Alptraum SexTortion
Nackt-Erpressung im Internet: Warum KI alles noch schlimmer macht
Die Erpressung mit Nacktbildern im Internet – in der Fachsprache "Sextortion" genannt – nimmt mit alarmierendem Tempo zu. Worauf es die Erpresser abgesehen haben, wie man sich dagegen am besten schützt – und weshalb auch Männer davon betroffen sind.

Erpressung mit erschlichenen Nacktbildern, so genannte Sextortion, gehört zu den gemeinsten Verbrechen im Internet - und zu jenen mit den größten Zuwachszahlen. Dass es mittlerweile KI-Tools zur Bildbearbeitung gibt, die auch für Laien relativ einfach anzuwenden sind, macht die Sache nur noch brisanter, wie die aktuelle Entwicklung zeigt.
Denn die gemeldeten Sextortion-Zahlen steigen rasant. Und: Die Opfer werden immer jünger. Was man über die fieseste Erpressungs-Masche im Internet wissen muss, wie man sich dagegen am besten wehrt - der Überblick:
Was ist Sextortion?
Der Begriff Sextortion ist ein sogenanntes Kofferwort aus den englischen Begriffen Sex und Extortion, was so viel wie Erpressung bedeutet. Und genau darum geht es: Um Erpressung mit sexuellen Themen oder Bildern. Das muss nicht zwingend Online passieren, hat sich aber vor allem dort mittlerweile zu einem echten Problem entwickelt, das immer weitere Kreise zieht.

Wie geht sowas vor sich, was passiert bei Sextortion?
Es gibt natürlich zahlreiche Varianten, wie Sextortion abläuft, aber im Grunde ist das Muster immer gleich. Eine Person kommt online mit jemanden in Kontakt, den er bzw. sie nicht kennt, meistens über eine Freundschaftsanfrage. Es entwickelt sich eine Konversation, die recht rasch ins Erotische führt – für gewöhnlich initiiert von dem / der Unbekannten am anderen Ende der Leitung.
Auf welchen Plattformen findet das eigentlich statt?
Die Anbahnung erfolgt meistens in den Sozialen Netzwerken oder in Dating-Apps. Für gewöhnlich verlagert sich die Kommunikation danach aber rasch in private Chats oder auf Messengerdienste, um es "intimer" zu machen.
Wie geht es weiter?
Im Zuge dessen wird man irgendwann aufgefordert, Nacktbilder von sich zu schicken oder vor der Webcam intime Dinge zu tun. Oft bekommt man zuerst von der Gegenseite derartige Bilder oder Videos zuerst zugesendet oder auf "live-Darbietungen" geboten, quasi als Vertrauensbeweis. Motto: "Ich mache das ja auch, du kannst mir also ruhig vertrauen."
Kann man aber nicht, richtig?
Natürlich nicht. Das ist eine üble Falle, in die leider immer mehr arglose User tappen. Denn die intimen Fotos werden downgeloaded. Was auch immer man vor der Webcam tut, im Vertrauen, dass es unter vier Augen bleibt, wird aufgezeichnet. Und rascher, als man es für möglich gehalten hätte, wird man erpressbar.

Was geschieht dann?
Auch der weitere Ablauf ist natürlich von Fall zu Fall leicht unterschiedlich, aber meistens macht sich das Gegenüber keine Mühe mehr, eine erotische Stimmung und Sympathie vorzutäuschen, sobald es einmal im Besitz von kompromittierendem Bild- oder Tonmaterial ist. Dann kommt man rasch zum Kern des Geschäftes: Wenn du nicht dieses oder jenes tust, schicke ich die Bilder weiter – an deinen Freundeskreis, deinen Arbeitgeber, deinen Partner, deine Eltern. Oder ich veröffentliche sie gleich auf Social Media.
Was wird von den Tätern für gewöhnlich verlangt?
In den allermeisten Fällen geht es einfach um Geld. Überweise die Summe X, dann geben wir die Bilder nicht weiter. Manchmal wird aber auch gleich einmal ein kompromittierendes Bild versendet, um den Druck von vorne herein zu erhöhen, hier sind alle Varianten möglich.
Und hat man eine Sicherheit, dass nichts weitergegeben wird, sobald man zahlt?
Selbstverständlich nicht. Dementsprechend ist die erste Zahlung an die Täter auch oft erst der Auftakt für weitere Erpressungen.
Wie häufig passiert Sextortion?
Schwer zu sagen. Es gibt offizielle Zahlen dazu, nämlich wie häufig Sextortion angezeigt wird. In Österreich steigen die Zahlen stark. 2021 wurden 1.804 Fälle angezeigt, 2022 waren es 3.424 (+90 Prozent) und 2023 bereits 3.891 Fälle (+13,6 Prozent), laut Polizeilicher Kriminalstatistik. Die Zahlen für 2024 sind noch nicht veröffentlicht, aber es ist davon auszugehen, dass die Anzahl weiter steigt.

