Immer mehr Frauen

Kein Sex, kein Mann, kein Tinder: Neuer Trend "Boysober"

Freiwillig ohne Sex, ohne Partner und ohne Dating zu leben, das nennt sich heute "Boysober" und ist der Trend der Stunde auf TikTok. Was es damit auf sich hat, wie man nach den "Boysober"-Regeln lebt und für wen das eine gute Idee ist.

Sind Katzen die besseren Männer? (Symbolbild)
Sind Katzen die besseren Männer? (Symbolbild)
iStock
Martin Kubesch
Akt. Uhr
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Es ist einer der meistdiskutierten Trends auf Social Media: Immer mehr vor allem junge Frauen entscheiden sich, auf jeden partnerschaftlichen oder erotischen Kontakt mit Männern zu verzichten. Viele definieren einen bestimmten Zeitraum dafür, andere machen "es" bis auf Weiteres. Was es damit auf sich hat, woher der Trend kommt:

Worum geht es bei diesem Trend?
"Boysober" besteht aus den Worten "Boy", also Bursche, und "sober", was so viel heißt wie nüchtern. Und gemeint ist damit, dass man auf alle Kontakte mit Männern verzichtet, bei denen es darum geht, einen Partner zu finden, miteinander zu leben oder Sex zu haben.

Woher kommt die Idee?
Der Begriff wurde vor allem auf TikTok geprägt. Das Thema Enthaltsamkeit (im Englischen "Celibacy", also Zölibat) geistert bereits seit längerem durch die Social-Media-Welt, wird in diesem Zusammenhang aber vor allem mit religiösen oder spirituellen Ansprüchen besetzt. Bei "Boysober" geht es eher um eine Entscheidung, die frau für das eigene Seelenheil trifft.

Die Plattform TikTok hat sich zum Hauptspielplatz aller "Boysober"-Aktivistinnen entwickelt
Die Plattform TikTok hat sich zum Hauptspielplatz aller "Boysober"-Aktivistinnen entwickelt
JUSTIN SULLIVAN / AFP Getty / picturedesk.com

Weil der Kontakt mit Männern so beanspruchend ist?
Das ist scheinbar wirklich so. Jedenfalls geht das aus allen Statements zum Thema, die vor allem auf TikTok gepostet werden, hervor. Das chinesische Social-Media-Portal ist überhaupt der "virtuelle Stammtisch" der "Boysober"-Community. Hier wird sich darüber ausgetauscht, hier werden Geschichten von der eigenen Enthaltsamkeit erzählt – und was diese bewirkt hat.

Und was bewirkt diese Form der Enthaltsamkeit?
Sie macht, dass sich die Frauen, die sich dafür entscheiden, wieder mehr um sich selbst und ihre eigenen Bedürfnisse kümmern können und nicht alle Energie in die Partnersuche oder eine Beziehung investieren müssen. "Die Leute sind ausgebrannt von den Dating-Apps und haben das Gefühl, sich ständig auf einen Job zu bewerben", erläutert die kanadische Psychologin Kimberly Nelson aus Calgary, die auf TikTok mittlerweile zu einer Erklärerin des Dating-Dilemmas geworden ist, unter dem junge Frauen leiden (siehe TikTok-Clip unten).

Was für ein Dilemma?
Eines, das primär mit den Mechanismen von Social Media zu tun hat. Denn die Partnersuche verläuft heute zu einem überwiegenden Teil online. Und dabei wird nichts dem Zufall überlassen, weder von Männern, noch von Frauen. Während es aber Männer meistens nicht so eilig damit haben, sich fix zu binden, und lieber herum probieren, Kennenlern-Sex inklusive, haben die meisten Frauen ein sehr klares Bild vor Augen, wie ihr "Perfect Match" sein soll, sowohl optisch, als auch vom "Mindset" her (siehe TikTok-Clip unten).

Und was heißt das?
Viele Männer nutzen den virtuellen Beziehungsmarkt primär als Spielwiese, um Sexpartnerinnen zu finden. Und auch wenn es eigentlich nicht mehr zeitgemäß ist, beherrschen die Prinzen nach wie vor jenes perfide Spiel, bei dem man vorgibt, eine fixe Beziehung zu suchen, gleichzeitig aber erst einmal austestet, wie es denn im Bett so läuft, auch in Zeiten von "Sex Positivity" ziemlich gut.

Für Frauen, die genaue Vorstellungen davon haben, wie "Er" sein soll, kann das auf Dauer sehr zermürbend sein, wenn sie sich auf jemanden einlassen und nach einigen Tagen oder Wochen heißt es plötzlich Ende Gelände.

