Neuer häf'n-Leiter
Justizanstalt Stein: "Wären wir ein Hotel, wären wir überbucht"
Österreichs größtes Hochsicherheitsgefängnis hat einen neuen Chef: Generalmajor Erich Huber-Günsthofer. Wie der Alltag seiner "schweren Burschen" aussieht, wo unser Strafvollzug im internationalen Vergleich steht und ob er den Job weiterempfiehlt.

Die Justizvollzugsanstalt Stein an der Donau ist so eine Art Alcatraz von Österreich. Das größte Hochsicherheitsgefängnis des Landes blickt auf eine 150-jährige, wechselvolle Geschichte zurück und sein Name ist längst ein Synonym für Schwerverbrecher und ihre Taten geworden. Die Aussage, "der war in Stein" genügt demnach oft schon, um einen Menschen einzuordnen. Oder abzuqualifizieren.
Das komplette Interview im Podcast
"Da Fösn" Im Jargon des Milieus wird die im Kremser Ortsteil Stein gelegene Anstalt "da Fösn" genannt, also der Felsen. Und hart wie Felsen sind tatsächlich auch viele der hier Einsitzenden. Nicht zuletzt diese Tatsache macht Stein zu einem ganz besonderen Ort für alle jene, die damit zu tun haben.
Das "Alcatraz von Österreich" Der "Mythos Stein" hat auch viel mit der schieren Größe dieser Anstalt zu tun. Stein ist ein "Supertanker, mit mehr als 800 Insassen und über 300 Justizvollzugsorganen sowie zivilen Mitarbeitern.

Seit Ende Jänner steht ein neuer Kapitän auf der Brücke dieses Supertankers und führt das Kommando: Generalmajor Erich Huber-Günsthofer, 62, ist seit 36 Jahren im Strafvollzug und sieht die Berufung an die Spitze von Österreichs berüchtigtstem "Häf'n" als Höhepunkt seiner Karriere.
Im Newsflix-Podcast spricht er über den Alltag in Österreichs größtem Gefängnis, welche Häftlinge die meisten Probleme bereiten und ob sich hinter hohen Gefängnismauern auch Freundschaften zwischen Insassen und Aufsehern entwickeln. Und er erzählt, wie sich prominente Häftlinge in die strengen Regeln und Hierarchien Steins einordnen. Generalmajor Erich Huber-Günsthofer über:
Weshalb er Justizwachebeamter geworden ist
Ich hatte einen Nachbarn, der war Wachzimmerkommandant in Stein. Wir hatten gute Gespräche und das hat den Beruf interessant gemacht. Ich habe alle Ausbildungen bis zum leitenden Bediensteten gemacht und bin nun seit mehr als 36 Jahren bei der Justizwache.

Ob die Leitung von Stein der Höhepunkt in der Karriere für einen Justizwachebeamten ist
Für mich persönlich ja. Ich war in mehreren Anstalten, in Wels, in Sonnberg, in St. Pölten, und nun bin ich in Stein gelandet. Das ist für mich ein Höhepunkt in meiner Karriere.
Ob man als Anstaltsleiter noch Kontakt mit den Häftlingen hat
Ja, die Insassen beschäftigen uns jeden Tag. Es gibt täglich eine Morgenbesprechung, wo die Probleme, die am Vortrag oder in der Nacht entstanden sind, besprochen werden. Und da geht es natürlich immer wieder um einzelne Häftlinge.
Für wie viele Insassen ein Justizwachebeamter verantwortlich ist
Das ist ganz unterschiedlich, je nachdem, ob die Häftlinge im Hochsicherheitstrakt sind oder in den Betrieben ihre Arbeit verrichten.
Welche Betriebe es in Stein gibt
Vom Ergotherapiebetrieb über Unternehmerbetriebe bis dahin, dasseine private Firma seit mehr als 20 Jahren in Stein fertigen lässt.

Wie viele der Insassen in Betrieben beschäftigt sind
Derzeit sind das knapp 600 Menschen, die in Beschäftigung stehen.
Wie viele Häftlinge es insgesamt sind
Über 800 Insassen, damit ist die Justizanstalt gut ausgelastet. Wären wir ein Hotel, wären wir überbucht. Zur Zeit haben wir knapp 103 Prozent Belegung und das macht uns natürlich im täglichen Dienst zu schaffen.
Welche Probleme sich dadurch ergeben
Vor allem, dass wir eben nicht alle Insassen beschäftigen können. Dabei gilt eigentlich die Prämisse: Beschäftige die Insassen, sonst beschäftigen sie dich. Immerhin dauert ein Tag 24 Stunden, wenn da sinnvolle Arbeit geleistet wird, vergeht die Zeit rascher.
Wie viele der Insassen "Lebenslange" sind
Wir sind das größte Hochsicherheitsgefängnis Österreichs. Zur Zeit haben wir rund 225 Insassen mit Verurteilungen wegen Gewalttaten, das heißt Mord und versuchter Mord. Und wir haben derzeit 82 Insassen, die eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßen.

