Schmutzwasser
War das der ekeligste Bewerb der Olympischen Spiele?
Beim Triathlon mussten zwei Trainings abgesagt, das Rennen verschoben werden, die Seine war zu verschmutzt. Am Mittwoch klappte es endlich. Die Hintergründe einer 1,4-Milliarden-Notwasserung.
Es war eine kühne Idee. Einfach das Rad zurückdrehen bis 1900. Da fanden in Paris ebenfalls Olympische Sommerspiele statt, in der Seine wurde gerudert, geschwommen, gesegelt, es fand das Wasserballturnier statt, eine Selbstverständlichkeit damals. 124 Jahre später wollte man nun an die Tradition anknüpfen, mehrere Bewerbe wie Marathonschwimmen, Triathlon und Paratriathlon sollten im Pariser Hauptfluss stattfinden. Der allerdings leidet bis heute unter einem Problem: Die Seine ist bis über den Grenzwert der Ekeligkeit hinaus verdreckt.
Also schritt Frankreich zur Tat, nahm viel Geld in die Hand und startete ein Säuberungsprogramm. Das zeigte Wirkung, aber der Erfolg stellte sich nicht sofort ein. Beide Triathlon-Trainings in der Seine mussten abgesagt, das Rennen der Männer am Dienstag verschoben werden. Die Qualität des Wassers ließ nichts anderes zu. Paris hatte den Nachtscherm auf und die Welt zeigte spöttisch mit dem Finger auf die Stadt. Aber dann kam es doch anders. Trümmerlsuche in einer besch … Angelegenheit:
Was muss man über die Seine wissen?
Sie entspringt in der Region Bourgogne-Franche-Comté (Hauptstadt Dijon), an der Grenze zur Schweiz. Von dort fließt sie westwärts und mündet nach 775 Kilometern bei Le Havre in den Ärmelkanal. Paris liegt am Weg, das 13 Kilometer lange Seineufer der französischen Hauptstadt steht – Verschmutzung hin oder her – auf der Liste des Weltkulturerbes der UNESCO.
Warum ist die Seine so schmutzig?
Der Fluss hat den Spitznamen "Toilette von Paris" und das nicht zu Unrecht. Die Kanalisation der dicht besiedelten Stadt ist überaltert, lückenhaft, die Kläranlagen sind überfordert. Am Ende landet viel Abwasser im Fluss. Dann gibt es noch Industriebetriebe (Auto, Petrochemie) im Umfeld der Stadt. Und die Seine ist stark befahren. Selbst während der Olympischen Spiele bewegen sich 450 Schiffe am Tag durch die Stadt.
Was war eigentlich der Plan?
2015 bewarb sich Paris für die Olympischen Sommerspiele 2024. Da sich nach und nach alle Konkurrenten zurückzogen, bekam man 2017 die Veranstaltung zugesprochen. Da war den Verantwortlichen längst klar, dass in die Infrastruktur der Stadt Milliarden investiert werden müssen. Eine der Hauptsorgen: die Seine. An ihrer Sanierung wird seit den achtziger Jahren gearbeitet, nun aber kam Schwung in die Sache und es gab richtig Geld dafür – 1,4 Milliarden Euro. Der "Plan Baignade" (zu Deutsch: Schwimmplan) konnte 2016 starten.
Was waren die ehrgeizigen Ziele?
Olympia stand nicht allein im Fokus, war aber die Triebfeder. Ab 2025 soll das Schwimmen in der Seine wieder für alle möglich sein. In der Region Île-de-France entstehen bis dahin 23 Badeplätze, davon drei in Paris selbst.
Was ist daran denn Besonders?
Das Baden in der Seine ist seit 1923 offiziell verboten. Lange hielten sich die Pariser nicht daran, in den Sechzigerjahren aber war der Fluss dann schließlich so verdeckt, dass immer mehr Schwimmwütige erkrankten.
Was ist mit dem vielen Geld passiert?