Aber wenn man ganz auf den Kontakt zu Männern verzichtet, wird man bestimmt keinen Partner finden …
Natürlich, und genau darum geht es auch. Die Allermeisten, die sich auf TikTok dazu bekennen, "Boysober" zu leben, haben nicht vor, einsam alt zu werden. Aber sie suchen eine Auszeit von der ständigen Partnersuche, sie wollen Zeit für sich selbst haben, sich auf andere Dinge konzentrieren, als ständig Ausschau zu halten nach "Mister Right".

Und warum muss man dafür einen eigenen Begriff kreieren?
Wir leben in einer Zeit der permanenten Selbstdarstellung im virtuellen Raum, und da braucht es für alles ein chices Mascherl. Wer sagt, dass er jetzt ein Jahr lang "Boysober" lebt, ist am Puls der Zeit und stellt die "Selfcare" über die zeit- und kraftraubende und oft auch frustrierende Suche nach einem "Match". Wer diesen bewussten Schritt jedoch nicht kundtut und einfach so seine Dating-Aktivitäten zurückschraubt, läuft rasch Gefahr, als schrullig oder gar vorgestrig verschrien zu sein. Es geht ausschließlich ums Eigen-Marketing.

Warum hat man nicht auch früher schon "Boysober" gelebt?
Hat man ja, es gab nur keinen eigenen Begriff dafür. In der Zeit vor Social Media und Partnersuch-Apps wie Tinder, lief die Suche nach Mr. oder Mrs. Right fast ausschließlich analog ab. Also beim abendlichen Ausgehen, am Arbeitsplatz, im Fitnessstudio oder sonst wo. Weil aber kaum jemand die Kraft hat, jeden Tag "die Angel auszuwerfen", hatte man ganz von selbst Phasen, in denen man "Boysober" bzw. "Girlsober" war - einfach weil es sich keine Gelegenheit zum suchen und Flirten ergeben hat.

Früher fand die Partnersuche in der Disco, im Fitnessstudio oder sonst wo statt, aber immer offline – das entstresste alle Beteiligten
Früher fand die Partnersuche in der Disco, im Fitnessstudio oder sonst wo statt, aber immer offline – das entstresste alle Beteiligten
klublu / Westend61 / picturedesk.com

Und heute?
Ist es vollkommen unmöglich, dem Thema zu entgehen außer man dreht sein Handy ab. Nach aktuellsten Untersuchungen schauen die Österreicher im Schnitt 4 Stunden pro Tag aufs Handy. Ein Großteil dieser Zeit geht für Social Media drauf. Und egal, wo man sein Partnersuch-Profil abgespeichert hat und auf Antwort wartet, die Anfragen kommen rund um die Uhr. Man kann gar nicht abschalten und Zeit für sich selbst finden, die Suche ist immer präsent - außer man zieht sprichwörtlich den Stecker.

Also wird die Auszeit quasi neu erfunden
Genau. Psychologin Kimberly Nelson sagt dazu: "Diese Generation ist in einer Welt aufgewachsen, in der die alten Systeme ihnen nicht mehr dienen und in die sie nicht hineinpassen. Sie erfinden die Regeln, ändern sie und verhandeln sie neu – und manchmal steigen sie aus." Wer das tut, würzt das ganze mit ein paar dramatischen Worten und erklärt sich eben zu "Boysober".

Aber geht es jetzt nur darum, nicht 24/7 auf der Suche sein zu müssen? Oder hat diese Form der Enthaltsamkeit auch etwas mit der aktuellen Männer-Generation zu tun?
Beides ist richtig. Und das Zweite ist eine der wichtigsten Ursachen für das Erste. Denn aktuell scheint der strapazierte Begriff der "toxischen Männlichkeit" gerade wieder sehr präsent zu sein, im Kleinen wie im Großen. "Ich spreche viel mit Frauen so um die 30, etwa meiner Tochter Stella, und sie alle sind derzeit in gewisser Weise traumatisiert von der toxischen Männlichkeitswelle, die mittlerweile auch zu uns geschwappt ist", erzählt die "Profil"-Journalistin, Kolumnistin und Autorin Angelika Hager.

Die Journalistin, Kolumnistin und Autorin Angelika Hager mit ihrer Tochter Stella
Die Journalistin, Kolumnistin und Autorin Angelika Hager mit ihrer Tochter Stella
Mirjam Reither / picturedesk.com

Welche "toxische Männlichkeit" ist hier gemeint?
Hager spielt damit auf jenen gesellschaftlichen Backlash an, der aus der "#MeToo"-Debatte entstanden ist. "Wir alle haben erwartet, dass sich aus #MeToo eine neue Form des ethischen Umgangs miteinander entwickelt, was Themen wie sexuelle Übergriffe betrifft."

