Verbot kommt

Smartphone in Schule adé – ist das wirklich eine gute Idee?

In Wien wird bis 1. April ein Handyverbot in allen Volks- und Mittelschulen umgesetzt, der Rest Österreichs soll so rasch wie möglich folgen. Was Lehrer und Eltern großteils begrüßen, sorgt bei vielen Experten für Kopfschütteln – auch bei Niki Glattauer.

Group of young children holding smartphones and hiding faces, gen Alpha
Group of young children holding smartphones and hiding faces, gen Alpha
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Niki Glattauer
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Der Erlass trat in der letzten Februar-Woche in Kraft: "Angesichts der negativen Auswirkungen von Smartphones, Smartwachtes und vergleichbaren elektronischen Kommunikationsgeräten (…) empfiehlt die Bildungsdirektion …"

So beginnt das "Rundschreiben W27/2025". Was inhaltlich folgte, hatte der neue Bildungsminister Christoph Wiederkehr, da noch in seiner Funktion als Wiener Bildungsstadtrat, medienwirksam aufbereitet: Ein Handyverbot für alle Wiener Volks- und Mittelschulen.

Bis April muss rückgemeldet werden Und weil Wiederkehr auch B zu sagen pflegt, wenn er A sagt, stellte er sogleich die Rute ins Fenster. Der Erlass endet mit dem Satz: "Die Schulleitungen werden gebeten, an den zuständigen Schulqualitätsmanager bis spätestens 1. April eine Rückmeldung über die Umsetzung zu geben."

Handy-Boxen, Handy-Kalender … Das war dann also doch mehr als nur "empfehlen" und "bitten". Es war eine Direktive. Versehen sogar mit Handlungsanweisung: "Für die Aufbewahrung der Handys können Schulen schulautonom über die zur Verfügung gestellten Finanzmittel der Zweckzuschüsse Behältnisse, wie beispielsweise Boxen, Kalender mit Taschen aus Stoff, etc. ankaufen."

20240216 / kolumnist nikolaus glattauer schulexperte bildungsexperte schule / foto: sabine hertel / tageszeitung heute
20240216 / kolumnist nikolaus glattauer schulexperte bildungsexperte schule / foto: sabine hertel / tageszeitung heute
Sabine Hertel

… und Handy-Safes Am Rande einer Pressekonferenz soll Wiederkehr auch von "Handy-Safes" gesprochen haben, aus denen die Smartphones nach Schulschluss entnommen werden dürften, verortet in den Direktionen oder beim Schulwart. Als dies an die Öffentlichkeit gelangte (unter anderem durch mich), verwahrten sich gleich mehrere Schulwarte beim Magistrat telefonisch und schriftlich dagegen, künftig "Handy-Warte" zu sein. Jetzt kommen "Safe" und "Schulwart" im Text nicht mehr vor.

Die meisten Schulen jubeln Österreichs Lehrerinnenschaft* hat der Neo(s)-Minister mit dem Verbot weitgehend hinter sich. Aus einer Befragung von 949 Lehrkräften aller Schulformen, die der "Österreichische Bundesverlag" (öbv) gemeinsam mit der "School of Education" der Johannes Kepler Universität Linz (JKU) Anfang des Jahres durchgeführt hatte, ging hervor, dass 74 Prozent unserer Lehrkräfte "klar" oder "eher" für ein solches Verbot sind. Nur knapp 10 Prozent lehnen es "klar" ab.

Ab ins Säckchen: In vielen Schulen werden die Smartphones bereits jetzt vor Unterrichtsbeginn eingesammelt
Ab ins Säckchen: In vielen Schulen werden die Smartphones bereits jetzt vor Unterrichtsbeginn eingesammelt
Iris van den Broek / ANP / picturedesk.com

Die meisten Eltern auch Nicht anders das Votum der (erwachsenen) Bevölkerung des Landes. Auf heute.at wurde zu einem Bericht zum Thema folgende Frage gestellt: "Wie stehst du zu einem Handyverbot an Schulen?" Darunter konnte man – in anderer Reihenfolge – folgende Antwortmöglichkeiten anklicken:

a) Nicht gut, Handys gehören einfach zum Leben dazu
b) Ich finde die Idee der "Handykompetenz" besser
c) Kommt auf das Alter der Schüler an
d) Finde ich gut, die Schüler sollen lieber brav lernen

Das Ergebnis: Nur 5 Prozent der Leser klickten a) – "Verbot nicht gut" – an. 9 Prozent votierten für b) ("Handykompetenz"), 20 Prozent c) ("kommt aufs Alter an") 65 Prozent, also 2 von 3, erklärten, die Schüler sollten "lieber brav lernen".

