Umstellung

Macht die Sommerzeit wirklich "dicker, dümmer, grantiger"?

Jede Zeitumstellung stresst. Aber vor allem, wenn wir – wie bei der Sommerzeit – Stunden verlieren, versetzt das den Körper in einen Ausnahmezustand, sagt der Chronobiologe Maximilian Moser. Warum das so ist, was wir dagegen tun können.

Die Zeitumstellung macht müde, nicht nur Menschen
Die Zeitumstellung macht müde, nicht nur Menschen
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Newsflix Redaktion
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"Wir werden uns Zeit nehmen", sagt Polen und genau darin liegt das Problem. Denn Polen hat derzeit den Vorsitz im Rat der EU-Mitgliedstaaten inne und das bedeutet, dass sich das Land mit der Zeitumstellung noch Zeit lassen will.

Dabei ist klar: Die EU will die Zeitumstellung abschaffen. Zumindest das Parlament. Zumindest das frühere. Das Gesetz dazu wurde  2018 eingebracht, es sah vor, dass der Zeitumstellung 2019 das letzte Stündchen schlagen soll. Das Europaparlament stimmte zu, verschob das geplante Ende aber auf 2021. Die EU-Länder im Rat der Mitgliedstaaten aber legten die Pläne auf Eis.

Den Ländern sollte selbst die Entscheidung überlassen, wie sie was tun. Das sorgt für eine Zwickmühle. Was soll es künftig geben? Immer Winterzeit? Immer Sommerzeit?  Oder doch weiter umstellen? Ein Patt!

Maximilian Moser ist einer der renommiertesten Chronobiologen Europas und u.a. Autor des Standardwerks "Vom richtigen Umgang mit der Zeit" (Allegria Verlag).
Maximilian Moser ist einer der renommiertesten Chronobiologen Europas und u.a. Autor des Standardwerks "Vom richtigen Umgang mit der Zeit" (Allegria Verlag).
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Was politisch noch für Debatte sorgt, scheint medizinisch weitgehend entschieden. Denn die Frage, welche Zeit-Form für unseren Organismus verträglicher ist, kann ganz einfach beantwortet werden: "Die Normalzeit, also jene Zeit, von der wir uns jetzt am kommenden Wochenende wieder eine Stunde entfernen, ist die ideale Zeit für den menschlichen Körper", sagt der Mediziner und Biologe Maximilian Moser.

Moser war lange Jahre Professor für Physiologie an der Medizinuniversität Graz und gehört zu anerkanntesten Chronobiologen Europas. Moser: "Bei der Normalzeit steht die Sonne mittags im Zenit, da stimmen die äußere und unsere innere Uhr am ehesten überein. Alles, was sich davon entfernt, in die eine oder andere Richtung, ist nicht die optimale Lösung für den Organismus." Maximilian Moser über Sinn und Unsinn der Sommerzeit:

Ist die Zeitumstellung eine gute Idee?
Es gibt wahrscheinlich keinen Chronobiologen auf der Welt, der Zeitumstellungen gut findet. Auch wenn es nur eine verhältnismäßig kleine Störung unserer inneren Rhythmik ist – unsere innere Uhr ist ein wesentlicher Faktor für unsere Gesundheit. Deshalb versuchen Chronobiologen immer, solche Störungen zu vermeiden.

Die Zeitumstellung führt dazu, dass wir am Arbeitsplatz unaufmerksamer sind
Die Zeitumstellung führt dazu, dass wir am Arbeitsplatz unaufmerksamer sind
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Welche Probleme können entstehen?
'Studien haben gezeigt, dass die Unfallzahlen nach oben gehen, was auf eine geringere Aufmerksamkeit im Straßenverkehr oder auch am Arbeitsplatz schließen lässt. Auch die Zahl der Herzinfarkte nimmt rund um die jeweilige Umstellung etwas zu. Wobei - es ist primär die Umstellung im Frühjahr, wenn wir die Uhren nach vorne stellen und eine Stunde verlieren, die Probleme macht.

Warum ist das so?
Weil es die Menschen schlechter vertragen, wenn ihre Schlafzeit verkürzt wird. Zumal ohnedies ein chronisches Schlafdefizit bei uns herrscht. Im Herbst gewinnt man diese Stunde zurück, was die meisten Menschen wesentlich leichter verkraften. trotzdem ist es eine Störung der Rhythmik.

Gibt es Strategien, wie man diese Störungen der Rhythmik verringern kann?
Man kann dieselben Strategien anwenden, wie man sie auch bei weiteren Flugreisen über mehrere Zeitzonen hinweg nutzt. Also sich so rasch wie möglich auf die neue Zeit umstellen, die Uhr auf die Zielzeit ändern, seinen Schlafrhythmus schon vorab adaptieren.

Wie macht man das?
Idealerweise stellt man am Beginn der Sommerzeit seine Uhren schon am Vorabend um, das erleichtert das Aufstehen am nächsten Morgen. Und ein kurzer Mittagsschlaf ist generell eine gute Idee. Wir Chronobiologen sagen, der Mittagsschlaf ist wie die mittlere Stütze in der Brücke der Zeit, er teilt den Tag in zwei Hälften und sorgt für bessere Erholung. Aber nicht zu lange, 20 Minuten sind ideal.

