Grosseltern wieder frei

"Blonder Engel": Neue Spuren und neue Rätsel im Todesfall Émile

Vor fast zwei Jahren verschwand ein Bub in Frankreich spurlos. Vor einem Jahr wurde sein Leichnam entdeckt. Nun nahm die Polizei die Großeltern des Zweieinhalbjährigen in Gewahrsam und präsentierte in der Folge neue Erkenntnisse. Die Spur führt in tiefreligiöse Kreise.

Der zweieinhalbjährige Émile verschwand im Sommer 2023 spurlos, im März 2024 wurden seine sterblichen Überreste entdeckt
Der zweieinhalbjährige Émile verschwand im Sommer 2023 spurlos, im März 2024 wurden seine sterblichen Überreste entdeckt
CHRISTOPHE SIMON / AFP / picturedesk.com
Martin Kubesch
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Frankreich steht unter Schock. Seit bald zwei Jahren beschäftigt der Fall des zweieinhalbjährigen Buben Èmile das ganze Land. Zuerst sein spurloses Verschwinden. Dann über Monate immer wieder Suchaktionen und die Hoffnung, ihn doch noch lebend zu finden.

Dann plötzlich, wie aus dem Nichts, das Auftauchen seiner sterblichen Überreste. Und nun, exakt 1 Jahr später, der nächste Schlag: Die Festnahme seiner Großeltern sowie zweier weiterer naher Verwandter. 17 Stunden wurden sie befragt, danach wieder freigelassen.

Was den Großeltern von Émile vorgeworfen wird, was der Selbstmord des örtlichen Priesters vor wenigen Tagen mit dem Fall zu tun haben könnte und welche neuen Erkenntnisse der Staatsanwalt am Donnerstag präsentierte – was bisher über den Fall bekannt ist:

Großvater Philippe V. (Mitte) bei der Beerdigung seines Enkels am 8. Februar 2025: Der 59-Jährige war der letzte Mensch, der mit Émile gesehen wurde, ehe dieser spurlos verschwand
Großvater Philippe V. (Mitte) bei der Beerdigung seines Enkels am 8. Februar 2025: Der 59-Jährige war der letzte Mensch, der mit Émile gesehen wurde, ehe dieser spurlos verschwand
MIGUEL MEDINA / AFP / picturedesk.com

Wie fing alles an?
Am Abend des 8. Juli 2023 ist Émile S. plötzlich weg. Der zu diesem Zeitpunkt zweieinhalbjährige, blonde Bub war bei seinen Großeltern in dem kleinen Örtchen Haut-Vernet auf 1.200 Metern Seehöhe in den französischen Alpen, als er spurlos verschwand. Zuletzt soll er am frühen Abend eine Straße entlang gegangen sein, gaben seine Großeltern später zu Protokoll. Danach verliert sich die Spur des Buben.

Wie ging es weiter?
Der Fall sorgte Frankreich-weit von Beginn an für Schlagzeilen. Zunächst mit der Suche nach dem Kleinkind, an der hunderte Polizisten, Gendarmen und Soldaten teilnahmen. Die gesamte Gegend wurde durchstreift. Da bestand noch die Hoffnung, Émile lebend zu finden. Das gesamte Land nahm daran immer mehr Anteil. Doch Émile blieb wie vom Erdboden verschluckt.

Weshalb erschütterte dieses Schicksal das Land so sehr?
Einerseits erschien die Geschichte vom ersten Moment an besonders tragisch: Ein zweieinhalbjähriger, behüteter Bub verschwindet quasi vor aller Augen, und das in der Wildnis der französischen Alpen. Andererseits entfalteten die Bilder ihre Wirkung. Émile, der Blondschopf vom Land, sanftes Gesicht. Auf dem Foto, mit dem nach ihm gesucht wurde, trug er eine Blume hinter dem Ohr. In vielen Zeitungen wurde er "kleiner, blonder Engel" genannt.

