"pfizer-gate"
Impfvertrag: Phantom-SMS bringen EU-Chefin in Bedrängnis
2021 schloss Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für die EU einen Impf-Deal mit Pfizer ab. Via SMS, die weg sind. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft. Die Hintergründe.
Sie würde es gerne wieder tun. Am 19. Februar gab Ursula von der Leyen bekannt, dass sie eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin anstrebt. Zur ersten war sie auf eher unrühmliche Weise gekommen. Sie war keine Spitzenkandidatin, sie war überhaupt erst gar nicht angetreten bei der Europawahl und hatte auch nie geäußert, Lust auf den Job zu haben. Die damalige deutsche Verteidigungsministerin wurde erst aus dem Hut gezaubert, als man sich auf niemand anderen einigen konnte – und weil das die Franzosen gut fanden. Viele Wählerinnen und Wähler fühlten sich dagegen hintergangen.
Nu will sie den Job, den sie erst nicht wollte, noch einmal für fünf Jahre haben. Die erste Hürde dafür ist genommen. Am 7. März wurde von der Leyen als Spitzenkandidatin der Europäische Volkspartei (EVP) für die Europawahlen im Juni bestätigt. Sie bekam – in ihrer eigenen Fraktion – 82 Prozent Zustimmung, 89 der 489 abgegebenen gültigen Stimmen stellten sich gegen ihre Kandidatur. Ein maues Ergebnis.
Und nun ziehen neue Gewitterwolken auf, denn von der Leyen steht im Mittelpunkt von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Das weiß man bisher:
Worum es eigentlich geht
Am 20. Mai 2021 schloss die EU ihren bisher größten Vertrag mit einem Privatunternehmen ab, er hatte ein Volumen von 35 Milliarden Euro: Die Kommission bestellte bei Pfizer und BioNTech 1,8 Milliarden Impfdosen "Comirnaty", sie sollten in zwei Etappen von je 900 Millionen Stück geliefert werden. Die Pandemie bog zu diesem Zeitpunkt ins zweite Jahr ein, mehrere Unternehmen hatten Impfstoffe entwickelt, es herrschte ein weltweiter Wettkampf um die Dosen. Die EU, deren Mitgliedsstaaten bis dahin in gewohnter Manier weitgehend auf eigene Faust agiert hatten, einigte sich auf ein gemeinsames Vorgehen, aber das warf schon bald danach viele Fragen auf.
Warum der Deal umstritten ist
Es war nicht die erste Verhandlung mit Pfizer, die ersten beiden Lieferverträge hatten Teams der Kommission, in denen sich auch Vertreter der Mitgliedsstaaten befanden, ausgehandelt. Sie wurden am 17. Februar 2021 (200 Millionen Dosen) und am 19. April 2021 (100 Millionen Dosen) fixiert. Dann aber nahm Ursula von der Leyen das Heft selbst in die Hand. Ihr war in der Krise Tatenlosigkeit vorgeworfen wurden, nun wollte sie Stärke vermitteln. Sie begann den dritten Vertrag, jenen über 1,8 Milliarden Impfdosen, auf eigene Faust und nur im kleinen Team zu verhandeln – ohne dafür von der EU autorisiert worden zu sein.
Wie von der Leyen über sich selbst stolperte
Es lief anfangs nicht schlecht, aber dann prahlte von der Leyen mit ihren guten Beziehungen zu Albert Bourla, dem Pfizer-Vorstandsvorsitzenden, und das nicht nur intern. Am 28. April 2021 erschien ein Artikel in der "New York Times", er war mit einem wunderhübschen Foto der Kommissionschefin versehen, aufgenommen an einem Sonntag im Abendlicht im Berlaymont-Gebäude in Brüssel, das verriet der Bildtext. In der "New York Times" war zu lesen, dass von der Leyen und Bourla schon seit Jänner in intensivem Kontakt standen, aber nicht nur das.
Der Pfizer-Boss war voll des Lobes für die EU-Chefin. Er habe eine Bindung zu ihr entwickelt, sagte er. "Mehrere Führungspersönlichkeiten der Welt würden sich an mich wenden, von Präsidenten oder Premierministern und Königen bis hin zu Generalsekretären von Organisationen", aber er und Frau von der Leyen hätten "ein tiefes Vertrauen aufgebaut, weil wir in intensive Diskussionen verwickelt waren".
Wie die Affäre ins Rollen kam
Von der Leyen und Bourla kommunizierten über viele Monate vor allem via SMS. Die "New York Times" verlangte schließlich Einsicht in den Schriftverkehr, die Kommission lehnte das an. Die Verträge und alles Drumherum würden der Geheimhaltung unterliegen, auch einigen Regierungen und Privatpersonen stieß das sauer auf. Selbst die EU-Ombudsfrau Emily O'Reilly und der Europäische Rechnungshof erkundigten sich, was in den Textnachrichten stand. Sie wurden abgeschasselt. Es seien keine Dokumente vorhanden, die in ihren Geltungsbereich fallen würden.
Was danach passierte
Das Nachrichtenportal "Politico" berichtete nun, dass Ermittler der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO) den Fall übernommen hätten. Zuvor hatten sich bereits belgische Staatsanwälte um die Affäre bemüht. Der belgische Lobbyist Frédéric Baldan brachte Anfang 2023 in Lüttich eine Strafanzeige gegen von der Leyen ein, die ungarische Regierung schloss sich an. Polen brachte eine eigene Beschwerde ein, überlegt aber nun, nach der Wahl von Donald Tusk zum Regierungschef, einen Rückzug. Die "New York Times" hat am 25. Jänner 2023 eine Klage gegen die Kommission auf den Weg gebracht, nachdem ihr der Einblick in die Pfizer-Dokumente verwehrt worden war. Auch die deutsche "Bild" klagte und bekam dann ein paar Dokumente ausgehändigt, die wenig zur Erhellung beitrugen.
Was ist jetzt mit den SMS?
Die sind offenbar unauffindbar, die Kommission wollte zunächst nicht einmal ihre Existenz bestätigen. Bei der Untersuchung von EU-Ombudsfrau Emily O'Reilly stellte sich heraus, das die Kommission das Büro von der Leyens nicht einmal aufgefordert hatte, danach zu suchen. Die EU-Kommissarin für Werte und Transparenz, Věra Jourová, räumte ein, dass die Textnachrichten aufgrund ihrer "kurzlebigen, vergänglichen Natur" gelöscht worden sein könnten.
Warum das für von der Leyen heikel ist
Sie bewirbt sich um eine zweite Amtszeit und kann derartigen Wirbel nicht gebrauchen. Es gibt viele Fragen. Warum der Preis für Pfizer-Impfungen im dritten Vertrag um 25 Prozent in die Höhe schoss, obwohl von der Leyen doch so gute Drähte zum Vorstandschef hatte? Ob zu viel bestellt wurde? Im Vorjahr mussten Dosen um vier Milliarden Euro vernichtet werden, schreibt die "NZZ".
Die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) gilt als eher schmerzbefreite Behörde, ihre Leiterin, die Rumänin Laura Kövesi, sei eine "resolute Korruptionsjägerin, die nicht in dem Ruf steht, unter politischem Druck einzuknicken", schreibt die "NZZ". Gegenüber "Politico" wollte sich Ursula von der Leyen nicht äußern: "Alles Notwendige darüber wurde gesagt und ausgetauscht."