Naher osten
Iran-Angriff kostete Israel bis zu 1,2 Milliarden Euro
In der Nacht auf Sonntag schickte der Iran 330 Drohnen und Raketen auf Israel los. Kommt nun die Vergeltung? Das müssen Sie über den Konflikt jetzt wissen.
Es war ein Angriff, der einer ohnehin fragilen Weltregion noch weitere Erschütterungen verpasste. In der Nacht auf Sonntag griff der Iran mit Drohnen und Raketen Israel an. Die Attacke verletzte ein Mädchen schwer, richtete aber weniger Sachschaden an als befürchtet. Die Welt steht nun vor den Fragen: Was macht Israel? Und wie wirkt sich das auf die Krisensituation aus?
Was ist die Vorgeschichte des Angriffs?
Am 7. Oktober 2023 überfielen Terrorkommandos der islamistischen Hamas Israel, verübten grausame Massaker an der Zivilbevölkerung und entführten mehr als 240 Menschen. Israel geht davon aus, dass der Iran in die Angriffspläne eingeweiht war.
Welche Rolle spielt der Iran in dem Konflikt?
Der Iran ist der wichtigste Verbündete und Finanzierer der Terrororganisation Hamas in der Region. Israel gilt für den Iran als Erzfeind. Vor dem Blutbad am 7. Oktober war die Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Israel weit gediehen, die lange verfeindeten Länder wollten auf Vermittlung der USA ihre diplomatischen Beziehungen normalisieren. Der Iran versucht das zu torpedieren.
Wie spitzte sich die Lage nun zu?
Am Samstag kaperte der Iran das Containerschiff "MSC Aries". Kommandotruppen der islamischen Revolutionsgarden (IRGC) seilten sich von einem Hubschrauber aus – Typ Mil Mi-17, alte sowjetische Bauart – auf das Schiff in der Straße von Hormus ab. Es handelt sich um eine etwa 55 Kilometer breite Meerenge zwischen dem Iran und Oman. Sie gilt als eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten für den weltweiten Ölexport. Der Frachter lag etwa 80 Kilometer vor der Küste der Vereinigten Arabischen Emirate im Golf von Oman. Die genaue Lage ist unklar, das Schiff hatte aus Sicherheitsgründen das Ortungssystem ausgeschaltet.
Warum beschlagnahmte der Iran das Schiff?
Die "MSC Aries" (366 Meter lang), war auf dem Weg von den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Indien. Sie fuhr unter portugiesischer Flagge und hatte eine internationale Crew an Bord. Die "MSC Aries" gehört der in London ansässigen "Zodiac Maritime", die sich wiederum im Besitz der Zodiac-Gruppe des israelischen Milliardärs Eyal Ofer befindet. Der 73-jährige Unternehmer ist der reichste Mann Israels, liegt weltweit auf Platz 84 der aktuellen "Forbes"-Liste. Sein Vermögen wird auf 24 Milliarden Dollar geschätzt.
Wie reagierte die Welt auf die Beschlagnahme?
Die USA nannten die Kaperung einen "eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht". Die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats nannte das Vorgehen der iranischen Revolutionsgarden einen "Akt der Piraterie". Israels Außenminister Israel Katz sprach ebenfalls von "Piraterie" und forderte die EU zu neuen Sanktionen gegenüber dem Iran auf. Die EU-Kommission hatte das bisher blockiert.
War der Angriff des Iran auf Israel absehbar?
Ja, in den letzten Tagen hatten sich die Anzeichen dafür verdichtet. Am Freitag sagte US-Präsident Joe Biden, dass ein Angriff "eher früher als später" stattfinden werde. Auf die Frage, welche Botschaft er dem Iran auszurichten habe, sagte er nur ein Wort: "Don't!"
Wann wurde der Angriff auf Israel bekannt?
