betroffene erzählt

Long Covid: "Sei froh, dass du nicht im Rollstuhl sitzt"

Bei bis zu zehn Prozent verschwindet Corona nicht einfach so. Eine Betroffene schildert ihren Alltag zwischen Halluzinationen, elf Stunden Schlaf am Tag und der Erkenntnis: "Das bleibt mir lebenslang."

Bis zu 10 Prozent der Coroan-Infizierten erkranken an Long Covid (Symbolbild)
Bis zu 10 Prozent der Coroan-Infizierten erkranken an Long Covid (Symbolbild)
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Christian Nusser
Akt. Uhr
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Die Sonne hat sich hübsch gemacht für diesen Tag, sie hatte sich auch schon ein paar Muskeln antrainiert. Es ist Mitte März, ein laues Lüfterl weht, es wäre ein guter Zeitpunkt, um das Fahrrad auszuwintern, die Hollywoodschaukel gartenfit zu machen oder einfach spazieren zu gehen. Aber Sabine hat keine Augen für die Sonne, "sie ist mir wurscht", sagt sie, denn sie darf nicht raus. Sie will nicht raus. Am Vormittag war sie schon ein bisschen im Internet, mehr Reizen darf sie sich an einem Tag nicht aussetzen. Sonst fangen die Symptome wieder an.

Sabine heißt nicht wirklich Sabine. Sie will anonym bleiben und auch nicht abgebildet werden, das ist vielleicht auch gut so. Fotos lenken ab. Der Blick ist dann auf die Kranken gerichtet und nicht auf die Krankheit. Sabine lebt in Wien, sie ist Mitte 40, ihr bisheriges Leben war voll mit Terminen und Interessen, beruflich wie privat. Dann kam Long Covid.

Wie alles begann Am Anfang war da der Reizhusten, der nicht weggehen wollte. Nach und nach kamen immer mehr Symptome dazu. Das Gefühl, nicht tief einatmen zu können, ein Stechen links in der Brust, eine schwere Verspannung der Muskulatur rund um die Brust, eine oberflächliche Venenthrombose. In der Nacht fand Sabine keinen Schlaf, untertags trug sie eine bleierne Erschöpfung mit sich herum wie einen Mehlsack. Es war Tag 36 nach der Corona-Infektion. Da war an Arbeiten längst nicht mehr zu denken.

Am 16. Oktober 2023 wurde Sabine positiv auf Covid-19 getestet. Es war ihre zweite Infektion. Drei Wochen davor hatte sie sich impfen lassen, zum fünften Mal.

Oft die schwierigste Phase für Long Covid-Betroffene, das Eingeständnis "ich bin krank"
Oft die schwierigste Phase für Long Covid-Betroffene, das Eingeständnis "ich bin krank"
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Erste Infektion 2022 Im Dezember 2022 war sie vom Virus schon einmal gepackt worden. Zwei Wochen ging es ihr ziemlich mies, dann rappelte sie sich auf, aber es dauerte drei weitere Wochen, bis alles wieder halbwegs im Lot war, aber wiederum auch nicht. "Aus heutiger Sicht hatte ich vielleicht damals schon eine leichte Form von Long Covid", sagt sie. Das Erzählen fällt ihr nicht leicht. Immer wieder beginnt sie Sätze, bricht sie ab, beginnt von vorne, sucht nach Worten. Früher hat sie flüssig Vorträge gehalten.

Dann kam der Oktober 2023 Erneute Infektion, erneut zwei Wochen Pause, erneut ging es ihr nicht gut. Aber nach 14 Tagen nahm Sabine ihre Arbeit wieder auf, so halten es die meisten. Immerhin blieb sie daheim, Homeoffice, das ging. Sie funktionierte. Bis 17 Uhr. "Dann bin ich ohne Essen oder Duschen ins Bett gefallen und erst am nächsten Tag wieder aufgestanden. Von diesem Zustand hat aber niemand  etwas mitgekriegt."

Dann bin ich ohne Essen oder Duschen ins Bett gefallen und erst am nächsten Tag wieder aufgestanden. Von diesem Zustand hat aber niemand etwas mitgekriegt
Sabine, Long Covid-Betroffene

"Das klingt nach Long Covid" Nach 14 Tagen folgte der erste grobe Einschnitt, den das neue Leben in das alte machte. Sabine ging zur Hausärztin.  "Das, was Sie mir da aufzählen, das klingt nach Long Covid", sagte sie nach der Untersuchung und verschrieb ihr ein paar Medikamente, Antihistaminika, Cortison. Später sollte sich herausstellen, dass die Therapie richtig gedacht war, aber die Dosierung zu hoch gewählt wurde. "Nach fünf Tagen musste ich die Medikation absetzen", sagt Sabine, "ich hatte Herzrasen, war verwirrt, hatte kurzzeitig sogar Halluzinationen."

