podcast-interview

Koalitions-Krach: "Brief nach Brüssel war nicht klug"

Ex-Kanzlersprecherin Heidi Glück über die "Brechstangenpolitik" von Leonore Gewessler, was sie an der ÖVP-Reaktion nicht "cool" fand und die Folgen für die nächste Regierung.

Heidi Glück ist Kommunikationsberaterin in Wien, sie war 7 Jahre lang Beraterin des damaligen Kanzlers Wolfgang Schüssel
Heidi Glück ist Kommunikationsberaterin in Wien, sie war 7 Jahre lang Beraterin des damaligen Kanzlers Wolfgang Schüssel
Denise Auer
Christian Nusser
Akt. Uhr
Teilen

Heidi Glück ist seit über 25 Jahren eine Insiderin, was das politische Geschehen in Österreich betrifft. Sie war zehn Jahre Kommunikationschefin im ORF, sieben Jahre Sprecherin und auch Beraterin des ÖVP-Kanzlers Wolfgang Schüssel. Heute hat sie ein eigenes Unternehmen, "Heidi Glück, Spirit & Support", vermittelt Redner über ihre Agentur "Topspeaker" und analysiert häufig im TV die aktuelle Politik. Was sie zum Streit über das Renaturierungsgesetz zu sagen hat, was in der Kommunikation schief lief. Die wichtigsten Passagen aus dem Podcast-Interview. Heidi Glück über:

Wie viele Stunden Sie momentan am Smartphone verbringt
Ich fürchte zu viele. Jedenfalls ist es meinem Mann viel zu viel. Aber man kann sich aus seinem Politikinteresse nicht verabschieden.

Wie sie als Kommunikationsprofi die letzten Tage einschätzt
Das ist schon ein ziemlicher Krimi. Als ich noch Kanzlersprecherin war, habe ich mir gedacht, eigentlich ist jeden Tag Krisenmanagement. Durch Social Media hat sich die Dynamik noch einmal verstärkt. Es ist heute noch schneller, noch heftiger, auch ein bisschen brutaler geworden, auch was die persönlichen Angriffe betrifft. Ich bin froh, dass ich zu meiner Zeit die Politik ein bisschen mitgestalten konnte, heute ist es vielleicht weniger lustvoll.

Ob sie den Job noch einmal übernehmen würde
Es ist vielleicht nicht so sehr die Heftigkeit und die Wucht, die mich abhalten würde, weil damit bin ich eigentlich ganz gut umgegangen. Ich bin sehr stressresistent. Man gewöhnt sich ans Tempo, man gewöhnt sich daran, dass man in der Früh aufsteht und weiß: Okay, ich habe sieben Termine und von denen kann ich wahrscheinlich fünf kübeln, weil irgendwas auf jeden Fall ausbrechen wird. Ich war ja auch strategische Beraterin von Bundeskanzler Dr. Schüssel und da braucht es schon eine gewisse innere Ruhe. Aber das gesamte Umfeld reizt mich jetzt nicht mehr sehr.

Welche Rolle Social Media in so einer Phase spielt
Ich glaube, das ist einer der großen Unterschiede, die es zu der damaligen Zeit gibt. Es reden viel mehr Leute mit und wollen mitentscheiden. Es ist schon auch das Tempo, mit dem man heute unter Druck gesetzt wird, sehr rasch reagieren zu müssen. Und das ist etwas, was ich sehr bedauere. Dass sich da viele Politiker und Politikerinnen ein bisschen zu sehr treiben lassen von diesem Druck, von dieser Dynamik.

Warum das ein Problem ist
Du brauchst für grundsolide Entscheidungen einfach Zeit, in der man nachdenken kann, wo man sich informieren kann, wo man Gespräche führen kann und muss, damit man dann letztlich Entscheidungen treffen kann, die erstens halten, längerfristig sind, aber die auch ein gutes Fundament haben. Eine Entscheidung in der Spitzenpolitik betrifft ja Hunderttausende, manchmal Millionen Menschen. Das ist eine unglaubliche Verantwortung, diese Dinge müssen ordentlich gemacht werden.

Österreichs Kanzler Karl Nehammer auf der "Ukraine-Friedenskonferenz" in der Schweiz
Österreichs Kanzler Karl Nehammer auf der "Ukraine-Friedenskonferenz" in der Schweiz
Picturedesk

Ob sich Politiker diese Auszeit heute noch leisten können
Ich denke ja. Man muss sich die Zeit einfach nehmen, das erklären und begründen, auch gegenüber Journalisten, die natürlich permanent an News-Meldungen interessiert sind. Dass es im Sinne aller ist, wenn die Entscheidungen überlegt getroffen werden. Das geht nicht von einer Stunde auf die andere und das geht nicht von heute auf morgen. Wenn man da ein bisschen mutiger sein würde und sagt, wir haben den Entscheidungsprozess noch nicht abgeschlossen, ich muss noch zwei, drei Telefonate führen oder zwei, drei Gesprächsrunden, dann kann ich Sie darüber informieren, ich glaube, das würde die Politik aushalten und die Journalisten müssten es akzeptieren.

