Peter Filzmaier im Interview
"Ich bin so der Typ Donaukanal-Jogger geworden"
Polit-Auskenner Peter Filzmaier hat ein Buch über die Geschichte der Olympischen Spiele geschrieben. Wie viele Pay-TV-Kanäle er abonniert hat, wer seine Sportidole sind und welche Leidenschaft er früher hatte (Panini-Pickerl). Das Interview.
Sagen wir so: Man kennt sich danach aus. Irgendwann zwischen seinen beiden Jobs als Professor an der Hochschule Krems und Studienrat im ZiB 2-Studio hat Peter Filzmaier wieder ein Buch geschrieben. Es widmet sich vor Paris 2024 den Olympischen Spielen, vor allem ihrer dunklen Geschichte, trieft nur so vor Fakten, ist aber genau aus diesen beiden Gründen lesenswert. Im Interview erklärt der Politologe, warum er "Olympia" geschrieben hat, weshalb er alle Leichtathletik-Weltrekorde aberkennen lassen will und wieso er mit Curling nichts anfangen kann.
Newsflix: Herr Filzmaier, wie erarbeiten sie denn ihre Bücher? Haben sie ein Schreibhaus, ein Turmzimmer oder eine Baumhöhle?
Peter Filzmaier: Nein, ein Arbeitszimmer. Aber tatsächlich lasse ich da beim Schreiben immer die Jalousien herunter.
Newsflix: Damit keiner zuschauen kann?
Filzmaier: Viel trivialer. Damit mich die Sonne nicht blendet in der Höhle. Sonst kann ich mich nicht konzentrieren.
Newsflix: Haben sie, so wie John Grisham früher, fixe Zeiten zum Schreiben?
Filzmaier: Nein, aber ich blocke mir halbe Tage frei, zwischendurch geht das nicht, also eine halbe Stunde da, eine halbe dort.
Newsflix: Schreiben sie auch in der Nacht?
Filzmaier: Jedenfalls zu unterschiedlichen Tageszeiten, sehr in der Früh, dann wieder am späten Abend.
Newsflix: Was schaffen sie so an einem halben Tag?
Filzmaier: Das hängt davon ab. Beim Erstentwurf bin ich sehr schnell, den klopfe ich einfach in den Laptop rein, teils mit Anmerkungen, also etwa „noch Zahlen checken“! Die Recherchen dauern dann. Aber ich habe ja meine Doktorarbeit über die politischen Aspekte von Olympia geschrieben, ich musste also nicht bei null anfangen.
Newsflix: Wann haben sie den ersten Buchstaben geschrieben?
Filzmaier: Schon im letzten Sommer.
Newsflix: Und dann?
Filzmaier: Immer wieder mit Pausen, auch ganze Wochen. Was halt mein Terminplan hergab.
Newsflix: Wie viele Stunden schauen sie am Tag Sport im Fernsehen?
Filzmaier: Sehr viele, aber ich führe keine Excel-Tabelle, das hat sich nicht überall bewährt.
Newsflix: Also so um die fünf Stunden?
Filzmaier: Das kommt mir etwas viel vor, meistens habe ich den Sport auf einem Second Screen, also ich tue etwas anderes daneben. Ich gestehe, auf meinem Fernseher läuft nicht immer CNN.
Newsflix: Haben sie viele Pay-TV-Sender abonniert?
Filzmaier: Ja, aber fast nur für Sport, kaum für Serien und Filme. Sky Sport, DAZN, und ich bin viel auf den Livestreams von worldathletics. Ich bin ein Freak und ein Nerd, ich kann von Sport nicht genug bekommen.
Newsflix: Was schauen sie nicht?
Filzmaier: Synchronschwimmen, weil ich nicht verstehe, warum es da einen Einzelbewerb gibt. Und Curling.
Newsflix: Das kann aber entspannend wirken…
Filzmaier: Mag sein, aber diese Faszination hat sich mir noch nicht erschlossen. Ich möchte mich bei allen Eisstockschützen dafür aufrichtig entschuldigen.
Newsflix: Schauen sie nur zu oder machen sie aktiv auch noch was?
Filzmaier: Nur mehr was gesundheitlich geht. Ich bin so der Typ Donaukanal-Jogger geworden.
Newsflix: Auch der Typ Fitnessuhr?
Filzmaier: Früher ja, da war Ausdauersport der perfekte Ausgleich zum Beruf. Ich konnte meine Gedanken ordnen und gewann zusätzlich einen Freundeskreis, der so gar nichts mit Politik am Hut hatte. Wohltuend.
Newsflix: Sie sind am Cover ihres Buches in einem der olympischen Ringe selbst als Läufer mit ziemlichen Muckis abgebildet. Die sehen echt aus, also nicht wie von einem Donaukanal-Jogger.?
Filzmaier: Das war ein Gag des Verlages. So schaue ich leider nicht mehr aus.
Newsflix: Sie benutzen das N-Wort, ausgeschrieben im Buch im Zusammenhang mit Jesse Owens bei den Olympischen Spielen der Nazis in Berlin. Gab es darüber Debatten?