Die Beerdigungszeremonie von Émile S. am 8. Februar 2025 in der Kirche von La Bouilladisse
Die Beerdigungszeremonie von Émile S. am 8. Februar 2025 in der Kirche von La Bouilladisse
MIGUEL MEDINA / AFP / picturedesk.com

Und dann tauchte sein Leichnam auf?
Ja, am 30. März 2024, fast 9 Monate nach seinem Verschwinden. Da entdeckte ein Spaziergänger den Schädel sowie weitere Knochen eines Kindes, und zwar nicht einmal ein Kilometer Luftlinie vom Ort entfernt, an dem Émile nach Aussage seiner Großeltern zuletzt gesehen worden war. Bereits kurz darauf stand fest, dass es sich tatsächlich um die sterblichen Überreste des Buben handelte.

War festzustellen, woran er gestorben ist?
Nein, dafür gab es keinerlei Anzeichen an den Knochen. Und es gab offenbar auch keine Gewebeteile mehr, an denen man zumindest diverse chemische Untersuchungen hätte vornehmen können.

Weshalb tauchten die Knochen so nahe beim Ort seines Verschwindens auf?
Das ist eine der Fragen, die die Ermittler seither nicht loslässt. Denn es ist vor allem in unmittelbarer Umgebung des Hauses seiner Großeltern besonders aufmerksam gesucht worden, da man nicht davon ausging, dass sich ein Zweieinhalbjähriger besonders weit davon würde entfernen könnte. Doch es wurde nichts gefunden – bis zu jenem Frühlingstag Ende März 2024.

Das kleine Örtchen Haut-Vernet liegt auf 1.200 Metern Seehöhe in den französischen Alpen. Hier ereignete sich die Tragödie
Das kleine Örtchen Haut-Vernet liegt auf 1.200 Metern Seehöhe in den französischen Alpen. Hier ereignete sich die Tragödie
NICOLAS TUCAT / AFP / picturedesk.com

Die Knochen wurden dort extra abgelegt?
Das wäre zumindest denkbar. Mittlerweile gibt es neue Erkenntnisse, die diesen Schluss nahelegen. Aber wenn dem wirklich so gewesen sein sollte, stellt sich die Frage: Wo war der Leichnam des Kindes all die Monate davor?

Wurde sein komplettes Skelett gefunden?
Nein, neben dem Schädelknochen wurden einzelne Skelett-Teile entdeckt, und das auch nicht auf einmal. Noch Tage später wurden unweit der ersten Fundstelle weitere Knochenstücke gefunden, die dem Buben zugeordnet werden konnten. Und auch seine Kleidung wurde im Zuge dessen gefunden.

Wie ist das alles zu erklären?
Dass nicht alle Knochen gefunden wurden, könnte das Werk von wilden Tieren gewesen sein, die die Knochen in alle Richtungen davontrugen – dachte man zumindest bisher. Manche wurden gefunden, andere werden wohl nie mehr auftauchen. Die Knochen eines Kleinkindes sind weder besonders groß, noch besonders schwer. Sie können auch von kleineren Wildtieren mühelos verschleppt werden.

Und die Kleidung?
Einige Tage später wurden außerdem ein T-Shirt, eine Unterhose und Schuhe, die der Bub bei seinem verschwinden getragen haben soll, in einem nahen Bachbett gefunden. Dazu gibt es jetzt ebenfalls neue Erkenntnisse der Ermittler (siehe Update ganz unten).

Die Gendarmerie-Kaserne in Marseille: Hier werden Philippe und Anne V., die Großeltern des kleinen Émile, seit letztem Dienstag einvernommen
Die Gendarmerie-Kaserne in Marseille: Hier werden Philippe und Anne V., die Großeltern des kleinen Émile, seit letztem Dienstag einvernommen
Frederic MUNSCH / Action Press/Sipa / picturedesk.com

Und was machte die Exekutive?
Sie ermittelte, und zwar offensichtlich in zahlreiche Richtungen. Einmal wurde das komplette Dorf abgeriegelt und mit allen Bewohnern eine Art Rollenspiel veranstaltet, um festzustellen, was in jenen Stunden, als Émile verschwand, im Ort geschehen ist. Auch die sterblichen Überreste des Buben blieben lange unter Verschluss, um eventuell doch noch Erkenntnisse aus ihnen ziehen zu können.

Wann bekamen die Eltern den Leichnam ihres Sohnes zurück?
Erst Anfang Februar 2025, also vor wenigen Wochen. Die Beisetzung von Émile fand am 8. Februar dieses Jahres statt, also exakt 20 Monate, nachdem der Bub verschwunden war.

