Was dahinter steckt

Warum ein toter Schüler plötzlich einen Politiker am Handy anrief

Vor sechs Jaren starb Joaquin Oliver bei einem Schul-Massaker in Florida. Seine KI-Stimme meldet sich nun bei US-Politikern und fordert strengere Waffengesetze.

KI erweckt Stimmen von Toten zum Leben
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The Shotline
Christian Nusser
Akt. Uhr
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"Hallo. Ich bin Joaquin Oliver". So beginnt einer der Anrufe, die derzeit die USA bewegen. Vor sechs Jahren war Joaquin Oliver mit einem Strauß Sonnenblumen in die Schule gegangen, es war Valentinstag. Ein paar Stunden später wurde der 17-Jährige in einem Leichensack aus der Marjory Stoneman Douglas High School getragen.

200 Schüsse in die Menge Am 14. Februar 2018 fand in Parkland, Florida, eines der schlimmsten Schul-Massaker in der Geschichte der USA statt. 17 Menschen starben, 14 Schülerinnen und Schüler, drei Mitarbeiter der High School. Ein 19-Jähriger ehemaliger Schüler war in das Gebäude gestürmt, hatte Feueralarm ausgelöst, eine Rauchbombe gezündet und dann wahllos in die Menge gefeuert. Innerhalb von sechs Minuten gab er rund 200 Schuss ab, mengte sich dann unter die Flüchtenden.

Täter für immer in Haft Der Amokläufer wurde am Nachmittag desselben Tages drei Kilometer vom Tatort entfernt festgenommen und im Oktober 2022 zu 17-mal lebenslang ohne Chance auf Bewährung und 17-mal lebenslang mit der Chance auf Bewährung verurteilt. Die Strafen sind nacheinander zu verbüßen. Was der Bluttat folgte, war die übliche Diskussion über die Verschärfung von Waffengesetzen in den USA.

KI erweckt Stimmen von Toten zum Leben
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Sechs Opfer klagen an Sechs Jahre später und ohne dass auch nur etwas in diese Richtung passiert ist, wurde Joaquin Oliver nun wieder zum Leben erweckt, zumindest seine Stimme. Am Valentinstag ging in den USA die Webseite "The Shotline" online, es war der Start einer außergewöhnlichen Aktion. Sechs Menschen, die durch Schusswaffen zu Tode kamen, war durch Künstliche Intelligenz ihre Stimme wiedergegeben worden. Nun sprachen sie zur Welt.

Joaquins Eltern gaben nie auf Hinter dem Projekt stehen die Eltern von Joaquin, Manuel und Patricia Oliver. Sie betreiben die gemeinnützige Organisation "Change the Ref", die mit gewaltfreiem Aktivismus für strengere Waffengesetze kämpft, Politiker und Industrie mit den Folgen laxer Gesetze konfrontiert.

"Ja, das ist er" Gemeinsam mit Technikern gelang es dem Paar, die Stimme ihres Sohnes zu rekonstruieren. Zur Anwendung kamen dabei alte Aufnahmen aus dem Familienarchiv, auf denen Joaquin zu hören ist. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz wurde ein Computer darauf trainiert, wie der damals 17-Jährige zu klingen. "Der erste Versuch war nah dran, aber nicht er", sagte Manuel Oliver der "Times". Dann kam die zweite Version. "Da waren wir und hörten Joaquin sechs Jahre später zu. Das ist er, ja, das ist mein Sohn, das ist Joaquin."

Jetzt kann er sich wehren Es war nicht nur die Stimme, es war der Inhalt, der die Eltern bewegte. "Es war genauso, wie er es sagen würde. Ja, das Endergebnis entspricht ihm zu 100 Prozent. Jetzt kann Joaquin gegen die Ungerechtigkeit sprechen, die ihm das Leben genommen hat."