An dieser Schule in Stuttgart sind Handys generell und auf dem gesamten Schulgelände verboten
An dieser Schule in Stuttgart sind Handys generell und auf dem gesamten Schulgelände verboten
Michael Bihlmayer / ChromOrange / picturedesk.com

Das sind Daumen mal Pi 80 Prozent Geht man davon aus, dass jene 20 Prozent, die das Handyverbot am Alter festgemacht haben wollen, gegen ein solches in den Oberstufen von AHS, BHS, Berufs- oder Maturaschulen sind, sehr wohl aber für eines in Volks- und eventuell auch Mittelschulen, entspricht das einem satten 80-Prozent plus-Votum für ein Handy-Verbot zumindest in der Pflichtschule.

Auch ÖVP und SPÖ dafür Wenig verwunderlich also, dass sowohl die SPÖ, deren Bildungsreferent in Kärnten einer der ersten war, die sich für ein Verbot stark gemacht haben, als auch die ÖVP – sie war namens ihrer Ex-Minister Faßmann und Polaschek noch für eine "schulautonome Lösung" anstelle eines "Verbots von oben" gewesen – auf den NEOS-Kurs gegangen sind. Von einer "altersgerechten Umsetzung des Verbots per bundeseinheitlicher Regelung" ist jetzt im Regierungsprogramm zu lesen.

Präferierte noch schulautonome Lösungen: Ex-Bildungsminister Martin Polaschek am Steirerball 2025
Präferierte noch schulautonome Lösungen: Ex-Bildungsminister Martin Polaschek am Steirerball 2025
Andreas Lepsi / picturedesk.com

Es drängen sich Fragen auf

Frage Nummer 1: Nutzt das Verbot dem Kind oder "nur" dem Lehrer? Zwar sind nämlich die negativen Folgen eines unkontrollierten und übermäßigen Handykonsums hinlänglich bekannt – digitale Leine, Manipulation durch "un-social media", reduzierter Sprachenerwerb, Verlust von Sozialkompetenz, etc. Offen bleibt aber die Frage, ob ein Handyverbot ausgerechnet in der Schule, wo ja ohnehin Kontrollmechanismen herrschen und vor allem die Schüler jüngerer Chargen nur einen geringen Teil ihrer Tageszeit verbringen, überhaupt signifikante Auswirkungen auf das Wohlbefinden unserer Kinder haben kann? Oder anders (und zugegeben polemisch) gefragt: Dient das Handyverbot vielleicht nur dem Wohlergehen unserer Lehrer, indem man ein Problem, mit dem sie lernen müssten umzugehen, "unsichtbar" macht?

Frage Nummer 2:  Wozu "von oben" verordnet, wenn autonom geregelt? Wozu braucht es ein bundeseinheitliches Handyverbot, wenn Schulen ja bereits jetzt autonom entscheiden können, "handyfrei" zu sein – und von dieser Möglichkeit auch ausgiebig Gebrauch machen. Aus der oben genannten Untersuchung des öbv geht nämlich hervor, dass die Handynutzung an 9 von 10 Schulen in Österreich (konkret bei 93 Prozent) per Hausordnung bereits "geregelt" ist, an fast jeder 2. Schule (40 Prozent) durch ein explizites Verbot im Unterricht.

Laut Umfrage der "School of Education" der Johannes Kepler Universität Linz  von Anfang des Jahres, finden 74 Prozent der Lehrer das generelle Handyverbot gut
Laut Umfrage der "School of Education" der Johannes Kepler Universität Linz  von Anfang des Jahres, finden 74 Prozent der Lehrer das generelle Handyverbot gut
Daniel Scharinger / Pressefoto Scharinger / picturedesk.com

Das denken die Leserinnen darüber

Aus einer Vielzahl von Leserinnen-Mails dazu will ich nun zwei hervorheben, weil sie Aspekte beinhalten, die trotz beschlossener Sache diskussionswürdig bleiben.

