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"The Jinx": Der Unglücksbringer kehrt zurück
Real-Crime-Serien gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Doch die erste Staffel von "The Jinx", zu Deutsch "Der Unglücksbringer", gilt als Meilenstein des Genres. Nun startet Staffel 2 auf Sky X.
2015 erschütterte die HBO-Produktion "The Jinx" – zu deutsch "Der Unglücksbringer" – die amerikanische Nation. In der Doku-Serie wird versucht, die Frage zu beantworten, ob der exzentrische Millionenerbe Robert Durst tatsächlich bis zu drei Menschen ermordet hat, was ihm zwar seit langem vorgeworfen wurde, aber niemals bewiesen werden konnte. Durst selbst unterstützte die Arbeit an der Serie ausgiebig – und verplapperte sich dann, indem er in einem Moment, als er die Mikrofone ausgeschaltet wähnte, zu sich selbst sagte: "Ich habe sie alle umgebracht, natürlich." Nun beleuchtet die zweite Staffel von "The Jinx", wie es nach diesem fatalen Geständnis mit Robert Durst weiter ging.
True-Crime-Klassiker Im Wildwuchs der True-Crime-Dokuserien gilt der Fall Robert Durst und seine dokumentarische Aufarbeitung in dem Sechsteiler "The Jinx" inzwischen als so etwas wie ein Klassiker, der neben Formaten wie "Making a Murderer" (Netflix) den Hype um das Genre mitbegründet hat. Im Zentrum dieser Serien stehen oft Menschen die brutaler Gewalttaten beschuldigt werden – ob zu recht oder nicht, weiß man anfangs meistens nicht so genau – und die vor Gericht um ihre Umschuld kämpfen. Für die Zuseher ist das deswegen spannend, weil oft bis zum Schluss unklar ist, was wirklich passiert ist, wer hier die Wahrheit sagt und ob es sich bei den Protagonisten um manipulative Psychopathen oder doch um tragische Opfer der Justiz handelt.
Glaubensfrage Am Ende muss bei diesen Shows das Publikum bis zu einem gewissen Grad selbst entscheiden, was und wem es glaubt. Die Eigenarten des US-Rechtssystems tragen ein Übriges zur Faszination für diese Formate bei. Gerade öffentlich übertragene Prozesse werden oft zu rhetorischen Schaukämpfen gewiefter Anwälte, zu einem inszenierten Schauspiel, wo um das Votum der Jury gebuhlt wird, die schließlich über das Schicksal des Angeklagten entscheidet.
Doch schuldig? Bei der ersten Staffel von "The Jinx" lief das etwas anders ab. Regisseur Andrew Jarecki begleitete dafür Robert Durst, Jahrgang 1943 und der reiche Spross eine amerikanischen Immobilien-Dynastie, jahrelang mit der Kamera. Der damals knapp 70-jährige Durst hatte im Jahr 2003 einen Mordprozess unbeschadet überstanden. Ihm wurde vorgeworfen, seinen damaligen Nachbarn getötet und danach zerstückelt zu haben, doch die Geschworenen sprachen Robert Durst frei. Er galt vor der Justiz als unschuldiger Mann.
Dubioser Freispruch Zweifel an Dursts Unschuld gab es zwar weiterhin, vor allem von Seiten der Angehörigen seiner vermeintlichen Opfer. Ausschlaggebend dafür waren nicht zuletzt die reichlich dubiosen Umstände seines Freispruchs. Denn Durst bestritt zwar den Mord, gestand aber die Zerstückelung seines Nachbarn ein – und die Jury glaubte ihm.
Zwei weitere Fälle Darüber hinaus wurden Durst über die Jahre zwei weitere Gewalttaten angelastet: Zum einen das Verschwinden seiner ersten Ehefrau Kathleen McCormack Durst im Jahr 1982, zum anderen der Mord an seiner langjährigen Freundin Susan Berman im Jahr 2000. Er galt in den beiden Fällen, in denen es nicht zum Prozess kam, als Verdächtiger, es wurde ermittelt, er wurde vernommen, aber nicht angeklagt.
Ungewöhnliche Umstände Regisseur Andrew Jarecki rollte in der ersten Staffel seiner Serie, die 2015 erstausgestrahlt wurde, diese drei alten Fälle erneut auf und betrieb zudem eigenständige Recherchen. Animiert dazu hatte ihn Robert Durst selbst. Dieser hatte zuvor Andrew Jareckis Spielfilm "All Beauty Must Die" aus dem Jahr 2010 mit Ryan Gosling und Kirsten Dunst gesehen, der durch die wahre Lebensgeschichte von Robert Durst inspiriert war. Robert Durst mochte den Film, kontaktierte den Regisseur und bat darum, zu den Mord-Vorwürfen gegen ihn interviewt zu werden. Das ließ sich Filmemacher Jarecki nicht zweimal sagen.