18 Symptome Das Wochenende davor verbrachte sie hauptsächlich im Bett, sie war völlig erschöpft und es war der Zeitpunkt, als sie sich das erste Mal eingestehen musste: "Ich bin krank." Das sagt sich leicht, aber damit lebt es sich schwer, denn Long Covid geht nicht so einfach weg wie ein Schnupfen. "Von den mehr als 18 Symptomen, die ich während meiner Corona-Erkrankung protokolliert habe, waren einige gekommen, um zu bleiben", sagt Sabine.

Das Eingeständnis Nach der Phase der Akzeptanz begann eine noch schwierigere Phase. Zu wissen, dass man krank ist, das ist die eine Sache, aber die richtige Therapie zu finden, die andere. Auf der Gefäßambulanz im Krankenhaus wurde Sabine wegen einer oberflächlichen Venenthrombose behandelt, danach musste sie sich 18 Tage lang Thrombose-Spritzen setzen. Denn Corona geht auch auf die Blutgefäße - und bei ihr hatte sich  auch noch eine Venenentzündung ausgebreitet. Bei fünf verschiedenen Ärzten war sie inzwischen. "Gar nicht einmal so viele", sagt sie.

Long Covid: Nicht alle Betroffene haben das Glück, auf verständnisvolle Ärzte zu treffen
Long Covid: Nicht alle Betroffene haben das Glück, auf verständnisvolle Ärzte zu treffen
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Wie eine 80-Jährige Der Alltag ist eine Herausforderung, aber er lässt sich einigermaßen bewältigen. Sonst jedoch geht nicht mehr viel. Krankenstand, er dauert bis heute an, demnächst geht es ins fünfte Monat. "Anfangs strengte es mich bereits an, wenn ich mich eine Stunde lang auf eine andere Person konzentrieren musste", sagt Sabine. "Wenn ich mehr als zwei Kilometer unterwegs war, begann ich in der Nacht zu schwitzen und bekam Herzrasen. Am Weg zum Facharzt ging eine 80-jährige Frau am Gehsteig vor mir. Ich schaffte es nicht, sie zu überholen."

Nur 80 Prozent Lungenvolumen Dann der Lungenarzt, Sabine hatte Glück und bekam bereits nach zwei Wochen einen Termin. "Ich erfuhr, dass mein Lungenvolumen nur noch 80 Prozent betrug", sagt sie. "Der Arzt blickte mich entsetzt an. "Das entspricht etwa dem eines schweren COPD-Patienten oder jemandem, der 30 Jahre lang täglich geraucht hat", teilte er ihr mit. Sabine ist Nichtraucherin. Er diagnostizierte ein "Post Covid hyperreagibles Bronchialsystem" und verschrieb Medikamente.

80 Prozent, dachte sie sich, das klingt ja nicht so schlimm. "Sie werden das im Alltag die ganze Zeit merken", holt sie die Hausärztin auf den Boden der Realität zurück.

Das entspricht etwa dem eines schweren COPD-Patienten oder jemandem, der 30 Jahre lang täglich geraucht hat
Diagnose beim Lungenarzt

Alltag? Das neue Leben? Was ist das jetzt? Auf den Gehwegen dieser Welt hinter 80-Jährigen hergehen und nach zwei Kilometern Spazierengehen völlig erschöpft ins Bett fallen?

Einen Monat blieb das so. Es taten sich bestenfalls kleine Schritte - und manchmal ging es dann auch zwei Schritte zurück.

"Ich habe alle drei" Sabine hatte Glück. Sie bekam einen Termin bei einem der Top-Neurologen des Landes für "Long Covid", jemand anderer hatte abgesagt. Seine Diagnose wurde zum "Gamechanger". Er wusste, was mit ihr los war: "Ich hatte – mindestens – eines der sogenannten 'postakuten Infektionssyndrome' (PAIS), etwa Mastzellenaktivierungssyndrom (MCAS), Post Exortional Malaise (PEM) oder Posturales Tachykardie-Syndrom (POTS). Damals wusste ich noch nicht dass ich alle drei habe," sagt sie.

Sabine liest alles, was sie dazu finden kann und erfährt: Das Immunsystem ist "dysreguliert", bestimmte Zellen im Körper sind "hypersensibel". Nicht nur in den Bronchien, sondern im ganzen System, kommt es deshalb zu einer unkontrollierten Ausschüttung von Entzündungsbotenstoffen. Und genau das macht dieses "Long Covid" aus, das sie martert.

