experte analysiert
Kanzler, Kickl, Kogler: Die Körpersprache der Spitzenpolitik
Die Spitzenkandidaten der fünf Parlamentsparteien auf der Couch: Wie Nehammer, Babler & Co mit uns reden, auch wenn sie nichts sagen. Körpersprachen-Experte und Bestseller-Autor Stefan Verra entblättert die Wahlkämpfer.
Ende des Monats wählt Österreich einen neuen Nationalrat. Es gibt um die 60 Sendungen zum Thema im Fernsehen, sieben Elefantenrunden, wir leiden keinen Mangel. Aber wie wirken Politiker auf uns, wie nehmen wir sie unbewusst und unterbewusst wahr? Das ist das Geschäftsfeld von Stefan Verra.
Der gebürtige Tiroler ist ein gefragter Körpersprachen-Experte, Bestsellerautor und hält Vorträge vor tausenden Menschen im Jahr. Hier erklärt er, wie Körpersprache funktioniert, wie gut sie die Spitzenkandidaten für sich einzusetzen wissen und worauf man als Zuseherin oder Zuseher achten sollte. Stefan Verra über:
Ob der Berufswunsch Körpersprachen-Experte in der Sandkiste entsteht
Experte, so betiteln einem irgendwann die anderen, aber Sandkiste stimmt. Mein Vater war Bildhauer und die Körperlichkeit ein großes Thema bei uns. Wir haben sehr locker über Körpersprachen geredet. Etwa, wenn er aus einem Baumstamm ein Akt gemacht hat, und mit uns darüber diskutiert hat, wie die Handhaltung sein soll.
Was sich daraus lernen lässt
Es fließt ein bestimmtes Bewusstsein für das Nonverbale mit ein, ganz selbstverständlich. Das ist bei mir auf fruchtbarem Boden gefallen. Ich habe dann sehr früh aus einer Intuition heraus verstanden, das muss man naturwissenschaftlich betrachten.
Ob Körpersprache eine Wissenschaft ist
In meiner ganzen Arbeit lehne diese verpsychologisierende Körpersprache stark ab. Dieses "jede Gestik lässt sich irgendwie mit einem Psychodeuteln erklären." Sondern: Körpersprache ist eine biologische Notwendigkeit. Sie ist evolutionsbiologisch die älteste Form der Kommunikation.
Ist sie auch ein Handwerk?
Auf jeden Fall. Es ist kein Thema der Intuition, wo man sich denkt, ich spüre das, oder so. Es geht um zwei entscheidende Faktoren, Frequenz und Amplitude. Wie schnell macht jemand etwas? Also konkretes Beispiel, die Tür geht auf und ich drehe mich ganz schnell um, oder die Tür geht auf und ich drehe mich ganz gemächlich nach hinten. Da löst völlig unterschiedlicher Emotionalität aus bei gleicher Bewegung.
Welche Aufschlüsse die Amplitude gibt
Das ist der Umfang der Bewegung. Wenn ich im Fußballstadion bin und die Hände ganz nach oben reiße, entsteht eine andere Stimmung, als ich hebe nur meine Fingerspitzen à la Angela Merkel. Beides Mal Bewegung nach oben, aber es ist eine unterschiedliche Emotionalität, die ausgelöst wird. Deswegen ist es nötig, Körpersprache auf jene Fakten zu reduzieren, die eine allgemeine Gültigkeit haben.
Ob man Körpersprache lernen kann
Die Körpersprache besteht aus zwei Faktoren. Nummer eins ist das Angeborene, das Temperament. Nummer 2 sind angewöhnte Routinen, die schauen wir uns ab. Deswegen schauen etwa Rechtsanwälte in der Körpersprache oft sehr ähnlich aus, ohne dass ihnen das bewusst ist. Ich bin auf sehr vielen Ärztekongressen und da ist faszinierend, dass aber einer gewissen Chargenhöhe die Körpersprache sehr zurückgenommen ist.
Warum Körpersprache bei Ärzten wichtig ist
Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist mehrheitlich von Körpersprache bestimmt. Da gibt es spannende Studien, etwa zu Thema Adhärenz, also wie therapietreu sind denn die Patienten? Machen sie das, was der Arzt oder die Ärztin vorschlägt. Der Großteil der Medizin scheitert daran, dass sich die Patienten nicht an das halten, was der Arzt sagt.