Am besten stellt man die Uhren schon am Vorabend um
Am besten stellt man die Uhren schon am Vorabend um
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Die EU stellt es ihren Mitgliedsländern frei, was sie haben wollen. Ist das klug?
Dazu kann ich folgendes berichten: Im Jahr 2011 wurde in Russland die Sommerzeit zur Ganzjahreszeit erklärt, der Sonnenzenit wurde dadurch, je nach Region, sehr weit in den Nachmittag hinein verschoben. Nur drei Jahre später wurde dieses Experiment wieder beendet, da es massive Gesundheitsprobleme in der Bevölkerung gab.

Gegen die Auswirkungen der Umstellung auf die Sommerzeit helfen die selben Strategien wie gegen einen Jetlag
Maximilian Moser, Chronobiologe

Warum ist das gescheitert?
Aus Sicht des Chronobiologen ist eine ganzjährige Sommerzeit Unfug, weil man die Zeit verbiegt und dem Menschen einen Zeitgeber nimmt, der ihm hilft, seine Körperrhythmik zu stabilisieren. Man ersetzt die natürliche, biologische Zeit durch eine künstliche. Gerade im Winter heißt das, dass man permanent im Dunkeln aufstehen und gegen seine innere Uhr arbeiten muss, weil das Tageslicht als wichtiger Zeitgeber über weite Strecken des Tages fehlt.

Wohin führt das?
Mein deutscher Kollege Till Roenneberg, ebenfalls ein Chronobiologe, hat einmal gesagt, dass die Europäer durch eine ganzjährige Sommerzeit dicker, dümmer und grantiger werden würden. Aber es gibt auch Kräfte, die für die ganzjährige Sommerzeit sind. Die Industrie hätte es natürlich gerne, wenn früher zu arbeiten begonnen würde. Und die Freizeitbetriebe fänden es super, wenn man abends mehr Zeit zur Verfügung hätte, um ihnen mehr Geld in die Kassen zu spülen.

Sie sprechen von der Körperrhythmik, die durch die Sommerzeit gestört wird – was ist damit konkret gemeint?
Jede Zelle unseres Körpers verfügt über eine Art Zeitorganismus, der ihr die inneren Rhythmen vorgibt, das ist unsere innere Uhr. Diese Rhythmen treiben alle physiologischen Körperfunktionen an: Hormone, Nerven, Temperatur, Verdauung. Am Abend wird die Bereitschaft des Körpers einzuschlafen gefördert und am Morgen die aufzuwachen.

Schlafen, fressen, schauen und dann wieder von vorne: die Pandas im Tiergarten Schönbrunn pflegen einen gesunden Lebensstil
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Helmut Graf

Manche Menschen sind Morgenmuffel, andere springen förmlich aus dem Bett …
Es gibt verschiedene Chrono-Typen, wir nennen sie Lerchen, das sind die Morgenmenschen, und Eulen, das sind die Abendmenschen. Praktisch alle physiologischen Parameter, wie Körpertemperatur, Herzfrequenz, Hormonspiegel usw., sind einem Tagesgang unterworfen, sie zeigen also ein Tageshoch und ein Tagestief.

Was heißt das konket?
Tageshoch und ein Tagestief sind tatsächlich beim Abendmenschen vulgo Eulen später zu finden als beim Morgenmenschen vulgo Lerchen. Etwa ein Viertel der Menschen gehören jeweils zu den Abend- und den Morgenmenschen, die restlichen 50 Prozent liegen dazwischen, lassen sich also keinem eindeutigen Typus zuordnen.

Einmal Lerche, immer Lerche? oder kann sich das auch ändern?
Kleine Kinder sind eher Morgenmenschen, verlieren das aber mit der Zeit. Etwa um das 20. Lebensjahr herum erreicht der Eulen-Anteil in einem seinen Höhepunkt. Es ist also kein Zufall, dass so viele Stundenten nachts lernen und am Morgen lange schlafen.

Wie ist das im Alter?
Ab dem 50. Lebensjahr entwickelt man sich dann wieder stärker in Richtung Morgenmensch - im höheren Alter nennt man das "senile Bettflucht". Wobei – die Unterschiede zwischen Abend- und Morgenmenschen betragen eine bis zwei Stunden im Durchschnitt, was den Tagesablauf angeht. Und: Bei Männern sind die Schwankungen deutlich ausgeprägter als bei Frauen.

Maximilian Moser, "Vom richtigen Umgang mit der Zeit", Allegria Ullstein, 10,90 Euro
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Ullstein Verlag

Tun sich Kinder schwerer mit der Umstellung auf die Sommerzeit als Erwachsene?
Kleine Kinder und alte Menschen sind, wie gesagt, eher Morgenmenschen, entsprechend leiden sie stärker, wenn sich der Tagesablauf nach hinten verschiebt. Dazu gibt es eindeutige Studienergebnisse.

Wie kann man seiner inneren Uhr Gutes tun?
Den Zwei-Stunden-Zyklus, der uns allen innewohnt, respektieren. Heißt: Man sollte alle eineinhalb bis zwei Stunden eine Pause machen, egal was man gerade macht. Ins Freie gehen und Luft schnappen, sich ans offene Fenster stellen und den Blick schweifen lassen, etwas tun, was Freude macht und Erholung bringt.

Und im restlichen Leben?
Einen regelmäßigen Lebensstil pflegen, regelmäßig essen, regelmäßig schlafen gehen und aufstehen. Klingt langweilig. Aber Studien mit Hundertjährigen haben gezeigt, dass sich keiner von denen die Nächte um die Ohren geschlagen hat.

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