Betroffene von Long Covid stoßen oft auf Unverständnis: "Müde bin ich auch"
Betroffene von Long Covid stoßen oft auf Unverständnis: "Müde bin ich auch"
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"Ich muss damit leben" Die nächste Therapie begann, Sabine merkte schon nach wenigen Tagen, dass sie ebenfalls ein "Gamechanger" sein würde - zumindest, was einige der Lungensymptome betraf. Sie besserten sich stetig, aber es gab auch Rückschläge und Ausreißer. Denn die Krankheit, die dahinter steckt, ist chronisch und bleibt lebenslang. Sie kann nur mit Medikamenten und Disziplin in Schach gehalten werden. "Ich werde lernen müssen, damit zu leben."

"Pacing" hilft Und da ist auch noch diese "Fatigue", die ewige Erschöpfung, die geistige und körperliche Müdigkeit. "Pacing" half dagegen. Lernen, mit dem Energieverbrauch des Körpers hauszuhalten, ihn nicht zu überfordern, damit es zu keinen Abstürzen kommt, keine weiteren Symptome auftreten. Dazu gehört auch: Nicht in die Sonne gehen, wenn am Tag schon zu viele andere Reize auf den Körper eingewirkt haben.

Du musst dich einfach wieder mehr belasten, raus aus dem Schongang!
Schlechte "gute" Tipps

"Pacing" widersprach dem leistungsbezogenen Bedürfnis von Sabine, sich wieder "fit machen" zu wollen. Sie dachte, sie müsste trainieren, um den Körper wieder flott zu kriegen, das Gegenteil war der Fall. 

"Sei froh, dass du nicht im Rollstuhl sitzt" "Wird es besser werden? Wie schnell? Was wird meine Zukunft bringen?", das fragt sie sich jetzt oft. Gleichzeitig wird das Umfeld immer weniger nachsichtig. "Müde bin ich auch", bekommt Sabine jetzt als Reaktion zu hören, wenn sie ihren Alltag schildert. Oder "sei froh, dass du nicht im Rollstuhl sitzt". Viele haben schlechte, "gute" Ratschläge für sie: "Du musst dich einfach wieder mehr belasten, raus aus dem Schongang!" Bei Long Covid meistens völlig falsch.

Oft macht sie jetzt einfach gar nichts "Ich ruhe", nennt sie das. Für zwei Stunden Kommunikation am Tag reicht die Kraft, dazu kann eine Aktivität kombiniert werden, also kochen oder Wäsche waschen. Dann ist die Belastungsgrenze erreicht. Kommt sie drüber, sind die Symptome wieder da, bleibt sie drunter, hilft sie dem Körper bei der Heilung. Zehn bis elf Stunden am Tag schläft Sabine. Sie muss vier Medikamente nehmen, dazu schluckt sie vier bis sechs Nahrungsergänzungsmittel.

Long Covid: "Ich will mich nicht schämen, ich will mich nicht verstecken, ich habe nichts falsch gemacht"
Long Covid: "Ich will mich nicht schämen, ich will mich nicht verstecken, ich habe nichts falsch gemacht"
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Impfung, Maske Es belastet, auf Social Media das Leben der anderen zu sehen, das einem selbst gerade entgeht. "Aber ich will mich nicht verstecken und ich will mich nicht schämen", sagt sie. "Ich habe als fünffach geimpfte Person, die einfache Schutzmaßnahmen wie Maske tragen sehr gewissenhaft umgesetzt hat, nichts falsch gemacht."

Es gibt auch einiges, für das sie dankbar ist: Der Hausärztin, die sofort den Ernst der Lage erkannt und mich ernst genommen hat. Den Ärzten, die sich mit der Erforschung und Behandlung derartiger PAIS- und Long-Covid-Erkrankungen auseinandersetzen und sich auch dafür einsetzen, dass diese in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. "Aber es muss dem Thema mehr Gehör geschenkt werden." 

"Für Kranke ist das ein Hürdenlauf" "Long Covid darf nicht einfach ignoriert werden", sagt Sabine. "Es betrifft laut unterschiedlichen Studien etwa fünf bis zehn Prozent all jener, die Covid-19 bekommen – und die Chancen auf einen langfristigen Verlauf wachsen mit jeder Erkrankung. Das muss ernst genommen werden, auch seitens der Politik. Für Menschen mit Long Covid braucht es außerdem neue, innovative Lösungen für die Reintegration ins Arbeitsleben. Für all jene, die gar nicht mehr arbeiten können, braucht es eine unbürokratische Anerkennung ihrer Erkrankungen, und keinen Hürdenlauf zwischen Gesundheitskasse, Pensionsversicherungsanstalt und Arbeitsmarktservice (AMS)."

"Es gibt", sagt sie, "auch viele Menschen da draußen, denen geht es mit Long Covid sehr viel schlechter als mir. Sie verschwinden mit der Zeit. Es ist wichtig, dass ihre Geschichten erzählt und gehört werden."

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