Ob es vorkommt, dass jemand tatsächlich bis an sein Lebensende im Gefängnis bleiben muss
In Österreich gibt es die Möglichkeit der bedingten Entlassung, entweder zur Halbstrafe, also nach Absitzen der Hälfte der Zeit, oder nach Verbüßung von zwei Drittel der Freiheitsstrafe. Das sind immer Einzelfallentscheidungen, die letztendlich dem örtlich zuständigen Vollzugsgericht obliegen, das ist in unserem Fall das Landesgericht Krems.
Was man getan haben muss, um nach Stein zu kommen
Ob jemand nach Stein kommt ist eine Entscheidung, die die Generaldirektion in der Abteilung Betreuung trifft. Bei jedem Insassen, der in einem Gerichtshofgefängnis sitzt und der eine Freiheitsstrafe über 18 Monate bis zu lebenslang hat, wird nach Gesichtspunkten der Gefährlichkeit, seinem Ausbildungsstand, seiner Berufsausbildung und seinem sozialen Umfeld entschieden, wo er die Strafe verbüßt.
Ob es nur ein Hochsicherheitsgefängnis in Österreich gibt
Wir haben zwei Hochsicherheitsgefängnisse, einerseits Stein und das andere ist Graz Karlau. Dementsprechend werden die Verurteilten dann per Klassifizierungserlass in die Justizanstalten aufgeteilt.

Ob in Stein die ganz schweren Burschen sitzen
Bei uns und natürlich auch in der Karlau sitzen die schweren Burschen, das kann man so sagen.
Wie oft es mit diesen Insassen Probleme gibt
Die Gefährlichkeit der Täter hängt nicht immer von der Straftat ab, wegen der jemand verurteilt worden ist. Es kommt immer auf die Persönlichkeit an, welche Energie steckt dahinter, welche Konflikte und Möglichkeiten haben die Menschen, und natürlich auf die individuelle Gewaltbereitschaft.
Ob es in Stein nur Einzelzellen gibt
Den Terminus Zelle gibt es bei uns im Strafvollzugsgesetz nur ein einziges Mal, und da geht es um eine Sicherheitsmaßnahme. Sonst reden wir von Hafträumen. Wir haben in Stein ungefähr 440 Einzelhafträume und der Rest sind Mehrpersonenhafträume.

Wer einen Einzelhaftraum bekommt
Einerseits ist es ein Privileg für manche, die sich wirklich gut führen, dass sie in einen Einzelhaftraum kommen. Aber es gibt natürlich auch Menschen, die möchten gerne in einem Mehrpersonenhaftraum angehalten werden. In solchen leben bis zu 4 Insassen.
Welche Annehmlichkeiten die Häftlinge in ihren Hafträumen haben
Die Grundausstattung eines Haftraums ist Tisch, Bett und Kasten. Natürlich eine Waschgelegenheit und eine räumlich abgetrennte WC -Anlage. Dann haben sie Radio, teilweise TV, manche als Vergünstigung eventuell sogar eine Spielbox, mit der sie sich unterhalten können.
Ob es nach wie vor ein einheitliches Licht-Aus-Kommando gibt
Das war früher einmal so, dass um 6 Uhr war Tagwache war und um 22 Uhr war Licht aus. Jetzt haben alle die Möglichkeit, auch länger entweder fernzusehen oder zu lesen oder sich sonst zu beschäftigen.

Ob alle Hafträume eine Aussicht haben
Natürlich hat jeder Haftraum ein Fenster, um ins Freie zu sehen.
Wie der Gefängnisalltag eines Straftäters aussieht
Das beginnt morgens mit dem Wecken, dann führen die Justizwachebeamten die erste Kontrolle durch, anschließend wird fertig gemacht zum Ausrücken für jene Insassen, die arbeiten. Die werden dann in die Betriebe geführt und gehen da ihrer Arbeit nach.
Wo gegessen wird
Das ist unterschiedlich. Teilweise wird die Mahlzeit in den Betrieben eingenommen, aber viele essen auch in ihrem Haftraum.
Ob man als Justizwachebeamter mit manchen Häftlingen eine Beziehung aufbaut
Natürlich baut man da eine Beziehung auf, aber mit der fachlichen Distanz, die man braucht. All diese Menschen haben eine Geschichte. Und man darf das nicht ins Emotionale kommen lassen. Beziehung ja, soweit sie fachlich begründbar ist.

