fortsetzung von "Die firma"
Neuer Grisham: Nimmt uns die "Die Entführung" gefangen?
Vor 31 Jahren machte sein erster Besteller Tom Cruise zum Superstar. Nun liefert US-Schreibmaschine John Grisham die Fortsetzung von "Die Firma" ab. Die Firmenbilanz.
Es ist ein Satz, der ihn nicht mehr loslässt: "Ich frage mich, wie gut John Grisham sein könnte, wenn er sich nur Zeit nehmen würde." Das schrieb ein Kritiker über ihn, mehr als 30 Jahre ist das nun her. Schwamm drüber? Nein! Der Satz begleite ihn immer noch, verriet der US-Autor der "Zeit". "Es ist mein altes Problem: Ich schreibe zu schnell. Und dann passieren einem Dinge, die man mit Ruhe anders gemacht hätte."
In Selbstzweifel stürzte ihn der Tadel nicht. Im Gegenteil. Grisham gilt als die Schreibmaschine der Branche, getaktet wie ein Uhrwerk. Jedes Jahr erscheint ein neues Buch. Mindestens. So wie jetzt.
Neues Buch ist ein alter Bekannter Mit "Die Firma" hatte Grisham 1991 weltweit die Bestsellerlisten gestürmt, sieben Millionen Exemplare verkaufte er im ersten Jahr allein in den USA. Plot: Junger, fescher Anwalt legt sich mit seinem Arbeitgeber, der Mafia und dem FBI an. Es ist sein bis heute erfolgreichstes Werk. Trotzdem erscheint erst jetzt, 33 Jahre später, mit "Die Entführung" eine Fortsetzung der Erfolgsgeschichte. Um das zu verstehen, muss man ein bisschen was über Grisham wissen. Vor allem: Er ist kein Schriftsteller, also verhält er sich auch nicht so.
Wer ist John Grisham? Geboren am 8. Februar 1955 in Jonesboro, Arkansas, als Sohn eines Baumwollfarmers und einer Hausfrau. Bekennender Baptist. Studierte Rechtswissenschaften und arbeitete von 1981 bis 1991 als Strafverteidiger. 1983 wurde er für die Demokraten in das Repräsentantenhaus von Mississippi gewählt, dem er sieben Jahre lang angehörte. Grisham ist nach wie vor politischer Aktivist, erklärter Gegner der Todesstrafe und engagiert sich seit einigen Jahren in der Initiative "Innocence Project", die versucht, unschuldig Verurteilte Bürger aus dem Gefängnis zu holen. Er lebt heute mit seiner Frau Renee auf einer Farm in der Nähe von Charlottesville, Virginia, sowie aus Amelia Island in Florida. Das Paar hat zwei Kinder.
Arbeitsbeginn 5.30 Uhr Bis 1991 war Grisham Strafverteidiger, spezialisiert auf Körperverletzung, saß für die Demokraten im Repräsentantenhaus von Mississippi. "Die Firma" war nicht sein Erstling, vorher gab es schon "Die Jury", ein Ladenhüter. Drei Jahre lang hatte Grisham an dem Buch geschrieben, jeden Morgen von 5.30 Uhr bis 8 Uhr, dann ging er seiner eigentlichen Arbeit als Strafverteidiger nach. Das erste Buch ein Flop – wurscht. Sein Agent riet ihm einfach weiterzuschreiben, die Leserschaft würde Pünktlichkeit in der Erscheinungsweise schätzen. Ein goldener Tipp.
48 Bücher auf Platz 1 "Die Firma" wurde zum erfolgreichsten Buch 1991, die Filmrechte für (heute bescheidene) 600.000 Dollar verkauft, Tom Cruise gab den Titelhelden. Seither liefert Grisham jedes Jahr mindestens ein Werk ab, in besonders fruchtvollen sind es bis zu drei. Die bisher 51 Bücher schafften eine Auflage von 275 Millionen Stück, 48 davon landeten auf der Bestsellerliste der "New York Times" ganz oben. Seit 33 Jahren platziert der heute 69-Jährige alljährlich mindestens ein Buch auf Platz Eins der für die Verlagsbranche bedeutendsten Verkaufscharts der Welt – keiner schaffte bisher mehr.
Wie das geht? Disziplin. Seit Jahrzehnten hält es Grisham so: Am 1. Jänner jeden Jahres beginnt die Arbeit am neuen Buch – ab sieben Uhr früh sitzt er dann fünf Tage die Woche vorm Computer (der nicht ans Internet angeschlossen ist) und arbeitet sich durch Notizen, der Fortgang jeder Story ist genau skizziert. "Wenn ich die erste Seite schreibe, weiß ich bereits, wie es enden wird", sagt er. "Dafür ist zwar viel Vorbereitungsarbeit nötig, aber man kann sich danach kaum mehr verirren."
