Wie gesund ist präsident?
Sodbrennen, Schlafapnoe: So steht es um Biden wirklich
Immer mehr fordern seinen Rücktritt, inzwischen sogar Freund George Clooney. Was man über die Gesundheit von Joe Biden weiß, sein letzter Medizin-Check und warum in den USA so offen darüber gesprochen wird.
Beim NATO-Gipfel, der Dienstag in Washington startete, waren alle Augen auf ihn gerichtet. Wie schlägt sich Joe Biden auf der Konferenz, inmitten der 33 Staats- und Regierungschefs, die sich bis Donnerstag beraten und den 75. Jahrestag der Gründung des Verteidigungsbündnisses begehen? Kein Politiker, der bei der Ankunft nicht gefragt wurde, ob er oder sie sich Sorgen um die Gesundheit des US-Präsidenten mache. Die meisten ließen die Frage an sich abperlen.
Es war knapp vor 18 Uhr Ortszeit, also knapp vor Mitternacht in Österreich, als Biden am Dienstag das erste Mal beäugt werden konnte. Er hielt die zentrale Rede der Eröffnungszeremonie im Andrew W. Mellon Auditorium, die Bühne war in dunkles Blau und Rot gehüllt. Das erste Risiko war, dass Biden eine recht weite Strecke bis zum Podium zurückzulegen hatte und das vor den Kameras der Welt. Er schaffte es ohne Stolperer, sein Schritt wirkte diesmal sicherer.
Dann die Rede. Im TV-Duell hatte Biden teils entgeistert gewirkt, diesmal nicht. Er leistete sich kaum Versprecher. Links und rechts vom Podium standen diskret zwei transparente Teleprompter, von denen er den Text ablesen konnte, das half. Biden erledigte den Job mit der ganzen Erfahrung seiner politischen Karriere. "Die Ukraine wird Putin stoppen", rief er in den Saal, es gab Applaus, dann legte er dem scheidenden NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg die "Presidential Medal of Freedom" um den Hals, die höchste zivile Auszeichnung der USA. Auch das klappte.
24 Stunden davor, die Pressekonferenzen im Briefing Room des Weißen Hauses in Washington sind in der Regel zivilisierte Veranstaltungen. Sie finden recht häufig statt, in gewissen Phasen des politischen Lebens sogar täglich. Die Fragen sind oft hart, wenn statt einer Sprecherin ein Präsident wie Donald Trump dasteht, dann kann es auch griffig oder untergriffig werden. Aber was am Montag vor sich ging, ist eher selten zu erleben: ein wildes Gezanke zwischen Pressesprecherin Karine Jean-Pierre und Medienvertretern. Es ging – wieder einmal – um die Gesundheit des aktuellen US-Präsidenten.
Die TV-Debatte am 27. Juni auf CNN hat Amerika aufgeschreckt. Das Land erlebte einen Joe Biden, der nach Worten rang, sie oft nicht fand, geistig abwesend wirkte, Fragen nicht verarbeiten konnte, den Faden verlor und mit belegter Stimmte redete. Er sei erkältet, leide an den Folgen eines Jetlag, sei in Camp David auf die Konfrontation mit Donald Trump falsch vorbereitet worden, hieß es von seinem Team danach. Aber die Erklärungen halfen nicht. Die Gesundheit des aktuellen Präsidenten ist das vorherrschende Thema des Wahlkampfes, der noch nicht einmal richtig begonnen hat, und es gibt keinerlei Anzeichen dafür, warum die Quelle für die Debatten in den kommenden Monaten versiegen sollte.
Wie fit ist Biden wirklich? Reicht es für eine zweite Amtszeit oder nicht einmal für die ordnungsgemäße Beendigung der ersten? Die wichtigsten Fragen zum Thema und welche Antworten es darauf gibt?
Wieso wird über die Gesundheit eines Präsidenten so offen geredet?
Schlicht weil es in den USA so Tradition ist. In Österreich ist es nicht üblich, öffentliche Debatten über die Gesundheit von Bundespräsident, Kanzler oder anderen Spitzenpolitikern zu führen. Was Betroffene nicht selbst öffentlich machen, gilt als Privatsache. Politiker begeben sich teils sogar unter falschem Namen in Spitalsbehandlung. Ausnahmen bestätigen die Regel. Etwa 1996, als der damalige Bundespräsident Thomas Klestil mit einer Lungenembolie im Wiener AKH lag und das Land Bescheid wusste.
Werden Befunde in Österreich nie öffentlich gemacht?
Eher selten. 2016 entband Alexander Van der Bellen (Grüne) vor der Stichwahl gegen Norbert Hofer (FPÖ) seinen Arzt von der Schweigepflicht. Es hatte Gerüchte um eine Krebserkrankung von VdB gegeben. Er machte daraufhin über die Austria Presse Agentur seinen medizinischen Befund öffentlich. "Der ist super beinand", sagte sein Arzt, Krebsspezialist Christoph Zielinski. Van der Bellen habe "wirklich eine herrliche Lunge".