Ob sich auch Freundschaften entwickeln
Ich glaube, große Freundschaften entstehen in einer Justizanstalt nicht.
Ob es auch nette Häftlinge gibt
Nur wenn jemand Häftling ist, heißt das noch lange nicht, dass er unfreundlich ist oder dass er uns nur Probleme macht.
Gibt es etwas, das alle Häftlinge miteinander verbindet
Eine Justizanstalt ist eine Zwangsgemeinschaft, ebenso wie wenn man seinen Militärdienst ableistet oder in ein Krankenhaus, ein Alten- oder Pflegeheim muss. Gerade in Mehrpersonenhafträumen ist es ein Geben und Nehmen. Das ist wie jedes soziale Zusammensein, einer muss auf den anderen Rücksicht nehmen.
Ob die Schwerkriminellen am schwierigsten sind
In der Hochsicherheitsabteilung sind jene Insassen untergebracht, von denen die meiste Gefahr ausgeht. Am betreuungsintensivsten sind jene Häftlinge, die im Maßnahmenvollzug untergebracht sind. Aber auch im Normalvollzug gibt es Insassen, die psychisch auffällig sind. Menschen, die schwere Gewalttaten verübt haben und eine lange Haftstrafe haben, sind nicht zwangsläufig gefährlicher als Insassen mit kurzen Haftstrafen. Es kommt immer auf die individuelle Persönlichkeit und die Gewaltbereitschaft eines Menschen an.

Was "Maßnahmenvollzug" bedeutet
Maßnahmen-untergebrachte Häftlinge sind strafrechtlich im Sinne des § 21 Absatz 2 Strafgesetzbuch untergebracht. Aufgrund einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, die durch die Tatbegehung erst erkennbar wäre. Das heißt, sie bekommen eine Freiheitsstrafe und auch die Unterbringung im Maßnahmenvollzug, die sehr betreuungsintensiv ist. Man beginnt da sofort mit der Betreuung, um dieser nachhaltigen psychischen Störung begegnen zu können.
Wie der Umgang mit sogenannten Promi-Häftlingen abläuft
Ich bin immer wieder Gefangenen begegnet, die von der Bevölkerung einen gewissen Promi-Status erhalten haben, teilweise aus der Politik, aber auch aus der Wirtschaft. Auch diese Insassen sind dieser Zwangsgemeinschaft unterworfen und wir versuchen, die Menschen in den Haftalltag so zu integrieren, dass dieser Promi-Status erst gar nicht aufkommt.
Ob diese Promi-Häftlinge im Vollzug auf ihren Status pochen
Letztendlich sind diese Insassen genauso den gesetzlichen Vorgaben unterworfen wie alle anderen auch.

Welche prominenten Häftlinge besonders in Erinnerung geblieben sind
Einige, aber da kann ich nicht ins Detail gehen, das unterliegt dem Datenschutz. Grundsätzlich hat man vor allem Gerichtsverhandlungen in Erinnerung, die ein großes mediales Aufkommen hatten. Da macht uns aber eher das Umfeld und vor allem diese Medienwirksamkeit mehr Probleme als dann der Haftalltag.
Wie es um die Personalknappheit im Strafvollzug steht
Aufgrund diverser Entwicklungen wie Stundenreduzierungen, Karenzen oder Ruhestandsübertritten der geburtenstarken Jahrgänge haben wir Personalprobleme. Aber auch die Privatwirtschaft kämpft in diversen Sparten mit Personalnotstand. Ich glaube, wir liegen trotzdem relativ gut.
Wie Österreichs Vollzugsanstalten im internationalen Vergleich dastehen
Ich habe mir in mehreren Ländern den Strafvollzug angesehen und würde sagen, der österreichische Strafvollzug braucht sich nicht zu verstecken. Wir versuchen, dass wir den guten Ruf, den wir international haben, auch erhalten, insbesondere in Bezug auf die Resozialisierung und die humanen Haftbedingungen. Wir verfolgen einen Ansatz, der eher auf Resozialisierung und Rehabilitation ausgerichtet ist, im Gegensatz zu anderen Ländern, etwa Russland oder die USA, wo es rein um den Bestrafungscharakter geht.

Ob wir in Österreich "Wohlfühlgefängnisse" haben
Das glaube ich nicht. Ein Freiheitsentzug verlangt den Menschen sehr viel ab. Allein der Verlust der Selbstbestimmung. Je länger eine Haft dauert, umso größer ist die Gefahr von Hospitalisierung. Ich möchte keinen Tag in einer Justizanstalt in Österreich als Insasse eingesperrt sein. Für Menschen in einem Rechtsstaat ist der Verlust der Freiheit die schärfste Form der Bestrafung, die wir kennen.
Ob er wieder zur Justizwache gehen würde
Das hängt von den individuellen Erfahrungen ab, die jeder Mensch macht. Ich habe sehr viele positive Erfahrungen und – wenn man so sagen kann – Karriere gemacht. Ich habe 36 Jahre Strafvollzug hinter mir und gehe nach wie vor noch gerne zur Arbeit. Also denke ich, ich würde es wieder so machen.
Ob er seinen Enkeln diesen Berufsweg empfehlen würde
Man hat als Beamter die nötige soziale Absicherung, man hat Aufstiegschancen, und wenn man die Arbeit mit Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen, mag, dann kann man das durchaus empfehlen. Wenn mich eines meiner Kinder oder Enkelkinder fragen würde, würde ich aber nur aus meiner persönlichen Erfahrung erzählen. Die Entscheidung, diesen Beruf zu ergreifen, muss jeder selbst treffen.