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Jugend-Kriminalität: "Wir haben bereits ein Problem im Kindergarten"
Der Wiener Strafverteidiger Nikolaus Rast über kriminelle Kinder, Haft für Unter-14-Jährige und welche Rolle Handys spielen.
Nikolaus Rast gehört zu den bekanntesten Strafverteidigern Österreichs. Er vertritt Autoraser, Mörder und Opferfamilien, Prominente und einfache Leute, Schwerkriminelle und Strizzis, auch viele Jugendliche. In einem Podcast spricht er mit Newsflix über Jugendkriminalität. Nikolaus Rast über:
Wie lange er schon Strafverteidiger ist
Anwalt bin ich jetzt ungefähr 25 Jahre.
Warum er Anwalt geworden ist
Wegen Mathematik. Mein Mathelehrer hat gemeint, Matura erst im September und nicht im Juni. Damit hatte sich das "Modul" (Wiener Tourismusschule, Anm.), wo ich eigentlich hingehen wollte, erübrigt und ich musste Plan B ergreifen. Plan B war Jusstudium.
Warum Rechtswissenschaften?
Meine damalige Freundin hat Jus studiert.
Ob es die richtige Entscheidung war
Absolut. Ich habe keinen Beruf, ich habe das Glück, ein Hobby zu haben, das ich zum Beruf gemacht habe.
Wie es ist, dauernd in Abgründe schauen zu müssen
Man darf die Sachen nicht ganz an sich heranlassen, sondern man muss zehn Zentimeter, bevor es zu nah wird, eine Mauer aufbauen.
Wie er den Kopf freibekommt
Ich mache seit 25 Jahren erfolgreich keinen Sport. Nein, ich habe ja keine Strategie. Ich habe das Glück, dass ich damit offensichtlich recht gut umgehen kann. Auf der anderen Seite, ich bin zweimal geschieden.
Wie viele Klienten er schon verteidigt hat
Ich habe nicht gezählt. Schon einige Tausend.
Ob er alle Fälle annimmt
Alles, ja. Es gibt keine Ausschließungsgründe.
Wie er die aktuelle Diskussion über Jugendkriminalität wahrnimmt
Schwierig, weil das ganze Thema ein irrsinnig schwieriges ist. Die Diskussion geht ja hauptsächlich darum: Senken wir das Alter für die Straffähigkeit, für die Strafmündigkeit, oder senken wir es nicht? Ich kann beiden Seiten etwas abgewinnen.
Was sein Zugang dazu ist
Das Ganze vielleicht festzumachen an der individuellen Reife einer Person. Das ist natürlich schwierig, denn wer bestimmt denn die individuelle Reife dieser Person. Das kann wohl nur ein Richter oder ein Sachverständiger sein, oder beide zusammen.
Ob wir ein Problem mit Jugendkriminalität haben
Definitiv! Ich sage ganz klar, es ist eine Entwicklung da, die uns Sorgen machen muss.
Was jetzt anders ist
Wir haben ein Problem mit massiver Gewalt, die zunimmt. Wenn ich mir nur meine eigenen Akten - ich rede nur von meiner ganz eigenen kleinen Welt - wenn ich mir meine eigenen Akten anschaue, wie ich begonnen habe, gab es natürlich Schlägereien, das waren ganz normale Akten. A geht auf B los, es gibt die Schlägerei, aber man hört auf, wenn der andere am Boden liegt. Es war kein Messer im Spiel. Heute ist automatisch ein Messer im Spiel. Heute beginnt die Schlägerei erst, wenn der andere am Boden liegt. Das hat es früher nicht gegeben.
Wie wir zu diesem Punkt gelangt sind
Es war ein schleichender Prozess. Es ist am Anfang nicht aufgefallen, wenn es fünf Prozent, zehn Prozent Steigerung gibt, dann fällt das nicht sofort auf. Ich glaube, wenn man sich Zahlen anschaut, kommt man aber darauf, dass sich die Kriminalität vor allem von den unter 14-jährigen Kindern, Kindern muss man ja wirklich sagen, in den letzten zehn Jahren verdoppelt hat.
Was passiert, wenn ein 12-Jähriger straffällig wird
Also, um es vielleicht ein bisschen einfacher darzustellen, nehmen wir 14 als Grenze. Bis 14 ist es, grob gesagt, relativ egal, weil mir strafrechtlich nichts passiert. Ich bin einfach nicht strafmündig. Ich kann bis 14 was auch immer anstellen, es wird mir beim Strafrichter nichts passieren, weil den lerne ich einfach nicht kennen.
Ob es gar keine Sanktionen gibt
Das Jugendamt wird kommen, es wird Gespräche in der Schule geben, zivilrechtliche Forderungen können entstehen. Das ist alles möglich, aber strafrechtlich passiert mir nichts.
