Milliardärs-Jacht
"Reihe von Fehlern": Schiffsbauer rechnet mit Crew ab
Nach dem Untergang der "Bayesian" vor Sizilien mit sieben Toten beginnt die Suche nach der Unglücksursache. Dabei im Mittelpunkt: der Kapitän der Segelschiffes. Er wird schwer belastet.
Vor vier Tagen sank die unter britischer Flagge fahrende Superjacht "Bayesian" mutmaßlich in einem Tornado vor der Küste von Sizilien. Mittlerweile konnten alle Todesopfer aus dem Wrack des Schiffes geborgen werden – Freitag mittags wurde gemeldet, dass auch der Leichnam der Tochter von Schiffseigner Miky Lynch, Hannah (18), in dem gesunkenen Schiff lokalisiert wurde. Damit ist traurige Gewissheit, dass dem Unglück insgesamt sieben Menschen zum Opfer gefallen sind.
Gleichzeitig beginnt die Frage der Ursache für den Schiffsuntergang in den Vordergrund zu rücken. Denn die Geschwindigkeit, mit der die "Bayesian" am Montag, dem 19. August, in den frühen Morgenstunden unterging, stellt auch erfahrene Ermittler vor ein Rätsel (alle relevanten Informationen dazu finden Sie hier). Und auch die Schuldfrage wird inzwischen immer häufiger gestellt. Wer – oder was – kann für das Unglück, dass sieben Menschenleben gefordert hat, verantwortlich gemacht werden?
Was man bisher weiß, wie es weiter geht – die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:
Wie viele Opfer hat das Unglück gefordert?
Es gibt sieben Todesopfer: Neben dem Eigentümer der Jacht, dem britischen Hightech-Unternehmer und Milliardär Mike Lynch, 59, sind das: Jonathan Bloomer, 70 (ein Freund von Lynch und der Vorstandsvorsitzende des Bankhauses Morgan Stanley), und seine Frau Judy , 71, Lynchs US-Anwalt Christopher Morvillo (59) und seine Frau Nada (eine New Yorker Schmuckdesignerin) sowie der Schiffskoch der "Bayesian", der Kanadier Recaldo Thomas, 58. Lynchs Tochter Hannah, 18, die ebenfalls mit an Bord gewesen ist, galt zuletzt noch als vermisst, ihr Leichnam wurde Freitag vormittag als letzter in dem Wrack entdeckt und geborgen.
Wie viele Menschen haben das Unglück überlebt?
15 Menschen – 6 Passagiere und 9 Besatzungsmitglieder – konnten sich retten, vier wurden dabei schwer verletzt.
Was ist eigentlich passiert?
In kurzen Worten: Die "Bayesian" lag nur wenige hundert Meter vor dem kleinen Städtchen Porticello im Norden Siziliens vor Anker, als sich Montag gegen vier Uhr früh ein schweres Unwetter bildete, das über die Region zog. Vermutlich eine Wasserhose (das ist eine alternative Bezeichnung für einen Tornado, der sich über Wasser bildet) traf dabei die Jacht mit voller Wucht und brachte diese in kürzester Zeit zum Kentern. Danach sank das Schiff unmittelbar.
15 Menschen, die sich alle an Deck oder in der Nähe des Decks befunden hatten, konnten sich retten, der Schiffskoch wurde vermutlich dabei ins Meer gespült, wo er umkam. Taucher fanden ihn in einer Tiefe von etwa 50 Metern. Die restlichen sechs Menschen befanden sich im Rumpf des Schiffs und konnten nicht mehr rechtzeitig flüchten, ehe es mit Wasser voll lief und sank. Erst mehr als zwei Tage nach dem Untergang gelang es den Bergungskräften, die ersten Leichen aus dem gesunkenen Schiff zu holen.
Was muss man über die "Bayesian" wissen?
Das Schiff hatte eine Länge von 56 Metern, was sie als "Superjacht" klassifiziert (Superjachten sind zwischen 30 und 60 Metern lang). Sie wurde von der italienischen Werft Perini Navi in Viareggio (Toskana) geplant und gebaut, die als Top-Adresse für derartige Luxusschiffe gilt. 2008 lief die "Bayesian" vom Stapel, 2020 wurde sie überholt. Sie hatte einen knapp 73 Meter hohen Segelmast aus Aluminium – der höchste Aluminiummast weltweit für ein Schiff. Sie verfügte zudem über eine Segelfläche von knapp 3.000 Quadratmetern und hatte als Gegengewicht zu dem riesigen Mast einen knapp zehn Meter langen sogenannten Hubkiel, der mittels Motor teilweise eingefahren werden konnte, um das Schiff schneller, aber damit auch instabiler zu machen.