Dazu nun Leserbrief 1 des Neurologen Dr. Andreas Seiser, ehemaliger 1. Oberarzt an der Neurologischen Abteilung des Universitätsklinikums Tulln:

"(…) Ihre Gedanken in der Ausgabe Mo., 3.2., kann ich nicht unkommentiert lassen. Ich gehöre nämlich auch zu den "geschätzten 80 Prozent Befürwortern der handyfreien Schule", und das mit gutem Grund. Die Mehrzahl der Jugendlichen pflegt heute einen exzessiven Smartphone-Konsum, mit nachteiligen Folgen für ihre psychosoziale Entwicklung. (…)  Kinder und Jugendliche sind meistens nicht in der Lage, auf die Stopptaste zu drücken und das Smartphone wegzulegen.

Dies ist neurophysiologisch erklärbar. Manche Gehirnteile reifen erst mit Ende der dritten Lebensdekade völlig aus. Wenigstens in der Schule sollte deshalb Pause damit sein, und ja, manchmal sollte man die Kinder und Jugendlichen auch vor sich selber schützen. (…)"

Schob das Handyverbot noch als Wiener Bildungsstadtrat an: Nun ist Christoph Wiederkehr (NEOS, hier bei einem Besuch in einem Kindergarten am Montag) Bildungsminister und will bundesweit Smartphones aussperren
Schob das Handyverbot noch als Wiener Bildungsstadtrat an: Nun ist Christoph Wiederkehr (NEOS, hier bei einem Besuch in einem Kindergarten am Montag) Bildungsminister und will bundesweit Smartphones aussperren
HANS KLAUS TECHT / APA / picturedesk.com

Lehrer, Ärzte, Juristen gefragt Dr. Seiser weiter: "Ich denke, dass eine Kommission, bestehend aus an der täglichen Klassenfront stehenden Lehrerinnen und Lehrern und Wisenschaftler(innen) aus dem Gebiet Entwicklungsneurologie und Neuropsychologie, Kinder und Jugendpsychiatrie und Pädagogik, ggf. mit juristischem Beistand, entsprechende Vorschläge und Leitlinien erarbeiten sollte, basierend auf wissenschaftlichen Fakten. Dies könnte man auf einem entsprechenden Fachkongress präsentieren und damit noch der wissenschaftlichen Diskussion aussetzen."

Das Handy geht auf die Psyche In seinem Mail verwies mich der Arzt auf einen Artikel aus der Zeitschrift Spektrum Psychiatrie, Ausgabe 4/2024, der sich auf folgende Formel bringen lässt: Das Smartphone sorge mit seinen vielen Verwendungsmöglichkeiten für nahezu permanente Ablenkung. Dadurch würden die so genannten "Leerzeiten" im Tagesablauf immer knapper oder entfielen ganz. Diese seien jedoch für die Regeneration der Psyche von großer Bedeutung. Herunter gebrochen auf einen Satz: Übermäßiger Handykonsum könne psychische Belastungen verstärken bzw. die nötigen Entlastungen verhindern.

Aber was bringen "Richtlinien"? Ich kann nun mit einem anderen Artikel aufwarten, der die Richtigkeit der oben genannten These nicht in Frage stellt – im Gegenteil –, gleichzeitig aber die Sinnhaftigkeit eines restriktiven Umgangs mit dem Smartphone in der Schule relativiert. In der "SMART Schools-Studie" der Universität Birmingham, England, wurden nämlich gezielt die Auswirkungen verschiedener Handy-Richtlinien in Schulen untersucht.

An der Universität Birmingham wurden gezielt die Auswirkungen verschiedener Handy-Richtlinien in Schulen untersucht
An der Universität Birmingham wurden gezielt die Auswirkungen verschiedener Handy-Richtlinien in Schulen untersucht
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30 Schulen wurden verglichen 1.200 Schüler in 30 englischen Sekundarschulen wurden über den Zeitraum eines Schuljahres (2023) auf ihr psychisches Wohlbefinden getestet. Ein Drittel dieser Schulen (10) praktizierte einen eher lockeren Umgang mit dem Handy (das Telefon war im Unterricht weitgehend tabu, jedoch beispielsweise in Pausen, beim Mittagessen oder im Schulhof erlaubt). In den anderen 20 gab es ein rigoroses Handyverbot vom Betreten des Schulgebäudes bis Schulschluss.

