Videowelt
Politik auf TikTok: "Echter" Kurz grüßt immer noch von Platz 1
Deutschlands Kanzler Olaf Scholz surft ab sofort auch auf Chinas Wellenlänge. Wieso das relevant ist, wie Österreichs Politik mit TikTok umgeht – und warum.
Es waren zwei Sätze, vier Worte, und die kamen reichlich verwirrend daher. "Ich tanze nicht. Versprochen." Das schrieb Olaf Scholz am Montag um 11.01 Uhr auf X, vormals Twitter. Nun mag es von einer gewissen Unerheblichkeit sein, was der deutsche Kanzler alles nicht tut, auch wenn diese Liste mittlerweile recht lang zu sein scheint. Aber mit der Ankündigung, nicht tanzen zu wollen, gab Scholz gleichzeitig bekannt, anderswo antanzen zu wollen – auf TikTok nämlich. Und das hat dann schon eine Relevanz, tanzen hin oder her.
Operation Aktentasche Es dauerte deshalb auch nur eine kleine Weile, bis deutsche Medien den Code entschlüsselt hatten. Zumal das Video, mit dem Scholz auf TikTok startete, Brosamen ausstreute. Zunächst ist eine Kamerafahrt über einen bläulichen Teppichboden zu sehen, auf dem sich ein paar helle Sneakers Richtung Fenster bewegen. Davor steht auf einer Sitzgarnitur die schwarze Aktentasche des deutschen Kanzlers, sein Markenzeichen (vom Hersteller Bree, Modell "Times 16", 40 mal 34 Zentimeter groß, er verwendet sie seit 40 Jahren). Dann taucht Scholz selbst hinter seinem Schreibtisch auf und lächelt. Ob aus Freude oder aus Verzweiflung, bleibt unklar.
Zwölf Stunden später hatte der 13 Sekunden kurze Clip 70.000 Likes, dem Account "teambundeskanzler" folgten 27.000 Menschen, Scholz aber keinem einzigen zurück. "Wir sind genauso überrascht wie ihr! (Und ja, der Bundeskanzler ist jetzt wirklich auf TikTok)," heißt es im Erklärungstext. Noch ist unklar, ob der Markenauftritt zu einem Erfolg wird. Darüber entscheidet auf dem China-Lockangebot nicht allein die Bekanntheit, sondern Authentizität und Originalität. An einem oder an beiden scheitern viele Politiker, national wie international, und dann wird es peinlich.
Kurz vor Kickl Der erfolgreichste Politiker in Österreich hat seit längerem kein Video mehr gepostet und Politiker ist er streng genommen auch keiner mehr. Aber auf TikTok ist Sebastian Kurz immer noch eine Größe, vor allem ist er nicht auf nationale Grenzen limitiert. Ihm folgen über 113.000 Nutzer, der gewesene Kanzler hat damit fast doppelt so viele Follower wie FPÖ-Chef Herbert Kickl (61.600), der auf Platz 2 liegt, immer noch ein paar Seilschaften vor den meisten anderen aus der Branche.
Kurz hat zuletzt am 5. Oktober 2021 ein Video hochgeladen, auch schon zweieinhalb Jahre her. Der Rest seines Accounts besteht aus kurzen Wortmeldungen des damaligen Kanzlers, das überrascht nicht. Kurz reißt die Arme hoch, runzelt die Stirn und legt dann los, womit auch immer. Seine erfolgreichsten Clips beschäftigen sich übrigens mit der Frage, ob er echt ist (2,8 Millionen Aufrufe) und was er am liebsten isst (Schnitzel, Tafelspitz, Pizza und Pasta, aber mutmaßlich nicht auf einmal).
Influencer geht anders Österreichs Politik fremdelt sonst noch ein bisschen mit dem Videoclip-Kanal. Von den 17 Personen aus dem Großraum Regierung sind nur sieben auf TikTok, die meisten davon bescheiden erfolgreich. Der Kanzler bringt es gerade einmal auf rund 7.100 Follower, sein Vize Werner Kogler schafft überhaupt nur 1.300 für sich zu begeistern. Der diesbezüglich hyperaktive Gesundheitsminister Johannes Rauch kommt auf müde 4.100 Fans und das, obwohl er sich zuletzt im Unterleiberl zeigte.
Das erfolgreichste Regierungsmitglied ist Karoline Edstadler, die eine gewisse Schmerzbefreitheit auszeichnet, das hilft beim TikToken und lässt sie wohl auch so manchen Politiktag überdauern. Die Verfassungsministerin hat rund 24.000 Follower, auf Platz 2 liegt Alma Zadic mit 14.300 Interessenten.
Das Team Regierung auf TikTok (Werte gerundet)
- Karl Nehammer: 7.100 Follower
- Werner Kogler: 1.300 Follower
- Karoline Edtstadler: 24.000 Follower
- Johannes Rauch: 4.100 Follower
- Leonore Gewessler: 1.200 Follower
- Alma Zadic: 14.300 Follower
- Claudia Plakolm: 4.600 Follower
141 österreichische Politiker sind auf TikTok vertreten, weist das Portal "Meine Abgeordneten" aus. Die meisten stellt die ÖVP mit 35, es folgen die Grünen (30), die SPÖ (29) und erst auf dem vierten Platz die FPÖ (28). Die Freiheitlichen aber haben dafür reichweitenstarke Accounts. Neben Herbert Kickl erreicht etwa Norbert Hofer 8.800 Fans, Michael Schnedlitz 6.200.
Der FPÖ-Generalsekretär übertrifft damit die Oppositionschefs Andreas Babler (3.400) und Beate Meinl-Reisinger (800), lässt Sigi Maurer (1.300), die vor wenigen Tagen ein Rhabarberkuchen-Video postete, oder August Wöginger (1.100) hinter sich.
Der erfolgreichste aktive Politiker auf TikTok nach Herbert Kickl ist Alexander Van der Bellen (55.000 Follower), er selbst folgt nur einem einzigen Account, nämlich mehr oder weniger sich selbst, dem Team VDB nämlich. Dann folgt schon Neos-Mandatar Yannick Shetty (49.200), auch die SPÖ-Abgeordnete Julia Herr (12.200) schlägt sich wacker. Der Salzburger KPÖ-Chef Kay-Michael Dankl hat 2.100 Follower und damit mehr als der österreichische Vizekanzler.
Vielleicht hätte sich Karl Nehammer bei seinem Paris-Besuch nicht nach den Boxgewohnheiten von Emmanuel Macron erkundigen sollen, sondern wie er Social Media so schupft. Frankreichs Präsident hat auf TikTok nämlich 4,2 Millionen Follower. Da muss Österreichs Kanzler noch ein paar Muckis zulegen.