Pures Geld
Aktien-Boom in Europa: Wie lange läuft die Party noch?
Es ist nicht alles schlecht. Europäische Aktien zeigen den USA derzeit die lange Nase. Geld-Profi Monika Rosen erklärt, warum wir besser sind als Trumps Amerika, was die Folge des Höhenflugs ist und ob uns nach der Faschingsparty ein Kater droht.

Die europäischen Börsen haben heuer einen wirklich starken Jahresstart hingelegt. Nach eineinhalb Monaten sind die Aktienindizes diesseits des Atlantiks rund doppelt so stark im Plus wie jene in den USA.
Sind also die Bedenken der Anleger rund um schwaches Wachstum, Überregulierung und fehlende Innovationskraft auf einmal verschwunden? Hält man die Zollpolitik von Donald Trump nur mehr für eine leere Drohung? Oder wachen wir nach der Faschingsparty an den europäischen Märkten unweigerlich mit einem Kater, sprich Kursrückgängen, auf?
Monika Rosen sagt Ihnen, ob Sie unbedenklich weiterfeiern können, oder ob es nicht doch ratsam wäre, eine Brausetablette in Reserve zu haben:
Vorab: Wovon sprechen wir hier!
Nach einer sehr schwachen Leistung im Vorjahr legen die europäischen Börsen heuer eindeutig vor. In den letzten Jahren war die amerikanische Börse "Everybody’s Darling".

Was heißt das?
Dazu zwei Zahlen: Wenn man alle Aktien, die weltweit gehandelt werden, zusammenzählt, so kommen US-Papiere auf einen Anteil von knapp 60 Prozent. Das heißt, deutlich mehr als die Hälfte des globalen Börsenvolumens notiert in den USA.
Und die zweite Zahl?
Der Rückstand, den die europäischen Börsen 2024 gegenüber der Wall Street aufgebaut haben, war so groß wie seit 30 (!) Jahren nicht mehr. Im Vorjahr gab es also de facto nur eine "richtige" Investment-Entscheidung, nämlich in den USA anzulegen.
Das legt die Frage nahe: Und heuer?
Heuer ist es genau umgekehrt. Die europäischen Börsen laufen seit Jahresbeginn der Wall Street quasi davon. Es gibt eine Reihe von Gründen, die für die hiesigen Märkte sprechen, und die wurden heuer alle gleichzeitig schlagend.
Da kann die nächste Frage nur lauten: Welche Gründe sind das?
Zunächst hat die Bewertung eindeutig für Europa gesprochen, denn US-Papiere waren durch die starken Anstiege der letzten Jahre alles andere als billig. Die Anleger-Community kam offenbar zu dem Schluss, dass das vergleichsweise schwache Abschneiden der europäischen Börsen im Vorjahr jetzt so was wie eine Okkasion darstellt.

Inwiefern ist Europa günstig bewertet?
Die Bewertungen, also das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), sprechen immer noch eindeutig für Europa. Während der amerikanische Leitindex S&P 500 ein KGV von über 21 aufweist, kommen die europäischen Börsen trotz der jüngsten Anstiege nur auf Werte um 14.
An dieser Stelle kurz zur Erklärung: was ist ein KGV?
Das KGV gibt folgendes Verhältnis an: Preis einer Aktie durch Reingewinn je Aktie.
Heißt?
Wenn ein Unternehmen einen Gewinn je Aktie von 10 Euro und ein KGV von 15 hat, so liegt der Aktienkurs bei 150 Euro. 150 (Preis einer Aktie) durch 10 (Gewinn je Aktie) ergibt 15. Hätte dieselbe Aktie ein KGV von sagen wir 22, läge der Kurs bei 220 Euro. Wieder der Gewinn je Aktie bei 10, aber das KGV beträgt jetzt 22, damit steigt der Kurs auf 220.
Das heißt, es hängt davon ab, welches KGV die Börse einer Aktie quasi "zugesteht"?
Im Grunde ja. Es gibt äußere Faktoren, die eine Bewertung von Aktien bestimmen. Dazu zählen unter anderem die Zinsen. Je intensiver die Konkurrenz von der Zinsseite ist (je mehr Zinsen ich anderswo bekomme), umso attraktiver, sprich günstiger, müssen die Aktien werden. Es geht ja immer darum, dass ich für das Risiko, das ich mit einem Investment in Aktien natürlich eingehe, kompensiert werde. Davon abgesehen, bestimmen aber auch andere Faktoren das KGV einer Aktie.

