Promi-Allflug

Wie die sinnloseste Reise der Welt ein Riesenerfolg wurde

Die erste reine Frauen-Crew, gecastet wie für die Vogue, Tränen und ein Bussis nach der Landung. 11 Minuten lang flogen US-Promis am Montag ins All und zurück, an Bord auch Lauren Sánchez, Bald-Ehefrau von Jeff Bezos. Dem Amazon-Milliardär gehört die Rakete.

Großes Kino: Amazon-Milliardär Jeff Bezos herzt nach der Landung seine Verlobte Lauren Sanchez
Großes Kino: Amazon-Milliardär Jeff Bezos herzt nach der Landung seine Verlobte Lauren Sanchez
Blue Origin/Handout via REUTERS
Christian Nusser
Akt. Uhr
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Die vielleicht relevanteste Frage wird momentan sehr kontroversiell debattiert: War der Allflug überhaupt ein Allflug? Denn selbst unter Experten ist umstritten, wo der Weltraum genau anfängt. Oder auch nur ungenau. Was gesagt werden kann: Eine reine weibliche Crew aus sechs Promis war am Montag irgendwo da oben.

"Historisch" war das häufigste Wort, das vorher und nachher und mittendrin zur Verwendung gelangte. Historisch gut besucht trifft es eher. Kris Jenner, Khloé Kardashian und Orlando Bloom waren live vor Ort, als es passierte. Aber was ist eigentlich passiert?

Ja, was ist eigentlich passiert?
Die "New Shepard" führte ihre 31. Mission durch. Sie wies eine Besonderheit auf: Rund um Schauspielerin Lauren Sánchez, im Nebenberuf Verlobte von Amazon-Packerlschupfer Jeff Bezos, war eine sechsköpfige Besatzung aus lauter Frauen – und die noch dazu recht bekannt – zusammengestellt worden.

Touchdown, eine Staubwolke ist zu sehen, aber keine macht sich schmutzig
Touchdown, eine Staubwolke ist zu sehen, aber keine macht sich schmutzig
HANDOUT / AFP / picturedesk.com

Was ist "New Shepard"?
Eine der wiederverwertbaren Trägerraketen von "Blue Origin". Das Unternehmen wurde 2000 von Jeff Bezos gegründet. 15 Jahre später gab es den ersten unbemannten Start. Die "New Shepard", die aus einer Trägerrakete und einer Mannschafskapsel besteht, führte 2021 die erste Mission mit Menschen an Bord durch. Jeff Bezos war Teil der Crew.

Warum heißt die "New Shepard" eigentlich "New Shepard"?
Das hat nichts mit neuer Hirte oder so zu tun. Die Rakete ist nach Alan Shepard benannt, dem ersten Amerikaner im Weltraum. Er stellte nebenher noch weitere Rekorde auf: Ältester Mensch auf dem Mond (Apollo 14), erster Golfspieler auf dem Mond (Apollo 14), erster Großvater auf dem Mond (Apollo 14).

Wer war an Bord?

  • Katy Perry, 40, Popstar (I Kissed a Girl, Hot n Cold)
  • Gayle King, 70, Journalistin, Co-Moderatorin von "CBS Mornings"
  • Aisha Bowe, 38, Luft- und Raumfahrtingenieurin, Aktivistin
  • Amanda Nguyen, 34, Bürgerrechtlerin, Unternehmerin
  • Kerianne Flynn, 57, Filmproduzentin
  • Lauren Sánchez, 55, Schauspielerin, bald Frau Bezos
Fotoshooting muss sein: Lauren Sanchez, Amanda Nguyen, Katy Perry, Gale King, Aisha Bowe, Kerianne Flynn in den eigens designten Raumanzügen
Fotoshooting muss sein: Lauren Sanchez, Amanda Nguyen, Katy Perry, Gale King, Aisha Bowe, Kerianne Flynn in den eigens designten Raumanzügen
- / AFP / picturedesk.com

Der wieviele Flug war das nun?
Es war die elfte bemannte oder in diesem Fall befraute Mission, die anderen waren menschenleere Forschungsflüge. Bisher wurden 58 Personen von "Blue Origin" ins All gebracht.

Wie lief der Flug diesmal ab?
Recht unspektakulär, das war wohl auch eines der Ziele. Einen Raumflug als etwas beinahe Alltägliches zu vermarkten. Abflug, nach drei Minuten trennte sich die Trägerrakete ab, rein ins Weltall. Nach siebeneinhalb Minuten landete die Trägerrakete planmäßig auf einer Plattform, drei Minuten später folgte die Mannschaftskapsel, gebremst durch einen Fallschirm und umrahmt von einer mächtigen Staubwolke.

Was war das spektakulärste da oben?
Wohl die vier Minuten Schwerelosigkeit. Dahinschweben, ins Universum und auf die Erde schauen, das hat sicher was. Dafür durfte sich die Crew sogar abschnallen.