Paris verfügt grundsätzlich natürlich über Kanalisation und Kläranlagen. Regnet es aber stärker, dann laufen die Anlagen voll. Die Seine fungiert dann als eine Art Überlaufbecken, überschießende Wassermengen schwappen in den Fluss, auch alle Abwässer, Fäkalien inklusive. Um dies auszugleichen, wurde mit der Errichtung von Auffangbecken begonnen. In ihnen sollte das Wasser "zwischengelagert" werden, um es später in die (ausgebauten) Kläranlagen zu leiten und dort zu säubern. Das größte Projekt, das Bassin d'Austerlitz im 13. Arrondissement ging im Mai 2024 in Betrieb. Das Auffangbecken fasst 50.000 Kubikmeter Wasser, das ist so viel wie zwanzig olympische Schwimmbecken (50 x 25 Meter).
Was wurde noch gemacht?
260 auf der Seine stationierte Hausboote wurden an Kanalisationsnetze angeschlossen, die eigens errichtet worden waren. Bis auf einen (Bois de Boulogne) wurden bis Sommer 2022 alle Pariser Quais ans Kanalnetz angestöpselt, ebenso 23.000 Wohnungen, für die Bewohner gab es bis zu 6.000 Euro Förderung. Es wurden auch Vegetationsflächen geschaffen, um Wasser besser versickern zu lassen. Und: Für die Seine wurde ein engmaschiges Überwachungs-, Kontroll- und Warnsysteme etabliert.
Was war das Ergebnis der Maßnahmen?
Zunächst lief alles paletti. Zwischen dem 20. Juli und dem 11. August 2022 etwa wurden am Standort der olympischen Schwimmwettkämpfe in der Seine Probemessungen durchgeführt, bei 91 Prozent war die Wasserqualität gut. Im Sommer 2023 war das Baden durchschnittlich an 7 von 10 Tagen möglich, man sprach von "ausgezeichneten Ergebnissen". Am 5. und 6. August 2023 aber konnten dann Probewettkämpfe nicht durchgeführt werden. Man schrieb das dem schlechten Wetter (Regenrekord seit 1965) und einem kaputten Ventil in einer Wasseraufbereitungsanlage zu.
Aber es wurde nicht besser, oder?
Nein, am 16. Juni – fünf Wochen vor Start der Spiele – wurden neue Wasserproben öffentlich. Sie zeigten, dass die Grenzwerte erneut überschritten wurden. Eine Probe für die Eröffnungsfeier musste abgesagt werden. "Die Wasserqualität bleibt aufgrund eines ungünstigen hydrologischen und meteorologischen Kontextes beeinträchtigt", lautete die offizielle Stellungnahme. Zu viele Fäkalien im Fluss, das war die inoffizielle Wahrheit.
Aber die Pariser Bürgermeisterin ging doch schwimmen …
Im Februar hatte Staatspräsident Emmanuel Macron angekündigt, in der Seine baden zu wollen. Das Datum ließ er offen, er hat sich nie mehr dazu geäußert. Am 19. Juli, also eine Woche vor Eröffnung der Spiele, wagte sich aber die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo in die Fluten. Sie überlebte und freute sich: "Wir haben ganz viel gemacht, damit das Wasser sauber wird. Man kann jetzt in dem Fluss schwimmen", sagte sie. Das war wohl etwas voreilig.
Was passierte danach?
Wer die Eröffnung gesehen hat, weiß: Es hat Freitag und Samstag in Paris stark geregnet. Das schwemmte erneut Abwasser und Fäkalien in die Seine. Sie war wieder die "Toilette von Paris". Folge: Beide Schwimmtrainings am Sonntag und am Montag mussten abgesagt werden. Für Dienstag, 8 Uhr, war der Triathlon-Start der Männer geplant, aber dazu kam es nicht. Um 4.30 Uhr in der Früh erfuhren die 55 Athleten: das Rennen wird verschoben. Zunächst hieß es auf Freitag, dann doch auf Mittwoch.