Was in der Kommunikation der letzten Tage falsch gelaufen ist
Dieser Brief nach Brüssel, von dem glaube ich, dass er nicht besonders klug war. Nicht was den Inhalt jetzt an sich betrifft, aber es war vielleicht eine zu schnelle, zu heftige Überreaktion. Diesen Brief zu schreiben mit dem Inhalt: "Wir in Österreich haben uns noch nicht einigen können, bitte lasst die Frau Ministerin jetzt nicht abstimmen, weil das hat nicht unseren Sanktus." Die Reaktion war unmittelbar darauf: "Ihr müsst eure Probleme zu Hause lösen."

Warum das nicht klug war
Man hätte wissen müssen, dass diese Antwort zurückkommt, noch dazu, wenn man den Brief öffentlich macht, und dann eine Niederlage einstecken muss. Es war völlig klar, dass die Renaturierung ein Kernprojekt der belgischen Ratspräsidentschaft war. Also, die hätten das nicht aufgegeben und die Ratspräsidentschaft ist in einer Woche zu Ende. Nur weil es in Österreich einen Disput zwischen zwei Ministern gibt, die sich nicht einigen können, und ein Föderalismus-Problem, das wahrscheinlich für ganz viele Länder in Europa nicht einmal nachvollziehbar ist.

Klimaministerin Leonore Gewessler stimmte am 17. Juni im Alleingang für das EU-Renaturierungsgesetz
Klimaministerin Leonore Gewessler stimmte am 17. Juni im Alleingang für das EU-Renaturierungsgesetz
Picturedesk

Wie sie die Entscheidung von Gewessler einordnet
Natürlich ist das, was die Frau Ministerin Gewessler gemacht hat, gegen die demokratischen Spielregeln, wie wir sie gewohnt sind. Da verstehe ich schon, dass es eine Reaktion braucht. Das hätten sich sonst die Landeshauptleute auch nie gefallen lassen, wenn da der Parteichef oder der Bundeskanzler nicht relativ scharf reagiert hätte. Weil natürlich darf es keine Nachfolgebeispiele geben, sonst wird das Land unregierbar.

Was das für die Regierung bedeutet
Es ist letztlich eine Frage der Vertrauensgrundlage. Ich könnte sagen, okay, das ist für mich ein großer Vertrauensbruch in meinem Team und die Regierung sollte sich als Team verstehen. Wenn jetzt jemand ausschert, dann ist es in Wahrheit nicht anders als in einer Familie oder in einem Unternehmen. Da muss man sich mit der Frage beschäftigen, was machen wir jetzt damit?

Was der Kanzler machen hätte können
Also er könnte sagen, okay, gut, dann beenden wie unsere Zusammenarbeit. Danke, du bist nicht mehr Teil unseres Teams, weil du hast kein Grundvertrauen mehr. Der Bundeskanzler hätte dem Bundespräsidenten vorschlagen können, die Frau Ministerin aus dem Regierungsteam zu entlassen. Ich wäre diesen Schritt noch nicht gegangen, aber ich hätte zumindest einmal gesagt, okay, ich rede mit dem Bundespräsidenten, weil wenn ich etwas verändern möchte im Regierungsteam, dann brauche ich ihn dazu.

Der ehemalige Kanzler Wolfgang Schüssel mit seiner Kommunikationsberaterin Heidi Glück bei seinem Rückzug aus dem Nationalrat 2011
Der ehemalige Kanzler Wolfgang Schüssel mit seiner Kommunikationsberaterin Heidi Glück bei seinem Rückzug aus dem Nationalrat 2011
FOLTIN Jindrich / WirtschaftsBlatt / picturedesk.com

Welche Rolle dem Bundespräsidenten zukommt
Man hätte gemeinsam überlegen können, was im Sinne der Verantwortung für dieses Land jetzt der beste Weg ist. Man sagt, okay, vielleicht finden wir noch einen Modus, dass wir uns halt bis zum 29. September zusammenraufen. Im Sinne der Verantwortung für das Land.

Ob die Ankündigung von Klagen als Reaktion ausreicht
Mit juristischen Antworten zu regieren, ist nie besonders cool. Also Gewessler sagt, es geht um den Schutz unserer Natur und die ÖVP-Minister oder der Bundeskanzler sagen, wir klagen.

Was das Grundproblem dabei ist
Ich bin überzeugt, dass nicht sehr viele Leute wissen, was in dem Renaturierungsgesetz wirklich drinsteht. Aber dieses Grundgefühl, wir müssen etwas tun, noch dazu im Umfeld dieser Überschwemmungen, die es gegeben hat, vorige Woche, diese Bilder, wo die Autos davongeschwommen sind, in der Steiermark. Ich denke, das macht schon was mit den Menschen.