War die Rakete nun im Weltraum oder nicht?
Das ist eine Geschmacksfrage. Fakt ist, dass sie die Kármán-Linie überquerte. Für einige Experten stellt sie die Grenze zum Weltraum dar, für andere nicht. Die Kármán-Linie liegt ungefähr 100 Kilometer über dem Meeresspiegel.

Was heißt das?
Nun, für die NASA-Missionskontrolle beginnt 122 Kilometer über der Erde der Weltraum. Für die US-Armee fängt der Weltraum in einer Höhe von mindestens 129 bis 150 Kilometern an. Die Internationale Raumstation ISS fliegt in einer Höhe von rund 400 Kilometern über der Erde.

Katy Perry streckt ein Gänseblümchen in die Höhe, ein Geschenk ihrer vierjährigen Tochter Daisy
Katy Perry streckt ein Gänseblümchen in die Höhe, ein Geschenk ihrer vierjährigen Tochter Daisy
Blue Origin/Handout via REUTERS

Warum sprechen dann Bezos und andere von Weltraum?
Die Kármán-Linie markiert den Punkt in der Atmosphäre, an dem die Luft so dünn wird, dass man einen Raketenantrieb zur Beförderung braucht. Auch für den internationalen Luftfahrtverband (Fédération Aéronautique Internationale) gilt als Astronaut, wer bei einer Mission eine Flughöhe von mehr als 100 Kilometern erreicht hat. Dafür bekommt man als Auszeichnung den "Astronaut Badge".

War es der erste Raumflug mit einer ausschließlich weiblichen Besatzung?
Jein! Am 16. Juni 1963 verbrachte die sowjetische Kosmonautin Walentina Tereschkowa drei Tage in der Erdumlaufbahn. Sie war allein unterwegs, insofern war es der erste Flug mit ausschließlich weiblicher Crew. Als Gruppe gab es so etwas noch nie.

Wo fand der Flug statt?
Schnippisch könnte man sagen am Himmel. Aber Ausgangspunkt war der Startplatz von Blue Origin in West Texas.

Wie lange dauerte die Sause?
Zwischen 10 und 11 Minuten. Es ging um 9.30 Uhr lokaler Zeit los, also 15.30 Uhr MEZ.

So lief der Allflug ab
So lief der Allflug ab
APA-Grafik / picturedesk.com Quelle: dpa / Blue Origin / space.com

Wer hat das Ding eigentlich gesteuert?
Niemand an Bord. Es handelt sich um eine selbstfliegende Rakete mit automatischer Steuerung. Ein Vorgriff vielleicht auf das autonome Fahren auf der Erde. Im Weltraum ist allerdings Gegenverkehr seltener.

Was war der Zweck?
Wissenschaftlich gesehen blieben die Erkenntnisse überschaubar. Aber als Reklame war die Veranstaltung ein Volltreffer. Weltweite Berichterstattung für lau, weil eine Freundinnengruppe knapp 11 Minuten in einer Rakete Platz nahm, das zeugt von großem Geschick.

Gab es auch eine Botschaft?
Ja, auf Ungleichgewichte aufmerksam machen. Frauen machen nur etwa 11 Prozent aller Weltraumreisenden aus. Bei der NASA schafften es bisher nur fünf schwarze Frauen, zwei Latinas und vier Frauen asiatischer Abstammung ins All.

Aber es ging auch nicht ohne Klischee ab, oder?
Natürlich nicht. In einem Elle-Interview wurde Katy Perry nach ihrer ersten Reaktion auf das Angebot gefragt. Ihre Antwort: "Ich dachte: Was soll ich bloß anziehen?" Sie erzählte es als Scherz, aber es war wohl zumindest ein Körnchen Wahrheit dabei. "Der Weltraum wird endlich glamourös", fügte sie an. "We are going to put the 'ass' in astronaut". Aus Astronaut wurde Arschtronaut.

Die schönste Liebesszene seit Titanic: Jeff Bezos, Lauren Sanchez
Die schönste Liebesszene seit Titanic: Jeff Bezos, Lauren Sanchez
Blue Origin/Handout via REUTERS

Woran war zu merken, dass es Show war?
Es waren Profis am Werk, die nicht einfach irgendwas taten. Beispiel Katy Perry: Beim Interview vor dem Start tupfte sie sich mit einem Taschentuch Tränen ab, als sie über ihre Familie sprach. Beim Flug hielt sie eine Gänseblume in der Hand, ein Geschenk ihrer vierjährigen Tochter Daisy, sagte sie. Beim Ausstieg reckte sie das Blümchen in die Luft. Großes Kino!

Es gab noch mehr Show, oder?
Natürlich. Lauren Sánchez, die im Juni in Venedig Amazon-Milliardär Jeff Bezos heiraten soll, busselte nach der Landung ihren Verlobten ab, fiel dann auf die Knie und küsste den Boden.

Woran erinnert die Inszenierung?
Entfernt an Felix Baumgartner. Der Extremsportler sprang am 14. Oktober 2019 aus knapp 40 Kilometern Höhe ab und brach damit mehrere Weltrekorde. Red Bull inszenierte den Nervenkitzel tagelang als Weltereignis. Zwei Jahre später knackte ein 57-jähriger Google-Manager nebenbei die Höchstmarke – in Abwesenheit der Öffentlichkeit.

