Bestseller-Autor
"In einem Zug": Macht der neue Glattauer Lust auf Liebe?
Daniel Glattauer hat sein neues Buch vorgelegt. "In einem Zug" erzählt ein Schriftsteller einer Mitreisenden über sein (wenig) mitreißendes Liebesleben. Angela Szivatz hat den Roman gelesen. Und hin und wieder nur Bahnhof verstanden.
In einem Zug ist es nicht zu lesen. Also schon in einem Zugwaggon natürlich, aber dort nicht in einem Zug. Es ist schon ein Wochenende nötig. Ist die Zeit gut investiert? Was man über das Buch wissen muss:
Wer ist Daniel Glattauer?
Einer der bekanntesten Autoren Österreichs. Er stammt aus Wien-Favoriten und ist 1960 geboren. Glattauer war 20 Jahre lang Journalist bei der Tageszeitung "Standard", seine "Einserkasteln" auf der Titelseite waren sehr beliebt wegen seines pointierten Stils und trockenen Witzes. Und es gab Theo, seinen kleinen Neffen. Jedes Mal vor Weihnachten berichtete Glattauer viele Jahre lang, wie es Theo so ergangen war im Jahr.
Womit gelang ihm der Durchbruch?
Schriftstellerisch mit "Gut gegen Nordwind" 2006. Es folgten weitere erfolgreiche Romane. Glattauers 21 bisherige Bücher wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt und verkauften sich weltweit millionenfach. Er verfasste mehrere Theaterstücke (etwa "Die Wunderübung"), die zu den meistgespielten im deutschsprachigen Raum gehören. Mit seinem Roman 'Die spürst du nicht' (2023) stand er wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste.
Was sagt der Autor über sein Schreiben?
Im Falter 2020 das: "Nach den Erfolgen meiner E-Mail-Romane dachte ich, das kann ich jetzt nicht mehr toppen, ich probiere etwas ganz anderes. Es wurde dann eine Ausbildung zum diplomierten „psychosozialen Berater". Aber statt zum Beispiel als Paartherapeut zu arbeiten, hab ich dann doch lieber über eine Paartherapie geschrieben, so entstand die Komödie "Die Wunderübung". Schreiben ist meine Leidenschaft, und Leidenschaften gibt man niemals freiwillig auf, sie müssen einem schon wirklich abhandenkommen. Das ist bei mir noch nicht passiert, zum Glück.“
Worum geht’s im neuen Buch?
Eduard Brünhofer, Autor von Liebesromanen und ein Mann in den 60ern, ist mit seiner Frau Gina seit einer halben Ewigkeit glücklich verheiratet. Gerade deshalb, und weil es ihm zu privat wäre, möchte er keinesfalls etwas von dieser seiner Liebe preisgeben.
Da hat er aber die Rechnung ohne seine Mitreisende gemacht, oder?
Ja denn im Zug von Wien nach München sitzt ihm schräg gegenüber eine Frau, etwa 20 Jahre jünger als er, die ungeheuer interessiert an einer Unterhaltung ist. Weil sie ihm sympathisch ist, kluge Fragen stellt und, wie im Lauf des Buches deutlich wird, sie ihm gefällt, steigt Brünhofer darauf ein. Sich selbst gegenüber streitet Brünhofer das zwar ab, doch man spürt sein Geschmeicheltsein. Außerdem lenkt die Reisegefährtin ihn von seinem tatsächlichen Problem ab.
Wer ist Catrin Meyr?
Brünhofers Zuggefährtin Catrin Meyr behauptet, noch nie ein Buch von Eduard gelesen zu haben. Sie stellt sich als Physio- und Psychotherapeutin vor und ihre hartnäckige Fragetechnik passt sehr gut zu ihrem zweitgenannten Beruf. Catrin tendiert zu ungenierten bis indiskretesten Fragen, lässt kein gutes Haar an Langzeitbeziehungen, möchte aber alles darüber erfahren. Um beim Zweiergespräch ungestört zu bleiben, verscheucht sie in Salzburg einen Mitreisenden, der sich zu den beiden setzen möchte, und sorgt zu Mittag schon für Alkohol.
Wie reagiert Eduard Brünhofer?
Er führt während des Großteils der Reise parallel ein inneres Zwiegespräch – über seine Arbeit, das Leben, seine Tochter, die Liebe, sein aktuelles Gegenüber. Er evaluiert im Inneren immer wieder geeignete Ausstiegspunkte, lässt sich aber doch tiefer und tiefer auf Catrins Fragen ein. Der steigende Alkoholpegel erleichtert dies für die Fragerin offensichtlich. Denn es ist Nachmittag und er mittlerweile beim dritten Stifterl Rotwein angekommen. Und dann ist da ja auch noch sein Problem…
Welches Problem?
