Beate Meinl-Reisinger
"Impfpflicht ein Fehler? Rückblickend im 'Wie' mit Sicherheit"
Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger hat ein Buch geschrieben. Über ein ÖVP-Angebot, Heimatliebe, Kickl, den ORF, Pinguine und "das Schlimmste, was ich je gemacht habe".

2012 gründete sie mit Matthias Strolz die Neos, hochschwanger mit der zweiten Tochter, 2018 wurde sie Vorsitzende der Partei. Am Mittwoch erscheint das neue Buch von Beate Meinl-Reisinger, es heißt "Wendepunkt", hat 192 Seiten, die Arbeit daran nennt sie gegenüber Newsflix "entsetzlich, das Schlimmste, was ich je gemacht habe". Die Entstehung dauerte fast ein Jahr mit wochenlangen Pausen dazwischen. Eine Woche im April/Mai zum Start, geschrieben wurde dann im Sommerurlaub, an rausgeschälten freien Tagen zwischendurch – wann eben Zeit war.
"Wendepunkt" besteht aus zwei Teilen: "So können wir nicht mehr weitermachen" analysiert die Fehler der Vergangenheit, "Wie wir das wieder hinkriegen" schaut in die Zukunft, auch in die eigene und die der eigenen Partei. Am Ende steht "ein Pakt des Vertrauens in zehn Punkten" als eine Art politisches Pfiat-di-Gott Achterl. Es ist ein etwas bemühter Abschluss.
Meinl-Reisinger ist Juristin, war 2005 und 2006 Assistentin von Otmar Karas im Europäischen Parlament in Brüssel, 2007 im Staatsekretariat für Christine Marek (ÖVP), "später dann in der ÖVP Wien", wie sie schreibt. "Doch danach war ich von Parteipolitik abgetörnt". Die wichtigsten Passagen aus dem Buch:
Wie sie als Jugendliche ÖVP und SPÖ empfand
Alte Parteien mit hauptsächlich älteren Herren in (Loden-)Anzügen, Proporz und Parteifilz.
Ihr politisches Erweckungselebnis
Der Fall des Eisernen Vorhangs, der Fall der Berliner Mauer – das waren nicht nur markante Wendepunkte in der Geschichte, sondern auch meine ersten Berührungspunkte mit "Freiheit".

Ihr Zugang zu Jörg Haider
Da gab es diesen jungen Politiker mit Namen Jörg Haider, der sich so anders anhörte als die anderen. Er wetterte gegen den Proporz und die alten Bonzen in den alten Parteien, und ich hörte ihm zu. Als Haider jedoch ausländerfeindlich und antisemitisch tönte, war für mich klar eine Grenze des Anstands erreicht.
Ein attraktives Angebot der ÖVP
Im August 2012 bekam ich einen Anruf eines ÖVP-Politikers, der mich fragte, was ich nach der Karenz vorhätte, und mir sagte, dass in einem Ministerium eine Abteilungsleitung frei würde. "Da wollen wir jemanden von uns" … Ich weiß noch genau, dass ich damals mit meinen Töchtern auf den Spielplatz gegangen bin. Dort habe ich nachgedacht … Genau das will ich nicht … Ich sagte ab und traf meine endgültige Entscheidung, Neos mitzugründen.
Die politische Mitte
Politisch wie wirtschaftlich kommt die Mitte immer stärker unter Druck. Politisch nehmen Polarisierungen und Extreme zu … Aber auch wirtschaftlich kann man den Eindruck gewinnen, dass es in den letzten Krisenjahren immer um "Reiche" und "Arme" ging. Die Mitte bekam wenig Aufmerksamkeit. Und das hat Folgen.
Die fehlende Diskussionskultur
Die Demokratie braucht nicht weniger Debatte, sondern grundsätzlichere … Da die "großen" Fragen nicht einfach zu lösen sind, stürzen sich Politikerinnen und Politiker und auch die Medien bisweilen gern aufs "Kleine" … dorthin, wo man sich auskennt, wo schnell etwas geregelt, verboten, angeprangert werden kann.
Linke und Wokismus
Gleichzeitig sind gerade unter Linken auch Auswüchse von Empörungsmechanismen unter dem Titel der politischen Korrektheit zu beobachten, die man als "Wokismus" bezeichnen könnte. Diese haben klar autoritäre Züge … auch ich habe mich empört, als der Gesundheitsminister im Zuge der Neufassung des Mutter-Kind-Passes von Schwangeren als "schwangeren Personen" sprach.

