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Neue Regierung: "Das Geld kommt nicht aus dem Wasserhahn"
Der Weg zu einer Koalition, Andreas Rudas weiß, wie so etwas geht. Der Ex-Pressesprecher, Kanzler-Berater und Top-Manager über Verhandlungen, worauf es dabei ankommt, ob er an eine Dreier-Regierung glaubt. Und über Zimtschnecken.
Er ist viel herumgekommen im Leben, früher war das sogar wortwörtlich zu verstehen. Als er noch Medien-Manager in Asien war, flog Andreas Rudas 600.000 Meilen im Jahr.
Der Podcast mit Andreas Rudas
In gut zwei Wochen wird er 71 Jahre alt und Rudas befindet sich nach wie vor im Unruhezustand. Er ist President bei Arthur D. Little Austria, sitzt im Aufsichtsrat der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR), baut einen internationalen Immobilienfonds auf. Trotzdem umgibt ihn eine fast buddhistisch anmutende Gelassenheit.
Rudas war in den Achtzigerjahren Pressesprecher von SPÖ-Innenminister Karl Blecha, dann ORF-Generalsekretär, "Spin Doctor" von Kanzler Viktor Klima, Vorstand von Frank Stronachs Magna, Manager bei der WAZ-Mediengruppe (damals beteiligt an der "Krone"), der Job als Vorstand der RTL Group führte ihn nach Asien.
Zur Jahrtausendwende war Rudas an den Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP beteiligt. So sieht er die aktuelle Welt da draußen und die kleine in Österreich. Andreas Rudas über:
Ob er bei den Sondierungen nun manchmal Flashbacks hat
An sich nicht. Natürlich erinnere ich mich auch an eigene Verhandlungen. Nur muss man dazu sagen, dass die politischen Situationen nie gleich sind. Aus diesem Grund sind alle Erfahrungen, die man selber gemacht hat, nicht mehr wirklich zielführend.
Ob es trotzdem ein Grundmuster für die Verhandlungen gibt
Ich glaube, dass es genau so, wie wir es damals gemacht haben, nicht mehr geht. Früher hat man versucht, seine eigenen Wahlprogramme auf den Tisch zu legen, zu schauen, wo gibt es irgendwelche Überschneidungen, wo gibt es große Probleme, die man der eigenen Klientel nicht zumuten kann und deswegen muss man alles tun, um es zu verhindern. Dann man geht nach Hause und sagt, ich habe die größten Schweinereien, die der andere wollte, verhindert. Das geht jetzt sicher nicht mehr.
Warum das nicht mehr geht
Weil die Herausforderungen, vor denen Österreich steht, ganz anders sind als in früheren Regierungszeiten. Wir haben eine aktuelle Wirtschaftskrise. Wir haben mit Trump eine Situation, wo sich die europäische Wirtschaft neu aufstellen wird müssen. Wir haben eine Krise in unserem wichtigsten Industrie - und Wirtschaftspartnerland, Deutschland, die Automobilindustrie dort ist unter Druck.
Was das bedeutet
Dass in Österreich die Zulieferindustrie unter Druck ist. Ich war auch einmal Vorstand von Magna, also ich kenne die Situation sehr, sehr gut. Dazu kommt noch, dass wir die Inflation, die Teuerung durchlaufen haben lassen. Natürlich haben die Gewerkschaften höhere Lohnforderungen gehabt. Das heißt, wir haben eine Situation, wo die Produktivität in Österreich massiv sinkt. Es gibt zu hohe Personalkosten, zu wenig Arbeitszeit.
Was zu tun ist
Wir müssen uns auf die Wirtschaft konzentrieren. Alles, was wir immer hören und diskutieren – Sozialpolitik ist wichtig und so: ja. Aber das Geld kommt nicht aus der Steckdose, das Geld kommt nicht aus dem Wasserhahn. Das Geld kommt aus der Wirtschaft, von Unternehmerinnen und Unternehmern. Ich weiß, dass dann die Gewerkschaft kommt und die Sozialdemokratie, und die sagen: "Aber die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tragen auch dazu bei." Ja, aber wenn es keine Unternehmer gibt, können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nichts beitragen.