Siehe da - kein Unterschied Ergebnis: Es fanden sich keine (!) Belege dafür, dass das strikte Handyverbot für mehr psychisches Wohlbefinden oder bessere schulische Leistungen gesorgt hätte. Ganz abgesehen davon führten die stringenten Regelungen auch nicht zu einer Reduzierung der Handy-Gesamtnutzungszeit: Die Schüler holten nach Schulschluss (vor allem in "social media") im Eiltempo nach, wozu sie in der Schule nicht gekommen waren.

Keine Zeit zu verlieren: Dürfen Kinder in der Schule nicht ans Handy, holen sie die verloren geglaubte Zeit vor und nach der Schule auf
Keine Zeit zu verlieren: Dürfen Kinder in der Schule nicht ans Handy, holen sie die verloren geglaubte Zeit vor und nach der Schule auf
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Handy-Missbrauch aprés School Victoria Goodyear, Hauptautorin der Studie: "Ja, wir haben einen Zusammenhang zwischen der Länge der Zeit, die man am Telefon und in sozialen Medien verbringt, und schlechteren Ergebnissen in der psychischen Befindlichkeit eines Kindes festgestellt (…) Aber wir dürfen uns nicht nur auf die Schulen konzentrieren, sondern müssen die Nutzung des Telefons auch außerhalb der Schule, über den ganzen Tag und die ganze Woche hinweg berücksichtigen."

Handyfreie Schule kein Game-Changer Die Autorin der Studie bestätigt, was viele Lehrerinnen hinter vorgehaltener Hand zugeben: Die handyfreie Schule sei keineswegs der Game-Changer, den sich viele Eltern erhofften. Eine Lehrerin in Wien sagt mir: "Seitdem bei uns das Handy im Spind ist, bis das Kind das Schulhaus verlässt, haben wir weniger Probleme, was uns sehr freut. Aber ich könnte nicht sagen, dass sich die Kinder deswegen geändert hätten.

Österreichs Lehrerinnen* stehen großteils hinter dem geplanten Handy-Verbot
Österreichs Lehrerinnen* stehen großteils hinter dem geplanten Handy-Verbot
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Vorbildwirkung? Dinge, wie Mobbing mit Snapchat, stundenlanges Gaming etc. passierten so eben vor und nach der Schule. "Nur wenn Eltern kommen und klagen, können wir jetzt viel öfter sagen: tut uns leid, wir sind nicht zuständig." Nachsatz: "Das hören meistens jene Eltern gar nicht gern, die in den fünf Minuten, die sie bei uns sitzen, zehnmal aufs Handy starren."

Handy im Kinderwagen Dazu passend das Mail eines AHS-Lehrers: "Da sehe ich in der U-Bahn fast täglich Mütter mit ihren Kindern auf dem Schoß oder im Kinderwagen, die vom Einsteigen bis zum Austeigen nur mit ihrem Mobiltelefon beschäftigt sind. Wenn das Kind zu quengeln beginnt oder anders auf sich aufmerksam macht, gibt es mütterlicherseits lautes Aufseufzen – man ist ja schwer beschäftigt – , danach wird gewischt oder geklickt, bis es vom Display tönt und blinkt, und dann kriegt das Kind das Handy in die Hand gedrückt."

Gib mir! Je mehr sich Eltern mit ihrem Smartphone beschäftigen, desto spannender wird das Gerät für ihre Kinder
Gib mir! Je mehr sich Eltern mit ihrem Smartphone beschäftigen, desto spannender wird das Gerät für ihre Kinder
Natalia Deriabina / Westend61 / picturedesk.com

Das wichtige Teil will ich auch! Von mangelnder Vorbildwirkung durch die Eltern spricht auch die Kinderärztin Arnika Thiede, die seit 18 Jahren in der "Entwicklungsmedizinischen Ambulanz" am Institut für Sinnes- und Sprachneurologie der Barmherzigen Brüder in Linz tätig ist. In einem Interview für die Presse klagte sie: "Wenn ich als Kind sehe, dass meine Eltern ständig mit dem Gerät beschäftigt sind, jedes Mal prompt reagieren, wenn der typische Gong ertönt, dann wünsche ich mir doch nichts sehnlicher, als ebenfalls so ein wichtiges Gerät zu haben. Kinder imitieren und spiegeln das Verhalten der Erwachsenen."