Wurde Émile auch in Haut-Vernet beerdigt?
Nein, denn das Haus der Großeltern dort ist nur ihr Zweitwohnsitz. Die Familie wohnt eigentlich in La Bouilladisse, eine Kleinstadt nordöstlich von Marseille. Dort fand auch die Trauerfeier für den Buben statt.

Die Anwältin von Philippe V., Maitre Isabelle Colombani: "Mein Mandant kooperiert vollständig", sagt sie
Die Anwältin von Philippe V., Maitre Isabelle Colombani: "Mein Mandant kooperiert vollständig", sagt sie
Frederic MUNSCH / Action Press/Sipa / picturedesk.com

Wer führt eigentlich die Ermittlungen in dem Fall?
Die Gendarmerie in Marseille ist dafür verantwortlich.

Und was hat sie seit dem Fund der Knochen erreicht?
Jedenfalls zunächst nichts, das bekannt geworden wäre. Nach dem Auftauchen der Überreste des Buben war fast 1 Jahr Funkstille, wenn man von der Freigabe des Leichnams und der Beerdigung einmal absieht. Aber in den vergangenen Tagen begannen sich dann die Ereignisse zu überschlagen.

Was ist geschehen?
Am Freitag, dem 14. März, fuhren Ermittler mitten in der Nacht zur kleinen Kapelle von Haut-Vernet und nahmen einen etwa 60 mal 80 Zentimeter großen Blumentopf mit. Den Strauch, der darin eingepflanzt war, entfernten sie und ließen ihn zurück.

Das Ferienhaus der Familie V. in Haut-Vernet: Von hier verschwand Émile S. am 8. Juli 2023 spurlos, keinen Kilometer Luftlinie entfernt wurde 9 Monate später sein Leichnam gefunden
Das Ferienhaus der Familie V. in Haut-Vernet: Von hier verschwand Émile S. am 8. Juli 2023 spurlos, keinen Kilometer Luftlinie entfernt wurde 9 Monate später sein Leichnam gefunden
CLEMENT MAHOUDEAU / AFP / picturedesk.com

Klingt seltsam …
Laut französischen Medienberichten sollen die Gendarmen einen anonymen Tipp bekommen haben, der sie zu dem Blumentopf geführt hat. Es bestand offenbar der Verdacht, dass die sterblichen Überreste von Émile monatelang darin gelegen sein könnten, ehe sie an ihrem späteren Fundort deponiert wurden. Das hat sich allerdings nicht bestätigt, wie inzwischen bekannt geworden ist.

Was passierte dann?
Am Dienstag, den 25. März, wurden schließlich vier Familienmitglieder in Gewahrsam genommen. Und zwar die Großeltern von Émile, Philippe (59) und Anne V. Sowie zwei erwachsene der insgesamt 10 Kinder des Paares, also eine Tante und ein Onkel von Émile, nämlich die 20-jährige Marthe und der 18-jährige Maximilien. Beide waren demnach dabei, als Émile im Juli 2023 plötzlich verschwand.

Was wird ihnen vorgeworfen?
Im Raum stehen die Vorwürfe der vorsätzlichen bzw. der fahrlässigen Tötung und das Verbergen einer Leiche.

Der Wagen von Philippe V. wird von der Spurensicherung ins Labor gebracht
Der Wagen von Philippe V. wird von der Spurensicherung ins Labor gebracht
CLEMENT MAHOUDEAU / AFP / picturedesk.com

Sind das die Großeltern mütterlicherseits?
Ja. Die Mutter von Émile ist Marie S., sie ist das älteste der 10 Kinder von Philippe und Anne V. Émiles Vater ist Colomban S. Émile war das älteste Kind von Marie und Colomban, sie haben noch eine Tochter (*2022) und einen Sohn (*2024).

Was weiß man über die Familie?
Sie gelten als besonders strenggläubige und konservative Katholiken. Die Familie besucht etwa bevorzugt Gotteshäuser, in denen die Messe nach wie vor in Latein zelebriert wird.