Was mit "mehr arbeiten" gemeint ist
Die geleisteten Arbeitsstunden pro Kopf sinken massiv. Wir müssten theoretisch mehr Arbeitsstunden leisten, weil die Bevölkerung wächst, aber das passiert derzeit nicht. Das heißt, in einem wirtschaftlichen Umfeld, wo wir unter großem Wettbewerb stehen, wo in anderen Ländern mehr gearbeitet wird, da wird in Österreich – jetzt unabhängig von der berühmten Diskussion über die 32-Stunden-Woche – zu wenig Arbeit geleistet.
Was man dagegen tun kann
Auf der einen Seite muss man sich überlegen, wie wir mit der Teilzeit umgehen. Diese Work-Life-Balance ist ein Problem auch in den Köpfen und das muss man mit Anreizen angehen. Zweitens glaube ich, dass es viele ältere Personen gibt, die gerne weiterarbeiten würden. Aber es ist steuerlich, sozialversicherungsmäßig de facto unmöglich für Unternehmen, diese Menschen länger zu beschäftigen. Man muss sich was überlegen, dass mehr Arbeit auch über die Pensionszeit belohnt wird.
Wenn aber das Angebot fehlt, Unternehmen Ältere loswerden wollen, um die Lohnkosten zu senken …
Ja, das ist genau das Problem, wir haben einen totalen Widerspruch. Auf der einen Seite sagen wir, wir haben ein Facharbeiterproblem, ein Problem, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Und kündigen aber qualifizierte Mitarbeiter, weil sie angeblich zu alt oder zu teuer sind. Genau diese Spirale muss man durchbrechen. In der modernen digitalen Welt gibt es nicht mehr die Ausrede, jemand ist zu alt.
Zurück zur Sondierung: Streiten im Wahlkampf, dann miteinander verhandeln, wie ist das zu schaffen?
Es gibt einen Unterschied zwischen einer Wahlkampfsituation, wo jeder ums Leiberl rennt und bereit ist, auch über emotionale Grenzen zu gehen, und wirklichen, echten, fundamentalen Unterschieden. Und die sehe ich bei den drei Parteien, die jetzt bereit sind, über eine Regierungsbildung zu diskutieren, eben nicht.
Tatsächlich?
Zwei der handelnden Personen kenne ich persönlich, den Bundeskanzler und Beate Meinl-Reisinger. Alles, was ich über Andreas Babler höre, ist, dass er in den Diskussionen sehr konstruktiv ist.
Wie beginnen Sondierungen, bringt man da Zimtschnecken mit?
Nein. Ich halte mich ganz bewusst fern von diesen Diskussionen und ich möchte auch niemanden der Beteiligten verleiten, etwas auszuplaudern, weil das wäre das Schlimmste. Das wirklich Tolle derzeit ist, dass nichts rausgeht. Und das ist schon ein riesengroßer Vertrauensbeweis. Finde ich gut.
Ob die Chemie das eigentlich Entscheidende ist
Ich hatte keine persönliche Chemie zu Wolfgang Schüssel, weil der das nicht zugelassen hat. Aber auf der anderen Seite habe ich die hohe Intelligenz von Schüssel schon anerkannt und dass man mit ihm inhaltlich sehr gut diskutieren kann. Also man muss nicht Best Buddy sein. Das Entscheidende ist, dass man den anderen akzeptiert.
Was der Unterschied zwischen Politik und Management ist
Im Management ist die Entscheidungsfreiheit viel größer. Man muss in der Politik mehr überzeugen, mehr kommunizieren. Man muss erkennen, dass vieles, was sinnvoll und zielführend ist, nicht durchbringbar ist, weil es da alle möglichen Widerstände gibt.
Was man dabei lernen kann
Es gibt ein tolles Buch von der Barbara Tuchmann, einer großartigen Historikerin, "Die Torheit der Regierenden". Sie hat festgestellt, dass es in politischen Parteien oft zwar das Bewusstsein gibt, dass eine bestimmte Maßnahme hundertprozentig falsch ist, man sie aber trotzdem macht.