Schon 1- bis 2-Jährige hängen am Tablet Und weiter: "Teilweise werden Kinder schon im Säuglingsalter mit elektronischen Geräten beschäftigt, weil Eltern überfordert sind und keine Zeit finden, sich mit ihren Kindern zu beschäftigen." In Studien aus Europa und Österreich zeige sich, "dass bis zu 60 Prozent der Ein- und Zweijährigen regelmäßig das Handy oder Tablet benützen, und zwar nicht nur ein Mal kurz für fünf Minuten, sondern ein bis zwei Stunden am Tag."

Die Barmherzigen Brüder in Linz – hier arbeitet Kinderärztin Arnika Thiede
Die Barmherzigen Brüder in Linz – hier arbeitet Kinderärztin Arnika Thiede
Weingartner-Foto / picturedesk.com

Ein erschreckender Befund Kinderärztin Thiede: "Die Kinder lernen das Sprechen und die soziale Interaktion nicht. Das heißt, sie lernen beispielsweise nicht, dass man auf Dinge zeigt, dass es Blickkontakt braucht, dass man auch mit Mimik und Gestik kommunizieren kann. Bei uns in der Ambulanz landen diese Kinder ganz oft mit der Frage: 'Wieso spricht mein Kind nicht?' (…) Man redet von Medien-Autisten."

Wie hältst du's mit dem Telefon? Auch auf die Gretchenfrage hat die Kinderärztin eine klare Antwort. "In der Volksschule halte ich so ein Verbot für sinnvoll. Wenn hier keiner ein Handy hat, dann sind die Kinder auch ohne ein solches zufrieden. In den weiterführenden Schulen wäre es wohl besser, einen vernünftigen Umgang zu finden (…) Denn ich bin keine Medienpessimistin. Auch ich verwende digitale Medien. Es geht nur um den richtigen Umgang damit."

Definitiv zu früh: Viele Eltern geben bereits Zweijährigen Handy oder Tablet, um sie ruhig zu stellen
Definitiv zu früh: Viele Eltern geben bereits Zweijährigen Handy oder Tablet, um sie ruhig zu stellen
Getty Images/iStockphoto

Warum eigentlich die Aufregung? Damit zum zweiten Leser-Mail. Eine Mutter, die um Anonymität gebeten hat, schreibt mir:

"Ich verstehe die (mediale) Aufregung rund um dieses Thema nicht ganz. Die Schulen können ja jetzt schon Regeln erlassen und die Schüler:innen akzeptieren es, wenn es für alle gilt. Meine Tochter geht in die 2. Klasse ins (xxx-)Gymnasium. Schon bei den Tagen der offenen Tür und bei den ersten Elternabenden (vor Schuleintritt) wird den Eltern erklärt, dass in der gesamten (!) Unterstufe die Smartphones abgesammelt werden. Das ist einfach so für die 1. bis 4. Klassen, es gibt keine Diskussionen und es funktioniert sehr gut.

In der Praxis ist es so: Die Handys werden von der Lehrkraft der 1. Schulstunde (in jeder Klasse) abgesammelt und kommen in eine Box. Der Schlüssel befindet sich im Lehrerzimmer. In der letzten Stunde werden die Geräte den Kindern wieder ausgehändigt. In Notfällen, z.B. wenn ein dringender Anruf erwartet wird oder das Kind wegen eines Termins früher gehen muss, darf das Handy behalten werden."

Detto in der Nachmittagsbetreuung Und weiter: "Am Nachmittag gibt es ebenfalls ein Handyverbot, aber die Kinder haben die Geräte dann bei sich und die meisten halten sich daran. Am Schikurs war es so, dass die Handys (und Fernbedienungen 😉) von 21.30 bis 8 Uhr abgesammelt wurden. Während dem Schifahren blieben die Geräte am Zimmer."