Brünhofer hat seit Jahren keinen Liebesroman mehr abgeliefert. Dabei hat er schon einen sechsstelligen Vorschuss kassiert, der längst in den Ausbau des Familientraumhauses in der Steiermark geflossen ist. Er kann, er will keinen Liebesroman mehr schreiben. Will sich nicht mehr in Liebes- oder gar Intimszenen hineinphantasieren, davon hat er genug.
Was probiert er stattdessen?
Seit langem dem Verlag einen Essayband zu verscherbeln, zum Beispiel rund um die Zugstationen eines Schnellzuges zwischen Wien und München. Oder sonst wo. Oder einen Lobgesang auf die wohltuende Wirkung von Alkohol – eine Passage, der einige Leserinnen und Leser im Alter der Hauptfigur Eduard nickend zustimmen können (Seite 85- bis 87) - selbstverständlich nicht, ohne auf die Gefahr von zu viel Alkoholgenuss hinzuweisen.
Wie geht es weiter?
Je länger die Reise dauert, desto mehr liest sich das Gespräch wie ein Verhör von Catrins Seite, so penetrant bohrt sie nach. Das nervt Eduard sehr, den Leser vielleicht noch mehr. Man beginnt sich zu fragen, was das alles soll. Ist versucht "Stop, genug" zu rufen, auch wenn das ein Fehler wäre. Denn dann hätten wir auf Eduards "Drei-Leben-Konzept" verzichten müssen: sein eigenes eigenständiges, das als Begleiter des eigenständigen Lebens seiner Frau Regina, die er Gina nennt, und das gemeinsame Leben der beiden.
Wie äußert sich das?
Etwa in Sätzen wie diesen: "Nenne es spießig, von mir aus. Aber so ein gediegenes Spießerleben zu zweit ist härter erarbeitet, als es den Anschein hat." Da ist was dran. Oder auf die amüsante Beobachtung, wie es Brünhofer auf Grund zunehmender Trunkenheit schwerer fällt, seine "eigenen Beweisketten in Sachen dauerhafter Liebe zu schließen".
Vor allem aber in den wunderbar verpackten Liebeserklärungen, 1.000 Dinge, wofür Eduard seine Frau Gina bewundert und liebt. Mit uns Lesern teilt er ein paar, Catrin erzählt er nur ganz wenige.
Wie ist das Buch aufgebaut?
Die Kapitel sind nach den wenigen Haltestellen des Schnellzugs zwischen Wien und München benannt. Das gibt der Dauer des Gesprächs einen Rahmen und den Lesern Anhaltspunkte, wie viel Zeit vor allem Catrin Meyr noch bleibt, um ans Eing’machte zu gelangen. Erst in Rosenheim 1 fragt sie direkt nach Sex. In Rosenheim 2 zeigt Eduard ihr Fotos von seiner Familie und dem Traumhaus in der Steiermark.
In München Ost kommt es zum ersten Twist und einem Showdown. Als Leser sind wir wieder hellwach, wir wollen es jetzt auch genau wissen. Mehr verraten wird hier aber nicht.
Was sonst noch in dem Roman steckt?
Daniel Glattauer transportiert "In einem Zug" einige Themen, die viele von uns heute beschäftigen: Die weit verbreitete Internetsucht, das Pseudo-Leben der Menschen auf Social Media, und Künstliche Intelligenz.
Erheitert er unser Gemüt?
Ja! Die Bahnhofsituation in Attnang-Puchheim nimmt er etwa zum Anlass, Österreich als "Land der Mittelwege und Wahlheimat der Notlösungen" zu erläutern.
Sehr lustig sind seine bissig-spöttischen Seitenhiebe auf den aktuellen Literaturbetrieb. Das Verlagswesen zieht er ebenso durch den Kakao wie die unterschiedlichen Sprachvorstellungen zwischen deutschen Lektoren und österreichischen Autorinnen und Autoren.
Schreibt Glattauer über sich selbst?
Zugegeben: Als Leser wäre man an manchen Stellen gern ein Neuron, das durchs Gehirn des echten Autors zischt und enthüllt, was hier Brünhofer und was Glattauer ist. Ist das Buch vor allem eine Selbstbespiegelung? Gibt es so wenig über Sex in dem Buch, weil sexuell schreiben auch für den Verfasser des Buches wie sexuell fremdgehen wäre? Das ist Catrin Meyrs Theorie.
Na, lassen wir das, Phantasien haben auch ihren Reiz…
"In einem Zug" von Daniel Glattauer, Roman 258 Seiten, eben erschienen, DuMont Verlag, € 24,50
Angela Szivatz ist Autorin ("Betrug und Liebe - die wahren Fälle einer Detektivin") Moderatorin und Bloggerin ("Oma aus dem Kirschbaum"). Für Newsflix schreibt sie über aktuelle Literatur. Angela Szivatz lebt in Wien. Ihr erster Krimi "Tödliches Gspusi" erscheint am 12. März und ist bereits vorbestellbar.