Interview
"Wer schützt uns, wenn Trump gewählt wird? Der liebe Gott"
Joschka Fischer, deutscher Ex-Vizekanzler, rechnet mit der EU-Verteidigungspolitik ab – und warnt vor Trump II.
Manches mutet aus dem Blickwinkel von heute reichlich seltsam an. Diese Szene etwa vom 12. Dezember 1985: Joschka Fischer wird im hessischen Landtag von Ministerpräsident Holger Börner als Umweltminister vereidigt und steht in weißen Turnschuhen da. Eine Welle der Erregung über diese Provokation erfasste Deutschland. 39 Jahre später kann man mutmaßlich in Sneakers zum Papst und die Schweizergarde hebt keine Augenbraue. Die Turnschuhe von Fischer stehen heute im Deutschen Ledermuseum in Offenbach.
Notorischer Grantler Joschka Fischer (75) war allerlei in seinem Leben, vor allem Außenminister und Vizekanzler von 1998 bis 2005. Da trug er schon Budapester, war einmal dick, dann wieder dünn, dazwischen schrieb er ein Buch über seine Metamorphosen, "Mein langer Lauf zu mir selbst". Der frühere Fundi, Demo-Steinewerfer, Schulabbrecher wurde 1999 auf einem Parteitag der Grünen von einem Farbbeutel im Gesicht getroffen, weil der Ex-Fundi die Fundis in der Partei ausbooten wollte. Vor allem aber meldet sich der notorische Grantler immer wieder politisch zu Wort, vorrangig in der "Zeit". Er ist in dem Wochenmagazin etwas in jene Rolle geschlüpft, die der legendäre Altkanzler Helmut Schmid (SPD) lange innehatte. Man kann das geschulter Blick von außen nennen oder Balkonmuppet.
"Die NATO ist tot" In der aktuellen Ausgabe der "Zeit" redet Fischer auch über Europas Verteidigungspolitik, vor allem unter dem Blickwinkel Donald Trump II. Die EU gleicht in ihrem Außenauftritt, zivil und militärisch, eher einem Fleckerlteppich. Deutschland und der Rest des Kontinents verließ sich jahrzehntelang auf den Schutzschirm USA. Den will Donald Trump abspannen, sollte er es noch einmal ins Amt schaffen. Angekündigt hatte er das schon in seiner ersten Amtszeit. "Sie müssen sich klarmachen, dass wir Ihnen niemals helfen werden und sie niemals unterstützen werden, wenn Europa angegriffen werden sollte", sagte er zur Beistandsverpflichtung, "die Nato ist tot, und wir werden sie verlassen, wir werden aus der Nato austreten".
Nun kündigte Trump an, den Krieg in der Ukraine im Amt "innerhalb von 24 Stunden" zu beenden. Gemeint war wohl über die Köpfe der Europäer hinweg. In diese Gemengelage hinein, führte die "Zeit" das Gespräch. Joschka Fischer über:
Ob uns der Krieg in Gaza oder in der Ukraine mehr Sorgen machen muss
Die beiden Konflikte sind miteinander verbunden. Global ist der Gaza-Konflikt gefährlicher, weil sich daraus ein Zusammenstoß der Großmächte entwickeln könnte, wie 1914. Aus unserer europäischen Sicht scheint der Ukraine-Konflikt gefährlicher. Putin wird nicht aufhören.
Sein eigenes Umdenken
Natürlich, Diplomatie ist gut. Aber was ist Diplomatie ohne hard power? Das hätte ich mir auch nicht vorstellen können, dass ich mich einmal für Aufrüstung aussprechen würde, sogar für nukleare Abschreckung.
Die nukleare Schutzgarantie der USA für Europa
Verdanken wir dieser nuklearen Schutzgarantie nicht sieben Jahrzehnte Frieden?
Russland unter Putin
Ich nehme nicht an, dass morgen Nuklearwaffen über einer deutschen Stadt explodieren. Aber wer die russische Mentalität kennt, weiß, sie nehmen nur die Amerikaner ernst.
Was Europa jetzt machen müsste
Die wichtigste Frage ist, ob die europäischen Nuklearmächte die Rolle der USA zumindest temporär übernehmen können. Ich sage bewusst Nuklearmächte, Mehrzahl, ich meine damit Frankreich und Großbritannien.
Wer Europa schützt, wenn Trump gewinnt und die NATO verlässt
Der liebe Gott.