Vorschroben charismatisch Aus einem Interview wurden viele, es entstand zuerst die Idee eines Dokumentarfilms und später, als Jarecki immer mehr Material zutage förderte und Robert Durst sich immer mehr öffnete, die Idee zur Serie. Robert Durst selbst erschien in "The Jinx" dann als eine eigenartige, eigenbrötlerische, verschroben charismatische Persönlichkeit, was den Fall umso mysteriöser machte. Hinzu kam sein schillernder familiärer Hintergrund: Spross einer reichen amerikanischen Immobilien-Dynastie (übrigens mit österreich-ungarischem Hintergrund), elitär aufgewachsen und von früh auf viel in der Welt unterwegs.
Harmloser älterer Herr? Auf den ersten Blick wirkte Robert Durst in "Jinx" denn auch wie ein eher introvertierter, sehr schräger und exzentrischer, aber harmloser älterer Herr, dem man alleine aufgrund seiner schmächtigen Physis kaum Mord und Totschlag zutrauen würde. Gleichzeitig tauchten aber immer neue Indizien auf, die Durst in Bedrängnis brachten und ihn in Widersprüche verwickelten. Bis zur letzten Episode, für die er sich noch einmal vor der Kamera mit Regisseur Jarecki unterhalten wollte.
"Killed them all, of course" Der Regisseur stellte dabei wie gehabt Fragen zu den Mordfällen, konfrontierte Durst mit offensichtlichen Widersprüchen, der aber hatte für alles eine Erklärung parat, ließ die Vorwürfe an sich abperlen. Bis er irgendwann eine Toilettenpause machte, aber dabei vergaß, sein Körper-Mikro zur Audio-Aufzeichnung abzulegen bzw. auszuschalten. Und während er am stillen Örtchen saß, war zu hören, wie er ein genuscheltes Selbstgespräch führte, das in dem Satz gipfelte: "Killed them all, of course". Danach endete die Serie, das Publikum saß mit offenen Mündern vor den Fernsehgeräten, das FBI verhaftete Robert Durst und die Serie wurde zur Medien-Sensation.
Tonmitschnitt Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass es sich bei diesen fünf berühmten Worten um einen Zusammenschnitt handelt, den Jarecki und sein Team vorgenommen hatten. Tatsächlich murmelt Durst auf der Aufnahme noch einiges anderes vor sich hin, manches unverständlich, vieles zusammenhanglos, einiges schwer einzuordnen. In der auf dieses "Geständnis" folgenden Gerichtsverhandlung wurde der komplette Tonmitschnitt abgespielt und öffentlich gemacht (siehe auch Video unten):
"There it is. You're caught! … You're right, of course. But you can't imagine the rest of them. … I don't know what's in the house … Oh, I want this … What a disaster … He was right. I was wrong. And the burping … I'm having difficulty with the question … What the hell did I do? Killed them all, of course."
"Da ist es. Du bist ertappt! ... Du hast natürlich recht. Aber den Rest kannst du dir nicht vorstellen. Ich weiß nicht, was in dem Haus ist... Oh, ich will das... Was für eine Katastrophe... Er hatte Recht. Ich hatte Unrecht. Und das Rülpsen ... Ich habe Schwierigkeiten mit der Frage ... Was zum Teufel habe ich getan? Ich habe sie natürlich alle umgebracht."
Die ganze Wahrheit Die Behörden, die das belastende Filmmaterial bereits seit 2013 hatten, nahmen Robert Durst am Vortag der Ausstrahlung der letzten, entscheidenden Episode in New Orleans fest. Und Regisseur Jarecki lud Bekannte von Robert Durst, Ermittler und Anwälte, aber vor allem Angehörige seiner vermeintlichen Opfer zur Ausstrahlung der letzten, dramatischen Folge von Staffel 1 zu sich ein und ließ ihre Reaktionen auf das de facto-Geständnis – Schock, Wut, Ungläubigkeit, aber auch Erleichterung darüber, nun endlich die Wahrheit zu kennen – mit der Kamera festgehalten.
Rekonstruktion Mit dieser sehr authentischen Gefühlspalette beginnt nun Staffel 2 der Real-Crime-Dokuserie. Diese ist primär eine Rekonstruktion dessen, was zwischen 2015 und 2023, also nach der Festnahme Robert Dursts, geschah. Durst selbst wird nicht mehr direkt interviewt, ist aber in Videoaufnahmen von Verhören sowie in zahllosen Telefonaten aus dem Gefängnis zu sehen und zu hören.