Hat die Kirche das nicht untersagt?
Diese Praxis katholischer Liturgie wurde 1970 aus den Gotteshäusern verbannt, erlebte aber vor allem in Frankreich in den vergangenen Jahren einen neuen Höhenflug. Am 16. Juli 2021 schränkte der Papst mit dem Schreiben "Traditions Custodes" die traditionellen lateinischen Messen ein. Unter den geschätzt 60.000 traditionalistischen Katholiken in Frankreich sorgte das für Aufregung.

Auch der Pferdeanhänger von Philippe V. wurde zur weiteren Spurensicherung ins Labor gebracht
Auch der Pferdeanhänger von Philippe V. wurde zur weiteren Spurensicherung ins Labor gebracht
CLEMENT MAHOUDEAU / AFP / picturedesk.com

Was ist über die Kinder bekannt?
Vor allem, dass alle 10 Kinder daheim unterrichtet werden oder wurden. Sie besuchten keine öffentliche Schulen.

Was weiß man über die Familie sonst?
Großvater Philippe V., der sich selbst als Physiotherapeut bezeichnet und als Osteopath im Telefonbuch von La Bouilladisse steht, war früher an einer katholischen Privatschule im nordfranzösischen Département Pas-de-Calais beschäftigt. Diese Schule gehört der Gesellschaft Sainte Croix de Riaumont, einer Benediktinerklostergemeinschaft, die neben der Privatschule auch ein Kinderwohndorf und eine Pfadfindergruppe führt. Dort gab es bereits in den 1990er-Jahren schwere Vorwürfe gegen Philippe V., berichtet Bild.

Wochenlang suchten im Sommer 2023 Soldaten und Gedarmen die ganze Gegend nach Spuren von Émile ab – vergeblich
Wochenlang suchten im Sommer 2023 Soldaten und Gedarmen die ganze Gegend nach Spuren von Émile ab – vergeblich
NICOLAS TUCAT / AFP / picturedesk.com

Welche Vorwürfe?
Philippe V. soll Knaben an der Schule körperlich brutal misshandelt haben – die Rede ist von Schlägen, Tritten und heftigem Ziehen an den Ohren. Derartige Übergriffe räumte der 59-Jährige auch ein, wurde allerdings nicht angeklagt. Auch Vergewaltigungsvorwürfe standen im Raum, konnten aber nie bewiesen werden und wurden von ihm auch bestritten.

Was ist mit dem Selbstmord des Priesters?*
Das ist eine sehr ominöse Geschichte, in die laut französischen Medien ebenfalls der Großvater, Philippe V., verwickelt sein soll. Pater Claude Gilliot war laut der Zeitschrift Paris Match ein beliebter Priester in Haut-Vernet, er hat den kleinen Émile getauft. Der Pater soll auch die Messe noch in Latein gefeiert haben soll – eigentlich ganz nach dem Geschmack von Philippe V.

Warum kam es zum Konflikt?
Als Émile 2023 plötzlich verschwand und Journalisten den kleinen Ort belagerten, soll Pater Gilliot den Medien ein Foto von Marie und Colomban, den Eltern von Émile, zur Verfügung gestellt haben.

Für eine Simulation der Ereignisse am Tag, als der kleine Émile verschwand, ließ die Exekutive die gesamte Gemeinde stunden lang abriegeln
Für eine Simulation der Ereignisse am Tag, als der kleine Émile verschwand, ließ die Exekutive die gesamte Gemeinde stunden lang abriegeln
CLEMENT MAHOUDEAU / AFP / picturedesk.com

Und weiter?
Er tat das offensichtlich, ohne vorher mit der Familie Rücksprache gehalten zu haben. Als das Foto publiziert wurde, machte zunächst Colomban S. und dann sein Schwiegervater, Philippe V., dem Geistlichen die Hölle heiß. Auch als sich der Pater aufrichtig entschuldigte, soll Philippe V. nicht von ihm abgelassen und ihm vielmehr massiv gedroht haben.

Was war die tragische Folge?
Am 15. März nahm sich der Priester schließlich mit einer Überdosis Medikamenten das Leben, berichtet Le Figaro. Seine Schwester, die einen Abschiedsbrief erhielt, macht auch das Verhalten von Philippe V. für den Selbstmord ihres Bruders mit verantwortlich.