Welche Detail-Infos gibt es über den Untergang?
Es gibt kaum brauchbares Videomaterial über den Vorfall. Eine Überwachungskamera war zwar auf das Wasser gerichtet, doch auf dem Video (siehe unten) ist kaum zu erkennen, was mit der "Bayesian" geschehen ist. Inzwischen soll Material von weiteren Kameras bei der Staatsanwaltschaft eingetroffen sein, über die Qualität und den Inhalt der Bilder ist aber bisher nichts bekannt. Die wichtigsten Informationen erhalten die Ermittler – die Untersuchungen werden von der Staatsanwaltschaft in Termini Imerese geleitet, einer Gemeinde östlich des Unglücksortes – deshalb von den unmittelbar Betroffenen, also den Überlebenden der Katastrophe, sowie von den Augenzeugen des Untergangs.
Welche Augenzeugen gibt es?
Nur wenige, der wichtigste ist wohl der Deutsche Karsten Börner. Er ist der Kapitän des Segelkreuzfahrtschiffes "Sir Robert Baden Powell", das in der Unglücksnacht nur wenige hundert Meter von der "Bayesian" entfernt vor Anker lag und sofort zu Hilfe eilte, als es das Verschwinden der Luxusjacht bemerkte. In einem Interview mit dem deutschen Nachrichtenmagazin "Spiegel" schildert Börner seine Eindrücke und Erlebnisse aus der Unglücksnacht ausführlich.
Welche Wetterverhältnisse herrschten zum Zeitpunkt des Unglücks?
Es seien Gewitter vorhergesagt gewesen, so der deutsche Kapitän. Wegen der hohen Wassertemperatur – das Mittelmeer hat in dieser Gegend laut Börner bereits seit Wochen um die 30 Grad – habe er aufgrund seiner Erfahrung damit gerechnet, dass sich ein heftiger Sturm entwickeln könnte. Auch die Gefahr von Wasserhosen sei ihm bewusst gewesen, so Börner: "Am Tag ist das alles nicht ganz so schlimm, da kann man sie sehen, aber nachts sieht man sie eben nicht. An dem Tag wussten wir, dass die Gewitterfront näher kommt. Da haben wir schon frühzeitig den Motor gestartet, um gegenhalten zu können. Wir waren ja vor Anker, aber wenn da starke Windböen kommen, hält so ein Anker unter Umständen auch nicht. Und um unser Schiff dann mit dem Bug im Wind zu halten, haben wir den Motor gestartet, und das hat auch relativ gut geklappt."
Weshalb ist es wichtig, bei einem Sturm den Bug im Wind zu halten?
Um zu verhindern, dass das Schiff seitlich vom Sturm getroffen wird, wie der österreichische Jacht-Sachverständige Florian Zimmermann sagt (nachzulesen hier). Denn würde das geschehen, sei die Gefahr enorm, dass sich das Schiff zu sehr zur Seite neigt und letztlich kentert. Deshalb hält man es mit dem Bug im Wind, um dem möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten.
Wie stark war der Wind in der Unglücksnacht?
Laut Kapitän Karsten Börner hatte der Sturm Montag früh kurzzeitig Orkanstärke, also Windstärke 12. Und es seien "Tonnen von Wasser heruntergekommen", also aus der Luft auf die Schiffe getroffen, was auch für eine Wasserhose spräche.
Hatte Börner von der "Baden Powell" aus die "Bayesian" im Blick?
Sie lag schräg hinter der "Baden Powell", berichtet Kapitän Börner im "Spiegel". Deshalb hätten er und sein Steuermann immer wieder nach der "Bayesian" Ausschau gehalten, weil sie fürchteten, auf das Schiff zu treiben, sollte ihr Anker der Gewalt des Windes nicht standhalten können.
Wie kann es überhaupt sein, dass sich ein Anker losreißt?
Das passiere gar nicht so selten, so der Sachverständige Florian Zimmermann. Moderne Anker seien zwar so konstruiert, dass sie nicht nur am Meeresboden liegen, sondern sich nach Möglichkeit in den Sand eingraben. Doch wenn an der Wasseroberfläche wirklich starke Winde am Schiff und damit an der Ankerkette zerren würden, dann würden auch die stärksten Anker ein Schiff nicht halten können und aus dem Boden gerissen werden.
Und riss sich die "Baden Powell" los?