Was war jetzt der Plan?
Die Frauen starteten Mittwoch um 8 Uhr wie geplant, die Männer folgten dann um 10.45 Uhr. Die Entscheidung dazu fiel kurzfristig. Die Proben gehen nämlich in ein unabhängiges Labor und das braucht 24 Stunden für die Auswertung. Das gab am Mittwoch in der Früh grünes Licht, die Bewerbe konnten stattfinden.
Wie schaut es mit dem Wetter aus?
Es waren auch für Mittwoch Regenfälle angekündigt, aber erst für den Nachmittag. Die Niederschläge hätten die Wasserqualität noch weiter verschlechtern können. Wäre am Mittwoch kein Schwimmen möglich gewesen, hätte es eine weitere Verschiebung gegeben.
Welche Strecken müssen die Athletinnen und Athleten bewältigen?
1,5 Kilometer schwimmen, sieben Runden zu je 5,715 Kilometer radeln, unter anderem auf der Champs-Élysées, dann 42 Kilometer laufen. Für Österreich starteten bei den Männern Alois Knabl und Tjebbe Kaindl, bei den Frauen Julia Hauser und Lisa Perterer.
Was wird für die Wasserqualität gemessen?
Die Werte für zwei Bakterien werden ermittelt, Escherichia coli, oder E. coli, und Enterokokken. Die beiden sind selbst grundsätzlich nicht das Risiko, sie lassen aber Rückschlüsse auf die Belastung des Gewässers mit Darmbakterien zu. Die eigentliche Gefahr sind Noroviren, sie können bereits in geringen Dosen Magen-Darm-Infektionen verursachen. "Man muss nur ein paar Viruspartikel verschlucken, um mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit an einer Gastroenteritis zu erkranken", erläutert die Mikrobiologin Françoise Lucas in der "Süddeutschen Zeitung".
Warum ist es gefährlich, in dreckigem Wasser zu schwimmen?
Virale Infektionen können nachhaltige Probleme verursachen. Die deutsche Triathletin Emma Froden musste mit 33 ihre Karriere beenden, weil sie sich auf Bali einen Cytomegalovirus eingefangen hatte.
Wie hoch waren die Werte in der Seine?
Darüber wird nicht gern geredet. Angeblich sollen die Grenzwerte schon bei der Schwimmshow der Pariser Bürgermeisterin vor den Spielen überschritten worden sein. Laut Vorgaben darf das Wasser nicht mehr als 1.000 koloniebildende Einheiten (KBE) von E. coli pro 100 Milliliter enthalten, der Grenzwert für Enterokokken beträgt 600 KBE. Laut der Tageszeitung "Le Monde" lag der E.-coli-Wert am Sonntag bei 2.000 KBE, für den Dienstag gaben die Organisatoren Werte zwischen 950 und 1.500 KBE an.
Warum das Ganze für Paris peinlich ist
Weil es keinen Plan B gab. Im schlimmsten Fall wäre das Schwimmen buchstäblich ins Wasser gefallen. Es hätte dann einen Duathlon mit der Abfolge Laufen, Radfahren und nochmals Laufen gegeben. Das hätte das Feld der Favoriten durcheinander gewirbelt und "es ist eine andere Sportart", sagten einige Athleten.
Und wie ging das Rennen nun aus?
Bei den Frauen siegte die Französin Cassandre Beaugrand vor der Schweizerin Julie Derron und der Britin Beth Potter. Julia Hauser landete auf Platz 32, Lisa Perterer auf Platz 50. 51 Frauen kamen ins Ziel. Bei den Männern siegte der Brite Alex Yee vor Hayden Wilde (Neuseeland) und Leo Bergere (Frankreich). Alois Knabl wurde 23., Tjebbe Kaindl 33. Es kamen 50 Athleten ins Ziel.