Aber?
Inzwischen hat sich das Ganze eher ins Gegenteil umgewandelt", sagt die Journalistin und verweist prototypisch auf die Wiederwahl von US-Präsident Trump – "einen Mann, der sich bereits mehr als 30 Mal wegen des Vorwurfs sexueller Übergriffe außergerichtlich vergleichen musste." Und Hager weiter: "Das sagt einem doch, dass es momentan einen Wandel in der Gesellschaft gibt. Entsprechend radikal reagieren junge Frauen, die sich in einem anderen Selbstbewusstseinsmodus befinden als die Frauen vor 30 oder, 40 Jahren."

Musste sich mehr als 30 MAl wegen des Vorwurfs sexueller Übergriffe außergerichtlich vergleichen: der designierte US-Präsident Donald  Trump
Musste sich mehr als 30 MAl wegen des Vorwurfs sexueller Übergriffe außergerichtlich vergleichen: der designierte US-Präsident Donald  Trump
Picturedesk

Gibt es eigentlich auch einen "Girlsober"-Trend?
Es gibt vereinzelt Statements von jungen Männern auf TikTok, die sich selbst ebenfalls eine Enthaltsamkeit auferlegen möchten. Aber das sind Einzelerscheinungen, ein Trend lässt sich daraus nicht ablesen  anders als umgekehrt.

Was heißt es jetzt ganz konkret, wenn man "Boysober" lebt?
Die amerikanische Comedienne Hope Woodart, die den Begriff "Boysober" als erste auf TikTok geprägt hat, hat auch definiert, was alles zu diesem Lebensstil gehört.

Wann man wirklich "Boysober" lebt – dazu gehört:

  • Keine Dating-Apps
  • Keine Dates
  • Keine Ex-Freunde
  • Keine Situationsships (damit ist gemeint, dass man auch alle Gedanken an mögliche Partner oder Beziehungen ausblendet)
  • Kein Sex
Symbol für den frauenfeindlichen Backlash im Internet: Macho-Influencer Andrew Tate
Symbol für den frauenfeindlichen Backlash im Internet: Macho-Influencer Andrew Tate
Vadim Ghirda / AP / picturedesk.com

Gibt es außer Trump noch weitere politische Motive für diesen Trend?
Genügend. So thematisieren in den USA sehr viele Frauen etwa die konservative Kehrtwende im Land beim Abtreibungsrecht als Auslöser für ihre Entscheidung. Auch das Auftreten von selbst definierten "Alpha Males" mit einem mehr als fragwürdigem Lebenslauf – wie etwa der britische Macho-Influencer Andrew Tate, gegen den u.a. wegen Vergewaltigung und Menschenhandel ermittelt wird – zahlen auf den aktuellen "Boysober-Trend" ein.

Also sind die Männer an allem schuld?
So einfach kann man das nicht sagen. Natürlich sind es primär männliche Verhaltensweisen, vor denen sich Frauen schützen möchten – es heißt ja nicht umsonst "Boysober". Aber auch das Frauenbild in den Sozialen Medien war schon einmal progressiver. Noch einmal die Autorin Angelika Hager: "Nicht nur, dass Frauen in gewissen Religionskreisen oder Migrationsmilieus wie Objekte behandelt werden, begeben sich diese teilweise auch freiwillig in diesen Objektstatus. Man muss nur schauen, wie sich viele Frauen auf Instagram und Co. inszenieren, halbnackt mit offenem Mund. Oder die Trad-Wifes mit ihrem traditionellen Frauenbild – die haben extrem Follower-Zahlen."

Brachten die südkoreanische "4B"-Bewegung auch in die USA: Aktivistinnen demonstrieren gegen den Rückschritt in Sachen Abtreibungsrecht
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MediaPunch / Action Press / picturedesk.com

Und was hat es mit dieser 4B-Bewegung auf sich? Worum geht es da?
Das ist eine feministische Bewegung, die kommt aus Südkorea und ist ganz stark mit der politischen und gesellschaftlichen Situation dort verstrickt. Südkorea ist im Grunde ein moderner, westlich geprägter Staat, aber das Frauenbild und die Situation der Frauen sind auf Dritte-Welt Niveau. Gewalt gegen Frauen in der Ehe ist in Südkorea auf der Tagesordnung, wird von den Behörden aber nur selten und schleppend verfolgt. Auch der Gender-Pay-Gap ist wesentlich höher als in vergleichbaren Ländern – in der EU beträgt er 12,7 Prozent, in Österreich 18,4 Prozent, in Südkorea etwa 34 Prozent.