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Das sagt Joaquin "Es ist dir egal. Du hast nichts getan. Es ist sechs Jahre her und du nichts gemacht. Nichts, um all die Schießereien zu stoppen, die seitdem passiert sind", ist Joaquins Stimme zu hören. "Ich bin an diesem Tag in Parkland gestorben. Mein Körper wurde durch eine Kriegswaffe zerstört ... Andere Opfer wie ich werden auch immer wieder anrufen, um Maßnahmen zu fordern. Wie viele Anrufe wirst du brauchen, um dich darum zu kümmern? Wie viele tote Stimmen wirst du hören, bevor du endlich zuhörst?"

Direkt aufs Smartphone Anrufe? Das Projekt beschränkt sich nicht darauf, die Stimme des toten Teenagers hörbar zu machen. Über die Webseite von "The Shotline" können die Audiofiles direkt auf die Smartphones von Kongress-Abgeordneten geschickt werden. Es gibt ein eigenes Eingabefeld, hier kann jeder und jede eine Postleitzahl eintragen und erhält den Namen eines Delegierten aus der jeweiligen Umgebung plus Telefonnummer. Ein Klick und die Stimme aus dem Grab landet am Handy des Politikers.

Wann hört diese Gewalt auf? Nicht nur Joaquin ist zu hören. Auch Uziyah Garcia, er war 10 Jahre alt, als er 2022 erschossen wurde. "Ich liebe Videospiele, erzähle Witze und bringe meine Freunde zum Lachen und springe mit meiner Familie auf dem Trampolin herum", sagt er. "Ich bin ein Viertklässler an der Robb Elementary School in Uvalde, Texas - oder zumindest war ich es, als ein Mann mit einem AR-15 in meine Schule kam und 18 meiner Klassenkameraden, zwei Lehrer und mich tötete. Früher habe ich es geliebt, Menschen zu helfen. Was brauchen Sie, um sicherzustellen, dass Gewalt wie diese aufhört?"

KI erweckt Stimmen von Toten zum Leben
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Vier weitere Opfer Auch Ethan Song, 15, der 2018 bei einer versehentlichen Schussabgabe aus einer ungesicherten Pistole im Haus eines Freundes getötet wurde, ist zu hören. Jaycee Webster, 20, der 2017 in seinem Haus getötet wurde. Michael Baughan, 31, der durch Selbstmord mit einer Waffe starb, die er nur 15 Minuten davor bei Walmart gekauft hatte. Und Akilah DaSilva, 23, der in einem Waffel-Restaurant in Tennessee von einem Fremden erschossen wurde. Weitere Stimmen sollen folgen.

Wir mussten etwas anderes probieren "Seit Joaquin getötet wurde, sind mehr als 270.000 Menschen aufgrund von Waffengewalt in den USA gestorben", sagt sein Vater. "Wir haben Senatoren, Mitglieder des Kongresses getroffen, wir waren beim Präsidenten im Oval Office. Uns gingen die Verantwortlichen aus, die wir um Veränderung bitten konnten. In der Zwischenzeit wurden immer mehr Menschen auf die Liste der Opfer gesetzt. Wir mussten etwas anderes ausprobieren. Das Herkömmliche hat nicht mehr funktioniert."

"Er liebte es, Menschen zu helfen" "Als ich seine Stimme hörte, habe ich losgebrüllt, unkontrolliert losgebrüllt", sagt Brett Cross, Vater von Uziyah. "Ich hörte immer wieder zu und weinte. In diesem Moment konnte ich ihn dort stehen sehen und mit diesen Politikern sprechen. Es war herzzerreißend, aber es erfüllt mich auch mit Stolz, dass er anderen Menschen hilft. Das ist es, was er vom Leben wollte - er wollte nur den Menschen helfen."

Erfolgreiche Aktion? Über "The Shotline" wurden schon über 100.000 KI-Stimmen an amerikanische Politiker verschickt, und das in rund drei Wochen. An den Waffengesetzen hat sich noch nichts geändert.

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