Aber sind diese Zahlen glaubwürdig?
Die Dunkelziffer der versuchten Erpressungen liegt vermutlich bei weitem höher. Aber viele Betroffene scheuen den Weg zur Polizei, meistens aus Scham oder Angst, dass ihr "Fehltritt" bekannt wird.
Um welchen Straftatbestand geht es hier eigentlich?
Das ist Erpressung (§ 144 Strafgesetzbuch) bzw. Schwere Erpressung (§ 145 StGB), die hier eben im Internet stattfindet. Der Strafrahmen für diese Delikte beträgt 6 Monate bis 5 Jahre Haft (§ 144) bzw. 1 bis 10 Jahre Haft (§ 145).
Aber Moment einmal: Wer verschickt tatsächlich Nacktbilder oder Videos von sich?
Naja, hauptsächlich Männer. Hier gibt es diesbezüglich offensichtlich eine wesentlich geringere Hemmung, derartiges Material zu teilen, als bei Frauen – Stichwort Dickpics. Man geht davon aus, dass zwischen 75 und 90 Prozent der von Sextortion Betroffenen Männer sind.
Dickpics? Sorry, mein Englisch …
Das sind Bilder vom Penis eines Mannes, und das unaufgeforderte Versenden derartiger Fotos gehört seit Jahren zu den größten Ärgernissen für Frauen (aber auch für Männer) im Internet. Die neue Bundesregierung hat nun angekündigt, das Versenden von Penisbildern künftig unter Strafe zu stellen. Details dazu sind aber erst in Ausarbeitung. Und: Verbieten wollte das schon die alte Regierung.

Und das betrifft nicht nur Erwachsene?
Nein, im Gegenteil, die Opfer derartiger Erpressungen werden immer jünger. Die Beratungsstelle Rat auf Draht (gehört seit 10 Jahren zu den SOS-Kinderdörfern und wird unter anderem vom Bund und den Ländern finanziert) verzeichnete im Vorjahr 327 Beratungsgespräche zu diesem Thema mit Kindern oder Jugendlichen.
Sind die Zahlen gestiegen?
Ja, das waren um 20 Prozent mehr als im Jahr davor. Auch hier sind drei Viertel der Betroffenen Burschen oder junge Männer, wobei der Anteil der betroffenen Mädchen bzw. jungen Frauen zuletzt um etwa 10 Prozent gestiegen ist.
Wie ist hier der Alters-Schnitt?
"Die Betroffenen werden immer jünger", sagt Birgit Satke, die die Beratungsteams von Rat auf Draht leitet. In der Alterskategorie "11-14 Jahre" stieg die Zahl der Beratungsgespräche um 178 Prozent. Die Opfer werden vor allem auf Instagram, Snapchat und ähnlichen Netzwerken kontaktiert, sonst ist das Vorgehen der Täter deckungsgleich mit jenen, die erwachsene Opfer ins Visier genommen haben.
Und die Folgen?
Sind für junge Menschen noch einmal schlimmer als für Erwachsene. Denn diese befinden sich gerade erst in der Pubertät, haben noch kaum Erfahrungen mit den Themen Erotik und Sexualität und werden von den Geschehnissen buchstäblich überrannt. Und dann fehlt den jungen Menschen meist auch noch die Fähigkeit, die Folgen und Konsequenzen ihrer Handlungen und Entscheidungen richtig einzuschätzen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil in diesem Alter ohnedies beinahe alles, was mit Sex zu tun hat, sehr schambehaftet ist.

Okay, und was ist jetzt mit der Künstlichen Intelligenz?
Die macht alles nur noch schlimmer, kurz gesagt. Denn sie wird von den Tätern einerseits genutzt, um mit KI erstellte Bilder und Videos als Lockmittel zuzusenden. So können den Opfern sehr attraktive Menschen vorgegaukelt werden, die ein erotisches Interesse an ihnen zeigen, was die Bereitschaft, sich auf dieses Geben und Nehmen einzulassen, nochmals erhöht.
Und weiter?
Außerdem ist es durch KI mittlerweile möglich, selbst harmlose Bilder in sexuell eindeutige Szenen umzuwandeln. Oder etwa Gesichter in Bilder oder Videos hinein zu kopieren. So können einigermaßen geschickte Täter ihre Opfer selbst dann in kompromittierende Situationen bringen, ohne dass diese etwas dazu beigetragen haben, außer vielleicht einige harmlose Bilder zu schicken.
Das klingt alles sehr schaurig.
Ist es auch. Nicht umsonst sagte der bayerische Justizminister Georg Eisenreich erst vor kurzem: "Sextortion gehört zu den größten Bedrohungen im Internet gerade für junge Menschen." Denn aufgrund der Social Media-Kultur einerseits und den neuen Möglichkeiten durch KI andererseits bedarf es nicht einmal mehr gezielter Kontaktaufnahmen durch die Erpresser mit potenziellen Opfern. Vielfach werden mittlerweile Erpresser-Schreiben wie Spam-Mails an hunderttausende Adressaten versendet.
Wie bitte?
Die Erpresser behaupten in ihren Mails einfach, kompromittierendes Foto- oder Videomaterial in den Datenbanken oder in der Cloud der Opfer gefunden zu haben und drohen damit, dieses zu veröffentlichen. Wenn man solche Erpresser-Mails nur an genügend Menschen versendet, bleiben immer welche übrig, die lieber zahlen, als das Risiko einer Veröffentlichung einzugehen, selbst wenn die große Chance besteht, dass die Erpresser überhaupt kein Material haben. Aber ihr Aufwand für solche Erpressungen ist denkbar gering.

