Trend und folgen
Neue Studie: Hilfe, uns gehen die Babys aus
Immer weniger Kinder, immer mehr ältere Menschen: Ein neuer Report führt uns nun die gesellschaftlichen Konsequenzen vor Augen. Vielen Ländern, auch Österreich, droht ein Absturz im Lebensstandard. Die Gründe, ob KI helfen kann und was zu tun wäre.
Fertilitätsrate! Zugegeben, es gibt kuscheligere Begriffe, um menschliches Leben zu beschreiben. Aber es ist eben, wie es ist. Die Fertilitätsrate jedenfalls weist aus, wie viele Kinder eine Frau im Durchschnitt voraussichtlich lebend zur Welt bringt. Die Zahl geht in allen Industrieländern der Erde nach unten und das seit rund 60 Jahren. In einigen Staaten stürzte sie sogar ab. Die Details und die Folgen:
Wie viele Kinder bekommt Europa?
In der Europäischen Union brachte eine Frau 1963 im Schnitt noch 2,61 Kinder zur Welt. 60 Jahre später sind es nur mehr 1,43. Das heißt bei zwei Elternteilen: In den Babyboomer-Jahren nahm die Bevölkerungszahl zu, im aktuellen Jahrtausend nimmt sie ab und das deutlich.
Wie schaut das in den einzelnen Ländern aus?
Was die EU im Gesamten zeigt, spiegelt sich in den einzelnen Ländern wider. In Deutschland sank die Fertilitätsrate im genannten Zeitraum von 2,52 auf 1,44. Im als kindernarrisch geltenden Italien von 2,52 auf sogar 1,2, einer der niedrigsten Werte in Europa. Spanien liegt ähnlich, in Frankreich sank die Zahl der Geburten ebenso, aber moderater, von 2,87 auf 1,64.
Wie ist das in den "Kinderparadiesen" im Norden?
Auch nicht besser. In Schweden betrug die Fertilitätsrate 2022 trotz vieler Förderungen und eines mustergültigen Betreuungsangebots nur mehr 1,53. Im reichen Norwegen lag sie bei 1,41, in Dänemark bei 1,55, in Finnland sogar nur bei 1,32. Im Jahr darauf sank sie auf 1,26 ab.
Wie babyfreundlich ist Österreich?
Wir liegen im Trend. In Österreich sank die Zahl der Geburten pro Frau von 2,82 auf 1,32. In Zahlen ausgedrückt: Kamen 1963 noch 134.809 Babys auf die Welt, so waren es 2023 nur mehr 77.605. Im zuwanderungsstarken Wien sank die Zahl lediglich von 20.082 auf 18.072. In Kärnten etwa dagegen von 10.584 auf 4.217. Hier hat sich die Zahl der Geburten also mehr als halbiert.
Geburten-Entwicklung 1963 zu 2023
- Wien von 20.082 auf 18.072
- Niederösterreich von 25.747 auf 13.523
- Oberösterreich von 24.752 auf 13.666
- Salzburg von 7.950 auf 5.115
- Tirol von 11.420 auf 6.766
- Vorarlberg von 5.916 auf 3.892
- Steiermark von 23.354 auf 10.375
- Burgenland von 5.004 auf 1.979
- Kärnten von 10.584 auf 4.217
- Österreich gesamt von 134.809 auf 77.605
Ist das auf der gesamten Welt so?
Zumindest in den meisten Industriestaaten, ermittelte die Financial Times. In den USA bekam eine Frau 1963 im Laufe ihres Lebens im Schnitt 3,36 Kinder, sechzig Jahre später waren es 1,62. In Südkorea betrug die Fertilitätsrate 1963 noch 5,33, nun liegt sie bei 0,72, einer der weltweit größten Abstürze.
Wie ist das in China?
Da ist der Unterschied besonders markant. Am Höhepunkt der Geburtenwelle 1963 bekam jede Frau im Schnitt 7,51 Kinder, 2023 war es nur mehr ein Baby. Der guten Ordnung halber sei erwähnt, dass China die Geburtenrate politisch steuert. Von 1979 bis 2015 war nur ein Kind pro Familie erlaubt, es drohten massive Geldstrafen. Dann waren zwei Kinder pro Familie gestattet, seit Mai 2021 gilt die Drei-Kind-Politik.
Warum gibt es immer weniger Babys?
Dafür gibt es eine Fülle von Ursachen. Mehr Singles, eine andere Lebensplanung, die Angst vor Krisen und die Unsicherheit, in eine Welt wie diese Kinder zu setzen. Planbarere Verhütung, einen altersmäßig immer weiter nach hinten geschobenen Kinderwunsch, mehr Lust auf ein Leben ohne Nachwuchs. Probleme bei der Betreuung, weil es die Großfamilie nicht mehr gibt. Und: Kinder kosten.
Warum ist die niedrige Geburtenrate ein Problem?
Weil die Gesellschaft in den modernen Industrienationen immer mehr vergreist. Die durchschnittliche Lebenserwartung bei Frauen in Österreich betrug 2023 bereits 83,23 Jahre, bei Männern 79,44 Jahre. Es gibt also im arbeitsfähigen Alter immer weniger Menschen, die dass Rentensystem am Leben erhalten müssen.
Welche neue Studie gibt es nun dazu?