Nein, aber die "Bayesian" sei plötzlich verschwunden gewesen, berichtet Karsten Börner im "Spiegel": "Mein Steuermann sagte zu mir: 'Die ist gesunken!' Ich habe ihn ausgelacht. So ein Riesenschiff, das sinkt doch nicht einfach so. Als der Wind abgeflaut ist, haben wir genauer geguckt und haben die nirgends gesehen."
Wie ging es weiter?
Nachdem das Schiff auch auf dem automatischen Identifikationssystem, das auf den Funkdaten von Schiffen basiert, nicht mehr zu sehen war, schrillten an Bord der "Baden Powell" sprichwörtlich die Alarmglocken. Kurz darauf sah ein Gast an Bord des Kreuzfahrtschiffs eine rote Leuchtkugel in der Luft, wenig später erkannte der Kapitän eine zweite – sicheres Zeichen dafür, dass irgendwo am Wasser jemand in einer Notlage war. Börner und sein Steuermann seien deshalb ins Beiboot der "Baden Powell" gestiegen und in die Richtung der Leuchtkugeln gefahren.
Was entdeckten sie?
Wrackteile auf dem Wasser – Deckmöbel, Polster und dergleichen – und schließlich auch das Blinklicht der Rettungsinsel der "Bayesian". Diese hatte eine Kapazität von 12 Personen, es saßen aber laut Börner 15 Menschen drinnen, davon 4 Schwerverletzte, außerdem war ein Baby an Bord. Den Besatzungsmitgliedern der "Bayesian" sei es trotz widriger Umstände sogar gelungen, die Verletzungen erst zu versorgen – Börner: "Das fand ich eine bemerkenswerte Leistung."
Wie kam ein Kleinkind auf die Luxusjacht?
Das Kleinkind ist die einjährige Sophie Emslie, die mit ihren Eltern, Charlotte Golunski und James Emslie, an Bord der "Bayesian" gewesen ist. Wie die italienische Zeitung "La Repubblica" berichtete, schilderte Charlotte Golunski nach der Einlieferung in das Kinderkrankenhaus von Palermo einem der Ärzte die dramatischen Minuten des Untergangs. Demnach hätten die Eltern und ihre kleine Tochter unter Deck geschlafen, als der Sturm losging. Dann sei die Jacht plötzlich gekentert und offenbar sofort vollgelaufen, denn sie hätten sich rasch "im Wasser wiedergefunden".
Dann sei Charlotte Golunski durch das Wasser Richtung Rettungsinsel gelangt, ihre Tochter immer über sich haltend. Schließlich sei es ihr gelungen, mit dem Baby an Bord der Rettungsinsel zu gelangen. Sowohl dem Baby, als auch ihren Eltern geht es gut, sie haben keine Verletzungen davongetragen.
Warum kam erst nach zwei Stunden Hilfe?
Alle Insassen der Rettungsinsel kletterten schließlich an Bord des Beibootes und wurden von Kapitän Börner und seinem Steuermann auf das Kreuzfahrtschiff gebracht. Dort wurden sie von der Crew versorgt, während der Kapitän die Küstenwache in Palermo verständigte, die demnach noch gar nicht registriert hatte, was geschehen war. Es dauerte laut Börner einige Zeit, bis er den italienischen Einsatzkräften die Lage habe begreiflich machen können. Dann seien mehrere Rettungsboote der Küstenwache aus Palermo angekommen und auch Krankenwagen verständigt worden, die sich der Verletzten annahmen und sie ins Hospital nach Palermo brachten. Insgesamt, so der Kapitän, habe das alles etwa zwei Stunden gedauert. Zum besseren Verständnis: Palermo ist keine 15 Kilometer vom Unglücksort entfernt.
Wie verlief die Suche nach dem gesunkenen Schiff?
Die Küstenwache habe das Schiff in jenem Bereich gesucht, den der Steuermann der "Bayesian" als letzte Position angegeben hatte. Gleichzeitig fuhr auch der Steuermann der "Baden Powell" zusammen mit einem Gast auf dem Kreuzfahrtschiff (einem pensionierten Weserlotsen), dem Kapitän und einem weiteren Crew-Mitglied der "Bayesian" auf dem Beiboot los, um ebenfalls nach weiteren Überlebenden zu suchen. Es wurde allerdings niemand gefunden. Wie man inzwischen weiß, dürfte die "Bayesian" sehr rasch untergegangen und in eine Tiefe von etwa 50 Metern gesunken sein, wo sie dann zu liegen kam.
Was ist auf dem Video zu sehen, das es vom Untergang gibt?