Was weiß man eigentlich über Émiles Vater, Colomban S.?
Er scheint mindestens so strenggläubig zu sein wie sein Schwiegervater. Colomban S. ist laut der Zeitung Le Figaro Mitglied der streng konservativen katholischen Christian Society, einer Gesellschaft, die in den 1980er-Jahren von einem Mitglied des rechtsextremen Front National gegründet worden war.

An jener Stelle, wo 9 Monate nach dem Verschwinden des Buben seine Überreste gefunden wurden, war zuvor besonders gründlich gesucht worden
An jener Stelle, wo 9 Monate nach dem Verschwinden des Buben seine Überreste gefunden wurden, war zuvor besonders gründlich gesucht worden
NICOLAS TUCAT / AFP / picturedesk.com

Das heißt aber, er versteht sich mit seinem Schwiegervater super, oder?
Nein, nicht mehr. Aus Ermittlerkreisen sickerte durch, dass Telefonate zwischen den Eltern von Émile und Großvater Philippe V. von der Gendarmerie abgehört wurden. Aus den Gesprächen zogen die Ermittler den Schluss, dass es massive Vorwürfe zwischen den Familienmitgliedern geben soll, was das Schicksal den kleinen Émile betrifft. Laut Paris Match hätten sich die einst sehr engen Familien mittlerweile total entfremdet.

Deshalb wurden die Großeltern nun festgenommen?
Bestimmt nicht nur deshalb, aber wohl auch. Laut der Anwältin von Philippe V., Isabelle Colombani, "kooperiert ihr Mandant uneingeschränkt mit den Behörden" und sei "nur daran interessiert aufzuklären", was mit Émile geschehen sei.

Gendarmen bewachen das Ferienhaus der Familie V. in Haut-Vernet, während drinnen nach Spuren gesucht wird
Gendarmen bewachen das Ferienhaus der Familie V. in Haut-Vernet, während drinnen nach Spuren gesucht wird
CLEMENT MAHOUDEAU / AFP / picturedesk.com

Und was denken die Ermittler?
Sie haben jedenfalls den Gewahrsam über die vier Festgenommenen verlängert, um sie weiter einvernehmen zu können. Gleichzeitig fand auch eine Hausdurchsuchung im Haus der Familie in Haut-Vernet statt. Dabei wurden unter anderem der Wagen von Philippe V. sowie ein Pferdeanhänger beschlagnahmt, um von Forensikern untersucht zu werden. Ob dabei Stichhaltiges gefunden wird – und ob dadurch eine Verantwortung der Familienmitglieder bewiesen werden kann –, bleibt abzuwarten.

News-Update: Familienmitglieder wieder frei, Staatsanwalt präsentiert Ermittlungsergebnisse

Was ist passiert?
Donnerstagfrüh schließlich der nächste Paukenschlag im Fall um den Tod von Émile S. Noch im Morgengrauen wurden die Großeltern Philippe und Anne V. sowie ihre beiden erwachsenen Kinder Marthe und Maximilien aus dem Polizei-Gewahrsam entlassen. Insgesamt 48 Stunden waren sie im Gendarmerie-Stützpunkt in Marseille festgesetzt, wurden insgesamt 17 Stunden getrennt voneinander verhört.

Gab es konkrete Erkenntnisse?
Darüber ist nichts bekannt. Die Anwältin von Philippe V., Isabelle Colombani, erklärte nur, ihr Mandant hätte alle Fragen beantwortet: "Wir wollten an der Wahrheitsfindung mitwirken." Danach seien die Familienmitglieder in ihr Haus in La Bouilladisse gefahren.

Legte bei einer Pressekonferenz am Donnerstag, dem 27. März, die neuesten Erkenntnisse der Ermittler vor: Jean-Luc Blachon
Legte bei einer Pressekonferenz am Donnerstag, dem 27. März, die neuesten Erkenntnisse der Ermittler vor: Jean-Luc Blachon
CLEMENT MAHOUDEAU / AFP / picturedesk.com

Scheidet die Familie damit als mögliche Täter aus?
Nein. Wie der verantwortliche Staatsanwalt Jean-Luc Blachon und der Leiter der Kriminalabteilung der Gendarmerie Marseille, Christophe Berthelin, wenige Stunden später bei einer Pressekonferenz erklärten, hätte man sich vor allem über Verbindungen und Beziehungen innerhalb der Familie klar werden wollen. Dass von den 4 Familienmitgliedern jetzt niemand angeklagt worden sei, heiße nicht, dass das nicht noch geschehen könnte. Und: Es sei durchaus möglich, dass dieser Ermittlungsstrang auf weitere Familienmitglieder ausgeweitet wird.