Fluchtversuch Die Filmemacher schildern Robert Dursts Versuch, im Lauf der Ausstrahlung von Staffel 1 unterzutauchen, bebildert ist das mit Aufnahmen von Überwachungskameras. Durst spürte scheinbar das Unausweichliche mit jeder Folge, die ausgestrahlt wurde, näher kommen und plante ein Flucht mit abstrusen Methoden (etwa eine Ganzgesichtsmaske aus Gummi), konnte aber dennoch gefasst werden, bevor er sich absetzen konnte.
Netz aus Günstlingen Dabei deckt die Serie auch ein dichtes Netz aus Freunden und Günstlingen auf, das Durst über die Jahre um sich gesponnen und durch (finanzielle und emotionale) Abhängigkeiten an sich gebunden hatte. So sehen wir einen Geschworenen aus Dursts Prozess von 2003, der den Millionär damals freigesprochen hatte und danach zu seinem "Freund" wurde, wie er mit seiner Frau Dursts Sachen aus einem Hotel, in dem sich dieser versteckt gehalten hatte, entfernt und Durst so indirekt bei der geplanten Flucht hilft.
Der beste Freund als Mörder Auch sehen wir Dursts ehemals besten Freund und Wegbegleiter Nick Chavin, selbst eine bekannte Persönlichkeit und Ex-Musiker (Album "Country Porn"), der jahrelang nicht wissen wollte, was er sah und nicht sehen wollte, was er wusste. Chavin blendete die Option, sein bester Freund könnte ein Mörder sein, aus, relativierte Vorwürfe und Beweise, selbst die mögliche Tat. Zum Ende hin kämpft er mit der sich immer mehr offenbarenden Gewissheit, dass er jahrelang belogen und benutzt wurde.
Prozess wegen Mordes In den gezeigten Telefonaten und Verhören beteuert Durst weiter seine Unschuld. Es wird offenkundig, dass auch andere von diversen Ungereimtheiten wussten, eingeweiht waren, ihn jahrelang deckten und schützten - und davon profitierten. Die Anklage gegen Durst gipfelte schließlich in einem Prozess wegen Mordes an Susan Berman, der Anfang 2020 begann. Doch aufgrund des Ausbruchs der Corona-Pandemie und einer schweren Covid-Erkrankung Dursts musste die Verhandlung abgebrochen und verschoben werden, bis der eigentliche Prozess schließlich im Jahr 2021 stattfand.
Irreführung bis zum Ende Im Laufe der 6 Folgen der zweiten Staffel ist auch der schleichende gesundheitliche Verfall des Protagonisten zu beobachten – wobei nie ganz klar wird, was davon echt und was gespielt ist. Bei dem schlussendlichen Kreuzverhör von Durst, der sich selbst dazu entschied, in den Zeugenstand zu treten, ist ein kranker, gebrechlicher alter Mann mich brechender Stimme zu sehen, der aber immer noch meisterhaft das Spiel der Irreführung beherrscht. Gegenüber Staatsanwalt John Lewin gibt er sich respektlos und aggressiv. Doch irgendwann war auch dieses Spiel zu Ende. Im Oktober 2021 wurde Robert Durst wegen Mordes zu lebenslanger Haft ohne Bewährung verurteilt. Nur drei Monate später, am 10. Jänner 2022, starb Robert Durst.
Im Kaninchenbau Für Fans von "The Jinx" ist Staffel 2 ein Muss: Ihnen werden hier zahlreiche neue Erkenntnisse präsentiert, sie können in ein dubioses Netz aus Lügen, Halbwahrheiten und Irreführungen eintauchen, in einen regelrechten Kaninchenbau. Als solcher stellte sich schließlich das Leben dieses Exzentrikers heraus und in dem verschwanden viele seiner Weggefährten und fanden letztlich nicht mehr heraus. Zu sehen sind auch Interviews mit Dursts Verwandten. Und es wird auch eine neue Protagonistin in diesem verworrenen Bild präsentiert, Dursts zweite Frau Debrah Lee Charatan, die eine zentrale Rolle bei der Frage um sein finanzielles Erbe spielen sollte. Durst hatte sie Ende 2000 geheiratet – wenige Tage vor dem Tod von Susan Berman.
Fazit Die neuen Folgen erreichen nicht ganz die Qualität und Faszination von Staffel 1, da inzwischen vieles schon bekannt und anderswo nachzulesen ist und der "Big Bang" am Ende fehlt. Trotzdem geht die zweite Staffel über eine nur zweckmäßig nachgeschobene Fortsetzung hinaus. Penible Recherche trifft hier auf akkuraten Schnitt, ergänzt durch einen tollen Soundtrack mit einer genialen Titelnummer. Und im Zentrum des Ganzen steht eine der schrägsten Figuren der jüngeren US-Kriminalgeschichte.
"Der Unglücksbringer: Das Leben und die Tode des Robert Durst", Staffel 2, USA 2024, 6 Folgen à ca. 40-50 Min., ab 31. August auf Sky X