Welche Reaktion für den Kanzler angemessen gewesen wäre
Ich denke, er hat in Wahrheit eigentlich keine andere Möglichkeit gehabt als zu sagen: Schauen wir, dass wir diese nächste Phase noch über die Bühne bringen, möglichst ohne große Aufregungen. Es steht noch einiges auf der Tagesordnung im Parlament, das Gemeindepaket, ein großes Pflegepaket. Nicht nur die ÖVP, letztlich auch die Grünen können zeigen, dass sie tatsächlich dieses Versprechen, "Wir wollen bis zum letzten Tag arbeiten", drüberbringen.

Beide von den Grünen ausgetrickst: Kanzler Karl Nehammer und sein Vorgänger Sebastian Kurz
Beide von den Grünen ausgetrickst: Kanzler Karl Nehammer und sein Vorgänger Sebastian Kurz
Picturedesk

Wie das gelingen kann
Ob diese Brechstangenpolitik der Frau Gewessler jetzt sehr hilfreich war, weiß ich nicht. Ich denke allerdings: Wenn sich die ganze Aufregung ein bisschen minimiert hat, siegt vielleicht doch die Pragmatik. Die ÖVP hat ja auch noch einige Wünsche offen, die Besetzung der Nationalbank, den EU-Kommissar …

Warum die ÖVP die Änderungen im Renaturierungsgesetz nicht als ihren Erfolg verkauft hat, statt dagegen zu sein
Das haben viele andere Länder gemacht. Sie haben genau damit argumentiert, dass die Giftzähne gezogen wurden. Natürlich hätte man das auch so machen können. Aber so wie die ÖVP halt in vielen dieser Themen Klientelpolitik betreibt, hat es letztlich auch umgekehrt die Frau Gewessler gemacht. Warum die ÖVP so überrascht war von diesem Schritt ist für mich allerdings nicht nachvollziehbar, weil sie eigentlich damit rechnen musste, dass das kommt.

Wie groß der Schaden für die ÖVP ist
Als Marke hat die ÖVP mehr verloren als die Grünen. Ich habe den Eindruck, bei den Grünen wird es als mutig empfunden, so einen Schritt gesetzt zu haben. Lassen wir einmal die demokratischen Spielregeln weg: Von der grünen Seite wird das als sehr durchsetzungsstark, sehr mutig, auch als prinzipientreu gesehen.

Kommunikationsberaterin Heidi Glück im Podcast-Interview mit Christian Nusser (Newsflix)
Kommunikationsberaterin Heidi Glück im Podcast-Interview mit Christian Nusser (Newsflix)
Denise Auer

Und die ÖVP?
Die hinkt da ein bisschen nach, sie hat die Dinge offenbar falsch eingeschätzt, war nicht gut genug darauf vorbereitet, hat dann nicht souverän genug reagiert. Auf der anderen Seite muss man sagen, dass die Mehrheit im Bereich der ÖVP-Funktionäre und der Kern, die Stammwähler, die ohnehin schon sehr, sehr kritisch waren gegenüber den Grünen, sich da vielleicht  ein bisschen bestärkt sehen, dass man mit den Grünen einfach keine Koalition machen kann.

Welche Auswirkungen diese Erkenntnis hat
Es ist schon das zweite Mal, dass die Grünen eine Koalition mit der ÖVP mehr oder weniger gesprengt haben, es gab ja auch die Abwahl im Parlament von Sebastian Kurz. Im Prinzip ist das jetzt das Ende der Koalition.

Den Ministerrat quasi abzusagen, war aber kindisch oder?
Ja, ich hätte es dem Bundeskanzler nicht geraten, sondern ich hätte auf Business as usual umgestellt. Natürlich muss er ihn so in einer Sitzung klarmachen, dass das aus seiner Sicht nicht akzeptabel ist, aber danach einen Appell an alle richtet, sich wieder einzukriegen und die Regierungsarbeit fortzusetzen. Rückgängig machen kann man das ohnehin nicht und wie lange es mit den Klagen dauert, da ist vermutlich die Wahl schon wieder vorbei. Und die Grünen sind mit ziemlicher Sicherheit in keiner Regierung, in der auch die ÖVP sitzt.

Stichwort Wahl, was bedeuten das alles für die Zeit danach?
Die ÖVP spricht sich seit Monaten massiv gegen eine Koalition mit Kickl und der FPÖ aus. Eine FPÖ ohne Kickl wird es nicht geben. Das heißt, sie hat sich diese Option in Wahrheit selber genommen. Jetzt hat sie sich auch die zweite Option genommen, jene mit den Grünen. Es bleibt fast nur mehr die Variante übrig, ÖVP, SPÖ und NEOS. Man wird sehen, wie es ausgeht.

Akt. Uhr
#Menschenwelt
Newsletter
Werden Sie ein BesserWisser!
Wissen, was ist: Der Newsletter von Newsflix mit allen relevanten Themen des Tages und den Hintergründen dazu.