Weiß man, wer hinter solchen Aktionen steckt?
Zumindest weiß man, dass der Kreis der Urheber relativ klein ist. Eine Forschungsgruppe am Complexity Science Hub in Wien hat erst vor kurzem untersucht, welche Urheber hinter Erpresser-Spams stecken. Dafür wurden 4,2 Millionen Mails mit derartigen Inhalten systematisch durchforstet. Ergebnis: Die 4,2 Millionen Mails konnten auf nur 90 Mail-Kampagnen zurückverfolgt werden.
Wie gut ist die Polizei eigentlich bei der Aufklärung solcher Fälle?
Naja. Von den 3.891 angezeigten Fällen von Sextortion im Jahr 2023 konnten 196 aufgeklärt werden. Das ist eine Quote von 5 Prozent.
Aber was soll man denn jetzt tun, wenn man selbst erpresst wird?
Laut Bundeskriminalamt gibt es einige feste Regeln, wie man mit Sextortion-Versuchen umgehen sollte.

Was man am besten tut, wenn man Opfer von Sextortion wird
- Nicht bezahlen! Gehen Sie nicht auf die Forderungen der Erpresser ein und überweisen Sie kein Geld, rät das BKA. Denn das schütze nicht vor einer Veröffentlichung, sondern animiere die Täter, nach der ersten Überweisung noch mehr Geld zu fordern.
- Beweise sichern. Sichern Sie relevante Beweismittel wie Screenshots des Accounts, das Chat-Protokoll, den E-Mail-Verkehr.
- Kontakt abbrechen. Brechen Sie sofort jeglichen Kontakt mit den Erpressern ab und blockieren Sie diese, wenn möglich in den sozialen Netzwerken! Melden Sie die Fake-Accounts an die Seitenbetreiber.
- Anzeige erstatten. Erstatten Sie Anzeige bei der nächsten Polizeidienststelle. Nur so ist eine strafrechtliche Verfolgung der Erpresser möglich.

Und was kann man tun, um gar nicht erst in solch eine Situation zu kommen?
- Darauf achten, wer einen kontaktiert: Wenn fremde, vornehmlich sehr attraktive Personen den Kontakt suchen, auf deren Profilen nur wenig persönliche Informationen, aber viele aufreizende Fotos zu finden sind, ist Vorsicht geboten.
- Situation einschätzen: Überlegen Sie, ob das intensive Interesse des Gegenübers auch realistisch ist.
- Verhalten beobachten: Wenn neue Online-Bekanntschaften wollen rasch in einen Videochat wechseln. wollen, ist Skepsis angebracht.
- Cool bleiben: Wenn sich im Videochat das Gegenüber schon nach kurzer Zeit auszuziehen beginnt, sich keinesfalls selbst auch nackt zeigen.
- Keine Kamera: Decken Sie Ihre Webcam ab, solange Sie Ihrem Gegenüber nicht vertrauen! Denken Sie daran, dass alles, was Sie vor der Webcam machen, vom Gegenüber aufgezeichnet werden kann.
- Und die allerwichtigste Regel: Niemals irgendwelche Nacktbilder oder -videos ins Netz stellen!

Was mache ich, wenn dennoch meine Nackt-Bilder im Internet gelandet sind?
Es gibt mittlerweile mehrere Programme und Online-Dienste, mit denen sich Bilder von einem selbst im Internet aufspüren lassen. Zudem kann man eine weitere Veröffentlichung von Nacktaufnahmen auch unterbinden. Detaillierte Informationen, wie man hier am besten vorgeht, hat die Plattform Safer Internet zusammengetragen.
Was wird die Zukunft punkto Sextortion bringen?
Die Wahrheit ist: Mit den ständig wachsenden Möglichkeiten durch KI auch für minderbegabte User, steht einer weiteren Eskalation der Erpressungsmethoden Tür und Tor offen. So genannte Deep Fakes, also tief gehende Veränderungen in Bild-, Audio- oder Videodateien, könnten künftig noch ganz andere Erpressungs-Szenarien ermöglichen. Etwa wenn keine Nacktbilder mehr gefaked werden, sondern strafbare Handlungen mittels KI "erzeugt" werden. Hier kommen auf die Behörden enorme Herausforderungen zu.