Was ihm die Erkenntnis genutzt hat
Dieses Buch hat mich in einem hohen Ausmaß beeinflusst. Aber auf der anderen Seite, als ich dann in die Wirtschaft zurückgegangen bin, habe ich sehr, sehr viel aus der Politik mitgenommen. Man muss auch in einem Unternehmen Menschen überzeugen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überzeugen, Partner überzeugen. Man ist stressresistenter.
Woran er das gemerkt hat
Ich war für RTL auch in Ungarn zuständig und wir hatten von einem Tag auf den anderen eine Konfliktsituation, no na, mit Viktor Orbàn. Während die anderen Kolleginnen und Kollegen im Vorstand ein bisschen Respekt hatten vor der Situation, habe ich mich auf die Auseinandersetzung gefreut. Weil ich sie gewohnt war und weil ich wusste, wie die Mechanismen laufen.
Ob es ein Märchen ist, dass bei Regierungs-Verhandlungen erst am Ende über Posten gesprochen wird
Keine Frage, in allen politischen Parteien gibt es in der Sekunde, wo man in Verhandlungen geht, schon sehr, sehr viele Leute, die für sich selber eine Regierungsposition sehen. Natürlich weiß auch jeder Parteichef, dass er bestimmte Personalwünsche wahrnehmen muss. Trotzdem glaube ich, dass man sich zuerst einmal inhaltlich finden muss. Deswegen war es von dem ein bisschen unerfahrenen Generalsekretär der NEOS nicht sehr klug, schon Ansprüche zu stellen.
Ob Österreich Dreier-Koalition kann
Ich glaube, dass es diese überwältigenden Mehrheiten von zwei Parteien nicht mehr geben wird. Die deutsche Ampel ist ein sehr schlechter Vergleich. Es gibt in anderen Ländern wie Skandinavien oder den Niederlanden Regierungen, die aus mehreren Parteien bestehen. Also: Man muss das lernen.
Warum die deutsche Ampel nicht vergleichbar ist
Das hat es Management-Probleme gegeben. Plus: Es haben zwei explizit linke Parteien mit einer explizit wirtschaftsorientierten Partei zusammengearbeitet. Die Mischung in der möglichen österreichischen Bundesregierung ist eine bessere.
Warum?
Erstens ist die SPÖ trotz Babler nicht so links wie die SPD. Es gibt in der österreichischen Sozialdemokratie einen sehr starken Realo-Flügel, rund um die Wiener SPÖ, rund um die Gewerkschaft. Dann ist da die ÖVP, die eine Mitte-Rechts-Partei ist, aber halt einen Wirtschaftsflügel hat, und dazu die NEOS. Die Mischung ist ungleich besser als in Deutschland.
Ob die Politiker früher besser waren
Ich möchte die heutigen Politiker nicht abqualifizieren. Worum es mir geht, ist, dass wir in eine Zeit gekommen sind, wo die Öffentlichkeit es Menschen außergewöhnlich schwer macht, Politiker zu werden.
Warum?
Weil die Kluft zwischen der Bezahlung in der Wirtschaft und in der Politik immer größer wird. Wenn sie aus der Politik ausscheiden, dürfen sie keinen Job annehmen, weil jeder Job wirkt, als wäre er ihnen zugeschanzt worden. Das fängt schon im Kleinsten an. Es wird niemand mehr in ein Kabinett eines Bundesministers gehen. Wir als Öffentlichkeit, als Medien, machen die Politik schlecht und wundern uns, warum immer weniger Menschen bereit sind, in die Politik zu gehen.
Ob Politiker ein erstrebenswerter Job ist
In der jetzigen Situation sicher nicht. Ich kann es niemandem, der in einer Wirtschaftsfunktion ist, empfehlen.
Warum?