Nämlich?
Dazu zählt einerseits die Branche. Tech-Aktien haben höhere KGVs, weil man ihnen in puncto zukünftiger Gewinne mehr zutraut. Und die hohe Attraktivität des US-Kapitalmarktes führt eben auch dazu, dass amerikanische Titel eine höhere Bewertung zugestanden bekommen. Alle wollen an der Wall Street investieren. Der Zufluss an Geld lässt die Kurse steigen. Wenn die Gewinne damit nicht ganz Schritt halten, steigt allein schon dadurch die Bewertung, sprich das KGV.
Was sind also die Gründe, warum Europa heuer den Rückstand zur Wall Street verkleinern konnte?
Über die Bewertung haben wir gerade gesprochen. Was auf alle Fälle für Europa spricht, sind die Zinsen. In den USA erwarten die Märkte heuer nur mehr eine, maximal zwei Zinssenkungen zu je 0,25 Prozent.
Und in Europa?
Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte die Zinsen heuer mindestens um einen vollen Prozentpunkt nach unten drücken. Das sind insgesamt vier Senkungen zu je 0,25 Prozent. Sprich, die Finanzierungsbedingungen für die Unternehmen werden in Europa deutlich günstiger als in den USA. Das sollte den Aktien bei uns Rückenwind verleihen.
Was heißt das für Kredite und Sparbücher?
Es ist damit zu rechnen, dass die Banken diese Zinssenkung an die Kunden weitergeben, und zwar sowohl bei den Spareinlagen als auch bei den Krediten. Mehr zur Zinspolitik der EZB gibt’s hier.

Und welche Rolle spielt der Euro dabei?
Eine ganz wichtige. Eine Währung, die relativ zu anderen Währungen (vor allem zum Dollar) günstig ist, unterstützt den Export. Mit einer relativ schwachen Währung werden meine Waren im Ausland günstiger, ich kann mehr verkaufen. Das ist es ja auch, worüber sich Trump immer beschwert, wenn er davon spricht, Europa sei "böse" zu den USA. Aber eine schwache Währung hat natürlich auch einen Preis.
Und zwar welchen?
Sie verteuert den Import. Ich darf daran erinnern, dass fossile Energieträger (Erdöl) in Dollar bezahlt werden müssen. Je schwächer der Euro, desto teurer wird es für uns, Öl zu importieren.
Nochmal zurück zu den europäischen Aktienmärkten. Gibt es noch weitere Faktoren, die heuer für Rückenwind gesorgt haben?
Was Europa auch geholfen hat, war der Schock rund um DeepSeek. Die chinesische KI-Anwendung tauchte im Jänner quasi aus dem Nichts auf und sorgte für Verunsicherung bei US Tech-Aktien. Deren riesige Investitionen in die KI wurden plötzlich hinterfragt.
Inwiefern hat das Europa geholfen?
Naja, wir gelten bei der KI ja nicht gerade als Listenführer. Wenn aber jetzt die Befürchtung aufkommt, der Hype rund um dieses Thema könnte überzogen sein, dann spielt das unseren Unternehmen in die Karten. Wir sind günstiger bewertet, und unsere Firmen haben nicht Unsummen für eine Technologie ausgegeben, die diese Riesenbeträge eventuell nicht ganz rechtfertigt.

Welche Rolle spielt hier jetzt die Geopolitik, also der Krieg in der Ukraine und auch die von Trump angedrohten Zölle?
Man gewinnt phasenweise schon den Eindruck, dass die Börse zumindest die Zollpolitik zu sehr ausblendet. Der europäische Export hätte, sollte Trump seine Drohungen wahrmachen, sehr wohl viel zu verlieren.
Und die Ukraine?
Die Hoffnungen auf ein Ende des Krieges in der Ukraine haben den europäischen Aktien Rückenwind beschert. Sollte hier zumindest ein Waffenstillstand gelingen, würde ein großer Belastungsfaktor für die Märkte wegfallen. Und die Energiepreise würden fallen, was für die europäischen Unternehmen eine große Erleichterung wäre.
Welchen Einfluss hat die bevorstehende Wahl in Deutschland auf die Kurse?
Hier gilt Ähnliches wie bei den Zöllen. Manche Analysten sind der Meinung, der Markt würde derzeit nur die Chancen sehen und die Risken ignorieren. Der deutsche Leitindex DAX hat seit Jahresbeginn 12 Prozent und damit fast dreimal so viel zugelegt wie der S&P 500 in den USA.
Warum ist das so?
Die Anleger setzen stark auf eine Lockerung der Schuldenbremse und einen damit verbundenen Investitionsschub. Sie blenden aber offenbar aus, was ein starkes Abschneiden der rechten AfD an Unsicherheiten und Hürden bei der Regierungsbildung bedeuten könnte.
Aber wir wollen nicht mit einer schlechten Nachricht aufhören, oder?
Nein. Es gibt nämlich noch einen Faktor, der immer wieder übersehen wird. Das Wachstum in Europa ist für die hiesigen Unternehmen weniger ausschlaggebend als allgemein gedacht. Nach einer Schätzung von Goldman Sachs erwirtschaften europäische Unternehmen rund 60 Prozent der Umsätze außerhalb Europas. Wenn es anderswo besser läuft als bei uns, ist das also kein Nachteil.
Monika Rosen war mehr als 20 Jahre bei einer heimischen Großbank tätig, ist Vizepräsidentin der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft und gefragte Spezialistin rund um alle Geldthemen