Wer liest schon 500-Seiten-Schinken? 1.000 Worte sind das Tagespensum, bis mittags gibt sich Grisham dafür Zeit. Da die Bücher meistens auf etwa 100.000 Worte angelegt sind, ist die Rohfassung nach spätestens fünf Monaten im Kasten. Ufert eine Story aus, diszipliniert sich ihr Verfasser sofort selbst: "Wären meine Bücher länger, würden sie nicht pünktlich fertig werden. Abgesehen davon will ich auch selbst keine 500-Seiten-Schinken lesen." Also wird gekürzt.
Hollywood ließ ihn fallen Viele Grishams wurden zu Filmhits. "Die Akte" mit Julia Roberts und Denzel Washington, "Der Klient" mit Susan Sarandon und Tommy Lee Jones, "Die Jury" – Grishams Erstlingswerk über einen Fall von Selbstjustiz war inzwischen ebenfalls zum Bestseller avanciert – mit Matthew McConaughey und Sandra Bullock, "Der Regenmacher", die wohl beste Grisham-Verfilmung durch Francis Ford Coppola und mit Matt Damon, Claire Danes und einem herrlich schmierigen Mickey Rourke, oder "Das Urteil" mit Gene Hackman, Dustin Hoffman und John Cusack. Dann war fürs Erste Schluss mit den Verfilmungen, das Publikum hatte sich satt gesehen. Grisham schrieb weiter. Nun von Virginia aus und als Multimillionär. Und mittlerweile hat auch Hollywood wieder Lust auf den Vielschreiber. Aktuell sind vier Filme sowie eine Serienadaption in Entwicklung, Auswahl gibt es ja zur Genüge.
Taugt das neue Buch nun etwas? Wichtiger wäre die Antwort auf die Frage: Spielt das eine Rolle? Leser und Kritik gehen mit "Die Entführung" jedenfalls auffallend milde um, Grisham ist ein Denkmal, er liefert Verlässlichkeit, Beständigkeit, er enttäuscht die Erwartungen ebenso wenig wie er sie übertrifft. "Nett", "spannend" und "typisch Grisham" lauten die gewogeneren Rezensionen, "amateurhaft" und "an den Haaren herbeigezogen" die weniger freundlichen.
Kein wirklicher zweiter Teil Die Fortsetzung von "Die Firma" nimmt vom Spannungsbogen aus dem ersten Buch wenig auf. 15 Jahre nach den Ereignissen in Memphis ist Mitch McDeere, inzwischen 41 Jahre alt, für die größte Anwaltskanzlei der Welt in New York tätig. Zuvor lebte er mit Ehefrau Abby einige Jahre unerkannt in Italien, um dem Zorn der Mafia zu entrinnen. Dann wird er beauftragt, in einem Entführungsfall als Vermittler aufzutreten und das Lösegeld aufzutreiben, reist nach Europa und Nordafrika, gerät in die Fänge des internationalen Terrorismus – also los ist schon einiges.
Grisham kritisiert Grisham Aber selbst der Autor weiß um die Schwächen in seinem Plot – immerhin hatte sein Held der Mafia in Teil 1 Millionen gestohlen, zahlreiche Menschen ins Gefängnis gebracht. Und nun, 15 Jahre später, schlendert er einfach so unter seinem richtigen Namen durch New York, während seine Frau mittlerweile Kochbücher verfasst. "Das ist das größte Problem an dem Buch – wo ist die Mafia?!", sagte John Grisham zum "Time Magazine". "Ich habe oft darüber mit meinem Agenten gesprochen – ist das alles überhaupt plausibel? Aber schließlich habe ich beschlossen, es darauf beruhen zu lassen und zu sehen, wie die Leserinnen und Leser es kommentieren. Denn ich denke, es funktioniert so, wie es ist."
Grisham liest keinen Grisham Vielleicht hätte sich der Bestseller-Fabrikant dazu aufraffen sollen, doch einmal einen Blick in das Vorgängerbuch zu werfen. Dann wären ihm vielleicht einige der allzu offensichtlichen Brüche aufgefallen. Aber: Grisham hat eine geradezu pathologische Abneigung dagegen, frühere Bücher nochmals anzusehen, und sei es auch nur zu Recherchezwecken: "Ich ertrage es schlicht nicht, meine alten Sachen zu lesen."
Fazit Grishams Bücher sind Fastfood-Literatur, aber es ist nach wie vor Gourmet-Fastfood, Burger und Pommes höchster Güte. Manchmal reibt der Autor zusätzlich ein paar Schnitzelchen Trüffel über sein Werk, um ihm einen delikateren, exklusiveren goût zu verleihen. Darauf zu warten, zahlt sich aus, längstens zwölf Monate. Dann ist der nächste neue Grisham da. Verlässlich!
John Grisham, "Die Entführung", Heyne 2024, 384 Seiten, 24,70 Euro