Und was heißt das?
Als Protest gegen einen willkürlichen Frauenmord in Seoul sowie gegen die generelle Situation der Frauen in Südkorea, formte sich Ende der 2010er-Jahre die "4B"-Bewegung. Das steht für "biyeonae" (Nein zu Dating), "bisekseu" (Nein zu Sex), "bihon" (Nein zur Heirat) und "bichulsan" (Nein zur Geburt). Es geht also im Grunde um eine Totalverweigerung der Frauen – um aber nicht in einen Konflikt mit dem Partner gehen zu müssen, wird von der 4B-Bewegung postuliert, dass die Frauen jede Art von Partnerschaft mit einem Mann ablehnen.

Gehört zum neuen, woken Männer-Typus "Fruity Boy": der britische Sänger und Schauspieler Harry Styles
Gehört zum neuen, woken Männer-Typus "Fruity Boy": der britische Sänger und Schauspieler Harry Styles
BEN STANSALL / AFP / picturedesk.com

Und welche Folgen hat diese Protestbewegung?
Sie hat die Rolle der Frau in der südkoreanischen Gesellschaft ordentlich durchgerüttelt. Heute sagen nur mehr ein Viertel aller Südkoreanerinnen Ja zur Ehe, vor 15 Jahren waren es noch mehr als doppelt so viele. Und die Geburtenrate pro Frau liegt derzeit bei etwa 0,7 Kindern – niedriger ist sie nur mehr in der zu China gehörenden Ex-Kolonie Hongkong.

Gibt es auch außerhalb Südkoreas eine 4B-Bewegung?
In den USA ist die Idee gerade dabei, sich zu etablieren. Auch hier geht es um die grundsätzliche Rolle der Frau in der Gesellschaft, und zwar primär und die Frage des Abtreibungsrechtes. Mit der Entscheidung der amerikanischen Höchstrichter, die Erlaubnis von Abtreibungen in die Hände der einzelnen Bundesstaaten zu legen, wurde ein extremer gesellschaftlicher Backlash umgesetzt, gegen den sich mittlerweile zigtausende Frauen im ganzen Land erhoben haben.

Loyal, offen, gesellig, vertrauenswürdig – so wie die namensgebenden Hunde, sind auch "Golden Retriever"-Männer gelagert
Loyal, offen, gesellig, vertrauenswürdig – so wie die namensgebenden Hunde, sind auch "Golden Retriever"-Männer gelagert
Doug Peters Media Assignments / PA / picturedesk.com

Also sind wir auf dem besten Weg zurück ins Mittelalter?
Nein, diese Gefahr besteht sicher nicht, obwohl wir derzeit weltweit einen massiven Rückschritt zu mehr Konservativismus erleben. Aber es gibt auch Gegenbewegungen – einerseits bei den Frauen ("Boysober", "4B"), andererseits aber auch bei den Männern. So ist der aktuellste Trend in Sachen Männer-Selbstsicht jener zu neuen Männer-Typen wie "Fruity Boys" und "Golden Retriever".

Wie bitte?
Das sind die aktuellsten "Markennamen" für ganz spezielle Männer-Typen. Der "Fruity Boy" etwa wird als Mann mit feministischen Werten beschrieben, die sie sowohl in ihrem umsichtigen Charakter, als auch in ihrer nicht-traditionellen Kleidung zeigen. Man erkennt ihn an einem Perlenohrring, lackierten Fingernägeln und dass er bei einem Date nach dem korrekten Pronomen seines "Love Interests" fragt.Prototypische "Fruity Boys" sind etwa die Sänger Harry Styles und Jaden Smith.

Paradebeispiel für den "Golden Retriever"-Mann: US-Football-Star Travis Kelce mit seiner Liebsten, Musik-Milliardärin Taylor Swift
Paradebeispiel für den "Golden Retriever"-Mann: US-Football-Star Travis Kelce mit seiner Liebsten, Musik-Milliardärin Taylor Swift
TIMOTHY A. CLARY / AFP / picturedesk.com

Und was ist ein "Golden Retriever"?
Ein Mann, der genauso ist wie sein namengebendes Hunde-Vorbild: loyal, offen, gesellig, vertrauenswürdig. Er will jede freie Minute mit seiner Partnerin verbringen, klärt wichtige Entscheidungen vorher mit ihr ab und ist auf jeder Party das Zentrum der guten Laune. Zu dieser "neuen" Männer-Fraktion zählen u.a. die Hollywoodstars Chris Hemsworth, Ryan Gosling und Taylor Swifts Herzbube, der Football-Star Travis Kelce. Wuff.

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