Nicht besonders viel, zumindest ohne weitere Bearbeitung, das Material ist extrem unscharf. Was man darauf allerdings schon erkennen könne, so Kapitän Börner, sei, wie rasch die "Bayesian" offenbar gekentert ist: "Angeblich waren das nur 16 Sekunden", so der erfahrene Seemann im "Spiegel"-Interview. Und weiter: "Der Maschinist von der Jacht hat gesagt, nach dem Kentern hat es zwei Minuten gedauert, bis sie komplett weg war. Ich habe ihn gefragt, ob die Jacht oben offen war. Und er sagte: 'Nein, die war geschlossen'. Deswegen ist das allen ein großes Rätsel, wie die so schnell sinken konnte."
Gibt es andere Videos, mit denen sich das Material vom Untergang der "Bayesian" vergleichen lassen könnte?
Es gibt ein Video aus dem Jahr 2019 aus Neuseeland (siehe unten), wo ein sehr ähnliches Schiff wie die "Bayesian" ebenfalls von einer Wasserhose voll getroffen wird. Auf den Bildern ist ganz klar zu sehen, wie das Schiff nach dem Schlag durch die Wasserhose kentert, sich dann aber wenige Sekunden später wieder aufrichtet – etwas, das bei der "Bayesian" nicht passiert ist.
Weshalb kenterte und sank die "Bayesian" so rasch?
Karsten Börner, den Kapitän der "Baden Powell", hat dazu eine Vermutung – nämlich dass der an sich fast zehn Meter lange Hubkiel der Segeljacht nicht voll ausgefahren war und das Schiff deshalb nicht stabil genug im Wasser gelegen sei: "Wenn das der Fall ist und der Hubkiel nicht ausgefahren ist, ist der Schwerpunkt viel zu weit oben. Wenn dann zwölf Windstärken angreifen, liegt das Ding natürlich in Sekunden platt", so der Seemann im "Spiegel".
Ins selbe Horn stößt ein ehemaliger Kommandant der britischen Royal Navy bei der BBC. Tom Sharpe war Kapitän der HMS Endurance, als diese 2008 im Südatlantik volllief. Wenn der Kiel nicht ausgefahren gewesen ist, wäre demnach "ein großer Teil der Stabilität des Bootes" verloren gegangen. Und Sharpe weiter: "Wenn auf See etwas schief geht, geht es leider sehr schnell schief."
Aber deshalb läuft das Schiff ja nicht gleich komplett mit Wasser voll, oder?
Nein, das tut es nicht. Zumal der Maschinist der "Bayesian" ja unmittelbar nach dem Unglück angegeben hatte, dass die Jacht oben geschlossen gewesen ist, also dass alle Öffnungen, die in den Rumpf des Schiffes führen, so abgedichtet waren, dass durch sie kein Wasser ins Innere der Jacht hätte laufen dürfen. Und selbst wenn irgendwo auf der Wasserlinie ein oder zwei Bullaugen noch offen waren (was angesichts der Wetterbedingungen höchst ungewöhnlich gewesen wäre), würde das keinesfalls das rasend schnelle Volllaufen des Schiffs erklären, dass die "Bayesian" binnen zwei Minuten – laut Crew – zum Sinken gebracht hat.
Also hatte die "Bayesian" eventuell ein Leck, durch das so rasch so viel Wasser eindringen konnte?
Das wäre die einzige logische Erklärung. Allerdings ist noch vollkommen unklar, wodurch dieses Leck entstanden sein könnte. Eventuell durch die Ankerkette, wie Kapitän Börner meint, oder aber durch den Mast, der bei dem Unglück angeblich gebrochen sein soll. Allerdings gibt es dafür bis jetzt auch keine Bestätigung, sondern nur Vermutungen.
Was sagt die Mannschaft der "Bayesian"?
Wenig! Der neuseeländische Kapitän der Superjacht, James Cutfield, 51, sagte unmittelbar nach dem Unglück lediglich, dass der Sturm plötzlich gekommen sei und man ihn nicht habe kommen sehen, dieses Statement gilt allerdings nicht als bestätigt. Seither hat er sich nicht mehr geäußert, er wird von den italienischen Behörden befragt. Cutfield trägt als Kapitän auf jeden Fall die Verantwortung für alle Handlungen, die auf der "Bayesian" gesetzt worden sind. Ob man daraus eine Schuld für das Geschehene ableiten kann, werden die Untersuchungen der Behörden zeigen. Derzeit wird wegen des Tatbestandes des "Fahrlässigen Schiffbruchs" und der "Fahrlässigen Tötung" gegen unbekannte Personen ermittelt.
Vom Maschinisten der Jacht ist zudem überliefert, dass er sich nicht erklären könne, wieso das Schiff so rasch gesunken sei – das hatte er gegenüber Kapitän Karsten Börner geäußert.