Samstag gegen 22 Uhr meldeten israelische Medien unter Berufung auf US-Quellen: Der Iran habe "dutzende Drohnen" Richtung Israel losgeschickt. Eine offizielle Bestätigung fehlte zu diesem Zeitpunkt. Mehrere Länder in der Region, der Irak, der Libanon, Israel selbst, sperrten ihre Lufträume.
Wann wurde der Angriff bestätigt?
Um 22.18 Uhr MEZ schrieb das israelische Verteidigungsministerium auf X, vormals Twitter: "Der Iran hat vor Kurzem UAVs von seinem Staatsgebiet aus losgeschickt." Bei UAVs handelt es sich um unmanned aerial vehicles, also Drohnen.
Wie viele Drohnen schickte der Iran los?
Zunächst war von rund 100 die Rede, sie benötigen neun Stunden, um Israel zu erreichen. Am Tag danach sprach die iranische Armee von insgesamt "330 Drohnen, Cruise Missiles und ballistischen Raketen", die abgefeuert wurden.
Wurden "nur" Drohnen losgeschickt?
Nein, laut iranischen Angaben eben auch "ballistische Raketen" und "Cruise Missiles", welchen Typs wurde nicht genannt. "Ballistische Raketen" fliegen nicht wie "Cruise Missiles" in geringer Entfernung vom Boden, sondern sie werden senkrecht in die Luft geschossen, fliegen in etwa 2.000 Kilometern Höhe, treten über dem Zielort wieder in die Erdatmosphäre ein. In einer live im Fernsehen verlesenen Erklärung der Revolutionsgarden hieß es, der Angriff erfolge als "Antwort auf die jüngsten Verbrechen des zionistischen Regimes".
Was ist damit gemeint?
Am 1. April hatten israelische Raketen die Konsularabteilung der iranischen Botschaft in Syrien getroffen. Dabei kamen zwischen sieben und elf Menschen ums Leben. Die iranischen Revolutionsgarden bestätigten den Tod des ranghohen Brigadegenerals Mohammed Resa Sahedi und seines Stellvertreters Mohammed Hadi Hadsch Rahimi. Laut "New York Times" nahmen sie in dem Gebäude an einem Geheimtreffen zwischen iranischen Geheimdienstmitarbeitern und Vertretern palästinensischer Terrororganisationen teil.
Wie reagierte der Iran auf die gezielte Tötung?
Sowohl der Iran, als auch die mit ihm verbündete Terrororganisation Hisbollah im Libanon kündigten Vergeltung an. "Israel wird bestraft werden", sagte Irans geistliches Oberhaupt und oberster politischer Führer, Ajatollah Ali Chamenei.
Ist Israel für solche Vorfälle gerüstet?
Das Land verfügt mit dem Iron Dome über das beste Abwehrsystem der Welt. Es ist seit 2011 in Betrieb, wurde vom staatlichen israelischen Verteidigungsunternehmen Rafael entwickelt und neutralisiert etwa 90 Prozent der feindlichen Raketen, die Zahl ist aber umstritten. Auf israelischem Gebiet gibt es mittlerweile mindestens zehn Iron Dome-Anlagen. Ihr Radar spürt Raketen auf, Tamir-Abfangraketen (kosten pro Stück fast 50.000 Euro) schießen sie ab. Die USA zahlen beim Betrieb mit und haben sich an der Errichtung mit drei Milliarden Dollar beteiligt.
Richteten die Drohnen Schaden an?
Der Großteil wurde am Weg abgeschossen – von den USA, den Briten, jordanischen Streitkräften.
Schafften es einige Drohnen, Iron Dome zu durchdringen?
Israel spricht davon, dass "99 Prozent der Drohnen" neutralisiert werden konnten.
Gab es Verletzte oder Tote?
In der Negev-Wüste wurde ein siebenjähriges Mädchen schwer verletzt. Ihr Vater sagte der "Times of Israel", ein Granatsplitter sei auf ihr Haus gefallen, während seine Tochter geschlafen habe. Das Mädchen wurde mit einem Auto in ein Spital gebracht. Nach Angaben einer Rettungsdienstsprecherin schwebt die Siebenjährige weiterhin in Lebensgefahr. Sie habe schwere Kopfverletzungen erlitten, sagte sie.