Sehr oft sind Politiker verheiratet, haben Kinder. Diese Menschen spielen auch mit der Zukunft der Familie. Sie haben einen super Job, sind sozial abgesichert, gehen in die Politik und nach einem halben Jahr ist das Thema vorbei. Sie haben in der Zeit weniger verdient, sie haben keine Pension, keine Abfertigung und vielleicht haben sie auch noch ein Strafverfahren. Wie kommt die Familie dazu?
Ob Politiker – Stichwort Tirol – nicht selbst schuld sind an ihrem Image
Keine Frage, brauchen wir nicht zu diskutieren. Obwohl der Fall ganz speziell ist.
Ob Andreas Babler der richtige Parteichef für die SPÖ ist
Ich habe mir geschworen, dass ich mich nach meinem Ausscheiden zur Sozialdemokratie eher allgemein und nicht speziell äußere, weil ich das nicht richtig und gut finde.
Was für die Verhandlungen wichtig ist
Es gibt einen starken linken Flügel in der Sozialdemokratie mit sehr ausgeprägten politischen Forderungen, die in dieser Form in dieser Regierung nicht durchgesetzt werden können. Deshalb muss dieser Flügel ein Sprachrohr haben, der das dann auch vertritt. Die Menschen müssen begreifen, dass ihre Maximalforderungen dazu führen, dass die Regierung nicht zustande kommt. Dass dann eintritt, was angeblich alle verhindern wollen, nämlich ein Herbert Kickl als Bundeskanzler.
Also konkret: Wenn die SPÖ die Vermögensteuer nicht bekommt, ist da jemand, der erklären kann, warum das so ist …
Verkürzt gesagt ja.
Was beim Regierungsprogramm außer dem Budget noch wichtig wird
Ich bin der festen Überzeugung, dass man alles, was man bisher diskutiert und gesagt hat, über Bord werfen muss. Deswegen muss man auch einen ganz anderen Ansatz wählen. Man muss die großen Brocken, die großen Herausforderungen definieren.
Was diese "Brocken" sind
Die allerwichtigste Herausforderung für mich sind Wirtschaft und Wirtschaftsstandort. Der zweite große Bereich ist sicher das Thema Sicherheit und Migration. Dritter großer Bereich ist Gesundheit. Wir haben uns einmal gerühmt, die beste Gesundheitsversorgung der Welt zu haben. Manchmal warten nun Menschen Wochen, Monate, Jahre auf Operationen und Arzttermine, da gibt es offensichtlich ein Problem.
Was noch?
Die Pflege ist ein entscheidendes Thema. Und dann haben wir seit der Habsburger-Zeit ein veraltetes Bildungssystem, das Menschen ins Berufsleben entlässt, die den Anforderungen nicht mehr gewachsen sind. Wir brauchen eine umfassende, grundlegende Bildungsreform.
Wie daraus ein Programm werden kann
Entlang dieser großen Brocken muss man sich hinsetzen, alles vergessen, was man bis jetzt dogmatisch festgehalten hat, an modernen neuen Lösungen arbeiten und diese neuen Lösungen dann gemeinsam vertreten. Ich bin überzeugt davon, dass eine Regierung, die so antritt – die also sagt, wir haben diese Probleme erkannt, wir haben ganz klare Lösungen und wir werden jetzt gemeinsam daran arbeiten, diese umzusetzen –, eine Chance hat.
Ob er glaubt, dass es klappen wird
Vor Weihnachten glaube ich nicht, das wird sich nicht ausgehen. Diese Themen, die ich gesagt habe, sind so komplex, dann nützt es nichts, dass sich je zwei Sekretäre vom Parlamentsklub hinsetzen und an einem Regierungsprogramm schreiben wie früher. Man muss im Dialog mit Fachleuten Lösungen erarbeiten und ich bin eher der Meinung, dass man sich Zeit lassen sollte.
Nicht speed kills?
Lieber Qualität für alle.
Ob er immer noch mit viel Speed laufen geht
Es ist so, dass es für mich keine Überwindung ist. Ich wache auf und muss laufen. Es ist gerade so, dass ich nicht im Pyjama rausgehe. Also ich bemühe mich, auch die Schuhe anzuziehen. Und die Laufsachen.