Wie äußert sich die Werft, die das Schiff gebaut hat?
Am Donnerstag nahm Giovanni Costantino, der Gründer und Chef von "The Italian Sea Group", jener Holding, zu der auch die Werft Perini Navi gehört, erstmals ausführlich Stellung zu dem Untergang – und er lässt kein gutes Haar an der Besatzung der "Bayesian": "Alles was getan wurde, offenbart eine sehr lange Reihe von Fehlern", wird Costantino von der Tageszeitung "Corriere della Sera" zitiert.
Was wirft der Hersteller der Jacht-Crew vor?
Zunächst einmal Ignoranz gegenüber den herrschenden Wetterbedingungen: "Es ist nicht wahr und absurd, dass der Sturm plötzlich und unerwartet kam", so Giovanni Costantino. "Warum waren in dieser Nacht keine Fischer aus Porticello unterwegs? Ein Fischer liest die Wetterbedingungen und ein Schiff nicht? Das aufziehende Unwetter war auf allen Wetterkarten gut erkennbar. Es war unmöglich, es nicht zu wissen." Weiters hätten die Passagiere keinesfalls in ihren Kabinen sein und das Boot nicht mehr ankern sollen.
Wie hätte sich die Crew demnach verhalten müssen?
Giovanni Costantino: "Zwischen der Ankunft eines Sturms und der Ankunft des Wassers liegt eine Welt. Um gar nicht erst in diese Sitution zu geraten, wäre ich als Kommandant dieses Schiffes umgezogen" – er hätte also kurzerhand den Standort gewechselt. "Aber selbst wenn ich dort hätte bleiben müssen, hätte ich diese Wetterbedingungen gemeistert. Der Kommandant der 'Baden Powell' nebenan hat es ja auch geschafft, alles ohne Probleme zu regeln."
Wie hätte man diese Wetterbedingungen meistern können?
Es wäre notwendig gewesen, alle Türen und Luken zu schließen, die Gäste gemäß der Notfallprozedur am Sammelpunkt des Schiffes zu versammeln, den Motor zu starten, den Anker hochzuziehen, den Bug in den Wind zu stellen und den Kiel auszufahren. Am nächsten Morgen wären sie ohne Schaden abgereist."
War die "Bayesian" wirklich "unsinkbar", wie der Hersteller behauptet?
Als "Segeljuwel", "eines der sichersten Boote der Welt" und "praktisch unsinkbar" bezeichnet Giovanni Costantino, der CEO des Mutterkonzerns jener Werft, die die "Bayesian" 2008 gebaut hatte, die Jacht. "Unsinkbar – natürlich, es sei denn, das Schiff nimmt Wasser auf", so der Italiener. Dass dies passiert ist, steht außer Frage, weshalb es passiert ist, jedoch schon. Aus den diversen Untersuchungen, die der Hersteller bislang aufgrund der Zeugenaussagen sowie des bekannten Videos vorgenommen hat, hätte sich ergeben, dass insgesamt 16 Minuten vergangen sind, zwischen dem Aufkommen extrem starker Winde und einem möglichen Einlaufen von Wasser einerseits und dem Sinken des Schiffes andererseits. Weshalb das Schiff tatsächlich volllief, könne erst befriedigend geklärt werden, wenn man das Wrack gehoben hat und untersuchen kann.
Weshalb konnten die Passagiere nicht aus ihren Kabinen flüchten?
Auch darauf hat Costantino eine Antwort: "Wenn Wasser ins Schiff läuft, neigt sich der Rumpf. Es genügt bereits eine Neigung von 40 Grad, dass man die Türe seiner Kabine plötzlich dort findet, wo vorher die Kabinendecke gewesen ist. Können Sie sich einen 60- oder 70-jährigen Mann vorstellen, der da hinaufklettert, um herauszukommen? Sie saßen in der Falle, die armen Menschen endeten wie Mäuse."
Wird das Schiff gehoben werden?
Nachdem inzwischen auch der Leichnam von Hannah Lynch, die Tochter von Milliardär Mike Lynch, geborgen werden konnte, soll nun demnächst darüber entschieden werden, ob das 56 Meter lange Schiff, das in einer Tiefe von 50 Metern liegt, gehoben wird, so ein Sprecher der italienischen Küstenwache. Es ist aber zum jetzigen Stand davon auszugehen, dass das passieren wird – alleine schon, um der Unglücksursache auf den Grund zu gehen sowie allfällige Verantwortungen und auch Versicherungsfragen abzuklären.
Der Artikel wurde am 23.8. um 19 Uhr zuletzt aktualisiert