Wie geht es nun weiter?
Das hängt wohl von Israel und den USA ab. Die iranische Vertretung bei den Vereinten Nationen in New York twitterte in der Nacht auf Sonntag: "Die Angelegenheit kann als abgeschlossen betrachtet werden." Verknüpft daran waren zwei Warnungen: "Sollte das israelische Regime jedoch einen weiteren Fehler begehen, wird die Reaktion Irans deutlich härter ausfallen." Und: "Es handelt sich um einen Konflikt zwischen dem Iran und Schurkenstaat Israel, aus dem sich die USA heraushalten müssen." "STAY AWAY" ist in Großbuchstaben geschrieben.
Was passierte am Sonntag?
Der Iran feierte den Angriff, spielte seiner Bevölkerung aber Fake-Bilder von Explosionen vor. Papst Franziskus forderte Israel und den Iran dazu auf, Handlungen zu vermeiden, die eine "Spirale der Gewalt" befeuern könnten. "Genug des Krieges, genug der Angriffe, genug der Gewalt. Ja zum Dialog, ja zum Frieden", sagte er vor Gläubigen auf dem Petersplatz.
Wie will Israel nun reagieren?
Das ist noch unklar und wohl auch noch nicht entschieden. Vor allem der rechte Teil der Regierung Netanjahu drängte am Sonntag auf einen raschen Gegenschlag, die andere Seite wollte abwarten. Das Kriegskabinett trat um 14.30 Uhr (MESZ) zusammen. Momentaner Stand: Ein unmittelbarer Gegenschlag scheint vom Tisch. Aber es gibt heftige Widerstände dagegen in Israels Regierung.
Wie verhalten sich die USA?
Joe Biden hat kein Interesse daran, dass sich der Konflikt ausweitet. Man wolle "weder Eskalation noch Krieg", sagte das Weiße Haus. Die USA kommunizierten am Sonntag zudem, dass man sich an einem etwaigen Angriff Israels auf den Iran nicht beteiligen werde. In einem 25 Minuten langen Telefonat drängte der US-Präsident Staatschef Netanjahu, auf einen Gegenschlag zu verzichten. Man solle die erfolgreiche Verteidigung des Landes als Erfolg ansehen.
Was hat die Verteidigung Israels gekostet?
Der israelische Brigadegeneral Rim Aminoach rechnete das dem Nachrichtenportal "Ynet" vor: "Wenn wir über ballistische Raketen reden, die mit dem 'Arrow-System' abgefangen werden müssen, Marschflugkörper, die mit anderen Marschflugkörpern abgefangen werden müssen, und Drohen, die wir hauptsächlich mit Flugzeugen abfangen, ... und dann die Kosten zusammenrechnen: 3,5 Millionen Dollar für eine 'Arrow'-Rakete, eine Million für eine 'David's Sling'-(Abfang)-Rakete sowie diese und jene Kosten für die Flugzeuge …" Dann komme er auf eine "Größenordnung von vier bis fünf Milliarden Schekel" (1 bis 1,25 Milliarden Euro).
Was tut die UNO?
Sonntagabend trat der Sicherheitsrat in New York auf Antrag Israels zusammen. Eine Verurteilung des Iran war wegen des Widerstandes von Russland dagegen schon vorab ausgeschlossen. "Weder die Region, noch die Welt können sich weiteren Krieg leisten", sagte UN-Generalsekretär António Guterres. "Es ist an der Zeit, vom Abgrund zurückzutreten."
Müssen wir jetzt vor einem Dritten Weltkrieg Angst haben?
Panikmache ist das letzte, was momentan sinnvoll erscheint. Klar ist, dass die Welt seit Sonntag ein noch unsicherer Ort geworden ist. Wohin diese Reise führt, lässt sich seriös derzeit nicht sagen.