Ob das klug ist
Man muss auf der anderen Seite sagen, Strafrecht sollte auch die Ultima Ratio sein. Also ich bin jemand, der sagt, wegsperren allein bringt nichts, weil jemanden in eine Zelle hineinzustoßen, zuzusperren und ihn wann auch immer wieder rauszulassen – das bringt nichts. Ich muss schon auch an der Resozialisierung der Person arbeiten.
Was die eigentliche Fragestellung sein müsste
Ich glaube, man sollte ein, zwei, drei Schritte weiter zurückgehen und fragen, wo beginnt das Übel eigentlich? Wo ist denn die Wurzel? Nur das welke Blatt vom Baum abzuzupfen bringt recht wenig, wenn die Wurzel vergiftet ist. Und ich glaube, hier muss man ansetzen, und zwar ganz, ganz, ganz, ganz früh, und das ist in der Familie.
Wo die Wurzel vergiftet wird
Wir haben in meinen Augen bereits ein massives Problem im Kindergarten.
Wie man hier gegensteuern müsste
Mit Prävention. Den Verteilungsschlüssel von Pädagoginnen ändern. Wir haben derzeit in Wien eine Kindergärtnerin, also eine Pädagogin, und eine Assistentin für 25 Kinder. Das kann nicht funktionieren. Dann habe ich ein massives Sprachproblem, da stoßen Kindergärtnerinnen und in weiterer Folge natürlich auch Volksschullehrer an ihre Grenzen. Den Vorwurf mache ich nicht dem Kind, den Vorwurf mache ich den Eltern, die einfach nicht dafür sorgen, dass das Kind Deutsch lernt.
Ob der Respekt fehlt
Ganz sicher. Das kriege ich täglich mit, auch dem Gericht gegenüber, der Uniform, also dem Polizisten gegenüber. Ich weiß noch, welchen Respekt ich als Kind vor einem Polizisten hatte und ich habe viel Mist gebaut als Kind. Ich habe vier Schulen gebraucht. Aber wann immer mich irgendein Polizist erwischt hat, ich hatte die Hose voll. Und zwar richtig, das war für mich eine Respektsperson. Ich war automatisch per Sie mit einem Polizisten.
Warum das jetzt anders ist
13-jährige Kinder wissen ganz genau, wenn sie im Park bewusst eine Straftat begehen: Die Polizei kommt, der bleibt locker stehen. Redet den Polizisten per du an, weil er genau weiß, es passiert ihm nix.
Was die Ursache dafür ist
Handlungen haben keine Sanktionen. Die Eltern, lassen Sie es mich salopp formulieren, pfeifen darauf, was ihre Kinder machen. Und dann wundert man sich.
Wie Jugendliche reagieren, wenn die ein Gericht verurteilt
Ich erlebe immer wieder, dass 14-, 15-Jährige das einfach nur belächeln, weil sie es lustig finden, weil sie es einfach nicht verstehen.
Ob sie auch lächeln, wenn es mit Haft endet
Dann nicht mehr, wobei es Ausnahmen gibt. Jeder Häftling hat eine Häftlingsnummer. Ich hatte einen Klienten, der hat sich mit einer Rasierklinge seine Häftlingsnummer eingeritzt in seinen Arm, weil er es einfach so irrsinnig cool gefunden hat.
Ob Migrationshintergrund eine Rolle spielt
Es kann einen Unterschied machen, es muss aber keinen machen.
Wie Prävention ausschauen könnte
Die Frage ist, ob es nicht vernünftig wäre, sich auch an Sportlehrer, an Trainer zu wenden. Weil gerade die Jugendlichen mit 14, 15, 16, alle irgendwo Sport machen, mag das jetzt ein Kampfsport sein, Fußball. Die werden nicht auf den Sozialarbeiter in den Jesuspatschen hören, die werden eher auf ihren Trainer hören, der dann sagt, hey, du machst 30 Ligastütze extra, läufst zehn Runden mehr oder ich schließe dich aus dem Training aus. Der muss ihnen Werte vermitteln, wenn es schon die Eltern nicht können.
Warum die Eltern keine Vorbilder mehr sind
Weil sie entweder nicht in der Lage sind dazu, es wirklich nicht schaffen oder weil sie es nicht wollen. Und damit gibt's niemanden, der den Kindern die Werte vermittelt.
Ob es in der Jugendkriminalität einen Unterschied zwischen Mädchen und Buben gibt
Nein, das macht heute keinen Unterschied. Früher war das anders. Früher hat man wirklich eine Schlägerei unter Buben gehabt, unter Jugendlichen, unter Männern. Heute gibt es genauso Mädchenbanden, die durch Einkaufszentren ziehen und in der Brutalität den Burschen um gar nichts nachstehen.
Ob die mediale Berichterstattung im Moment überschießend ist
Nein, ist sie nicht.
Ob Handys eine zentrale Rolle spielen
Ja. Wenn ich an meine eigene Kindheit zurückdenke, da kam um 17.55 Uhr das Betthupferl. Heute kann ich mir als Kind auf Netflix irgendwelche Brutalo-Filme anschauen. Über den Handyzugang Ego-Shooter spielen. Natürlich macht das was mit Menschen.