Waren Krankenakten in den USA schon immer öffentlich?
Mitnichten, es gab sogar viele Präsidenten, die schwere Erkrankungen verheimlichten. Grover Cleveland, Präsident von 1885 bis 1889 und dann noch einmal von 1893 bis 1897, ließ sich auf einer getarnten Yacht wegen Mundhöhlenkrebs operieren. Woodrow Wilson erlitt 1919 einen Schlaganfall, seine Frau Edith führte die Amtsgeschäfte weiter, die Öffentlichkeit erfuhr davon nichts. Franklin D. Roosevelt verheimlichte einen angeborenen Herzfehler. Erst in der Zeit von Dwight D. Eisenhower änderte sich die Sichtweise.
Warum wurden Krankenakten öffentlich?
Eisenhower strebte eine zweite Amtszeit an, aber es gab Bedenken, ob er fit genug dafür sei. Also zeigte er sich 1956 im Rollstuhl und ließ Reporter ans Krankenbett, um seine Erholung zu demonstrieren. Die Tablettensucht von John F. Kennedy Anfang der Sechzigerjahre wurde aber wieder unter den Teppich gekehrt. Tatsächlich öffentlich wurden die Gesundheitsberichte erst in der Ära von Richard Nixon, Präsident von 1969 bis 1974. Ab da unterzogen sich Präsidenten standardisierten Check-Ups und die wurden zumindest teilweise veröffentlicht, nicht jährlich, aber regelmäßig, berichtete Jacob M. Appel, Arzt und Medizinhistoriker dem "Miami Herald".
Ist ein US-Präsident verpflichtet, seine Gesundheitsstatus öffentlich zu machen?
Nein, es gibt kein Gesetz, das ihn dazu zwingen kann.
Werden alle medizinischen Daten öffentlich?
Nein, die Berichte sind zwar inzwischen sehr umfangreich, aber der Präsident muss zu jedem medizinischem Detail, das veröffentlicht wird, seine Zustimmung erteilen.
Werden bei den Check-Ups auch die geistigen Fähigkeiten untersucht?
Nein, und das wird auch häufig kritisiert, vor allem jetzt unter Joe Biden. Präsidenten können sich freiwillig kognitiven Tests unterziehen, Donald Trump war der Erste, der das gemacht hat. 2020 brüstete er sich damit, die Untersuchung "mit Bravour" bestanden zu haben.
Wie wird die geistige Fähigkeit untersucht?
Das gängigste Verfahren ist der "Montreal-Cognitive-Assessment-Test", oder kurz MoCa genannt. Er wurde von Dr. Ziad Nasreddine zwischen 1992 und 2000 entwickelt, vor allem um beginnende Demenz zu erkennen. Man lässt Menschen Ziffernblätter zeichnen, vier verschiedene Wörter mit zeitlichem Abstand wiederholen, sie substrahieren oder in einer Minute möglichst viele Wörter nennen, die mit einem bestimmten Buchstaben beginnen.
Was aber ist nun bei der Pressekonferenz im Weißen Haus passiert?
Wer das Weiße Haus besucht, muss sich in eine Liste eintragen, die für Reporter einsehbar ist. Deshalb erfuhren sie, dass Dr. Kevin Cannard, ein Neurologe am Walter Reed National Military Medical Center, der sich auf Bewegungsstörungen spezialisiert hat, in den vergangenen acht Monaten acht Mal in Weißen Haus war. Damit konfrontierten die Medienvertreter am Montag Pressesprecherin Karine Jean-Pierre und die wich aus. Sie weigerte sich, die Frage zu beantworten, ob der Parkinson-Arzt den Präsidenten besucht habe, sie wollte nicht einmal dessen Namen bestätigen. Das sei eine "Maßnahme der Privatsphäre", sagte sie und das obwohl das Weiße Haus des Namen des Arztes längst veröffentlich hatte. Es gab Wortgefechte.
Wie versuchte die Sprecherin das Thema kleinzureden?
Der Präsident habe im Rahmen seiner medizinischen Tests drei Mal einen Neurologen gesehen, sagte Jean-Pierre. "Nicht mehr als das." "Drei Mal", das wiederholte sie laut der Agentur "AP" im Laufe der Pressekonferenz 17 Mal. Wann und wo die Checks stattgefunden hätten, wollte sie nicht sagen. Montag um 21:40 Uhr veröffentlichte dann der Arzt des Weißen Hauses, Dr. Kevin O'Connor, eine Erklärung. Die meisten Besuche von Dr. Cannard hätten der Behandlung anderer Menschen gegolten, die im Weißen Haus arbeiten. Aber Zweifel bleiben.
Wie fit ist nun Joe Biden?