"Wir sind natürlich klar dafür, dass Handys in den Schulklassen keinen Platz haben", sagt Wiens grünen-Chefin Judith Pühringer
"Wir sind natürlich klar dafür, dass Handys in den Schulklassen keinen Platz haben", sagt Wiens grünen-Chefin Judith Pühringer
Mirjam Reither / picturedesk.com

Blanke Scheinpolitik Für Judith Pühringer, Chefin der Wiener Grünen, ist das bundeseinheitliche Handyverbot "blanke Scheinpolitik". Es brauche keine neue Verordnung, schon gar nicht "von oben für alle gleich". Die Schulen würden, sagt sie, den Umgang mit Handys viel einfacher autonom lösen können. Und damit es da keine Missverständnisse gebe: "Wir Grüne sind natürlich klar dafür, dass Handys in den Schulklassen, vor allem in der Volksschule, keinen Platz haben."

Sehen andere ähnlich Die Psychologin Rosemarie Felder-Puig, nationale Leiterin der Studie "Health Behaviour in School-aged Children (HBSC)", hatte ich in einem früheren Text zum Thema so zitiert: "Wir brauchen Medienerziehung, die einen kritischen Umgang vor allem mit den Inhalten des Internets vermittelt. Es gehört auch zur Gesundheitskompetenz, dass die Kinder und Jugendlichen lernen, nicht alles für bare Münze zu nehmen (…) und sich nicht so stark beeinflussen zu lassen." Sie halte ein Handyverbot – "wenn überhaupt, dann höchstens" an Volksschulen für "vorstellbar".

"Wir brauchen Medienerziehung, die einen kritischen Umgang vor allem mit den Inhalten des Internets vermittelt", sagt die Psychologin Rosemarie Felder-Puig
"Wir brauchen Medienerziehung, die einen kritischen Umgang vor allem mit den Inhalten des Internets vermittelt", sagt die Psychologin Rosemarie Felder-Puig
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Lernen im externen Workshop Nun, die Realität hat das, was die Psychologin für nicht "vorstellbar" hielt, inzwischen nicht nur eingeholt, sondern überholt. Das österreichweite Handyverbot in Volks- und Mittelschulen ist so gut wie da (für AHS und BHS wird noch an juristischen Ecken und Kanten geschliffen).

In punkto "Medienerziehung" spielt man im Entwurf für ein bundesweites Verbot den Ball taktisch klug ins Out: "Davon (gemeint: einem Handyverbot) unbeschadet wird die Bedeutung der Medienpädagogik für den kompetenten Umgang von Schülerinnen mit digitalen Geräten betont. Volks- und Mittelschulen stehen hierzu auch externe Workshop-Angebote zur Verfügung", steht in der Wiener Fassung.

Handy, wenn die Lehrerin mag Im Unterricht soll es Ausnahmen von Handyverbot geben, wenn eine Lehrkraft "spezifische Lerninhalte" vermitteln will: "Ausnahmen von dieser Regelung können gemacht werden, wenn die Nutzung solcher Geräte im Rahmen des Unterrichts für spezifische Lerninhalte oder Projekte erforderlich ist. Die Entscheidung darüber liegt im Ermessen der jeweiligen Lehrperson."

Google Maps – oder doch lieber die alte Landkarte aus anno dazumal?
Google Maps – oder doch lieber die alte Landkarte aus anno dazumal?
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Google-Maps oder Landkarte? Da grüble ich nun, ob z. B. der "Lerninhalt" Grönland mit der Frage, ob dieses den USA, Dänemark oder vielleicht doch den Inuit gehört, für die "Nutzung solcher Geräte" wohl "spezifisch" genug ist? Wie viele "Lehrpersonen" werden wohl "ermessen", ihre Schüler zur digitalen Recherche auf Wikipedia und Google Maps zu schicken? Und wie viele werden weiterhin die gut eingestaubte Landkarte "Welt" aus dem GW-Kammerl holen und beim Ausrollen auf dem wackeligen Ständer seufzend feststellen, dass Myanmar auf dem "Lehrmittel" noch Burma heißt, der Kongo Zaire und ein Land namens Nordmazedonien noch gar nicht existiert?

* Wie stets, verwende ich die weibliche und männliche Form willkürlich wechselnd, alle anderen sind jeweils freundlich mit gemeint

Nikolaus "Niki" Glattauer, geboren 1959 in der Schweiz, lebt als Journalist und Autor in Wien. Er arbeitete von 1998 an 25 Jahre lang als Lehrer, zuletzt war er Direktor eines "Inklusiven Schulzentrums" in Wien-Meidling. Sein erstes Buch zum Thema Bildung, "Der engagierte Lehrer und seine Feinde", erschien 2010

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