Die Unternehmensberatung McKinsey (45.000 Mitarbeiter in 68 Ländern) stellte Mittwoch einen neuen Bericht vor: "Dependency and depopulation?", also "Abhängigkeit und Entvölkerung". Untertitel: "Die Folgen einer neuen demografischen Realität". Auf 82 Seiten werden vorrangig die wirtschaftlichen Folgen der schrumpfenden Gesellschaft erörtert.
Was ist die Kern-Erkenntnis?
Die Geburten-Entwicklung wird in den Industrienationen dafür sorgen, dass es zu einem drastischen Rückgang des Lebensstandards kommt.
Warum ist das so?
Die "sinkende Geburtenraten führen dazu, dass die Bevölkerungszahlen großer Volkswirtschaften in diesem Jahrhundert zusammenbrechen" werden", schreibt McKinsey. "Zwei Drittel der Menschheit leben in Ländern, deren Geburtenrate unter der Reproduktionsrate von 2,1 Kindern pro Familie liegt. Bis 2100 wird die Bevölkerung in einigen großen Volkswirtschaften um 20 bis 50 Prozent zurückgehen, wird eine Prognosen der UNO zitiert.
Welche Länder betrifft das?
Bis auf Subsahara-Afrika alle. Die Entwicklung soll sich in Wellen vollziehen. Es wird immer mehr ältere Menschen geben und immer weniger jüngere. "Die erste Welle trifft die Industrieländer und China, wo der Anteil der Menschen im arbeitsfähigen Alter von heute 67 Prozent bis 2050 auf 59 Prozent sinken wird", prognostiziert McKinsey. "Spätere Wellen werden innerhalb von ein oder zwei Generationen jüngere Regionen erfassen."
Was sind die Folgen?
Wir haben es mit anderen Gesellschaften zu tun. Laut OECD hat sich die Dauer des Ruhestands seit 1970 von elf auf 18 Jahre erhöht. Menschen im Pensionsalter werden 2050 für ein Viertel des weltweiten Konsums verantwortlich sein. Die Entwicklungsländer müssen den Schwund an Arbeitskräften auffangen. Anders ausgedrückt: Ihre Produktivität und ihr Wohlstand wird für das globale Wachstum entscheidend werden.
Was noch?
Unser System aus Einkommen und Renten gerät außer Balance. Bis 2050 sinkt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in einzelnen Ländern um bis zu 0,8 Prozent. Außer: "Das Produktivitätswachstum steigt um das Zwei- bis Vierfache oder die Menschen arbeiten ein bis fünf Stunden mehr pro Woche," schreibt McKinsey. Erwartbar ist das nicht.
Was heißt die Entwicklung für die Jüngeren?
Sie erben ein geringeres Wirtschaftswachstum und müssen die Kosten für mehr Rentner tragen. Die ältere Generation hat an die jüngere immer weniger weiterzugeben.
Die Jüngeren werden breite Schultern haben müssen?
Sehr breite. 1997 lag das "Unterstützungsverhältnis" weltweit im Schnitt noch bei 9,4. Heißt: 9,4 Menschen im Erwerbsleben mussten eine Person in Rente erhalten. Aktuell liegt die Zahl bei 6,5 und 2050 wird sie bei 3,9 liegen.
Das ist ein ziemlicher Teufelskreis, oder?
Ja und McKinsey ist da auch ziemlich klar. Nötig sei "eine Kombination aus höherer Produktivität, mehr Arbeit pro Kopf, eine effektive Migration und höhere Geburtenraten" um den Wohlstand zu sichern. "Allerdings wird keiner dieser Hebel allein ausreichen".
Was sonst?
"Um die Entwicklung des demografischen Wandels zu bremsen, muss die Gesellschaft die bestehenden Systeme für Arbeit und Ruhestand auf eine Weise überdenken, die möglicherweise eine Änderung unseres Gesellschaftsvertrags erzwingt – keine leichte Aufgabe."
Wie kann man die Geburtenraten erhöhen?
Die Lösung hat noch kein Land gefunden. Südkorea investierte viel Geld in die postnatale Betreuung, Ungarn gibt fast sechs Prozent seines BIP für Fruchtbarkeits- und Familienprogramme aus, Norwegen zahlt 49 Wochen ein hohes Elterngeld, Schweden steckt große Summen in die Kinderbetreuung – aber nirgendwo kehrte sich der Trend um. Die Studienautoren vermuten, dass Einzelmaßnahmen nicht zum Erfolg führen.
Wie lässt sich die Altersstruktur ändern?
Natürlich durch mehr Geburten, aber die Wirkung setzt nicht sofort ein, da Babys in der Regel nicht vom Krankenhaus direkt ins Erwerbsleben eintreten. Bleibt Migration. Sie kann die Entwicklung lindern, aber nicht aufhalten. Um das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Rentnern auf dem heutigen Niveau zu halten, müsste bis 2050 bis zur Hälfte der Bevölkerung im Ausland geboren sein, so McKinsey.
Wie kann man dieser Spirale entkommen?
Durch Steigerung der Produktivität. Sie wird über "Automatisierungs- und KI-Technologien" erfolgen müssen, McKinsey sieht hier "großes Potenzial". Aber wir werden wohl auch Alter anders denken müssen. Menschen nicht in Rente schicken, sondern sie durch Angebote, etwa Teilzeit, flexible Arbeitszeiten, Telearbeit, im Erwerbsleben halten.