Wie der Arzt das steuern kann
Der Arzt muss manche Dinge mit Nachdruck sagen, damit der Patient es ernst nimmt. Also, Beispiel Diabetiker. Der Arzt sagt "nehmen sie das Präparat, passen sie ein bisschen auf ihre Ernährung auf und bewegen sollten sie sich auch". Das sagt er so nebenher. Ja, wie soll der Patient jetzt wissen, dass das enorm wichtig ist, sich zu bewegen und sich anders zu ernähren?
Wie der Arzt dem Patienten das beibringt
Es gibt da die NN-Regel, das steht für Nase und Nabel. In dem Moment, wo ich etwas Wichtiges sage, verändere ich die Körperhaltung. Ich nehme eine aufrechte Haltung an, schaue mein Gegenüber so an, dass meine Nase und mein Nabel direkt gegenüber ist, senke meinen Kopf ein wenig und sage mit langsamen Worten, was eben die Aufforderung ist.
Wie ein Körpersprachen-Experte Menschen anschaut
Wie es in der Natur vorgesehen ist. Das heißt, ich schaue immer alles an. Wenn der Säbelzahntiger bei der Tür hereingekommen ist, hat er auch nicht geschaut, ob jemand die Augenbraue hebt oder sein linkes Beinchen, sondern ob der ganze Habitus des anderen Tieres gefährlich wirkt. Und dann schau ich vor allem Routinen an.
Was Routinen für Einblicke geben
Es ist nicht interessant, was jemand bei einem bestimmten Wort gemacht hat. Da wird dann oft so zweckgedeutet, weil er bei dem Wort plötzlich die Augen geschlossen hat. Spannend ist aber, wenn jemand immer wieder die Augen schließt. Oder wenn jemand, wenn es um bestimmte Themen geht, niemals Blickkontakt halten kann. Das ist das Entscheidende.
Welcher Politiker gut Körpersprache kann
Georgia Meloni, Emanuel Macron, Tim Walz, der Kandidat auf die Vizepräsidentschaft bei den Demokraten in den USA. Das hat gar nichts mit der politischen Orientierung zu tun. Die Kunst einer Körpersprache-Analyse ist es, die persönliche Meinung von der körpersprachlichen Fähigkeit eines Menschen zu trennen.
Ob Karl Nehammer für einen Körpersprache-Analysten ein Gottesgeschenk ist
Karl Nehammer bewegt seinen Unterkiefer wenig. Damit ist auch die Amplitude, das Große in seiner Bewegung, eingeschränkt. Das ist deswegen wichtig, weil man manchmal Worte sehr groß sagen muss, aber manchmal sollte man sie nur flüstern. Und je größer diese Diskrepanz ist, desto mehr Emotionalitäten kann ich erreichen. Das Zweite, was er macht, ist, er spricht sehr nasal. Das heißt, es geht so viel Luft bei der Nase raus und damit fehlt ihm schon manchmal auch die Kraft in den Worten.
Ob dieses militärische Auftreten, das Händeschütteln, als würde man eine Zitrone auspressen, bewusst eingesetzt wird
Das ist etwas, was er sich abgeschaut hat. Kein Baby kommt bei der Mama unten raus, stellt sich breitbeinig hin und drückt der Mama so die Hand, dass ihr die Knochen schmerzen. Das ist einem Wunsch-Selbstbild geschuldet.
Ob das hilft oder schadet
Das ist nicht grundsätzlich schlecht, nur muss man wissen: Die Zielgruppe ist zu klein dafür. Es gibt Menschen, die stehen drauf, dass wir einen Kanzler haben, der sich breitbeinig hinstellt. Aber es finden halt auch Menschen, man kann ein bisschen eleganter, ein bisschen diplomatischer im Habitus sein. Der Zugang zu dieser Zielgruppe fehlt ihm völlig.
