Lieferstopp
Russland geht vom Gas runter: Was heißt das für uns alle?
Es ist genug Gas da, aber es wird teurer. Mit Samstag stellt Russland seine Lieferungen nach Österreich ein. Was die Hintergründe sind, wo jetzt unser Gas herkommt und warum der Kanzler Gelassenheit versprühen will.
Es war ein Schritt, mit dem viele gerechnet hatten und trotzdem sorgt die Entscheidung für ein mulmiges Gefühl. Mitten in den richtigen Start für die Heizsaison bekommt Österreich aus Russland ab sofort kein Gas mehr. Das müssen Sie dazu wissen:
Was ist überhaupt passiert?
Am Freitag um 15.35 Uhr veröffentlichte die "Central European Gas Hub AG" (CEGH) auf ihrer "REMIT-Plattform" folgende Mitteilung: "OMV Gas Marketing & Trading GmbH (OGMT) wurde soeben von Gazprom Export informiert, dass Gazprom Export seine Erdgaslieferungen im Rahmen des österreichischen Liefervertrags mit OGMT ab 16. November 2024 um 06:00 Uhr MEZ einstellen und damit auf 0% reduzieren wird , was den österreichischen virtuellen Handelspunkt betrifft. Die betroffene Erdgasmenge beträgt bis zu 7.400 MWh/h."
Was ist die CEGH?
Die Central European Gas Hub AG (CEGH) mit Sitz in Wien managt den Gashandel in Mittel- und Osteuropa. Gesellschafter sind die OMV Gas Logistics Holding GmbH mit 65 Prozent, die Wiener Börse AG mit 20 Prozent und die slowakische Eustream a.s. mit einem Anteil von 15 Prozent.
Und was ist die "REMIT-Plattform"?
"REMIT" steht für "Regulation on Wholesale Energy Market Integrity and Transparency". Das "REMIT-Informationsportal" wurde 2011 eingerichtet, um die "Integrität und Transparenz des Energiegroßhandelsmarkts" zu sichern.
Was heißt das jetzt?
Ein börsennotiertes Unternehmen wie die OMV hat Berichtspflichten. Sobald dem Konzern Informationen zugehen, die für den Aktienmarkt relevant sind, müssen sie veröffentlicht werden. Das ist in diesem Fall passiert, als der Lieferstopp für russisches Gas angekündigt wurde.
Wem gehört die OMV?
Die OMV ist eine Aktiengesellschaft, es gibt zwei Großaktionäre: Die Republik Österreich hält über die ÖBAG (Österreichische Beteiligungs AG) 31,5 Prozent und die Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC) mit 24,9 Prozent. Die ADNOC ist ein staatseigner Ölkonzern der Vereinigten Arabischen Emirate. 43,4 Prozent der OMV-Aktien befinden sich im Streubesitz. 2023 betrug der Umsatz 39 Milliarden Euro, die OMV beschäftigt 20.592 Mitarbeiter.
Was ist die Vorgeschichte des Konflikts?
Am 1. Juni 1968 unterzeichneten das sowjetische Unternehmen Sojusneftexport und die Österreichische Mineralölverwaltung (ÖMV) den ersten Gasliefervertrag. 2018 wurde das 50-jährige Bestehen mit großem Pomp als "Goldene Hochzeit" in der Wiener Hofburg gefeiert. Die Sojusneftexport hieß da schon Gazprom. Der russische Staat hält 50 Prozent und eine Aktie an dem Unternehmen.
Wie kam es zum Streit?
Einfach war die Beziehung nie, aber sie funktionierte. Dann marschierte Russland im Februar 2022 in die Ukraine ein und der Streit brach los. Die OMV hat einen aufrechten Liefervertrag mit Gazprom bis 2040. Er hat eine Besonderheit: Die OMV muss zahlen, wenn Gazprom liefert, und zwar egal, ob sie Gas nimmt oder nicht.
Wie eskalierte der Konflikt?
Das passierte auf mehreren Ebenen. Am 5. März 2022 gab die OMV eine weitreichende Strategieänderung bekannt. Sie definiere Russland nicht mehr als "Kernregion", teilte sie mit. Die Beteiligung am Gasfeld Juschno Russkoje wolle man los werden. Die Beteiligung im westsibirischen Erdgasfeld Urengoi werde aufgegeben. Es begann zu brodeln.
Was passierte dann?
Putin reagierte auf die EU-Sanktionen und nahm der OMV per Dekret das Gasfeld Juschno Rosskoje weg, die Österreicher wurden enteignet. Plus: Ab September 2022 wurden die Gaslieferung der Gazprom nach Deutschland gänzlich eingestellt. Die OMV forderte Schadenersatz.
Was war die Folge?