Darüber gehen die Meinungen auseinander. Sein letzter medizinischer Check-Up stammt vom Februar 2024. Eine sechsseitige Zusammenfassung wurde "auf Verlangen des Patienten" am 28. Februar veröffentlicht. Biden war davor im Walter Reed National Military Medical Center von einem Ärzteteam untersucht worden. Das Militärspital in Bethesda, Maryland, ist ein Riesenkomplex aus 100 Kliniken mit 7.100 Angestellten. Biden wurde von zehn Fachabteilungen gecheckt, Zähne, Augen, Haut, Herz, Wirbelsäule, Beine oder Schlafverhalten, es wurde allerlei untersucht.
Was waren die Ergebnisse?
Zunächst ist im "Health Summary" angeführt, was sich seit dem letzten Bericht vom Februar 2023 verändert hat: Biden leidet schon länger an einer obstruktiven Schlafapnoe (OSA), also einem teilweisen oder vollständigen Verschluss der oberen Atemwege, der während des Schlafs auftreten und zu einem Atemstillstand führen kann. Er wurde mehrmals deswegen an Nase und Nebenhöhlen operiert, das habe den Zustand verbessert, so der Bericht. Biden habe aber im Frühjahr an einer Schlafstudie teilgenommen und verwende wegen der Ergebnisse seither in der Nacht eine Schlafmaske. Über die Maske wird ihm dauerhaft Frischluft zugeführt ("Positive Airway Pressure"). Biden habe anfangs Einschlafprobleme mit der Maske gehabt, berichtet sein Leibarzt, inzwischen habe man ein Produkt gefunden, das er gut verträgt.
Was noch seit Februar 2023 passierte?
Biden musste sich im Juni 2023 einer Zahnoperation mit Wurzelbehandlung unterziehen. Sie wurde unter lokaler Betäubung im OP des Weißen Hauses durchgeführt, es sei zu keinen Komplikationen gekommen.
Woran leidet Biden schon länger?
Weil er als Jugendlicher viel Sonne abbekommen hat, musste ihm noch vor Antreten der Präsidentschaft an mehreren Stellen oberflächlicher Hautkrebs entfernt werden, es gab und gibt keine Melanombildung. Biden verfügt an einigen Stellen von Füßen und Knöcheln über ein eingeschränktes Hitze-/Kältegefühl. Und er leidet zeitlebens an saisonalen Allergien.
Warum seine Stimme beim TV-Duell belegt war?
Sein Team sagt, er wäre erkältet gewesen. Im Medizinbericht steht, dass er an gelegentlichem Reflux leidet, also Rückfluss von Magensäure. Deshalb müsse er sich häufiger räuspern, leide an gelegentlichem Husten und belegten Nasennebenhöhlen.
Wie ist der Gesamtzustand des Präsidenten?
Er ist 1,83 Meter groß, wiegt 81 Kilo, sein Body Mass Index beträgt 24,1, sein Blutdruck 132/78, Puls 64, Sauerstoffsättigung 98 Prozent. Er ist seit 46 Jahren verheiratet, konsumiert keine Tabakprodukte und trinkt keinen Alkohol. "Präsident Biden ist ein gesunder, aktiver, 81-jähriger Mann, der in der Lage ist, das Präsidentenamt erfolgreich auszuführen", heißt es im Bericht. Aber …
Welche Medikamente nimmt Biden ein?
Sechs verschiedene: Apixaban (hemmt die Blutgerinnung) , Rosuvastatin (Cholesterinsenker), Fluticason (Nasenspray gegen allergische Rhinitis), Fexofenadin (Antiallergikum gegen Heuschnupfen und Nesselsucht), Famotidin (Magensäurehemmer), Esomeprazol (Magensäurehemmer).
Wodurch erklärt sich sein auffälliges Gangbild?
Die Bidens haben zwei Schäferhunde, Major und Champ. Beim Spazierengehen stolperte der Präsident im November 2020, zog sich Haarrisse in den Mittelfussknochen zu und musste ein paar Wochen eine Schiene tragen. Seither zeige er ein "spürbar steiferes Gangbild", so der Bericht. Die steife Körperhaltung sei eine Folge von Wirbelgelenksarthrose, die in unterschiedlichen Schweregraden zwischen "mäßig" bis "schwerwiegend" ausgeprägt sei. Es würden aber keine Nervenwurzeln abgedrückt, deshalb sei keine spezielle Behandlung nötig. Schlussfolgerung: "Die Kombination aus Wirbelgelenksarthrose, der Arthritis als Folge der Fußverletzung und einer sensorischen Nervenschädigung der Füße ist die Erklärung für das steife Gangbild." Biden muss jetzt mehr Stretching machen, mindestens vier bis fünf Mal die Woche.
Lässt sich Biden nun neurologisch untersuchen?
Nein, das lehnt er ab, zuletzt im ersten Interview nach der TV-Debatte. ABC-Moderator George Stephanopoulos fragte den Präsidenten, ob er sich einer kognitiven Untersuchung stellen und die Ergebnisse danach veröffentlichen würde. Nein, antwortete Biden, das sei überflüssig. "Ich absolviere jeden Tag einen kognitiven Test. Wissen Sie, ich mache nicht nur Wahlkampf, ich regiere die Welt."