Filzmaier: Ich verwende das nur in direkten und indirekten Zitaten. "Ich werde diesem Neger nicht die Hand schütteln", hat Hitler gesagt. Ich will damit veranschaulichen, wie widerlich und rassistisch die Spiele waren.
Newsflix: Rassismus, Doping, Korruption, Betrug. Ist es nicht ein ziemlich deprimierendes Bild, das sie in ihrem Buch zeichnen? Müsste man Olympia angesichts dessen nicht abschaffen?
Filzmaier: Ich bin kein Missionar, aber ich habe schon auch eine Botschaft. Ich denke, es ist beides zu schaffen. Man kann mit glühenden Augen als Sportfan zuschauen und sich im Zweitgedanken trotzdem überlegen, was das politisch bedeutet.
"Weltrekorde gehören annulliert"
Newsflix: Aber macht das Zuschauen noch echte Freude?
Filzmaier: Die Zweifel sind manchmal da, das gebe ich zu. Aber nehmen wir das Beispiel Doping. Ich bin gegen Pauschalurteile. Man sollte mehr testen, streng strafen, aber "die sind alle gedopt" ist genauso unsinnig wie "alle Priester sind Kinderschänder".
Newsflix: Sie fordern im Buch trotzdem, dass alle Weltrekorde in der Leichtathletik annulliert werden sollten und man wieder bei null beginnt. Warum das?
Filzmaier: Das ist die einzige Sportart, von der ich wirklich was verstehe. Man muss nur die Laufstrecken der Reihe nach durchgehen, sich die Entwicklung beim Körperbau anschauen. Etwa bei Florence Griffith-Joyner oder Marita Koch. Den Weltrekord über 800 Meter hält immer noch Jarmila Kratochvilova, aufgestellt 1983, vergleichen sie die Bilder von ihr vorher und nachher. Da wäre es ehrlicher, einen Schlussstrich zu ziehen.
Newsflix: Wollten sie als Kind Olympiasieger werden?
Filzmaier: Nein, Sportreporter. Auch nie Grisu, der kleine Feuerwehrdrache.
Newsflix: Ab wann setzt ihre sportliche Erinnerung ein. Schranz? Klammer?
Filzmaier: Schwierig zu beantworten, da mischt sich Erlebtes mit Erzähltem. Schranz, nein, 1972 war ich noch keine fünf Jahre alt.
Newsflix: Und Klammer?
Filzmaier: Innsbruck 1976, da habe ich eine vage Erinnerung. Aber ich weiß nicht einmal, ob wir damals daheim einen Fernseher hatten. Montreal im selben Jahr, da bin ich reingekippt. Ohne ein Idol zu haben. Österreich holte nur eine einzige Bronzemedaille, Rudolf Dollinger, Pistolenschießen.
Newsflix: Waren sie ein Autogrammsammler?
Filzmaier: Nein.
Newsflix: Wenigstens Paninipickerln?
Filzmaier: Ja, da ging mein Taschengeld drauf. So 20 Alben werde ich schon vollgeklebt haben.
Newsflix: Kommt mir bekannt vor …
Filzmaier: Ja, knallharte Verhandlungen in der Schulpause, Verschwörungstheorien, wenn es ein Bild gab, das keiner hatte. Ziel war es, weniger als 20 fehlende Bilder zu haben, denn die konnte man dann beim Verlag bestellen.
Newsflix: Wer ist für sie die größte Sportlerin aller Zeiten?
Filzmaier: Cathy Freeman, sie gewann in Sydney Gold über 400 Meter. Die erste Aborigine, heute sagt man korrekt First Nations Person, die für Australien einen Olympiasieg holte.
Newsflix: Bei den Männern?
Filzmaier: Michael Jordan, Basketball wird nie mehr so schön sein wie unter ihm. Gleichzeitig gab es viele Vorwürfe gegen ihn, wegen Sponsorenverträgen, mangelndem politischem uns sozialem Engagement. Aber faszinierend heißt ja nicht, dass die Person in allem positiv besetzt ist.
Newsflix: Wer in Österreich?
Filzmaier: Das ist ein laufender Prozess. Anna Kiesenhofer, die in Tokio das Radstraßenrennen gewann. Sie kam aus dem Nichts, hat danach kluge Interviews gegeben, obwohl sie nicht der Medientyp ist. Sie hat auch ein paar Seitenhiebe gegen Medien verteilt, wollte nicht boulevardesk ausgenutzt werden, hat auf Geld verzichtet.
Newsflix: Wenn es ein laufender Prozess ist, wer war es davor?
Filzmaier: Anna Veith, früher Fenninger. Skisport ist in Österreich ein PR-Karussell ohne Ende. Professionell ja, aber jede Handbewegung wird von Pressearbeitern gelenkt. Sie hat sich dem zum Teil entzogen. Mich fasziniert aber auch die Eishockey-Nationalmannschaft der Frauen.
Newsflix: Soll Österreich sich noch einmal um Olympische Spiele bemühen?
Filzmaier: Unter einer Bedingung: Nur nach einer Volksbefragung.
Peter Filzmaier, Olympia, Die Spiele als Bühne für Sport und Politik, Von Athen 1896 bis zu den Sommerspielen 2024 in Paris. 184 Seiten, Verlag Brandstätter, 25 Euro