Kickl als Kanzler
Die FPÖ will vielleicht gar nicht regieren, zumindest nicht mit einem Koalitionspartner, mit dem man Kompromisse finden muss und der einen "aufblatteln" kann, weil die FPÖ den Versuchungen der Macht noch immer erlegen ist.
Ob die Impflicht (sie stimmte dafür) ein Fehler war
Rückblickend vor allem im "Wie" mit Sicherheit. Die Regierung hatte sich selbst für die Entscheidung ein fixes Datum gesetzt. Man hätte aber durchaus noch zuwarten können … Was ich bedauere, ist, dass auch ich in die Polarisierung rund ums Thema Impfen eingestiegen bin.
Was Pinguine mit der Bildung zu tun haben
Ich habe vor Jahren ein Video des Kabarettisten Eckhart von Hirschhausen gesehen. Dabei erzählte er, dass er in einem Zoo einen Pinguin betrachtete … er hielt ihn für eine "Fehlkonstruktion". Ein untersetzter Körper, kann nicht fliegen, die Knie fehlen und er watschelt unbeholfen in der Gegend herum. Und dann sprang der Pinguin ins Wasser – wo er sich pfeilschnell und höchst elegant bewegte. Das gilt auch für Menschen … Ein Schüler mit einem großen mathematischen Talent, aber Schwierigkeiten bei kreativen Dingen, wird nie ein große Künstler werden.
Die Entrüstungsgesellschaft
"Packt die Moralkeulen ein."
Heimatliebe
Ich bin eine echte Patriotin – ganz konkret eine Verfassungspatriotin. Heimatliebe ist etwas sehr Positives und erwächst aus unseren Rechten in der Verfassung.

Wie man die Wählerschaft zurückgewinnt
Wir benötigen dringend einen "Pakt des Vertrauens", der die Institutionen unserer Demokratie, wie Grundrechte, stärkt, Kooperationen und bürgerschaftliches Engagement im Sinne des Gemeinwesens fördert sowie Eigenverantwortung und Solidarität in eine solche Balance bringt, dass individueller Aufstieg durch Leistung und Bildung möglich ist.
Einwanderung
Die Hürden für die Staatsbürgerschaft gehören gesenkt.
Warum sie für Bürgerräte ist
Der wesentliche Kern eine Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern liegt darin, dass sie merken, dass sie etwas bewirken können. Beteiligungsprozesse müssen frühzeitig, ergebnisoffen und ernsthaft durchgeführt werden.
Schieflage der Medien
Mit dem von Türkis-Grün durchgepeitschten ORF-Gesetz wird die Lage noch schiefer. Auch wenn vom Rundfunkmonopol glücklicherweise nicht mehr die Rede sein kann: Niemand kann die Augen davor verschließen, dass dem ORF eine marktbeherrschende Stellung zukommt.
Neutralität
Sie allein schützt nicht. Ein Aggressor, dem der Status der Neutralität egal ist, reicht aus, um uns wehrlos dastehen zu lassen … Österreich muss deshalb nicht der NATO beitreten (auch über diese Frage sollte man jedoch offen diskutieren), aber in Europa ein verlässlicher Partner sein.
U-Ausschüsse
Ich will nicht einseitig sein. Die Untersuchungsausschüsse wurden zunehmend zur Schlammschlacht … auch wir Neos sind bisweilen übers Ziel hinausgeschossen.
Beate Meinl-Reisinger, "Wendepunkt. Wie wir das wieder hinkriegen", Kremayr & Scheriau, 192 Seiten, 24 Euro