Ob Andreas Babler der Gegenentwurf dazu ist
Gegenentwurf nicht, aber vom Habitus unterschiedlich. Er hat ein echtes Bedürfnis noch Nähe. Bedürfnis sage ich deswegen, weil er aktiv den Körperkontakt mit Leuten sucht. Es gibt eine Zielgruppe, die will Politiker zum Anfassen. Der Nachteil davon ist, dass die Körpersprache bei ihm so harmoniesuchend wirkt. Er will alles ausdiskutieren. Also, ich habe Babler-Reden gehört, die waren wirklich gut. Aber dieses Suchen nach Bindung, die Faust, die am Tisch geknallt wird, dieses direkt in die Augen schauen fehlt.
Warum Herbert Kickl oft so hart, so brutal formuliert
Die körpersprachlichen Fähigkeiten von Herbert Kickl sind eingeschränkt. Da ist nicht wirklich was schlecht, da ist nicht wirklich was gut. Wenn er gestikuliert, dann in kleinen Bewegungen im Rahmen von 10, 15 Zentimetern, immer auf Brusthöhe. Körpersprachliches Talent bei einem Politiker erkennst du, wenn du in einer Kneipe bist und die Leute horchen nach drei Minuten nur mehr einer Person zu. Da hat es einen Menschen gegeben in Österreich, der das gekonnt hat, und das war Jörg Haider, unabhängig vom politischen Inhalt. Das hat Herbert Kick definitiv nicht.
Ob sich Kickl nicht kanzlerhafter präsentieren müsste
Ich habe mit jemandem aus Sachsen gesprochen, der hat gesagt: "Ah, du bist aus Österreich, der Herbert Kickl, Mensch, der erklärt die Dinge so vernünftig." Wir dürfen nicht übersehen, durch seine kleinen, nicht explosiven Bewegungen wirkt er schon weit staatsmännischer als ein HC Strache. Er ist schon mittig genug.
Warum Werner Kogler allen Regen widerspricht
Man muss das historisch sehen. Er ist kein Frontrunner. Dafür muss ich jemand sein, den nicht nur die Stammwählerschaft interessant findet. Er hat Glück gehabt, weil die erste Regierungsbeteiligung mit Sebastian Kurz war. Meine Söhne würden sagen, das war so ein BWL -Schnösel. Weißes Hemd, blaues Sakko, keine Krawatte, alles sehr schlank, alles sehr toll frisiert. Da gibt es eine Zielgruppe. Wenn man durch Österreich gereist ist, sind viele Gemeinderäte plötzlich genau gleich daherkommen. Aber es gibt Menschen, die können mit diesem Schnöselgetue nichts anfangen. Und genau in diese Lücke ist Werner Kogler reingefallen.
Wie er das für sich nutzen konnte
Er hat eine Körpersprache, die ist überhaupt nicht diplomatisch. Die ist kauzig, in sich gekehrt. Er schafft es nicht, Blickkontakt zu halten. Er murfelt vor sich hin, weil sein Unterkiefer sich zu wenig bewegt. Er ist jemand, der sehr lange braucht und sehr verquert formuliert, das ist ein Unterschied zu Herbert Kickl, der wahnsinnig schnell ist. Egal welche Frage der kriegt, der weiß innerhalb von drei Sekunden, wie er einen Gegenangriff starten kann. Aber dieses Kauzige hat bei vielen das Gefühl von Authentizität ausgelöst.
Ob die häufige Fröhlichkeit von Beate Meinl-Reisinger echt oder aufgesetzt ist
Das kann immer nur der Beobachter für sich beurteilen. Der Punkt ist, dass sie von allen Kandidaten die größte Verhaltensvielfalt hat. Sie lacht viel, sie gibt damit jenen Menschen, die sagen, warum kann man nicht einmal positiv in die Zukunft schauen, eine emotionale Heimat. Das Zweite ist, sie kann unglaublich große Bewegungen machen. Sie kann wahnsinnig bedrohlich sein in ihren Gesten. Da kommt der Unterkiefer nach vorne. Da denkt man sich, ja, mit der will ich nicht streiten. Aber sie kann auch sehr humorvoll sein, sehr zurückhaltend. Von der Bandbreite ihres Verhaltens her zeigt sie von allen Kandidaten die größte Vielfalt.