Was bringt so eine Inszenierung?
Millionenfache Aufmerksamkeit. Deshalb wurde Katy Perry wohl auch als Erste gefragt, ob sie mitfliegen will. Sie durfte sich aussuchen, wen sie dabei haben will. Die Sängerin hat 63,2 Millionen Follower auf Twitter, mehr als Taylor Swift, und 204 Millionen Follower auf Instagram. Ihr Posting vor dem Start wurde innerhalb weniger Stunden von einer halben Millionen Menschen gesehen und von über 40.000 verteilt.

TV-Star Oprah Winfrey, mit einigen Crewmitgliedern BFF, sorgt sich theatralisch ums Wohlergehen
TV-Star Oprah Winfrey, mit einigen Crewmitgliedern BFF, sorgt sich theatralisch ums Wohlergehen
Blue Origin/Handout via REUTERS

Es wurde vorab nichts dem Zufall überlassen...?
Nein, es gab sogar ein eigenes Shooting der gesamten Crew für die "Elle", inklusive mehrseitiger Interviewstrecke.

Das war auch an der Bekleidung zu sehen, oder?
Ja, die klassischen Allerwelts-Overalls von "Blue Origin" blieben im Schrank. Lauren Sánchez, die einen Hang zu exponierter Kleidung hat, engagierte ihre Lieblingsdesigner Fernando Garcia und Laura Kim von Oscar de la Renta, um eigene Uniformen zu designen. "Femininer" und "peppiger" sollten sie werden.

Ist das gelungen?
Aber hallo! Es entstanden eher Filmkostüme, außen in mitternachsblau, mit einem schwarzen Innenteil, per Reißverschluss aufzippbar. Davon machte Katy Perry ausgiebig Gebrauch. Der "Süddeutschen Zeitung" fiel noch mehr auf. Die Hose hätten einen "sexy Bootcut" in mit leichtem Schlag bekommen, wie ihn Kendrick Lamar beim vergangenen Superbowl trug". Er könne "mit einem langen Reißverschluss auch enger gemacht werden". Statt dem bisherigen glänzenden Polyester wurde feuerfestes Stretch-Neopren verwendet.

Wird die All-Mission auch vermarktet?
Und ob. Es gibt jede Menge zu kaufen. T-Shirts (ab 24,95 Euro), Kapperln (34,95 Euro), Pullis (54,95 Euro) und Astronauten-Raumanzüge für Kinder (49.95 Euro), schön nach Geschlechtern getrennt. Die Buben in blau, die Mädchen in rosa.

Da hat nicht jede(r) mitgedacht, oder?
Schaut so aus. Auf den Kleidungsstücken ist ein Logo aufgedruckt, das extra für den Flug entworfen wurde. Jede der Teilnehmerinnen hat ein Stück beigesteuert. Und wie heißt der Slogan? "NS-31". Rechtsextreme Gruppen werden kräftig zugreifen.

Aus, vorbei, überstanden: Laura Sanchez küsst die heimische Erde
Aus, vorbei, überstanden: Laura Sanchez küsst die heimische Erde
HANDOUT / AFP / picturedesk.com

Was passierte während des Fluges?
Das konnte man per Livestream mitverfolgen, oder besser mithören. Die Stimmung an Bord war ausgelassen wie auf einer Tupperware-Party. Jubelrufe, Schreie. "Seht euch den Mond an!", sagte ein Besatzungsmitglied. "Oh mein Gott, das ist unser rosa Mond!", rief Katy Perry. "Wow!"

Und danach?
Da gab es jede Menge Interviews. Moderatorin Charissa Thompson erzählte dabei, was Lauren Sánchez vor dem Weltraumabenteuer zu ihrem Zukünftigen gesagt hatte. "Jeff, wenn du mich nicht heiraten möchtest, musst du mich nicht ins All schicken".

Was sagt die Umwelt zu alldem?
Weltraumflüge bringen natürlich die Forschung weiter, vor allem auch, was Antriebe betrifft. Zweiter Pluspunkt: Die Raketen sind wiederverwertbar. Aber sie fliegen nicht von selbst. Die Betreiber werben mit Sauberkeit, es würde kein CO2 ausgestoßen, aus dem Auspuff kämen nur Wasserstoff und Sauerstoff. Aber auch Flüssigtreibstoff müssen hergestellt werden und das in großen Mengen. Dabei wird viel CO2 frei.

Was kostet so ein Allflug eigentlich?
Es gibt dafür keine Preisliste. Wer Interesse hat, muss sich in eine Warteliste eintragen, allein dafür sind 150.000 Dollar zu berappen. Der Sitzplatz selbst kostete dann mehrere Millionen. Das erste verkaufte Tickets wurde für 28 Millionen Dollar versteigert. Die weibliche Crew am Montag hatte aber natürlich Freifahrscheine.

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