatte. Sogar auf die Tochter des Richters ging er verbal los.
Trump schweigt dazu. Ohnehin besser. Oder will man ihn sagen hören, was er kürzlich über die Schlacht von Gettysburg, die 23.000 Tote forderte, sagte: "Gettysburg, was für ein unglaublicher Kampf das war. Die Schlacht von Gettysburg. Was für ein unglaublicher … es war so viel und so interessant, und so gemein und schrecklich, und so wunderschön …"
Flut an Beschimpfungen
Dass vieles keinen Sinn macht, was aus seinem Mund heraus kommt, daran haben sich viele - außer seine Bewunderer - schon gewöhnt. Aber dass seine Rhetorik immer tiefer vom Normal-Bereich abgleitet, erfährt man nur, wenn man längere Aufritte über sich ergehen lässt. Etwa als er auf einer Wahlveranstaltung Ende März über Lautsprecher zu hören war: "Wenn unsere Gegner gewinnen, wird aus unserem einstmals schönen Land eines, das gescheitert ist und das nicht wieder zu erkennen sein wird. Ein gesetzloser, schmutziger, krimineller, kommunistischer Alptraum mit offenen Grenzen. Entweder sie gewinnen oder wir gewinnen. Wenn sie gewinnen, gibt es für uns kein Land mehr …"
Es gibt noch mehr und es kommt noch schlimmer: "… Wir werden Joe Biden (er ist ein bösartiger, geistig gestörter Mann) aus dem Weißen Haus vertreiben … Die kriminelle Biden-Familie wird einen Preis zahlen … Biden ist ein Wüterich, ein haltloser Verbrecher … Wir werden die Fake-News Medien verjagen, bis sie wieder ehrlich werden. Wir werden die Globalisierer hinauswerfen, und die Kommunisten, die Marxisten, die Faschisten, die radikal-linken Verbrecher, die wie Ungeziefer in unserem Land leben und lügen und stehlen und uns mit Wahlen betrügen."
Das F-Wort fällt
"So machen Faschisten Wahlkampf" – der Mann, der diese harten Worte findet, spricht nicht über Hitler, Mussolini oder einen südamerikanischen Diktator. So beurteilt der Historiker Federico Finchelstein in der "New York Times" die Reden Donald Trumps. Der verbringt derzeit zwar die meiste Zeit im Gerichtsgebäude in New York und weniger im Wahlkampf-Einsatz, doch seine bisherigen Auftritte geben genug Stoff für diese einzigartige Beurteilung. "Einzigartig" - denn niemals in der jüngeren Geschichte der Vereinigten Staaten hat ein Präsidentschaftsbewerber derart negativ über sein Land gesprochen, oder seinen Gegenkandidaten - besser muss es heißen: den gegenwärtigen Präsidenten der USA - so in den Schmutz gezogen wie es eben Trump macht.
1980 - noch richtig harmlos
Wie harmlos ging das alles noch zu, als ich 1980 zum ersten Mal hautnah den amerikanischen Wahlkampf mitverfolgte. Ronald Reagan, den man vielerorts – hauptsächlich in Europa – als B-Movie-Schauspieler klein redete (und dabei vergaß, dass er als Gouverneur davor ein Land regierte, das mit damals 23 Millionen Einwohnern größer war als die meisten europäischen Staaten) gelang es damals, Jimmy Carter aus dem Amt zu drängen. "Make America Great Again" war Reagans Wahlslogan (das kommt einem heute allzu bekannt vor), vor allem aber wollte er den Einfluss des Staates zurückdrängen.
Er verlor kein böses Wort über den amtierenden Präsidenten, in Erinnerung geblieben ist mir noch am ehesten, dass er Carter in der TV-Konfrontation mehrmals mit "Jetzt kommen Sie schon wieder damit" ins Wort fiel, doch das war es auch schon.
"Diese beiden Dummköpfe"
Da tischte sein Nachfolger George H. W. Bush 1990 schon etwas härtere Kost auf: "My dog Millie knows more about foreign affairs than these two bozos." („Mein Hund Millie weiß mehr über die Außenpolitik als diese beiden Dummköpfe“). Millie war der English Springer Spaniel von Bush und mit den beiden "bozos" waren Bill Clinton und Al Gore gemeint – nicht gerade elegant, doch die beiden gewannen die Wahl dennoch.
Wenn Clinton später die politische Situation kritisierte, für die er Bush verantwortlich machte, dann klang das beinahe poetisch: "Es gibt nichts, was falsch läuft in den USA, das nicht damit gelöst werden kann, dass man es richtig macht."
Noch einmal zurück zurück zum Korrespondenten-Dinner, bei dem immer die feine Klinge geschwungen wird. Es findet jedes Jahr Ende April statt und ich habe mehrmals daran teilgenommen. Bis zu 3.000 geladene Gäste, die Tische stehen eng aneinander gedrängt, acht bis zehn Personen sitzen am Tisch, neben Journalisten auch Hollywood-Schauspieler und Produzenten, Washingtons politische Klasse, für uns immer ein Höhepunkt, mitten unter den Top-Reportern sitzen zu dürfen.
Clinton witzelte über Lewinsky Affäre
1998, in dem Jahr, in dem die Lewinsky-Liaison mitten in den Papst-Besuch in Kuba hineinplatzte (Clinton wurde vorgeworfen, ein Techtelmechtel mit der jungen Praktikantin Monica Lewinsky gehabt zu haben), wurde der Präsident monatelang von Journalisten quasi nur mit einem Thema belagert: "Haben Sie oder haben Sie nicht …"
So waren wir auch alle gespannt, wie er darauf beim White House Correspondents' Dinner reagieren würde. Und weil praktisch alle Journalisten dort anwesend waren, konnte er sich diesen Seitenhieb nicht ersparen: "Ich war in den vergangenen Monaten so beschäftigt, dass ich keine Zeitung gelesen, keine Nachrichten gesehen habe, seit der Papst Kuba besuchte. Worüber haben Sie seit damals geschrieben …? Wenn ich überhaupt irgendetwas in den Zeitungen lese, dann nur das, was sie richtigstellen."
Großes Gelächter folgte diesen Worten im Saal. Natürlich war das nicht einfach so dahin gesagt, aber so schien es mir damals, an diese ausgefeilte Rhetorik kam kaum mehr ein Präsident heran. Dass sich das so stark geändert hat, liegt nicht zuletzt an den sozialen Medien. Facebook, Twitter, TikTok und Truth Social (Trumps hauseigene Plattform) überbieten sich in Beschimpfung, Herablassung und Vergiftung. Und wie schon im Wahlkampf 2016 bei Trump gegen Hillary Clinton, spielen die etablierten Medien hier freiwillig oder unfreiwillig mit: je abstruser und unsinniger Trump daher kommt, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass man das in den Abendnachrichten oder in den Tageszeitungen wiedergegeben sieht.
Eine erschreckende Spirale ohne Ende.
Eugen Freund war Moderator der ZiB 1, lebte von 1979 bis 1984 in New York und war von 1995 bis 2001 in Washington als ORF-Korrespondent tätig. Er war Teil der SPÖ-Delegation im Europa-Parlament und ebendort Mitglied der USA-Delegation (2014-2019)