OMV und Gazprom begannen sich häufig vor Gericht zu treffen. Im Jänner 2023 strengte die OMV ein Schiedsgerichtsverfahren vor der Internationalen Handelskammer (ICC) an. Russland brachte als Reaktion Gegenklagen in St. Petersburg ein und bekam vor Kurzem in einem Verfahren recht. Die OMV erkennt den Gerichtsstand nicht an, er entspreche nicht dem Vertrag.
Warum stellte die Gazprom nun die Lieferungen ein?
Am Mittwoch fällte die Internationale Handelskammer nun ein Urteil im Gasstreit mit der Gazprom und gab der OMV recht. Sie bekam 230 Millionen Euro Schadenersatz zuzüglich Zinsen und Kosten zugesprochen. Grund: die eingestellten Gaslieferungen ab September 2022 nach Deutschland.
Bekam die OMV das Geld?
Sie rechnete nicht damit und begann damit, den "Schadenersatzanspruch mit sofortiger Wirkung umzusetzen". Bedeutete: Die aushaftende Summe aus dem Schiedsgericht sollte mit den Gaslieferungen gegenverrechnet werden. Die OMV stellte die Zahlungen ein.
Was war die Konsequenz?
Es passierte, was erwartet worden war. Russland gab bekannt, ab Samstag 6 Uhr früh kein Gas mehr nach Österreich zu liefern.
Ist das ein Problem für uns?
Was die akute Versorgung betrifft, nicht. Österreich bekam bisher über den Knotenpunkt Baumgarten 178 Gigawattstunden pro Tag geliefert, die OMV war der einzige Gazprom-Kunde im Land. Das wird nun von anderen Lieferanten übernommen. OMV-Chef Alfred Stern sagte gegenüber der Austria Presse Agentur, dass man sich seit drei Jahren auf dieses Szenario vorbereitet habe.
Wo kommt unser Gas nun her?
Aus Norwegen, aus eigener Produktion und als Flüssigerdgas per Schiff über Deutschland und Italien.
Warum musste sich Österreich auf den Russland-Ausfall vorbereiten?
Weil die Ukraine schon vor Längerem bekanntgegeben hatte, ab Jänner 2025 kein russisches Gas mehr über ihr Land nach Österreich zu schleusen. In knapp sieben Wochen wären wir also sowieso vor dieser Situation gestanden.
Wie viele Gasspeicher stehen in Österreich?
Neun: OMV Gas Storage (Schönkirchen, Tallesbrunn), RAG Energy Storage (7 Fields, Haag, Aigelsbrunn, Haidach5), Uniper (7 Fields), GSA LLC (Haidach) und astora (Haidach)
Wie sind Österreichs Speicher momentan gefüllt?
Laut E-Control beträgt der Füllstand zum Stand 13. November 93,01 Prozent. Im Vorjahr lag der Wert an diesem Tag bei 99,7 Prozent. Insgesamt sind 94,5 Terawattstunden eingespeichert, mehr als der österreichischen Jahresverbrauch von 75,6 Terawattstunden. Zusätzlich hält Österreich eine strategische Gasreserve von 20 Terawattstunden.
Wie reagierte die Politik?
Im Kanzleramt fand noch am Freitag eine Krisensitzung statt. Kanzler Karl Nehammer gab danach ein Statement ab und versuchte zu beruhigen. "Niemand in Österreich muss frieren. Die Wohnungen können beheizt werden", sagte er. "Es gibt genug Gas, um auch die Stromversorgungsunternehmen zu versorgen, sodass ausreichend Energie in Österreich vorhanden ist." Und: „Wir lassen uns nicht erpressen und nicht in die Knie zwingen."
Und die Grünen als Regierungspartner?
Die zuständige Umweltministerin Leonore Gewessler meldete sich schriftlich zu Wort. "Das Vorgehen der russischen Gasprom beweist heute einmal mehr: Russland ist kein Partner", sagte sie. "Mit dem morgigen Tag endet aber auch eine Gefahr. Wenn wir keine russischen Lieferungen mehr beziehen, sind wir nicht mehr erpressbar."
Wird Gas nun teurer?
Auch wenn der Kanzler mit keinen Preiserhöhungen rechnet, kann man davon ausgehen. Experten sind sich aber über die Höhe des Preissprungs uneinig. Von 10 bis 20 Prozent höheren Kosten für Konsumenten ist zu rechnen. Eine Preisexplosion wie zu Beginn des Ukrainekriegs wird nicht erwartet. Die OMV rechnete in ihrem Jahresbericht für den Fall eines Lieferstopps mit einer Erhöhung von fünf Euro pro Megawattstunde.
Brauchen wir noch viel Gas?
Ja, aber deutlich weniger als früher. Österreich hat zwischen 2017 und 2021 im jährlichen Durchschnitt 95 Terawattstunden (TWh) Gas verbraucht, im Jahr 2023 waren es nur mehr 75,6 TWh.