Hatte der Staatsanwalt noch etwas zu berichten?
Ja, und zwar einige sehr interessante und vor allem ganz neue Erkenntnisse, die er erstmals der Öffentlichkeit präsentierte.

Die neuen Ermittlungserkenntnisse im Fall des kleinen Émile:

  • Auf dem Schädelknochen den Buben wurden demnach Spuren entdeckt, die von einem "heftigen Gesichtstrauma" herrühren könnten. Der Bub hatte also mit großer Wahrscheinlichkeit eine schwere Gesichtsverletzung, ob er an dieser auch verstorben ist, ist unklar.
  • Weiters sind sich die Ermittler inzwischen sicher, dass die sterblichen Überreste von Émile erst kurz vor deren Entdeckung an diesen Ort gebracht worden waren. Der Leichnam sei zuvor wo anders gelegen und verwest. Beim Schädelknochen ist man sich sogar sicher, dass dieser an zwei verschiedenen Orten war, ehe er im Wald abgelegt wurde. Und: Einer dieser beiden Orte habe eine "geschützte, beinahe sterile Atmosphäre" geboten, in der der kleine Körper in den Zustand der Verwesung eintrat.
  • Ebenfalls als sicher gilt, dass die gefundene Kleidung des Buben nicht an seinem Körper war, als dieser verweste. Sie sei ihm vielmehr ausgezogen und aufbewahrt worden, offenbar um sie später mit dem Leichnam abzulegen. Deshalb sei sie auch nahezu völlig intakt.
Sprach bei der Pressekonferenz am Donnerstag über die aktuellsten Ermittlungsergebnisse: Christophe Berthelin, der Chef der Kriminalabteilung der Gendarmerie in Marseille
Sprach bei der Pressekonferenz am Donnerstag über die aktuellsten Ermittlungsergebnisse: Christophe Berthelin, der Chef der Kriminalabteilung der Gendarmerie in Marseille
CLEMENT MAHOUDEAU / AFP / picturedesk.com

Daraus ziehen die Ermittler zwei Schlüsse:

  • Die Verletzung und mit großer Wahrscheinlichkeit auch der Tod von Émlie wurde von einer anderen Person herbeigeführt. Ob es sich um ein Gewaltverbrechen gehandelt hat, kann noch nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Ein Unfall wird aber eher ausgeschlossen.
  • Der Bub (oder sein Leichnam, je nachdem, wann und wie er starb) wurde an einen unbekannten Ort gebracht, dort entkleidet und für viele Monate abgelegt. Erst nachdem keinerlei Gewebespuren mehr übrig waren, haben der oder die Täter die sterblichen Überreste des Buben sowie seine Kleidung an jenen Ort gebracht, wo er kurz darauf schließlich gefunden wurde.

Neuer Ermittlungsansatz …
Inzwischen berichten französische Medien, dass die Spur jenes Priesters, der vor 2 Wochen Selbstmord verübt hat, mittlerweile ins Zentrum des Interesses der Exekutive geraten ist. Donnerstag Nachmittag fand im Haus des Geistlichen eine Hausdurchsuchung statt.

… und viele neue Fragen
Aus all diesen Erkenntnissen ergeben sich zahlreiche neue Fragen für die ermittelnden Behörden. Ob – und wie rasch – diese geklärt werden können, wird sich zeigen. Es sieht aber auf jeden Fall so aus, als würde das spektakulärste Verbrechen der letzten Jahrzehnte Frankreich noch geraume Zeit in seinen Bann ziehen.

Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.

Der Artikel wurde am 27. März um 16 Uhr um die neuen Ermittlungserkenntnisse erweitert

* Sollten Sie Suizid-Gedanken haben, dann holen Sie sich bitte Hilfe. Der Notruf 142 steht rund um die Uhr zur Verfügung.

Akt. Uhr
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